4.3.3
Wandel der Erwerbsformen
Erwerbstätige sind nach der Definition des Statistischen
Bundesamtes Selbstständige, abhängig Beschäftigte
und freiwillig mithelfende Familienangehörige. Die
Erwerbs tätigenzahl nahm in Westdeutschland zwischen
1960 und 1989 weder kontinuierlich zu, noch ab. Sie schwankte
vielmehr zwischen 26 und 27,7 Millionen.
Der positive
Nachfrageeffekt nach der Wiedervereinigung sorgte 1990 und 1991 in
Westdeutschland für einen deutlichen Anstieg der
Erwerbstätigenzahlen (+5,5 Prozent). In den neuen Ländern
verringerte sich die Zahl der Erwerbstätigen in diesen beiden
Jahren um ein Viertel. Für Gesamtdeutschland nahm die Zahl der
Erwerbstätigen zwischen 1991 und 1998 nach der
ursprünglichen Berechnungsmethode in der Volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnung (VGR) um 2,5 Millionen ab (–7,4 Prozent). Im
Jahr 1999 und 2000 wurde die Ermittlung der
Erwerbstätigenzahl in der Volkswirtschaftlichen
Gesamtrech nung einer Revision unterzogen, um die Anzahl der
geringfügig Beschäftigten besser erfassen zu können.
Unter Berücksichtigung dieser Revisionen nahm die Zahl der
Erwerbstätigen ab 1991 zunächst ab, stagnierte dann und
stieg ab 1998 wieder an, so dass sie im Jahresvergleich zwischen
1991 und 2001 nahezu unverändert blieb (+0,8 Prozent) (s.
Abbildung 4-13).
Ein
höherer Anteil geringfügig Beschäftigter bei
annähernd gleichbleibender Erwerbstätigenzahl deutet
darauf hin, dass sich in diesem Zeitraum das Arbeitsvolumen –
Summe der jährlich geleisteten Arbeitsstunden aller
Erwerbstätigen – verringert haben muss. Tatsächlich
nahm es in Deutschland zwischen 1991 und 2001 um fünf Prozent
ab, womit der Trend eines leicht sinkenden Arbeitsvolumens seit den
60er Jahren fortgesetzt wurde (zwischen 1960 und 1990 verringerte
es sich um 18,6 Prozent).17 Dieser Trend ist nicht auf eine
rückläufige Erwerbstätigenzahl
zurückzuführen, sondern auf eine Abnahme der
durchschnittlich geleisteten Arbeitszeit je
Erwerbstätigen.
Die Abnahme der durchschnittlichen
Jahresarbeitszeit je Erwerbstätigen ist, soweit sie nicht auf
eine tarifliche Kürzung der Wochenarbeitszeit und die Abnahme
von Überstunden zurückzuführen ist, als ein
statistischer Hinweis für die zunehmende Bedeutung von
Beschäftigungsverhältnissen außerhalb der
„Normalarbeit“18 anzusehen:
a) Entwicklung der
„Normalarbeitsverhältnisse“: Nach der
Europäischen Arbeitskräfteerhebung von Eurostat
verringerte sich die Anzahl der
„Normalarbeitsverhältnisse“ im gesamten
Bundesgebiet zwischen 1991 und 2000 von 25,5 auf 22,3 Millionen
(–12,5 Prozent).
b) Entwicklung der
Teilzeitarbeit: Die Erwerbstätigen, die sich in der
Befragung durch den Mikrozensus von Eurostat als
teilzeitbeschäftigt bezeichneten, stieg von 5,2 (1991) auf 7,1
Millionen (2000). Das entspricht einer Zunahme von 36,5
Prozent.
c) Entwicklung der
geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse: Die
zunehmende Zahl der geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisse wurde bereits im Zusammenhang
mit den Revisionen der VGR zur Erfassung der Erwerbstätigen
deutlich. Dieser Trend wird durch einen Forschungsbericht des
Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG)
für das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
bestätigt. Der Erhebung zufolge, die speziell zur Untersuchung
geringfügiger Beschäftigung konzipiert wurde, stieg die
Anzahl der ausschließlich geringfügig Beschäftig
ten
zwischen 1992 und 1997 in Deutschland von drei auf 4,2 Millionen
(+40 Prozent) (ISG 1997).
d) Entwicklung der befristeten
Beschäftigungsverhältnisse: Die befristeten Voll- und
Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse ohne Auszubildende
sind zwischen 1991 und 2000 nach dem Mikrozensus vom Statistischen
Bundesamt im gesamten Bundesgebiet von 1,9 auf 2,3Millionen (+21
Prozent) gestiegen. Es fällt auf, dass sich im betrachteten
Zeitraum der Anteil der unter 25jährigen am stärksten
erhöht hat. Er verdoppelte sich in West- und in
Ostdeutschland, so dass jeder fünfte Beschäftigte in
dieser Altersklasse im Westen und jeder vierte im Osten sich im
Jahre 1999 in einem befristeten Anstellungsverhältnis befand
(Rudolph 2000).
e) Entwicklung der Leiharbeit:
Die Anzahl der überlassenen Leiharbeitnehmer stieg nach der
Statistik der Bundesanstalt für Arbeit von 133734 (1991) auf
339022 (2000). Das entspricht einer Zunahme von 153 Prozent.
Eine zunehmende Bedeutung der Teilzeitarbeit
und der befristeten Beschäftigungsverhältnisse kann auch
für die Europäische Union festgestellt werden: Der Anteil
der Teilzeit-Arbeitsverhältnisse an allen Erwerbstätigen
stieg zwischen 1988 und 1998 von 13,2 auf 17,4 Prozent. Im gleichen
Zeitraum nahm der Anteil der befristeten
Beschäftigungsverhältnisse an allen Erwerbstätigen
von 6,0 auf 8,5 Prozent zu (Hoffmann und Walwei 2000).
17 Das jährliche Arbeitsvolumen in Stunden wird
seit 1960 regelmäßig vom IAB berechnet und
veröffentlicht.
18 Die Normalarbeit ist in diesem Abschnitt als
unbefristete Vollzeitbeschäftigung inkl. Zivildienstleistende,
Beamte, Berufs- und Zeitsoldaten definiert. Sie entspricht damit
der Definition der „Normalarbeit im weiteren Sinn“ der
Europäischen Arbeitskrafterhebung von Eurostat. Das
herkömmliche Normalarbeitsverhältnis ist in Deutschland
mit dem Modell des männlichen Familienernährers
traditionell eng verbunden. Demnach sind nicht erwerbstätige
Frauen über die Sozialversicherungsansprüche des Mannes
abgesichert. Gleichzeitig impliziert dieses Konzept allerdings,
dass Frauen unentgeltlich Familien- und Hausarbeit leisten, damit
der Partner dem Arbeitsmarkt als Vollzeitkraft zur Verfügung
stehen kann (Holst und Maier 1998).
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