4.3.5
Strukturelle Arbeitslosigkeit
Je mehr sich der
Strukturwandel der Wirtschaft beschleunigt, desto geringer werden
die Chancen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einfacher
Qualifikation, eine Beschäftigung zu finden. Der Trend zu
wachsender struktureller Arbeitslosigkeit zeigt sich in der hohen
Zahl von Langzeitarbeitslosen und dem hohen Anteil von Personen
ohne formale Berufsqualifikation unter den Arbeitssuchenden, wie
aus
Tabelle 4-4 ersichtlich wird. Insgesamt waren danach im
September 2000 in Deutschland nur 40 Prozent der Arbeitslosen weder
langzeitarbeitslos noch ohne formale Berufsqualifikation; der
besonders benachteiligte harte Kern, nämlich
Langzeitarbeitslose ohne Berufsqualifikation, umfasste immerhin
rund 1/7 der regis trierten Arbeitslosen oder absolut mehr
als 0,5 Millionen Personen.
Die spezifische
Arbeitslosenquote Geringqualifizierter liegt nicht nur permanent
höher als die allgemeine Arbeitslosenquote, sondern sie ist,
wie
Abbildung 4-14 zeigt, in den letzten 25 Jahren auch durchweg
stärker gestiegen. Dabei ist es im Prinzip zweitrangig, ob die
strukturelle Arbeitslosigkeit durch Globalisierung mit verursacht
worden oder unabhängig davon entstanden ist. Wenngleich der
exakte empirische Nachweis nur schwer zu erbringen ist, spricht
doch viel für die Vermutung, dass die Globalisierung
tendenziell die Arbeitsmarktprobleme von Geringqualifizierten
verschärft.
Umstritten ist,
ob die strukturelle Arbeitslosigkeit als Hauptursache der hohen
Arbeitslosigkeit in Deutschland zu betrachten ist. Diese These wird
z.B. in der Studie des Kieler Institut für Weltwirtschaft
vertreten. Danach ist die ungünstige
Beschäftigungsentwicklung auf den Strukturwandel bzw. auf die
mangelnde Flexibilität des Arbeitsmarktes, auf diesen
Strukturwandel zu reagieren, zurückzuführen (Kleinert
u.a. 2000: 77). Dies schließen die Autoren aus der empirisch
feststellbaren Korrelation zwischen der Dauer der Arbeitslosigkeit
und dem Qualifikationsniveau der Arbeitslosen. Dabei sehen sie die
Dauer der Arbeitslosigkeit als Indikator für die strukturelle
Arbeitslosigkeit an20. Im
Kern läuft diese Argumentation also darauf hinaus, aus der
Existenz von struktureller Arbeitslosigkeit auf Rigiditäten,
z.B. eine fehlende Lohnspreizung nach unten, zu schließen, die
den marktwirtschaftlichen Allokationsmechanismus stören und
dadurch die Arbeitslosigkeit verursacht haben (vgl. z.B. Kleinert
u.a. 2000: 96).
Genau dieser
Schluss stellt aber eine problematische Verkürzung dar. Die
statistische Korrelation von Arbeitslosigkeit und
Geringqualifikation muss nicht zwingend im Sinne der
Kausalität interpretiert werden. Es könnte vielmehr auch
sein, dass die Arbeitslosigkeit durch makroökonomische
Störungen, wie z.B. durch eine strukturell zu gering wachsende
Binnennachfrage oder durch die Zunahme des Angebots an
Arbeitskräften und durch Produktivitätssteigerungen ohne
entsprechende Arbeitszeitverkürzungen bzw. Lohnsteigerungen
verursacht worden ist und lediglich die Geringqualifizierten davon
besonders betroffen sind. Denn jede Arbeitslosigkeit
äußert sich strukturell differenziert, weil sowohl bei
Entlassungen wie auch bei
Wiedereinstellungen ein Selektionsprozess zu Las ten
der geringer qualifizierten und – tatsächlich oder
vermeintlich – leistungsschwächeren Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer stattfindet. In diesem Sinne argumentiert auch ein
Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung,
das darauf hinweist, dass viele Einfacharbeitsplätze in
Abhängigkeit von der generellen Arbeitsmarktlage von
Qualifizierten besetzt werden, die dann für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer ohne formale Berufsqualifikation verschlossen sind
(Dostal 2001: 14, 17). In der Arbeitslosigkeit von
Geringqualifizierten äußert sich demzufolge ein
Verdrängungswettbewerb, der Ausdruck des generellen
Arbeitsplatzdefizits bzw. Arbeitskräfteüberschusses ist.
Sollte dies zutreffen, dann hätte dies wichtige
arbeitsmarktpolitische Konsequenzen. Dann könnte nämlich
die Arbeitslosigkeit Geringqualifizierter nicht allein mit
arbeitsmarktpolitischen Instrumenten verringert werden, sondern
insbesondere durch ein stärker binnenmarktorientiertes und
nachhaltiges Wachstum sowie einen generellen
Beschäftigungsaufbau. Dies würde sich dann auch
unmittelbar zu Gunsten von Geringqualifizierten auswirken.
20 Zur Problematik des Begriffs „strukturelle
Arbeitslosigkeit“: Kalmbach (2001: 5-10).
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