*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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4.3.5       Strukturelle Arbeitslosigkeit

Je mehr sich der Strukturwandel der Wirtschaft beschleunigt, desto geringer werden die Chancen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einfacher Qualifikation, eine Beschäftigung zu finden. Der Trend zu wachsender struktureller Arbeitslosigkeit zeigt sich in der hohen Zahl von Langzeitarbeitslosen und dem hohen Anteil von Personen ohne formale Berufsqualifikation unter den Arbeitssuchenden, wie aus Tabelle 4-4 ersichtlich wird. Insgesamt waren danach im September 2000 in Deutschland nur 40 Prozent der Arbeitslosen weder langzeitarbeitslos noch ohne formale Berufsqualifikation; der besonders benachteiligte harte Kern, nämlich Langzeitarbeitslose ohne Berufsqualifikation, umfasste immerhin rund 1/7 der regis­ trierten Arbeitslosen oder absolut mehr als 0,5 Millionen Personen.

Die spezifische Arbeitslosenquote Geringqualifizierter liegt nicht nur permanent höher als die allgemeine Arbeitslosenquote, sondern sie ist, wie Abbildung 4-14 zeigt, in den letzten 25 Jahren auch durchweg stärker gestiegen. Dabei ist es im Prinzip zweitrangig, ob die strukturelle Arbeitslosigkeit durch Globalisierung mit verursacht worden oder unabhängig davon entstanden ist. Wenngleich der exakte empirische Nachweis nur schwer zu erbringen ist, spricht doch viel für die Vermutung, dass die Globalisierung tendenziell die Arbeitsmarktprobleme von Geringqualifizierten verschärft.

Umstritten ist, ob die strukturelle Arbeitslosigkeit als Hauptursache der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland zu betrachten ist. Diese These wird z.B. in der Studie des Kieler Institut für Weltwirtschaft vertreten. Danach ist die ungünstige Beschäftigungsentwicklung auf den Strukturwandel bzw. auf die mangelnde Flexibilität des Arbeitsmarktes, auf diesen Strukturwandel zu reagieren, zurückzuführen (Kleinert u.a. 2000: 77). Dies schließen die Autoren aus der empirisch feststellbaren Korrelation zwischen der Dauer der Arbeitslosigkeit und dem Qualifikationsniveau der Arbeitslosen. Dabei sehen sie die Dauer der Arbeitslosigkeit als Indikator für die strukturelle Arbeitslosigkeit an20. Im Kern läuft diese Argumentation also darauf hinaus, aus der Existenz von struktureller Arbeitslosigkeit auf Rigiditäten, z.B. eine fehlende Lohnspreizung    nach unten, zu schließen, die den marktwirtschaftlichen Allokationsmechanismus stören und dadurch die Arbeitslosigkeit verursacht haben (vgl. z.B. Kleinert u.a. 2000: 96).

Genau dieser Schluss stellt aber eine problematische Verkürzung dar. Die statistische Korrelation von Arbeitslosigkeit und Geringqualifikation muss nicht zwingend im Sinne der Kausalität interpretiert werden. Es könnte vielmehr auch sein, dass die Arbeitslosigkeit durch makroökonomische Störungen, wie z.B. durch eine strukturell zu gering wachsende Binnennachfrage oder durch die Zunahme des Angebots an Arbeitskräften und durch Produktivitätssteigerungen ohne entsprechende Arbeitszeitverkürzungen bzw. Lohnsteigerungen verursacht worden ist und lediglich die Geringqualifizierten davon besonders betroffen sind. Denn jede Arbeitslosigkeit äußert sich strukturell differenziert, weil sowohl bei Entlassungen wie auch bei Wiedereinstellungen ein Selektionsprozess zu Las­ ten der geringer qualifizierten und – tatsächlich oder vermeintlich – leistungsschwächeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stattfindet. In diesem Sinne argumentiert auch ein Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das darauf hinweist, dass viele Einfacharbeitsplätze in Abhängigkeit von der generellen Arbeitsmarktlage von Qualifizierten besetzt werden, die dann für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne formale Berufsqualifikation verschlossen sind (Dostal 2001: 14, 17). In der Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten äußert sich demzufolge ein Verdrängungswettbewerb, der Ausdruck des generellen Arbeitsplatzdefizits bzw. Arbeitskräfteüberschusses ist. Sollte dies zutreffen, dann hätte dies wichtige arbeitsmarktpolitische Konsequenzen. Dann könnte nämlich die Arbeitslosigkeit Geringqualifizierter nicht allein mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten verringert werden, sondern insbesondere durch ein stärker binnenmarktorientiertes und nachhaltiges Wachstum sowie einen generellen Beschäftigungsaufbau. Dies würde sich dann auch unmittelbar zu Gunsten von Geringqualifizierten auswirken.



20 Zur Problematik des Begriffs „strukturelle Arbeitslosigkeit“: Kalmbach (2001: 5-10).

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Tabelle 4-4














Abbildung 4-14