4.7.1
Koordinierte Makropolitik in der Europäischen Union
4.7.1.1 Überblick über die
Beschäftigungs-initiativen in der Europäischen
Union
Bis in die späten 90er Jahre wurde
Beschäftigungspolitik nicht als gemeinsamer Gegenstand
europäischer Politik verstanden. Einzige Ausnahme war das
Weißbuch „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit,
Beschäftigung“ (1993) der damaligen EU-Kommission unter
Vorsitz von Präsident Jacques Delors (Kommission der
Europäischen Gemeinschaften 1994). Das Weißbuch enthielt
eine breite Palette von Vorschlägen zur Verbesserung der
Beschäftigungslage in der Europäischen Union. Die
Initiative der Europä ischen Kommission blieb
zunächst folgenlos, da die Auffassung dominierte,
Beschäftigungspolitik sei ausschließlich Angelegenheit
der Mitgliedsländer.
Die Wende
erfolgte dann 1997. Auf der Tagung des Europäischen Rates in
Amsterdam wurde zum einen die Einführung eines
Beschäftigungskapitels in den Vertrag zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft beschlossen. Dies war eine klare
Aufwertung der Beschäftigungspolitik als „Angelegenheit
von gemeinsamem Interesse“. Nach der neugefassten
Vertragsbestimmung ist es nunmehr u.a. Aufgabe der Gemeinschaft,
„ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß
an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen
sowie den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die
Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten“ zu
fördern. Eine „koordinierte
Beschäftigungsstrategie“ soll entwickelt werden, um die
Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten in ihrer Wirksamkeit
zu verstärken. Gleichzeitig wurde noch für das gleiche
Jahr 1997 ein Sondergipfel des europäischen Rates unter
luxemburgischem Vorsitz verabredet. Auf dem Gipfel in Luxemburg
einigte man sich dahingehend, dass nunmehr jährlich gemeinsame
„beschäftigungspolitische Leitlinien“ als
Grundlage für „nationale Aktionspläne“
verabschiedet werden sollten. Diese wiederum werden
regelmäßig auf europäischer Ebene verglichen und auf
ihre Wirksamkeit überprüft. Diese Leitlinien haben
für die Mitgliedsländer nur einen unverbindlichen
Charakter. Für eine europäische
Beschäftigungspolitik wird allerdings kein Geld zur
Verfügung gestellt. Einzige Ausnahme ist die Begleit- und
Vergleichsforschung.
Ein zweiter
wichtiger Schritt war dann – unter deutschem Vorsitz –
der Kölner Gipfel des Europäischen Rates im Jahr 1999. Im
Mittelpunkt standen der „Europäische
Beschäftigungspakt“ sowie die Verabschiedung eines
„makroökonomischen Dialogs“. Damit gerieten auch
gesamtökonomische Aspekte in das Blickfeld gemeinsamer
Aktivitäten. Der „makroökonomische Dialog“
soll nach dem Verständnis der Bundesregierung über ein
„harmonisches Zusammenwirken von Lohn-, Geld- und
Fiskalpolitik“ (wachstums- und stabilitätsorientierter
Policy-Mix) die makroökonomischen Voraussetzungen für
einen dauerhaften, dynamischen Wachstums- und
Beschäftigungsprozess verbessern. Im
„makroökonomischen Dialog“ tauschen sich Vertreter
der EZB sowie der Sozialpartner unter voller Wahrung ihrer
Autonomie und Unabhängigkeit mit Rat und Kommission
regelmäßig darüber aus, welchen Beitrag sie für
ein dynamisches nichtinflationäres Wachstum und mehr
Beschäftigung leisten können und welche Erwartungen sie
dabei an die jeweils anderen makroökonomischen Akteure haben.
Der „makroökonomische Dialog“ verabschiedet weder
Schlussfolgerungen noch Empfehlungen. Seine Erörterungen sind
unverbindlich.
Eine dritte wichtige
beschäftigunsgpolitische Etappe war der Sondergipfel des
Europäischen Rates von Lissabon im März 2000. Der Rat
beschloss als Fernziel, innerhalb von zehn Jahren die
Vollbeschäftigung in der Europäischen Union anzustreben.
Damit wurde ein Begriff zum Schlüsselbegriff europäischer
Politik, der seit den 80er Jahren in offiziellen Dokumenten der
Europäischen Union strikt vermieden wurde. Das
Vollbeschäftigungsziel sollte – so die zentrale
Forderung des Europäischen Rates in Lissabon – im
Wesentlichen durch jährliche Wachstumsraten von
durchschnittlich drei Prozent erreicht werden.
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