4.7.1.2 Veränderte Rahmenbedingungen in
der Europäischen Union
Die Etablierung des Europäischen
Binnenmarktes im Jahr 1993 hat zu einer weitreichenden Öffnung
der nationalen Märkte für freien Güter-, Kapital-,
Dienstleistungs- und Personenverkehr geführt. Bei einem Anteil
des Außenhandels mit Nicht-EU-Ländern von nur ca. zehn
Prozent des BIP ist innerhalb der EU eine große, primär
binnenwirtschaftlich orientierte Volkswirtschaft entstanden. Dieser
intensive Prozess der ökonomischen Europäisierung kann
gleichsam als regionalisierte Globalisierung interpretiert werden.
Die Einführung der Europäischen Wirtschafts- und
Währungsunion wurde u.a. verbunden mit der Annahme von
beschäftigungswirksamen Investitions- und
Wachstumsschüben. Der den Mitgliedstaaten für die
Integration abverlangte Preis waren weitreichende Einbußen der
wirtschafts-, geld- und finanzpolitischen Handlungsautonomie. Was
die Nationalstaaten an makroökonomischer Kompetenz verloren
haben, wurde, abgesehen von der Geldpolitik, auf europäischer
Ebene allerdings noch nicht wiedergewonnen. Unter Makropolitik
werden jene Politikfelder verstanden, die direkt oder indirekt
Einfluss auf gesamtwirtschaftliche Größen wie das reale
BIP, das Preisniveau und den Beschäftigungsgrad ausüben:
Geldpolitik, Fiskalpolitik, soweit sie auf die auf die
Stabilisierung von Preisniveau und Beschäftigung abzielt,
sowie die Tariflohnpolitik der Tarifparteien. Letzteres ist unter
den Bedingungen der Tarifautonomie naturgemäß keine
staatliche Aufgabe. Der zu Grunde liegende Politikbegriff bezieht
sich also auf das Zusammenwirken von Zentralbank, Staat und
Tarifparteien, um gesamtwirtschaftliche Ziele – insbesondere
Preisniveaustabilität und Beschäftigung – besser zu
gewährleisten.
Makropolitik ist nun in weiten Teilen nur
noch auf europäischer Ebene möglich. Der
Integrationsrückstand ist umso bedenklicher, als die Risiken
aber auch die Chancen makroökonomischer Aktivitäten in
Europa viel größer geworden sind. Die EU ist im Vergleich
zu den Mitgliedstaaten durch den Wegfall der Wechselkurse und die
einheitliche Geldpolitik zu einer großen Volkswirtschaft mit
einem ausgedehnten
Binnenmarkt, einem geringem Maß an Öffnung der
Gütermärkte gegenüber Drittländern sowie einer
geringeren Außenhandelsabhängigkeit geworden. Die
europäische Währungsunion bietet insoweit viel bessere
Möglichkeiten für eine aktive Makropolitik zu Gunsten von
mehr Beschäftigung und Preisniveaustabilität als dies in
kleinen Volkswirtschaften möglich war. Diese waren zu einer
wirksamen eigenständigen Geld- und Fiskalpolitik, gleich ob
expansiv oder restriktiv, kaum imstande.
Strittig ist, welche Rolle
makroökonomische Politik in Europa spielen, wie die
Rollenverteilung sein soll und ob sie überhaupt zur
Beschäftigungsverbesserung beitragen kann. Tatsächlich findet Makropolitik,
in welcher Form auch immer, permanent statt, nämlich in der
Geld-, der Fiskal- und der Lohnpolitik. So haben z.B. auf
Preisniveaustabilität orientierte makropolitische
Aktivitäten – zumindest kurzfristig – auch
Auswirkungen auf die Beschäftigung. Es geht also nicht
um das ob von Makropolitik, sondern nur um das wie und den
optimalen Policy-Mix.
Auf den beschäftigungsrelevanten
Gipfeltreffen des Europäischen Rates in Amsterdam, Köln
und Lissabon wurden zahlreiche Absichtserklärungen und
Wunschvorstellungen fomuliert. Eine konsistente
Beschäftigungsstrategie ist dabei nur schwer erkennbar. Auch
das inwischen existierende Institutionengeflecht in der EU ist kaum
durchschaubar. Es werden viele Empfehlungen ausgesprochen,
Stellungnahmen abgegeben und Dialoge organisiert. Klare
Entscheidungskompetenzen existieren jedoch lediglich für die
Geldpolitik im Rahmen der autonomen EZB. Bei der Fiskalpolitik
werden die Mitgliedsländer im Rahmen des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes dazu verpflichtet, einen ausgeglichenen Haushalt zu
erreichen.
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