7.7
Nachhaltigkeitstrategien
7.7.1
Voraussetzungen und Hindernisse für nachhaltiges
Verbraucherverhalten
7.7.1.1 Nachhaltiges119 Verbraucherverhalten und
Globalisierung
Globalisierung beeinflusst massiv die
Nachhaltigkeit des Warenangebots. Gleichzeitig setzt sie
Maßstäbe für die Konsumgewohnheiten bei uns und in
den Entwicklungsländern. Denn nach Einschätzung des WBGU
werden im Zuge der Globalisierung „umweltbelastende
Wirtschaftsweisen und Lebensstile, kaum aber nachhaltige Praktiken,
über den ganzen Globus verbreitet. ... Industrielle
Lebensstile, die Ausbreitung westlicher Konsummuster,
Mobilität und Urbanisierung sind Phä no mene,
die ebenfalls an der Verursachung vieler Syndrome und
Umweltprobleme beteiligt sind“ (WBGU 2001a: 3, 55). Im
Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen
und der Umwelt“ des 13.Deutschen Bundestages hieß es
gemeinsam: „Unsere natürlichen Le bens
grundlagen sind durch die heute verbreiteten Produktions- und
Konsummuster in zum Teil hohen Maße gefährdet“
(Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der
Umwelt“ 1998: 31). Ähnlich formulierte damals die
Bundesregierung: „Menschliches Leben ist an einem Punkt
angelangt, an dem es Gefahr läuft, sich seiner
natürlichen Grundlagen zu berauben“ (BMU 1997: 9). Wir
leben in einer globalen Konsumentengesellschaft mit gemeinsamen
Produkten, Lebensstilen und Erwartungen. Die Aufgabe, nachhaltige
Produktions- und Konsummus ter zu entwickeln, liegt daher bei
allen Staaten. Ebenso argumentieren die UN (CSD) unter Hervorhebung
der besonderen Verantwortung der Industrieländer. Es ist an
der Zeit, die identifizierten Aufgaben in Angriff zu nehmen.
Eine zunächst auf nationaler Ebene
ansetzende Veränderung bestehender Konsummuster beim privaten
Konsum hin zu einer Orientierung am Prinzip der Nachhaltigkeit, hat
nach dem beschriebenen „Verbreitungs“-Muster der
Globalisierung umgekehrt auch „nachhaltige“ Effekte auf
bisherige Wirtschaftsweisen und Lebensstile – und damit
letztlich auch auf die Umwelt: Nationale Veränderungen der
Konsummuster können eine Vorbildfunktion für die
Konsumorientierung der Entwicklungsländer übernehmen.
Konkret dürfte eine in Richtung Nachhaltigkeit veränderte
Nachfrage zu einer Veränderung des Warenangebotes führen.
Dadurch kann eine Entlastung der Umwelt erzielt werden.
Aufgrund der
Pluralisierung der Lebens- und Konsumstile in unserer durch
zunehmende Individualisierung gekennzeichneten Gesellschaft,
müssen Konzepte nicht nur für ein nachhaltiges, sondern
für ein ganzes Spektrum an potenziellen nachhaltigen
Konsummustern erarbeitet werden. Aus der Erkenntnis, dass es ganz
verschiedene nachhaltige Konsumstile geben kann, gilt es der
totalitären Versuchung zu widerstehen, eine bestimmte
Lebensform als „gut“ vorzuschreiben (Bals 2002: 49).
Ausgangspunkt für Überlegungen zu allen möglichen
Wegen nachhaltigen Verbraucherverhaltens sollten dabei die
bestehenden Konsummuster und Lebensgewohnheiten (Präferenzen)
sein, die insbesondere durch das soziokulturelle Umfeld der
Konsumenten geprägt werden, mit ihren unterschiedlichen
Nachhaltigkeitspotenzialen. Jede Zielgruppe des
„Produktes“ nachhaltiges Konsumverhalten braucht
demnach eine ihr zugeordnete Ansprache. Langfristige
Verhaltensänderungen in Richtung auf ein an
Nachhaltigkeitsaspekten orientierten Verhaltens kann nur durch
positive Überzeugung, d. h. über Anreiz- und
Bildungsstrategien, vor allem aber durch Vor- und Leitbilder und
eine umfassende Verbraucherinformation erreicht werden. Nach allem
was man weiß, müssen aber drei Dinge zusammenkommen:
Push-Faktoren, wie Preise etc, die Impulse setzen, Pull-Faktoren,
wie attraktive Alternativen, und Übergangshilfen, wie
Aufklärung und Vorbilder; sonst sind selbst bei bestehendem
qualitativ wie preislich attraktiven Angebot die Trägheiten zu
hoch. Exogene Anreize und Maßnahmen zur Verringerung der
Hemmschwellen sind also essentiell. Dazu gehört, dass
nachhaltiges Verbrauchsverhalten nicht Verzicht sondern ein
„gutes Leben“ heißen kann, dem die Vermeidung von
Verschwendung eigen ist. Negativ induzierte
Verhaltensänderungen, wie z.B. durch die BSE-Krise, sind
kurzfristig und werden entscheidend durch ihre Präsenz in den
Medien geprägt. Unerheblich für das Verbraucherverhalten
an sich scheint dabei die Kenntnis des Begriffs der Nachhaltigkeit
zu sein. Dies zeigt sich in einer Diskrepanz zwischen
„nachhaltiger“ Einstellung und „nicht
nachhaltigem“ Konsum sowie zwischen
„nachhaltigem“ Konsum und Unkenntnis des Begriffs der
Nachhaltigkeit bei den Verbrauchern. Dennoch wäre für die
Durchsetzung des Prinzips Nachhaltigkeit als handlungsrelevantes
Leitbild in der Bevölkerung ein höherer Bekanntheitsgrad
förderlich. Eine dafür nötige Kultur der
Nachhaltigkeit müsste nicht mehr Geld kosten, sondern kann bei
genügender Verbreitung Geld sparen helfen. Nach Umfragen des
Umweltbundesamtes (UBA) besteht in der Bevölkerung eine
Bereitschaft, entsprechende Angebote anzunehmen (UBA 2001c, UBA
2002a, Teil IV).
119 Nachhaltigkeit als Prinzip bezeichnet das
Zusammenspiel der drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und
Soziales (siehe dazu auch das folgende Kapitel
8„Nachhaltige Entwicklung“). Im Zusammenhang mit
Verbraucherverhalten erhält die ökologische Dimension von
Nachhaltigkeit den Vorrang. Wirtschaftliche Entwicklung und
Wohlfahrt sind langfristig nur möglich innerhalb eines
gesteckten Rahmens, den die Natur als Lebensgrundlage setzt.
Umgekehrt dienen ökonomische und soziale Aspekte auch zur
„Machbarkeit“ von Ökologie: Ökologische
Produktion und Konsum sind nur realisierbar, wenn sie für den
Verbraucher erschwinglich sind im Sinne eines „sich leisten
können“, und wenn sowohl Konsum als auch Produktion
unter akzeptablen sozialen Umständen geschehen. Nachhaltiger
Konsum ist bereits in verschiedenen Enquete-Kommissionen in
gemeinsamen Positionen wie auch in Minderheitspositionen und
Sondervoten angeklungen (Enquete-Kommission „Schutz der
Erdatmosphäre“ 1994: 1088-1257 – Minderheit,
Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“
1998: 381ff. – Minderheit). Vorschläge und Anregungen zu
den Erfordernissen eines Wandels finden sich beispielsweise in
Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“
1994: 238ff. „Vision 2050“ und 241ff. „Von der
Realität in die Vision“.
|