8.2
Globalisierung und nachhaltig zukunftsverträgliche
Entwicklung
Wenn Globalisierung insgesamt erfolgreich im
Sinne einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung sein
soll, braucht sie Gestaltungsoptionen, die sicherstellen, dass die
nachhaltige ökonomische und soziale Leistungsfähigkeit
global verbessert und unverzichtbare öffentliche Güter,
insbesondere die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht
gefährdet werden.
Viele Kritiker
der heutigen ressourcenintensiven und sozial inkohärenten
Weltwirtschaft machen die Globalisierung und die mit ihr
verbundenen Entkoppelungstendenzen aus räumlichen, normativen
und sozialen Zusammenhängen für krisenhafte Entwicklungen
verantwortlich. Autos, die bei uns fahren, sind aus dem Eisen
brasilianischer Erze gefertigt, das Benzin stammt aus
nigerianischen Ölquellen und die Reifen aus
südostasiatischer Kaut schukproduktion. Dadurch
würden sich die Machtverhältnisse zwischen international
mobilen und standortgebundenen Akteuren verschieben,
fernräumliche Abhängigkeiten nähmen zu. Auf der
anderen Seite wird entgegengehalten, dass diese Phänomene
nichts anderes seien, als das Ergebnis der Zunahme einer weltweiten
Arbeitsteilung und Spezialisierung, die einigen Ländern
geholfen hat, Wege aus der Armut zu finden. Dies sind ins besondere die
Länder, die im Zuge der Globalisierung von Entwicklungs- zu
Schwellenländern wurden. Andere Länder haben diese
Entwicklung nicht nachvollzogen. Dass viele Länder im Prozess
einer überschnellen Indus trialisierung gegen
ökologische und teilweise auch soziale Aspekte der
Nachhaltigkeit verstoßen, steht auf einem anderen Blatt.
Entscheidend ist, dass es zwei Seiten einer Medaille gibt, von
denen eine oft vergessen wird.
Ursache der in
den letzten Jahren sich verstärkenden Globalisierungstendenzen
im wirtschaftlichen Bereich sind u.a.
– die fortschreitenden
Handelsliberalisierungen, die u.a. zu einer weiteren Vertiefung der
weltweiten Spezialisierung führen,
– die erhebliche Ausweitung der weltweiten
Kommunikation und immer schnellere
Kommunikationsmöglichkeiten,
– das Wegfallen der Kontrollen für den
Kapitaltransfer und
– die relativ geringen Kosten für die
Mobilität von Menschen und Gütern.
Diese Ursachen
wirken im Wesentlichen in eine Richtung: Sie beseitigen oder
relativieren noch bestehende räumliche, soziokulturelle und
nationale Grenzen, und machen die ganze Welt zum globalen
Handlungsfeld. Damit erhöht sich der Wettbewerbsdruck unter
den Unternehmen und ihren möglichen Standorten, vor allem aber
zwischen Ländern bzw. Regionen. Unter den Gesichtspunkten
einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung können
diese Prozesse sowohl Nachteile als auch Vorteile haben.
Mögliche negative Auswirkungen betreffen:
– Senkung von sozialen und
ökologischen Standards als Folge des zunehmenden
Konkurrenzdrucks („Race to the bottom“-Hypothese),
– zunehmende Tendenz von Unternehmen, in
Länder mit niedrigen Standards und günstigeren
Produktionsfaktoren auszuweichen, wobei sich hinsichtlich der
ökologischen Auswirkungen Aussagen nur vor dem Hintergrund der
konkreten gesetzlich geltenden oder (meist höheren) freiwillig
eingeführten Standards treffen lassen,
– eine weltweit zunehmende kulturelle
Harmonisierung und ein damit zunehmender Verlust nationaler
Identitäten und kultureller Eigenarten,
– Verstärkung des Verkehrs infolge des
globalen Handels und multinational angelegter Produktionsprozesse
sowie
– beschleunigte Erschließung bislang
wenig erschlossener Räume, vor allem durch Straßen mit
evtl. negativen ökologischen und sozialen Folgen, wenn die
Belange der Umwelt und der in diesen Räumen lebenden Menschen
nicht berücksichtigt werden.
Oftmals werden
Globalisierung und Nachhaltigkeit unter zeitlichem Aspekt in einen
nahezu unauflösbaren Gegensatz gebracht. In Einzelfällen
können die Anforderungen an eine nachhaltige Entwicklung und
die Folgen der Globalisierung durchaus widersprüchlich sein.
Obwohl öffentliche Güter – sozialökonomische
und kulturelle Errungenschaften sowie eine intakte Umwelt –
langfristig für die Erhaltung einer menschenwürdigen
Gesellschaft essentiell sind, werden sie in ihrer Bedeutung
häufig unterschätzt und oft hinter kurzfristige
ökonomische Gewinnerwartungen zurückgestellt.
Kurzfristige Gewinninteressen der Wirtschaft sind nicht
ursächlich auf die Globalisierung zurückzuführen,
werden jedoch durch den davon ausgelösten Wettbewerbsdruck
verstärkt. Um Konflikte zwischen Folgen der Globalisierung und
den Erfordernissen einer nachhaltigen Entwicklung zu vermeiden oder
zu beheben, muss die Globalisierung entsprechend gestaltet
werden.
Mit der
Globalisierung können jedoch auch positive Wirkungen im
Hinblick auf Nachhaltigkeit verbunden sein, z.B.
– eine Tendenz zur Angleichung der
ökologischen und sozialen Standards auf hohem Niveau, u. a.
durch Produktionsverlagerung multinationaler Unternehmen,
– Erhöhung der ökonomischen und
sozialen Wohlfahrt der an der Globalisierung beteiligten
Länder,
– Austausch von Produktions- und
Innovations-Know-how sowie
– höhere Effizienz der Nutzung
(natürlicher) Ressourcen.
Gemeinsamkeiten
zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit lassen sich auf der
Ebene der Produktion und der Produktionsprozesse erkennen. Bei
beiden geht es um einen „Wettbewerb“, zum Beispiel bei
der Entwicklung zu einer effizienten Ressourcennutzung, bei dem
ineffiziente Produzenten und Standorte an Bedeutung verlieren oder
ausscheiden. Der Wettbewerb kann in diesem Sinne ein Stimulus auch
für eine Politik der Nachhaltigkeit sein, allerdings nicht
automatisch, sondern innerhalb politischer Rahmensetzungen im Sinne
der ökonomischen, sozialen und ökologischen
Entwicklungsziele.
Daraus folgt,
dass die Rahmenbedingungen für eine nachhaltig
zukunftsverträgliche Gestaltung der Globalisierungsprozesse zu
verbessern sind. Der durch Globalisierung verschärfte
Wettbewerb deckt Schwächen der verschiedenen Volkswirtschaften
bzw. Standorte nicht nur im ökonomischen, sondern auch im
ökologischen und sozialen Bereich auf. Hier gilt es
– nachhaltige Innovationsprozesse in Gang
zu setzen,
– mehr Gerechtigkeit anzustreben, d. h.
Unterschiede bei den Entwicklungschancen zwischen und innerhalb von
Staaten zu mildern und
– die ökologische und
sozioökonomische Sicherheit und Leistungsfähigkeit der
Menschen in den am Globalisierungsprozess beteiligten Ländern
zu verbessern und eine wirkliche Entwicklungsbasis zu bieten.
Globalisierung stellt daher mehr, nicht
weniger politische Ansprüche. Weltweite im Rahmen einer
möglichst kohärenten Politik entwickelte
Übereinkommen und Konventionen in ökologischer,
ökonomischer und sozialer Sicht schaffen einen globalen
Ordnungsrahmen, der Menschen, Unterneh men und ganze Regionen in die Lage versetzt, die mit
der Globalisierung verbundenen Chancen nutzen zu
können.
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