9.3.3.4 Weitere politische
Aspekte
Gefährdung des Friedens
Aus den vorangegangenen Ausführungen
ergibt sich bereits, dass das Weltbevölkerungswachstum als
krisenverschärfender Entwicklungsfaktor an Bedeutung gewinnen
wird und damit auch die globale Sicherheit infrage stellt.
Mit der Verknappung natürlicher
Ressourcen, der Vertiefung sozialer Fehlentwicklungen, der
Migration und der ungeordneten Stadtentwicklung geht die Gefahr der
Destabilisierung sozialer und politischer Systeme einher. Dies
erhöht das Potenzial für Krisen und Konflikte.
Verstärkend kommt hinzu, dass durch hohes
Bevölkerungswachstum im Verbund mit „bad
governance” und anderen Faktoren die Chancen für
religiösen Fundamentalismus und Extremismus wachsen.
Veränderung der
sicherheits politischen Gewichtungen?
Auf die globalen
politischen Wirkungen des Bevölkerungswachstum hat die
Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen in einer Studie
hingewiesen (Wöhlcke 1997: 35f., 39f.). Darin werden
erhebliche Konsequenzen des Weltbevölkerungswachstums für
die bisherigen globalen sicherheitspolitischen Gewichtungen
hervorgehoben. Das – regional höchst unterschiedliche
– Bevölkerungswachstum werde, so die Studie, die
Hierarchie und die Gewichte im internationalen System geradezu
umschichten. Außerdem wird eine zusätzliche
Gefährdung der Stabilität in Regionen befürchtet,
die bereits heute von erheblichen Migrationsbewegungen und/oder
Knappheiten geprägt sind.
Verteilungskonflikte
Absoluter
Wassermangel (d.h. weniger als 1000 Kubikmeter verfügbares
Süßwasser pro Kopf und Jahr) herrscht schon heute in
weiten Teilen Afrikas, Nordchinas, Indiens und des Mittleren
Ostens, und die Problematik nimmt nicht zuletzt infolge des
Bevölkerungswachstums zu.
Damit
verschärft sich die Frage der Verteilung begrenzter
Ressourcen. Verteilungskonflikte um Süßwasserreserven
können an zahlreichen Fronten aufbrechen: zwischen Stadt und
Land, Arm und Reich, zwischen verschiedenen Wirtschaftssektoren
(Landwirtschaft versus Industrie) sowie zwischen Staaten, die
gemeinsame Wasserquellen nutzen. Während die erstgenannten
Gegensätze von Interessensgruppen vor allem den sozialen
Frieden bedrohen, wird in letzterem von der internationalen
Friedensforschung zunehmend der Grund für bewaffnete Konflikte
in der Zukunft gesehen (Wöhlcke 1997: 98)13. Um solchen Konflikten vorzubeugen, bedarf
es einerseits einer maximalen Ausnutzung des immensen
Ersparnispotenzials, das z.B. in einer verbesserten
Bewässerungstechnik, effektiveren landwirtschaftlichen
Produktionsweisen, modernen industriellen Techniken und drastisch
reduzierter Wasserverschmutzung liegt. Dafür muss
zunächst der politische Wille mobilisiert werden, um die
weitgehend bekannten Lösungen zur nachhaltigen Nutzung der
Wasservorräte in die Tat umzusetzen (Postel 1998:
629–637). Das bedeutet beispielsweise, Wasser in integrierte
Entwicklungs- und Raumplanung einzubeziehen. Konfliktvermeidung auf
internationaler Ebene erfordert zudem internationale Absprachen in
wasserknappen Regionen zur optimalen gemeinsamen Nutzung
vorhandener Wasserreserven (Postel 1998: 101ff.). In allen
Ansätzen zur Sicherung der Wasserversorgung kommt aber auch
der Reduzierung des Bevölkerungswachstums mit humanitären
Maßnahmen inkl. Familienplanung eine Schlüsselrolle
zu.
Desintegration und innere
Spannungen
Die Zunahme der
regionalen und internationalen Migration, die oben bereits
dargestellt wurde, und zu der die wachsende Zahl von
Umweltflüchtlingen immer mehr beiträgt, hat u.a. zur
Folge, dass die jeweilige nationale Infrastruktur und
Basisversorgung überlastet und der Prozess der schnell
wachsenden informellen Randsiedlungen der Städte (Slumbildung)
mit all seinen Folgen, wie Krankheiten, Kriminalität und
Extremismus, beschleunigt wird. Die staatliche Ordnung und
Verwaltung in einer Reihe von Entwicklungsregionen wird dadurch
zunehmend überfordert. Ferner können große
Migrationsströme auch die innere Integrationskraft einer
Gesellschaft überfordern. Die daraus resultierende
Segmentierung nationaler und kultureller Identitäten kann
erhebliche Spannungen erzeugen, die auch in der Innen- und
Außenpolitik immer stärker an Einfluss gewinnen werden
(Wöhlcke 1997: 41), und die als Rebound-Effekt die
Popularität religiös-fundamentalistisch geprägter
politischer Gruppierungen erhöhen können.
Veränderte Konflikte
Insgesamt
lässt sich beobachten, dass sich die Natur moderner Konflikte,
insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges, grundlegend
verändert hat: an die Stelle von politischen Rivalitäten
großer Mächte tritt eine Summe unterschiedlicher
Belastungsfaktoren und Instabilitäten, welche die Grundlagen
sozialer und politischer Strukturen bedrohen (Fleisch 2000:
95)14. Statt als
internationale Konflikte spielen sich heute die meisten
kriegerischen Auseinandersetzungen in Form von
bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen ab. Unter
diesen Voraussetzungen verändern sich, national wie
international, auch die politischen Gestaltungsmöglichkeiten
und Steuerungs instrumente für Frieden und Sicherheit
(Fleisch 2000: 96).
In vielen
Ländern paart sich das hohe Bevölkerungswachstum zudem
mit einer strukturellen Ineffizienz, sei es in der Verwaltung,
Wirtschaftspolitik oder Infrastruktur. Das steht dem Ausgleich von
Konflikten und einer balancierten Verteilung vorhandener Ressourcen
vielfach im Wege (Fleisch 2000, Wöhlcke 1997: 30f.).
In einer
zunehmend globalisierten Welt bleiben diese Effekte nicht mehr auf
ein Land oder eine Region beschränkt, sondern wirken
überregional destabilisierend.
13 Siehe auch International Federation of the Red Cross
and the Red Crescent Societies 1999: 13.
14 Vgl. auch Soysa, Gleditsch 1999: 12f.
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