*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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9.3.3.4    Weitere politische Aspekte

Gefährdung des Friedens

Aus den vorangegangenen Ausführungen ergibt sich bereits, dass das Weltbevölkerungswachstum als krisenverschärfender Entwicklungsfaktor an Bedeutung gewinnen wird und damit auch die globale Sicherheit infrage stellt.

Mit der Verknappung natürlicher Ressourcen, der Vertiefung sozialer Fehlentwicklungen, der Migration und der ungeordneten Stadtentwicklung geht die Gefahr der Destabilisierung sozialer und politischer Systeme einher. Dies erhöht das Potenzial für Krisen und Konflikte. Verstärkend kommt hinzu, dass durch hohes Bevölkerungswachstum im Verbund mit „bad governance” und anderen Faktoren die Chancen für religiösen Fundamentalismus und Extremismus wachsen.

Veränderung der sicherheits­ politischen Gewichtungen?

Auf die globalen politischen Wirkungen des Bevölkerungswachstum hat die Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen in einer Studie hingewiesen (Wöhlcke 1997: 35f., 39f.). Darin werden erhebliche Konsequenzen des Weltbevölkerungswachstums für die bisherigen globalen sicherheitspolitischen Gewichtungen hervorgehoben. Das – regional höchst unterschiedliche – Bevölkerungswachstum werde, so die Studie, die Hierarchie und die Gewichte im internationalen System geradezu umschichten. Außerdem wird eine zusätzliche Gefährdung der Stabilität in Regionen befürchtet, die bereits heute von erheblichen Migrationsbewegungen und/oder Knappheiten geprägt sind.

Verteilungskonflikte

Absoluter Wassermangel (d.h. weniger als 1000 Kubikmeter verfügbares Süßwasser pro Kopf und Jahr) herrscht schon heute in weiten Teilen Afrikas, Nordchinas, Indiens und des Mittleren Ostens, und die Problematik nimmt nicht zuletzt infolge des Bevölkerungswachstums zu.

Damit verschärft sich die Frage der Verteilung begrenzter Ressourcen. Verteilungskonflikte um Süßwasserreserven können an zahlreichen Fronten aufbrechen: zwischen Stadt und Land, Arm und Reich, zwischen verschiedenen Wirtschaftssektoren (Landwirtschaft versus Industrie) sowie zwischen Staaten, die gemeinsame Wasserquellen nutzen. Während die erstgenannten Gegensätze von Interessensgruppen vor allem den sozialen Frieden bedrohen, wird in letzterem von der internationalen Friedensforschung zunehmend der Grund für bewaffnete Konflikte in der Zukunft gesehen (Wöhlcke 1997: 98)13. Um solchen Konflikten vorzubeugen, bedarf es einerseits einer maximalen Ausnutzung des immensen Ersparnispotenzials, das z.B. in einer verbesserten Bewässerungstechnik, effektiveren landwirtschaftlichen Produktionsweisen, modernen industriellen Techniken und drastisch reduzierter Wasserverschmutzung liegt. Dafür muss zunächst der politische Wille mobilisiert werden, um die weitgehend bekannten Lösungen zur nachhaltigen Nutzung der Wasservorräte in die Tat umzusetzen (Postel 1998: 629–637). Das bedeutet beispielsweise, Wasser in integrierte Entwicklungs- und Raumplanung einzubeziehen. Konfliktvermeidung auf internationaler Ebene erfordert zudem internationale Absprachen in wasserknappen Regionen zur optimalen gemeinsamen Nutzung vorhandener Wasserreserven (Postel 1998: 101ff.). In allen Ansätzen zur Sicherung der Wasserversorgung kommt aber auch der Reduzierung des Bevölkerungswachstums mit    humanitären Maßnahmen inkl. Familienplanung eine Schlüsselrolle zu.

Desintegration und innere Spannungen

Die Zunahme der regionalen und internationalen Migration, die oben bereits dargestellt wurde, und zu der die wachsende Zahl von Umweltflüchtlingen immer mehr beiträgt, hat u.a. zur Folge, dass die jeweilige nationale Infrastruktur und Basisversorgung überlastet und der Prozess der schnell wachsenden informellen Randsiedlungen der Städte (Slumbildung) mit all seinen Folgen, wie Krankheiten, Kriminalität und Extremismus, beschleunigt wird. Die staatliche Ordnung und Verwaltung in einer Reihe von Entwicklungsregionen wird dadurch zunehmend überfordert. Ferner können große Migrationsströme auch die innere Integrationskraft einer Gesellschaft überfordern. Die daraus resultierende Segmentierung nationaler und kultureller Identitäten kann erhebliche Spannungen erzeugen, die auch in der Innen- und Außenpolitik immer stärker an Einfluss gewinnen werden (Wöhlcke 1997: 41), und die als Rebound-Effekt die Popularität religiös-fundamentalistisch geprägter politischer Gruppierungen erhöhen können.

Veränderte Konflikte

Insgesamt lässt sich beobachten, dass sich die Natur moderner Konflikte, insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges, grundlegend verändert hat: an die Stelle von politischen Rivalitäten großer Mächte tritt eine Summe unterschiedlicher Belastungsfaktoren und Instabilitäten, welche die Grundlagen sozialer und politischer Strukturen bedrohen (Fleisch 2000: 95)14. Statt als internationale Konflikte spielen sich heute die meisten kriegerischen Auseinandersetzungen in Form von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen ab. Unter diesen Voraussetzungen verändern sich, national wie international, auch die politischen Gestaltungsmöglichkeiten und Steuerungs­ instrumente für Frieden und Sicherheit (Fleisch 2000: 96).

In vielen Ländern paart sich das hohe Bevölkerungswachstum zudem mit einer strukturellen Ineffizienz, sei es in der Verwaltung, Wirtschaftspolitik oder Infrastruktur. Das steht dem Ausgleich von Konflikten und einer balancierten Verteilung vorhandener Ressourcen vielfach im Wege (Fleisch 2000, Wöhlcke 1997: 30f.).

In einer zunehmend globalisierten Welt bleiben diese Effekte nicht mehr auf ein Land oder eine Region beschränkt, sondern wirken überregional destabilisierend.



13 Siehe auch International Federation of the Red Cross and the Red Crescent Societies 1999: 13.

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14 Vgl. auch Soysa, Gleditsch 1999: 12f.

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