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Das Parlament
Nr. 12-13 / 15.03.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Hartmann Wunderer

Braune Kameradschaften

Im Schatten rechtsradikaler Parteien

Endlich fühlte sich die junge Lisa aus dem ostthü-ringischen Greiz in einer Gruppe aufgehoben, so, wie sie war, 19 Jahre alt, 100 Kilogramm schwer. In der rechten Gruppe fand sie zwar keinen Freund, aber sie erfuhr "Kameradschaft". In ihrer Heimat fand sie weder Anerkennung noch Arbeit. Halt bot ihr schließlich die Glatzenszene, für die Lisa bald Rechtsrock-Konzerte organisierte. Mit ihrer "Kame-radschaft" "Braune Teufel" baute sie eine Greizer Sektion auf sowie eine Internetseite mit der bezeichnenden Adresse www.alcolholocaust.de.

Was lässt sich aus derartigen Informationen über die neue rechtsradikale Szene der braunen Kameradschaften ableiten? Die Autorinnen und Autoren dieses Sammelwerks, überwiegend freie Journalisten, haben viel Material zu dem neuen und bislang wenig beachteten Netzwerk der militanten "Freien Kameradschaften" zusammengetragen. Sie haben sich im Dunstkreis und Schatten der rechtsextremistischen Parteien zusammengefunden, zu ihnen zählen militante Neonazis, gewaltbereite Skinheads sowie aggressive Rechtsrock-Musiker. Die Aktivitäten der mittlerweile circa 160 lokalen "Kameradschaften", die sich in Aktionsbüros zusammengeschlossen haben, und deren Gewaltbereitschaft würden bislang von den zuständigen staatlichen Organen sträflich unterschätzt.

Die Autorinnen und Autoren beschreiben innere Strukturen dieser Kameradschaften und betonen dabei deren Gewaltbereitschaft sowie das Horten von Waffen und Sprengstoff, die offenbar auch gegen das jüdische Zentrum in München eingesetzt werden sollten. Weitere Kapitel befassen sich mit der Rolle von jungen Frauen. Deren Anteil beträgt zwar nur 5 Prozent; die Auswertung polizeilicher Ermittlungsakten habe aber ergeben, dass Frauen anteilsmäßig häufiger an Delikten wie Volksverhetzung und Gewaltaktionen beteiligt seien. Zwar seien alte Rollenklischees gerade in diesen männerbündischen Gruppen lebendig, aber das "Heimchen am Herd" sei auch in dieser Szene nicht mehr ein verbindliches Leitbild.

Weitere Kapitel beschreiben die spezifische Rolle von Rechtsrock-Musikern, deren Werbeeffekt nicht unterschätzt werden dürfe, ferner spezifische Dresscodes. Andere Beiträge widmen sich den erfolgreichen Bestrebungen, Großimmobilien zu erwerben, um dort Schulungszentren zu errichten. Mittlerweile agieren diese Gruppen nicht mehr nur am rechten Rand, ihr Einfluss reiche bis in die Mitte der Gesellschaft, von der sie auch Zulauf und Unterstützung erhalten.

Die Beiträge vermitteln eine Fülle instruktiver Ein-blicke in diese Szene. Stark unterbelichtet bleiben allerdings sozialstrukturelle Aspekte und analytische Zugriffe: Welche familialen, kulturellen und sozialen Faktoren begünstigen das Entstehen und Wachstum dieses braunen Milieus? Wie stabil erscheint es, welche Zusammenhänge gibt es mit anderen Gruppen des rechtsextremistischen Lagers? Warum liegen einige Schwerpunkte dieser Gruppen in den neuen Ländern? Die große Fülle von Einzelbeobachtungen kann derartige analytische Defizite nicht beheben.

Merkwürdig erscheint schließlich die Aufforderung an staatliche Organe zu einem beherzten Handeln gegen rechts, so als könnte man mit staatlicher Repression dumpfen nationalistischen Ressentiments beikommen. Insofern bleibt der aufklärerische Wert dieses Bändchens begrenzt.

Andrea Röpke/Andreas Speit (Hrsg.)

Braune Kameradschaften.

Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis,

Ch. Links Verlag Berlin, 2004; 206 S., 14,90 Euro

Der Autor arbeitet als Wissenschaftspublizist in Wiesbaden.

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