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Das Parlament
Nr. 12-13 / 15.03.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Andrea Dunai

Die Mörder sitzen im Café und verspotten ihre Opfer

Die Gräuel während der Balkankriege und ihre Ahndung

Der Prozess der Vergangenheitsbewältigung ist bislang weder in Kroatien noch in Serbien richtig in Gang gekommen. Langsam wächst eine neue Generation heran, die über den Krieg in Jugoslawien so gut wie nichts weiß. Augenzeugen, die mutig genug sind, über Ereignisse aus dem Krieg zu berichten, zahlen oft mit dem eigenen Kopf für ihre Offenheit. An vielen einflussreichen Stellen sitzen noch immer die ehemaligen Vertrauten des verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman oder von Slobodan Milo¨evic, und die Propagandamaschinerie ist unverändert wirksam.

Vor dem Gebäude des zentralen Gerichts in Zagreb sammeln sich Veteranenverbände, sobald ein kroatischer "Vaterlandsverteidiger" von einst zum Kriegsverbrecher erklärt wird. Nicht nur in ihren Augen sind die "Helden der Nation" schließlich ehrbare Bürger und selbstredend ohne Schuld. Bis 2002 wurde kein einziger Kroate von Kroatien an das Internationale Tribunal in Den Haag ausgeliefert!

Die Richter betrachten die Angeklagten, die in den Niederlanden entweder auf Vorladung oder aus eigener Initiative aussagen, aus einem anderen Blickwinkel. Es sind auch geladene Zeugen dabei. Die Erörterung der Bedeutung von "ethnischen Säuberungen" ist das Hauptthema in diesen Gerichtssälen. Argumente, dass etwa die Tötung von 150 serbischen Zivilisten in Gospic im Winter 1991 die Folge einer Reihe von Zufällen gewesen sei, weisen die Richter sofort zurück. Wie entschlossen die Täter darüber schweigen möchten, zeigt die Tatsache, dass der Augenzeuge Milan Levar, ein Serbe, der nach dem Krieg nach Kroatien zurückgekehrt war, im Sommer 2000 am ehemaligen Tatort ermordet wurde.

Die Täter, die angeblich nur zum Vergnügen muslimische Frauen in der bosnischen Gebirgsstadt Focavergewaltigt und an montenegrinische Soldaten weiterverkauft haben, sitzen bereits ihre Freiheitsstrafen von 28, 20 und 12 Jahren ab. Slavenka Drakulics Bilanz: "Gäbe es nicht Den Haag, Kunarac, Kovac und Vukovic würden noch immer auf der Hauptstraße von Foca im Café sitzen, rauchen, Schnaps trinken und Anekdoten aus dem Krieg erzählen. Dort würde man ihnen mit dem Respekt begegnen, den sie als Veteranen verdienen. Und käme zufällig eine der von ihnen vergewaltigten Frauen vorüber, würden sie mit dem Finger auf sie zeigen und lachen…"

Nach Angaben des Tribunals müsste gegen rund 20.000 Menschen ein Prozess wegen Kriegsverbrechen in Kroatien und Bosnien und Herzegowina angestrebt werden. Dass es zu einer solchen Größenordnung nicht kommen wird, ist keine Prophezeiung, dennoch wird angestrebt, etwas mehr als 200 Verdächtige höchsten Ranges zu verurteilen.

Wichtig wäre allerdings zu wissen, auf welcher Ebene der "hohe Rang" anfängt. Dazu liefert das Buch keine Antwort. Ist zum Beispiel der als durchaus sympathisch geschilderte Angeklagte, der Profiangler Goran Jelisic, der im Mai 1992 in Luka eigenhändig mehr als 100 kroatische und muslimische Gefangene tötete, von dieser Rangordnung? Ist seine Strafe von 40 Jahren Freiheitsentzug das, was er verdient? Die Leserinnen und Leser sind oft durch nostalgische Exkurse der Verfasserin ein wenig auf sich gestellt. Mal spielt sie mit dem Gedanken, was ein Massenmörder in der vorhergehenden, kommunistischen Ära an einem 25. Mai, dem Tag der Jugend und gleichzeitigen Geburtstag von Josip Broz Tito so gemacht haben konnte, welche Gedanken die Tochter des auf freiem Fuß befindlichen Exgenerals Ratko Mladic, des "Schlächters von Bosnien", am Vorabend ihres Freitods beschäftigten oder warum die feministisch angehauchte Ehefrau von Slobodan Milo¨evic sich immer noch so altmodisch kleidet und eine Kleopatrafrisur trägt.

Dem Expräsidenten Jugoslawiens und später Serbiens wird ein extra Kapitel gewidmet, aus dem wir erfahren können, dass der Mann, der für 200.000 Todesopfer die Verantwortung zu tragen hat, immer noch im jugoslawischen Trakt des niederländischen Luxuskerkers sitzt. Auch Radislav Krstic, vormals Armeegeneral der Serbischen Republik und Kommandeur des Drina-Korps, wird eine wichtige Rolle in diesem Buch zugeteilt. Er wird mit 46 Jahren Gefängnisstrafe dafür zahlen, dass er in der UN-Schutzzone Srebrenica im Juli 1995 ein Massaker befohlen hat, dem 7.000 Muslime zum Opfer fielen und das 30.000 Menschen zu Vertriebenen machte.

Die Reihe der namhaften Kriegsverbrecher wird mit Biljana Plav¨ic vollendet. Sie ist nicht nur die einzige weibliche Angeklagte, sondern die einzige aufrichtige Person, die als ehemaliges Mitglied der Geheimpolizei und der Militärführung der Serbischen Republik mit Entsetzen über die grausamen Geschehnisse in den Konzentrationslagern Omarska, Keraterm und Manjaca ihre Schuld bekennt.

Slavenka Drakulic leistet mit dem Buch zweifelsohne einen wichtigen Beitrag zu der Publizistik über die jüngsten Kriege und deren Folgen auf dem Balkan. Sie nimmt in ihrer Arbeit gleichermaßen die Rolle einer objektiven Beobachterin, einer mitfühlenden Mutter und Frau sowie einer gebildeten Zeitgenossin ein. Dies ist besonders wichtig, da die Balkankriege mit ihren Gräueln allmählich aus dem europäischen Bewusstsein verschwinden.

Slavenka Drakulic

Keiner war dabei.

Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht.

Deutsch von Barbara Antkowiak.

Zsolnay Verlag, Wien 2004; 160 S., 16,90 Euro

Andrea Dunai ist Osteuropa-Expertin und arbeitet als freie Journalistin in Berlin.

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