169. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Wolfgang Thierse:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich bitte Sie, sich zu erheben.
Am späten Abend des 2. April verstarb nach langem Leiden das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Johannes Paul II. Sein Tod ist in Deutschland und in der ganzen Welt mit großer Trauer aufgenommen worden. Ich habe gegenüber dem Dekan des Kollegiums der Kardinäle, Joseph Kardinal Ratzinger, im Namen des Deutschen Bundestages unser tief empfundenes Beileid ausgesprochen und das Wirken von Papst Johannes Paul II. gewürdigt.
Die millionenfache Anteilnahme in der vergangenen Woche hat einmal mehr die große Anerkennung und Zuneigung in der ganzen Welt für einen der wahrhaft großen Päpste der Kirchengeschichte deutlich werden lassen. Der bewegende Abschied im Rahmen der Trauerfeierlichkeiten in Rom und in vielen Städten und Ländern, vor allem auch in unserem Nachbarland, dem Heimatland des Papstes, in Polen, wird uns noch lange in Erinnerung bleiben.
Papst Johannes Paul II. hat in den fast 27 Jahren seines Pontifikats nicht nur den Christen katholischen Glaubens in aller Welt Beispiel und Orientierung gegeben, sondern viele, gerade auch junge Menschen, die seinen Glauben und seine Überzeugungen nicht teilten, mit seiner Kraft und Ausstrahlung, seiner Authentizität und menschlichen Zugewandtheit tief beeindruckt.
Im Dialog mit den anderen Weltreligionen galt der Versöhnung von Christen und Juden sein besonderes Augenmerk. Dank seiner hohen moralischen Autorität konnte er den Einsatz der Christen für eine friedliche und gerechte Weltordnung glaubhaft vermitteln. Gerade deshalb wurde ihm bei seinem entschiedenen Einsatz für eine friedliche Konfliktlösung und gegen den Krieg im Irak weltweite Anerkennung zuteil.
In besonderer Weise hat der verstorbene Papst sich um die Überwindung des kommunistischen Regimes verdient gemacht: in seiner polnischen Heimat – vor allem durch seine Ermutigung der Solidarnosc-Bewegung – und insgesamt in ganz Mittel- und Osteuropa. Das hat die Wiedervereinigung Deutschlands erst ermöglicht und dafür sind wir Johannes Paul II. zu großer Dankbarkeit verpflichtet.
Sie haben sich zu Ehren des verstorbenen Papstes erhoben; ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Religionspolitik des Berliner Senats und Grundgesetz
(siehe 168. Sitzung)
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Aufbruch und Perspektiven – Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken
– Drucksache 15/5255 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Chancen der jungen Generation in Deutschland durch Bildung und Ausbildung verbessern
– Drucksache 15/5259 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 27)
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISESS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
– Drucksache 15/5244 –
Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussFinanzausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2003 zur Änderung der Richtlinie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen
– Drucksache 15/5220 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)InnenausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
c) Beratung des Antrags der Bundesregierung: Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen in Sudan UNMIS (United Nations Mission in Sudan) auf Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2005
– Drucksache 15/5265 –
Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Rechtsausschuss VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Unterschiedliche Forderungen aus der CDU zur Zukunft des BAföG
ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes
– Drucksache 15/5258 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Harald Leibrecht, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Glaubwürdigkeit des nuklearen Nichtverbreitungsregimes stärken – US-Nuklearwaffen aus Deutschland abziehen
– Drucksache 15/5257 –
Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Verteidigungsausschuss
ZP 8 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Die aktuelle Werbekampagne der Ruhrkohle AG vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung aus dem Bundeshaushalt in Milliardenhöhe gewährten Steinkohlensubventionen
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Ferner wurde vereinbart, nach der Wahl des Wehrbeauftragten und der Debatte über die geänderten Kernzeitthemen „Zukunftschancen für Jugendliche“ und „Waffenembargo gegen China“ die Tagesordnung nunmehr wie folgt umzustellen:
Punkt 4: Zukunft der Freiwilligendienste, Punkt 9: Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, Punkt 6: Rüstungskontrolle, Punkt 15: Armutsbekämpfung, Punkt 8: Welternährung, Punkt 11: Wettbewerbsschutz, Punkt 10: Tourismuspolitik, Punkt 17: Bürokratieabbau bei Kreditvergabe, Punkt 12: nachwachsende Rohstoffe, Punkt 14: Entwicklungszusammenarbeit der EU, Punkt 16: Energieeinsparungsgesetz, Punkt 18: Künstlersozialversicherung. Die Punkte 5, 22 c und 23 werden abgesetzt.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 167. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Tourismus zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes
– Drucksache 15/3424 –
überwiesen:Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Tourismus
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Sodann möchte ich den Kolleginnen Marga Elser und Sigrid Skarpelis-Sperk sowie dem Kollegen Joachim Hörster nachträglich zum 60. Geburtstag gratulieren.
Ebenso möchte ich dem Kollegen Erwin Marschewski nachträglich zu seinem 65. Geburtstag die Glückwünsche des Hauses aussprechen.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
– Drucksache 15/5207 –
b) Wahlvorschlag der Fraktion der FDP
Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
– Drucksache 15/5228 –
Sehr geehrter Herr Dr. Penner, anlässlich der heutigen Wahl eines neuen Wehrbeauftragten möchte ich Ihnen im Namen des Deutschen Bundestages für Ihre Arbeit danken.
Ihr Amt ist vom Grundgesetz als Hilfsorgan des Bundestages bei der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte geschaffen. In dieser Funktion haben Sie Missstände, soweit vorhanden, und Fehlentwicklungen in der Bundeswehr klar und deutlich beim Namen genannt und Korrekturen eingefordert. So konnten sich die Soldaten auch in den vergangenen fünf Jahren auf den Wehrbeauftragten verlassen, der ihre Sorgen und Nöte ernst nahm und sich nicht scheute, berechtigte Anliegen der Soldaten vorzubringen und auf Besserung zu drängen. Wir möchten Ihnen deshalb auch im Namen der Soldaten für Ihre Arbeit als Wehrbeauftragter danken und wünschen Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg alles Gute.
Wir kommen jetzt zur Wahl. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen haben den Abgeordneten Reinhold Robbe, die Fraktion der FDP hat den Abgeordneten Günther Friedrich Nolting vorgeschlagen.
Ich bitte zunächst um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren:
Zur Wahl sind nach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, das heißt: mindestens 301 Stimmen, erforderlich. Der Wehrbeauftragte wird mit verdeckten Stimmzetteln, also geheim, gewählt. Sie benötigen eine Stimmkarte mit Wahlumschlag sowie Ihren Wahlausweis. Die Stimmkarten mit Umschlag erhalten Sie links und rechts neben den Wahlkabinen. Den Wahlausweis entnehmen Sie bitte, soweit Sie das noch nicht getan haben, Ihrem Stimmkartenfach.
Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie die Stimmkarte nur in einer der Wahlkabinen ankreuzen und dort in den Wahlumschlag legen. Die Schriftführer sind verpflichtet, jeden zurückzuweisen, der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlkabine angekreuzt oder in den Umschlag gelegt hat. Die Wahl kann in diesem Falle jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden.
Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz. Ungültig sind Stimmen auf nicht amtlichen Stimmkarten sowie Stimmkarten, die kein Kreuz, mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der neben dem Stenografentisch aufgestellten Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis einem der Schriftführer an der Wahlurne. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden.
Noch ein praktischer Hinweis: Um einen reibungslosen Ablauf der Wahl zu gewährleisten, bitte ich Sie, sich auf folgenden Wegen zu den Wahlkabinen und von dort später zu den Wahlurnen zu begeben: Zu den Wahlkabinen nehmen Sie den Weg von der Seite her, das heißt über die Gänge zwischen Ihren Sitzreihen.
Von den Wahlkabinen können Sie direkt zu den Wahlurnen neben dem Stenografentisch herunterkommen.
So weit das, was Sie hoffentlich alle gut verstanden haben.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätze eingenommen? – Das ist offenbar der Fall. Ich eröffne die Wahl und bitte, zum Empfang der Stimmkarte zu den Ausgabetischen zu gehen.
Ich stelle die obligate Frage: Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben?
Ich frage noch einmal: Haben alle Mitglieder des Hauses gewählt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Zur Auszählung unterbreche ich die Sitzung für circa zehn Minuten.
Präsident Wolfgang Thierse:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und bitte Sie, Platz zu nehmen.
Ich gebe das Ergebnis der Wahl des Wehrbeauftragten bekannt. Abgegebene Stimmen 599, gültige Stimmen 598, ungültige Stimmen eine, Enthaltungen 15. Der Abgeordnete Günther Friedrich Nolting hat 276 Stimmen erhalten.
Der Abgeordnete Reinhold Robbe hat 307 Stimmen erhalten.
Gemäß § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages – das sind 301 Stimmen – auf sich vereinigt. Ich stelle fest, dass der Abgeordnete Reinhold Robbe mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages zum Wehrbeauftragten gewählt worden ist.
Ich frage Sie, Herr Abgeordneter Robbe: Nehmen Sie die Wahl an?
Reinhold Robbe (SPD):
Herr Präsident, ich nehme die Wahl an und bedanke mich für das ausgesprochene Vertrauen. Herzlichen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Herr Abgeordneter Robbe, ich gratuliere Ihnen persönlich und im Namen des Hauses und wünsche Ihnen Kraft und eine gute Hand bei der Führung Ihres Amtes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun die Zusatzpunkte 2 und 3 sowie die Tagesordnungspunkte 13 und 24 auf:
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Aufbruch und Perspektiven – Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken
– Drucksache 15/5255 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Chancen der jungen Generation in Deutschland durch Bildung und Ausbildung verbessern
– Drucksache 15/5259 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Gerald Weiß (Groß-Gerau), Katherina Reiche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen verbessern – Wachstumspotenzial der Weiterbildung nutzen
– Drucksache 15/5024 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenHaushaltsausschuss
24. Beratung des Antrags der Abgeordneten Katherina Reiche, Dr. Maria Böhmer, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Konsequenzen aus dem Studiengebührenurteil für die Bildungs- und Hochschulfinanzierung des Bundes
– Drucksache 15/4931 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungHaushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache Eineinviertelstunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Herr Kollege Robbe, darf ich Sie bitten, sich ein wenig nach hinten „zu verziehen“?
Dort können Sie die Gratulationen entgegennehmen. Wir wollen jetzt die Debatte fortsetzen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin Edelgard Bulmahn.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! So viel Zeit muss sein: Lieber Reinhold, auch von mir noch einmal einen ganz herzlichen Glückwunsch zu diesem guten Ergebnis.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, Zukunftschancen für Jugendliche – das ist ein Thema, das uns alle angeht. Wie sonst nur beim Wetter, können dabei auch alle mitreden und sollen es auch: Eltern, Lehrer, Schüler, Auszubildende und Studierende, die Wirtschaft, gesellschaftliche Gruppen aller Art sowie die Politik auf allen Ebenen. Eines geht allerdings nicht, nämlich die, die es betrifft, einfach zu ignorieren. Wer über Jugend und Zukunft spricht, muss vor allem auch zuhören können. Dabei werden Sie dann zwei Dinge immer wieder erfahren: Erstens haben die meisten Jugendlichen eine ganz klare Vorstellung von dem, was auf sie zukommt. Es kommt auf eine gute Ausbildung und auf gute Ausbildungschancen an. Das wissen die Jugendlichen.
Sie wissen, was sie wollen. Sie wollen die Chance haben, sich selbst zu beweisen, und sie wollen die Chance haben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Zweitens will die Mehrheit der jungen Menschen keine pessimistische Grundstimmung in unserem Land. Sie wollen ihre Zukunft; sie wollen sie aufbauen und erhalten.
Wissen und Bildung verschaffen Möglichkeiten. Nur wer Bescheid weiß, kommt voran. Nur wer die Möglichkeit hat, sich Bildung und Qualifizierung anzueignen, kann seine Anstrengungen zu vollem Erfolg führen. Das ist zugleich eine der wichtigsten Leitlinien sozialdemokratischer Politik. Der Bundeskanzler hat es in seiner Regierungserklärung vom 17. März deutlich gemacht: Jeder und jede muss die Chance für einen Einsteig in das Arbeitsleben erhalten.
Das ist das, wofür wir alle gemeinsam arbeiten.
Wir müssen Menschen dort, wo Bildungsbarrieren sind, und dort, wo sie abgedrängt und vergessen werden, eine zweite Chance bieten. Mit den Reformen der Agenda 2010 haben wir genau das getan. Die Agenda 2010 ist deshalb vor allem eine Agenda der neuen Möglichkeiten. Dazu gehört, dass wir jetzt durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bis zu 400 000 Menschen aus der Sackgasse der Sozialhilfe geholt haben. Es geht dabei um viel mehr als um eine ehrliche Statistik. Um die Statistik geht es auch, aber es geht wirklich um viel mehr, und dabei geht es zuallererst um die Menschen.
Wir haben die Menschen aus der Unsichtbarkeit der Sozialstatistik herausgeholt. Wir holen sie weg von den Fluren des Sozialamtes, auf denen es allenfalls noch um die Frage ging, ob der Wintermantel noch in diesem Jahr bewilligt wird oder ob es der alte auch noch tut. Das kann aber nun wahrlich nicht die lebensentscheidende Frage für junge Menschen sein.
Wir wollen einen Perspektivwechsel: weg vom Sozialamt, hin zur Agentur für Arbeit. Auch wenn es dort zunächst wieder einen Flur gibt, stehen am Ende dieses Flures ein Angebot
und eine klare Vereinbarung für die jungen Menschen: Seit dem 1. Januar dieses Jahres haben Jugendliche unter 25 Jahren, die das neue Arbeitslosengeld II beantragen, einen Rechtsanspruch auf Vermittlung in einen Ausbildungsplatz oder einen Arbeitsplatz. Damit haben sie endlich wieder Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben ohne staatliche Unterstützung. Das, meine sehr geehrten Herren und Damen, ist verantwortliche Politik des Handelns.
Jeder von Ihnen kann sich vor Augen führen, wie man sich fühlt, wenn man über 100 Bewerbungen geschrieben und nur Absagen erhalten hat.
Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen von der Opposition, scheinen sich aber diesem Blick zu verschließen.
Denn sonst würden Sie Wege für die jungen Menschen aufzeigen,
statt durch ständige Miesmacherei
nur Pessimismus und Perspektivlosigkeit zu vermitteln.
Versuchen Sie doch wenigstens, mehr Ehrlichkeit an den Tag zu legen! Schauen Sie sich die Zahlen einmal genau an: Im Jahre 1998, als die SPD in Hessen regierte, lag die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze deutlich über der Zahl der nachgefragten Ausbildungsplätze. Kurz gesagt: Die Jugendlichen hatten deutlich mehr Chancen. Heute hat sich das umgekehrt; heute hat sich das verändert: Es gibt weniger Ausbildungsplätze und die Jugendlichen haben deutlich mehr Schwierigkeiten.
Schauen Sie nach Nordrhein-Westfalen: Dort lag das Verhältnis von Ausbildungsplätzen und Nachfragern seit 1998 zugunsten der Jugendlichen deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Dass der Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen gelingt, zeigt sich im Übrigen auch an der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge in den neuen Berufen, die für die Zukunft unseres Landes von ganz entscheidender Bedeutung sind. Seit der Einführung dieser neuen Berufe ist die Zahl der Auszubildenden in diesen Berufen in Nordrhein-Westfalen Jahr für Jahr höher als im Bundesdurchschnitt und höher als im Durchschnitt der alten Länder. Anders als das manche verzerrende Darstellung versucht nahe zu legen, ist diese Zahl im Übrigen auch höher als die in Bayern oder in Baden-Württemberg. Das sind die Fakten, mit denen man sich auseinander setzen muss.
Sie sollten diese Fakten zur Kenntnis nehmen, anstatt immer nur zu polemisieren.
Wenn Sie nur Pessimismus an den Tag legen, nehmen Sie den jungen Menschen die Hoffnung und die Zuversicht. Wir kämpfen für Zugänge zu Bildung und Qualifikationen, für Chancen auf Ausbildung und Arbeit.
Der Unterschied zwischen der Opposition und der Regierungspartei ist: Wir kämpfen dafür, dass die Jugendlichen Chancen erhalten.
Das lässt sich an ganz konkreten Reformprojekten dieser Bundesregierung festmachen:
Beispiel eins: der Pakt für Ausbildung. Erstmals seit 1999 haben wir eine ganz klare Trendwende geschafft. Durch diesen Pakt ist es uns gelungen, im Ausbildungsjahr 2004/2005 59 000 neue Ausbildungsplätze und mehr als 30 000 Einstiegsqualifikationen zu schaffen. Das ist also weit mehr, als wir in diesem Pakt vereinbart hatten. Es sind Ausbildungsplätze zusätzlich geschaffen worden. 22 500 Ausbildungsplätze sind hinzugekommen.
Beispiel zwei: Berufsbildungsgesetz. Vor wenigen Tagen ist die größte Reform seit Bestehen dieses Gesetzes in Kraft getreten. Mit dem neuen Gesetz werden die Qualität und die Attraktivität der beruflichen Bildung verbessert. Die Flexibilität der dualen Ausbildung wird gestärkt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit gesichert. So verhindert die Reform die zeitraubenden und teuren Warteschleifen, die für alle Beteiligten deprimierend sind. Durch diese Reform gelingt es uns, Jugendliche schneller an eine qualifizierte Ausbildung heranzuführen.
Beispiel drei: Mit modernen Berufen werden neue Ausbildungsplätze geschaffen. Das ist im Übrigen die beste Prävention gegen Jugendarbeitslosigkeit.
Wir haben seit 1998 insgesamt mehr als 180 Ausbildungsberufe modernisiert bzw. neu geschaffen. In diesem Jahr kommen 19 hinzu. Auch das ist eine Politik des Handelns.
Beispiel vier: Unsere Gesellschaft braucht gut ausgebildete junge Menschen. Wir müssen schon aufgrund der demographischen Kerndaten davon ausgehen, dass uns sonst in zehn Jahren zig Millionen gut ausgebildete Fachkräfte fehlen. Das heißt, dass wir auch den Jugendlichen, die in der Schule schlecht waren, weil sie die Sprache nicht konnten, eine zweite Chance geben müssen. Das tun wir mit den neuen Einstiegsqualifikationen, mit den Qualifikationsbausteinen, die wir diesen Jugendlichen jetzt anbieten. Das ist im Übrigen nicht nur ein Gebot der Ökonomie, sondern auch eine Voraussetzung für den sozialen und solidarischen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Beschäftigungs- und Lebenschancen werden früh eröffnet, leider aber auch oft früh verbaut. Damit können und damit wollen wir uns nicht abfinden. Deshalb haben wir gehandelt. Wir sind nämlich nicht dafür, dass es für wenige aus den wohlhabenden Familien den Königsweg und für alle anderen den Trampelpfad gibt. Das werden wir nicht mitmachen.
„Frühe Förderung“ und „individuelle Förderung“ sind daher die beiden entscheidenden Stichworte. Das fängt mit Angeboten für die Kleinsten an. Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, verbessern wir das Betreuungs- und Erziehungsangebot für Kinder unter drei Jahren erheblich und wir rücken damit endlich auch die frühkindliche Bildung und Erziehung in das Zentrum. Das ist wirklich dringend notwendig; das war überfällig. Wir setzen dabei auf ein bedarfsgerechtes Angebot für alle Altersgruppen, zeitlich flexibel, bezahlbar und vielfältig.
Ich halte es im Übrigen auch für ein gutes Signal, dass sich inzwischen alle Länder auf vorschulische Bildungsziele verständigt haben und dass unsere nationale Qualitätsinitiative
mit der Mehrzahl der Länder durchgeführt wird.
Das, was wir gemeinsam mit den Kindern im Vorschulalter beginnen, müssen wir in der Schule konsequent fortsetzen. Kindern möglichst früh eine gute individuelle Förderung zu geben, ihnen damit bessere Bildungschancen zu eröffnen und dann in der Schule damit weiterzumachen und ihnen auch dort eine sehr gute Ausbildung zu geben und neue Chancen zu eröffnen – das ist die Zielsetzung, die wir mit unserem Ganztagsschulprogramm im Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ verfolgen. Mit diesem größten Schulentwicklungsprogramm, das es in Deutschland bundesweit je gab, unterstützt der Bund die Länder, Städte und Kommunen mit 4 Milliarden Euro beim Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen.
Ich freue mich sehr, dass zumindest die SPD-geführten Länder – das gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen, aber auch für andere – die Chancen dieses Programmes wirklich nutzen
und nicht wie einige andere, CDU-regierte Länder gegen den erklärten Willen der Eltern, die nämlich die Ganztagsschulen wollen, und der Lehrerinnen und Lehrer diese Chancen einfach verspielen.
– Beispiel Hessen; völlig richtig.
Leider muss ich sagen, dass das auch in Baden-Württemberg so ist. Es gibt auch noch viele andere.
Insgesamt 7 Milliarden Euro investiert der Bund damit allein in dieser Legislaturperiode in Ganztagsschulen und frühkindliche Betreuung. Ich sage ganz offen: Wir hätten uns viel Ärger ersparen können, wenn wir diese 7 Milliarden Euro in die Rente gesteckt hätten. Dafür gäbe es ja auch gute Gründe, aber wir haben das trotzdem nicht getan und stattdessen in die Zukunft unserer Kinder investiert. Ich bin davon überzeugt, dass das die richtige Entscheidung ist.
Viele Großeltern teilen im Übrigen diese Auffassung. Wir haben genau die richtige Entscheidung getroffen.
Ich frage mich allerdings, meine sehr geehrten Herren und Damen von der Opposition: Was ist eigentlich Ihr Weg? Welches Bild haben Sie eigentlich von der Zukunft unserer Gesellschaft und von der Zukunft der Kinder und Jugendlichen?
Sie wollen das BAföG abschaffen.
Sie wollen Studiengebühren einführen.
Sie wollen, dass junge Menschen mit einem riesengroßen Schuldenberg ins Berufsleben starten.
Dabei würde es sich um 50 000, 60 000 oder sogar 90 000 Euro handeln, wenn Sie das BAföG abschaffen. Das sind die realen Zahlen.
Sie wollen keinen Ausbau der frühkindlichen Betreuung; Sie wollen keine Ganztagsschulen.
Sie torpedieren das Programm mit allen Mitteln.
Sie sagen nichts zu der Frage, wie Jugendliche mit schlechten schulischen Voraussetzungen neue Chancen erhalten sollen. Sie sagen nichts dazu, wie junge qualifizierte Frauen Berufstätigkeit und Kindererziehung vereinbaren sollen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, lassen Sie mich ganz klar sagen: Was Sie betreiben, ist das Gegenteil von Perspektive und Aufbruch.
Denken Sie um! Zeigen Sie Verantwortung und eröffnen Sie jungen Menschen die Möglichkeiten, die sie brauchen! Geben Sie ihnen Motivation und Selbstvertrauen und stimmen Sie unserem Antrag zu!
Vielen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion.
Karl-Josef Laumann (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin, wenn man Ihrer Rede zugehört hat,
dann hat man das Gefühl: Alles ist gut; wir sind in Deutschland auf einem guten Weg; Probleme sind eigentlich nicht vorhanden. Aber die Zahlen sind nun einmal so, wie sie sind, und auch die Stimmung im Land ist so, wie sie ist, weil sie den Realitäten entspricht.
Zurzeit befinden sich 665 000 Jugendliche unter 25 Jahren in der Arbeitslosigkeit.
Weitere Hunderttausende Abgänger von Haupt- und Realschulen – diese Zahl gibt es auf Bundesebene gar nicht – befinden sich in so genannten Warteschleifen unserer Berufsschulen. Schauen Sie sich nur einmal an, wie stark die Anzahl der Absolventen eines Berufsgrundschuljahres, die in keiner Statistik steht, zugenommen hat.
Viele Schüler, die in den Schulen gut vorbereitet sind, machen die Erfahrung, dass sie, wenn sie im zehnten Schuljahr sind, Hunderte von Bewerbungen für eine Lehrstelle schreiben müssen. Nehmen Sie einmal zur Kenntnis, dass ein Mittelständler, der Pleite gegangen ist, nicht mehr ausbildet. Das ist die Wahrheit. Diese Situation wird immer schwieriger, weil die Anzahl der Betriebe, die ausbilden, immer geringer wird. Deswegen hat die Jugendarbeitslosigkeit im letzten Jahr sogar um mehr als 145 000 junge Leute zugenommen. Wenn Sie eine Bilanz vorlegen, die ausweist, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland in den Jahren Ihrer Regierungszeit um 200 000 junge Leute zugenommen hat, dann sind Sie in diesem Bereich die Bundesregierung der Perspektivlosigkeit.
Ich gebe zu: Für diejenigen, die keine Lehrstelle finden, wird eine Menge getan. Heute befinden sich rund 383 000 junge Leute in Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit. Wir sind schon fast so weit, dass ähnlich viele junge Leute in Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit sind, wie das duale Ausbildungssystem noch reguläre Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt.
Allein 116 000 junge Leute nehmen an Maßnahmen zur Berufsvorbereitung, 215 000 an Maßnahmen für Benachteiligte teil.
Ich will Ihnen einmal sagen, wie es dazu kam, dass dieses Problem zugenommen hat: Im Jahr 1998 befanden sich 33 000 junge Leute in berufsvorbereitenden Maßnahmen, jetzt sind es 116 000. Das zeigt, wie sich die Situation in den letzten Jahren entwickelt hat. Derjenige, der dies zahlt, ist der Beitragszahler der Bundesagentur für Arbeit. Dafür werden mittlerweile Mittel von mehr als 1 Milliarde Euro ausgegeben.
Jetzt bin ich bei meinem ersten Punkt. Es kann doch nicht richtig sein, dass die berufliche Ausbildung in diesem Umfang von den Beitragszahlern – den 26,2 Millionen Arbeitsplätzen, die in diesem Land noch sozialversicherungspflichtig sind – bezahlt wird.
Das ist nicht in Ordnung
und unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten der wohl größte Fehler, den ich in den letzten Jahren beobachtet habe: Die Probleme des Schulwesens, dass zum Beispiel viele Kinder Abschlüsse machen, mit denen sie nicht berufsfähig sind, werden durch Beitragsmittel behoben; das ist nicht in Ordnung.
Ich hoffe, dass Sie irgendwann einmal die Kraftanstrengung unternehmen werden, hier zu einer Steuerfinanzierung überzugehen. Ich kann mir überhaupt nicht erklären, warum man mit der Finanzierung dieses Bereichs nur einen Teil der Arbeitsplätze in Deutschland belastet.
Wer so weit ist, einen großen Teil der Berufsausbildung junger Leute durch Beiträge zu finanzieren, der sollte sich beim Thema Einführung von Studiengebühren an Universitäten ein bisschen zurückhalten.
Denn wenn Studiengebühren nachgelagert finanziert werden, können sie für die Universitäten Steuerungswirkungen haben, die man, wenn man an den Unterschied zwischen akademischer Ausbildung und Ausbildung im dualen System denkt, mehr als begrüßen müsste. Diese Diskussion können wir gerne jeden Tag führen.
– Das tun wir und das steht auch in unserem Wahlprogramm.
Aber auch das wird Sie in Nordrhein-Westfalen nicht mehr retten; denn die Leute wissen, wie Hochschulen unter Ihrer Führung aussehen.
– Aber danach haben Sie sie nicht mehr unterhalten.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir alle wissen, dass der einzige Schlüssel, um durch Arbeit ein Einkommen zu erzielen, von dem man leben kann, in der arbeitsteiligen Gesellschaft, in der wir in Europa und insbesondere in Deutschland mittlerweile leben, die qualifizierte Schul- und Berufsausbildung ist.
Wir Politiker machen uns viele Gedanken über die Demographie und fragen uns zu Recht: Warum gibt es bei uns so wenige Kinder? Warum haben ganze Schichten der Bevölkerung sehr wenige – auf jeden Fall: zu wenige – Kinder? Ich teile diese Analyse. Aber ich glaube, dass wie ich ganz viele Eltern, die Kinder haben, die keine Lehrstelle finden, meinen: Kümmern wir uns doch erst einmal um die Kinder, die wir in diesem Land haben, und bauen wir deren Entwicklungschancen vernünftig aus!
Einige Dinge fallen doch auf. Nehmen wir zum Beispiel Nordrhein-Westfalen: Dort haben wir ohne Frage seit 25 Jahren eine Bildungspolitik, die mehr von der GEW bestimmt wird wie von allen anderen.
Dort ist die Chance der Kinder, deren Elternhäuser als „bildungsfern“ gelten, der Kinder, die einen Immigrationshintergrund haben, schlecht.
Wir sind mittlerweile so weit, dass in Nordrhein-Westfalen von den ausländischen Kindern 21,8 Prozent auf Sonderschulen, auf Schulen für Lernbehinderte, gehen.
Stellen Sie sich das nur einmal vor! Das liegt doch an den Defiziten in unseren Grundschulen! Das liegt doch daran, dass Sie sich immer verweigert haben, die Kinder mit vier Jahren auf ihre Sprachkenntnisse zu prüfen, woraufhin man gezielt hätte fördern können. Das ist doch Ihr Versagen in der Ausländerpolitik, in der Zuwanderungspolitik, in der Immigrationspolitik!
Präsident Wolfgang Thierse:
Kollege Laumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?
Karl-Josef Laumann (CDU/CSU):
Nein.
Der nächste Punkt: Dadurch dass man teilweise den Leuten einen deutschen Pass gibt, wodurch sie statistisch natürlich keine ausländischen Schüler mehr sind, ist das Problem in den Schulen weder was die Integration noch was die Sprachfähigkeit angeht gelöst. Aber genau daran orientieren Sie Ihre Möglichkeiten, in den Klassen zu differenzieren. Aber in einem Schulsystem, in dem es so ist, dass fünf Millionen Unterrichtsstunden ausfallen, sind die Voraussetzungen für differenzierten Unterricht einfach nicht gegeben.
Deswegen haben Sie in dem größten Bundesland in dieser Frage kläglich versagt.
Ich habe mir nie vorstellen können, dass wir einmal eine Zeit erleben, wo nach fast 40 Jahren sozialdemokratischer Verantwortung für Bildungspolitik die Chancen der Bevölkerungsgruppen, die aus benachteiligten sozialen Verhältnissen kommen, so schlecht sind, wie sie heute sind.
Wissen Sie, die Generation unserer Großeltern hat es, aus der christlich-sozialen Bewegung oder aus der sozialdemokratischen Bewegung kommend, richtigerweise durchgesetzt, dass Kinder aus Elternhäusern, wo das Portemonnaie klein ist, studieren können.
Das haben wir hingekriegt. Aber Sie haben versagt bei der Bildungspolitik und bei der Integration von Kindern, die aus schwierigen sozialen Umfeldern kommen. Das sind in Wahrheit die Gründe, warum das Finden von Lehrstellen und die Lage der beruflichen Bildung so schwierig sind.
Sie besuchen wie ich die Einrichtungen der Bildungsträger, in denen benachteiligte Jugendliche geschult werden. Wir wissen doch alle aus den Gesprächen, die wir dort geführt haben – man spürt es nahezu –, aus welchen Strukturen der größte Teil derjenigen kommt, die dieser Maßnahmen bedürfen.
Deswegen muss das Schulsystem so geändert werden, dass in einigen Jahren die Ausbildungsfähigkeit nach zehn Jahren Schule besser ist wie heute.
Der nächste Punkt – hören Sie sich das doch einfach einmal an! –:
Es gibt eine Gesamtverantwortung für Politik. Deshalb will ich Ihnen diesen weiteren Punkt ins Stammbuch schreiben: Bei den Maßnahmen, die die Bundesagentur für Arbeit zurzeit für Benachteiligte ausschreibt, läuft es doch so ab, dass immer der Preis der Träger mehr zählt wie die Qualifikation. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, wir würden in einem Landkreis ausschreiben: „Wer macht in diesem Jahr die billigste Handelsschule?“ und egal wer es ist, der Billigste bekommt den Zuschlag. So läuft es zurzeit unter Ihnen in Deutschland bei den Programmen für Benachteiligte: Vernünftige und erfahrene Träger mit einer regionalen Verantwortung scheiden aus dem Markt aus und Billiganbieter bekommen den Zuschlag. Dafür tragen Sie Verantwortung: für das, was Sie in den letzten Jahren bei der beruflichen Qualifikation angerichtet haben!
Das haben Sozialdemokraten geschafft: Auf der einen Seite haben wir in Deutschland auf die Unterrichtsstunde bemessen die bestbezahlten Lehrer der Erde, auf der anderen Seite bekommen diejenigen, die in den Programmen für beruflich Benachteiligte als Dozenten arbeiten, Löhne von teilweise nicht einmal mehr 1 500 Euro. Das ist unter Ihnen die Realität in der Bildungslandschaft in Deutschland geworden!
Das können Sie doch nicht leugnen!
Das hat es unter uns nicht gegeben, weil wir eine regionale Struktur in diesen Bereichen wollen.
Hätten Sie bei Hartz auf uns gehört und die Integrationsprogramme kommunal angesiedelt, dann hätten wir jetzt kommunale Strukturen. Sie haben über die Bundesagentur für Arbeit aber Bundesstrukturen geschaffen. Die Landesarbeitsämter haben nun nicht einmal mehr Einfluss darauf, wer es in der Region machen kann. Dafür tragen Sie die politische Verantwortung.
Das werden wir in den entsprechenden Kreisen auch sagen. Wir sind in dieser Frage für eine kommunale Betreuung.
– Wissen Sie, zum Zuverdienst werden Sie ab Freitagmittag neue Nachrichten erhalten. Das Problem kriegen wir schnell geregelt.
Wenn wir etwas machen wollen, dann sollten wir erst einmal dafür sorgen, dass es, solange es im dualen System nicht geht, bei den Bildungsträgern eine über Steuern finanzierte qualifizierte Berufsausbildung für die Benachteiligten gibt. Das duale System und lange Praktika im dualen System müssen dabei absolute Vorfahrt erhalten.
Ich nenne Ihnen jetzt einen weiteren Punkt, der Sie zur Weißglut bringen wird; ich weiß es. Meinetwegen können Sie daraus auch eine Kampagne in Nordrhein-Westfalen machen. Viele von meiner Fraktion, die hier sind – ich gehöre dazu –, und viele von Ihnen haben in ihrem Leben nach der Schule ganz natürlich zunächst einmal eine ganz normale Lehre gemacht.
Ich gehöre einer Generation an, die sich wenigstens in der Region, in der ich groß geworden bin, zumindest die Ausbildungsplätze im Handwerk – Mitte der 70er-Jahre – nahezu aussuchen konnte. Warum war das damals so? Damals galt folgende Faustregel: Im ersten Lehrjahr setzt der Meister beim Lehrling ein wenig zu, im zweiten ist es gleich und im dritten verdient er an dem Lehrjungen so viel, wie er im ersten gekostet hat. Als diese Proportion noch stimmte, gab es genug Ausbildungsplätze. Da es heute einige Branchen gibt, in denen die tariflichen Ausbildungslöhne so hoch sind, dass ein Hilfsarbeiter manchmal preiswerter ist, darf man sich nicht wundern, dass auch in diesem Bereich geschaut wird, wie viele Lehrstellen es eigentlich noch gibt und ob sich das eigene Unternehmen dies überhaupt noch erlauben kann.
Hier stellt sich auch die Frage, ob noch über Bedarf ausgebildet wird. Man denkt: Soll ich noch jemanden hinzunehmen, weil ich meine, dass wir eine Verpflichtung dazu haben, obwohl die Zeugnisse eigentlich nicht entsprechend sind? Na ja, wir probieren es noch mal. – Für die ganz Qualifizierten passt all das, was bei Ihnen geschieht, vielleicht noch; die Schwächeren, die keine so guten Zeugnisse vorzuweisen haben, trifft es zuerst. Denken Sie einfach einmal darüber nach, ob nicht auch wir eine Entwicklung mit einleiten müssen, dass wieder der Grundsatz gilt: Eine Berufsausbildung muss so organisiert werden, dass die Kostenverteilung am Ende so wie früher aussieht.
Die goldene Regel, die jeder Handwerker kannte, habe ich Ihnen genannt.
Sie mögen sagen: Die Berufsausbildung ist besser als früher. Ich kann Ihnen nur sagen: Die handwerkliche Berufsausbildung in Deutschland war auch vor Jahren und auch in der Generation vor uns schon von einer hohen Qualität. Wenn wir diese in die Zukunft retten würden, dann wäre mir zumindest vor der Zukunft des Teils der jungen Leute, der dort ausgebildet wird, nicht mehr bange.
Schönen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Thea Dückert, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege und Wahlkämpfer Laumann – das muss man heute hier wohl sagen :
Vieles habe ich nicht verstanden, weshalb ich zurückfragen möchte.
Ja, ja.
Sie haben hier die sehr richtige und nicht zu bezweifelnde Feststellung an den Anfang gestellt, dass 665 000 arbeitslose Jugendliche existieren und dass das zuviel ist. Ich möchte hinzufügen: In einer so kurzen Redezeit, wie ich sie habe, ist gar nicht zu beschreiben, welche Schicksale von jungen Menschen, die in Ausbildung kommen wollen, und ihren Eltern sich dahinter verbergen. Herr Laumann, gerade vor diesem Hintergrund verstehe ich eines nicht: Sie haben beispielsweise beklagt, dass die Bundesagentur für Arbeit über 360 000 Maßnahmen für arbeitslose Jugendliche anbietet.
Herr Laumann, was war die Botschaft dieser Aussage?
Wollen Sie uns in einer Zeit, in der es zu viele jugendliche Arbeitslose gibt, nahe legen, dass die Bundesagentur für Arbeit diese Maßnahmen nicht durchführen soll? Herr Laumann, wollen Sie also über 360 000 junge Leute in die Wüste schicken?
Wie können Sie in dieser Situation, in der in den Ländern junge Menschen von den Schulen und Ausbildungssystemen zum Teil ohne Schulabschlüsse ins Berufsleben geschickt werden, beklagen, dass die Bundesagentur für Arbeit mit Beitragsmitteln versucht, den jungen Menschen eine Hilfestellung zu geben?
Ich finde das unsäglich. Genauso unsäglich finde ich Vorschläge – das ist Ihr Konzept beim Pakt für Deutschland –, die über Beitragssatzsenkungen bei der Arbeitslosenversicherung gegenfinanziert werden sollen und darauf hinauslaufen, Maßnahmen für Langzeitarbeitslose, für Menschen in einer Umschulung, für junge und alte Menschen zu streichen. Nein, so geht das nicht. Daher ist Ihre Politik nicht durchdacht und unglaubwürdig.
Wir müssen allen den Zugang zu Bildung und Arbeit ermöglichen, und zwar völlig unterschiedslos von Geschlecht, sozialer Herkunft und übrigens auch von der entsprechenden Landesregierung, egal ob man aus Bayern oder aus einem anderen Bundesland stammt. Es ist heute in Deutschland leider Realität, dass der Zugang zu Ausbildung ein Nadelöhr ist, statt ein Scheunentor zu sein.
Sie haben auf die Schulausbildung in Nordrhein-Westfalen angespielt. Ich will Ihnen etwa sagen, Herr Laumann: Das faktische Schlusslicht in Deutschland bei Jugendlichen ohne Schulabschluss – das eigentliche Schlusslicht ist Sachsen-Anhalt – ist Bayern.
Nur so viel dazu, wie Sie es mit der Ehrlichkeit in dieser Debatte halten. Wir alle zusammen haben es damit zu tun, dass unsere Schulsysteme – die PISA-Studie hat uns das bewiesen – die Jugendlichen nicht hinreichend auf Ausbildung und Beschäftigung vorbereiten.
Ich sage Ihnen noch etwas: Die Hartz-Gesetze sind der richtige Ansatz. Aber sie können nicht das, was in unserem Bildungssystem verändert werden muss, was zum Beispiel durch eine neue Art von Schule angegangen werden muss, ausgleichen; das ist völlig klar.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine andere wahlkampfbedingte Unehrlichkeit ansprechen, Herr Laumann. Sie haben gesagt, dass die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen in diesem Jahr um 145 000 gestiegen ist. Sie haben aber verschwiegen, Herr Laumann, dass wir in diesem Jahr 120 000 arbeitslose Jugendliche über die Hartz-Reformen aus der Grauzone herausgeholt und in die Statistik aufgenommen haben.
Diese 120 000 Jugendlichen haben erst dadurch die Möglichkeit bekommen, durch Instrumente zur Wiedereingliederung, die ihnen individuell helfen, zum Beispiel durch Beratung mit Eingliederungsvereinbarungen und Angebote für jeden – das streben wir an –, eine Beschäftigung zu finden. Diese 120 000 Jugendlichen, die vorher in keiner Statistik aufgetaucht sind und auch nicht Gegenstand der Politik waren, haben jetzt eine Chance erhalten. Ich finde, Herr Laumann, es gehört zu der von Ihnen geforderten Ehrlichkeit dazu, auch das zu benennen.
Aber auch Folgendes ist wichtig: Die Hartz-Gesetze haben viele neue Instrumente geschaffen, doch viele werden noch nicht so eingesetzt, wie es geplant war; das ist wahr. Die notwendige Relation von 1 : 75 bei den Fallmanagern ist an vielen Orten noch nicht erreicht, aber an vielen anderen konnte sie umgesetzt werden. Ich muss Ihnen sagen: Wenn ich durch das Land reise, stelle ich fest – das ärgert mich sehr –, dass fest verankerte Strukturen und Netzwerke für Jugendliche, die in die Betriebe vermittelt werden sollen, in einem bürokratischen Clinch und Wirrwarr zwischen Behörden und Kommunen zum Teil auf der Strecke bleiben. Das darf nicht sein. Wir müssen erreichen, dass die Jugendhilfe vor Ort, die Arbeitsvermittlung und die Jobcenter an einem Strang ziehen.
Die erste Priorität bei der Bewältigung der Schwierigkeiten – diese sehe ich durchaus –, eine so große Behörde umzustrukturieren, muss sein, die Vermittlung der Jugendlichen zu organisieren.
Das geht. Wir haben heute schon Kommunen, die das machen. Schauen Sie sich Köln an. Dort wird vorgeführt, dass wir mit den Instrumenten und Mitteln von Hartz und der Dezentralität jedem Jugendlichen ein Angebot machen können. Deswegen ist es richtig, dass wir das in unseren Antrag hineingeschrieben haben. Es ist auch richtig, dass wir die Schwierigkeiten für die Jugendlichen in einem Zeitraum, der kleiner als drei Monate ist, ausräumen wollen.
Ich muss zum Schluss kommen. Ich möchte aber eines noch einmal in Richtung Union sagen. Sie sprechen von lebenslangem Lernen. Sie haben einen Antrag eingebracht, in dem man wieder eine Wende feststellen kann, die wahlkampfbedingt ist. Wenn Sie lebenslanges Lernen und Bildung ernst nehmen, dann lassen Sie uns mehr in Bildung investieren. Geben Sie Ihre Blockade bei der Abschaffung der Eigenheimzulage auf!
Wenn Sie lebenslanges Lernen in den Betrieben ernst nehmen, dann hören Sie auf, den Kündigungsschutz schleifen zu wollen und das Prinzip des „hire and fire“ einführen zu wollen!
Wir brauchen Weiterbildung in den Betrieben. Das heißt, wir brauchen auch Kontinuität in der Beschäftigung. Die Wirtschaft und die Politik haben eine Verantwortung gegenüber den Jugendlichen und nicht umgekehrt.
Danke schön.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.
Ulrike Flach (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen haben uns heute einen Antrag vorgelegt, der wieder einmal die schöne heile Welt darstellen soll:
auf der linken Seite die Tollen und die Sozialen, die in die Zukunft schauen, und auf der rechten Seite diejenigen, die nur die Reichen erfreuen wollen und den anderen in diesem Land die Chancen verbauen wollen.
Mit dieser Legendenbildung werden wir heute aufräumen.
Chancen und Perspektiven für eine Bildungskarriere – Frau Bulmahn, das haben Sie eben sehr richtig gesagt – werden in der Schule und auch schon vor der Schule aufgebaut. Da stimme ich Ihnen zu. Wir haben aber alle in dieser Woche den „Spiegel“ gelesen, in dem aufbereitet wird, wie viel Deutschland für den Elementarbereich ausgibt. Wir geben gerade einmal 3 448 Euro pro Kind aus. Selbst in Italien, in einem Land, von dem der Durchschnittsdeutsche meint, dort laufe es nicht so richtig, werden 6 468 Euro pro Kind ausgegeben. Das ist das Doppelte. In Großbritannien sind es sogar 8 000 Euro pro Kind. Deutschland knausert bei den Kleinen und das gerade in den SPD-regierten Ländern.
Sie, Frau Bulmahn, haben eben wieder versucht, diese Entwicklung zumindest rein theoretisch ein bisschen zu banalisieren, und Sie haben davon gesprochen, dass Sie den Kommunen durch das Gesetz mit dem „wunderschönen“ Namen Tagesbetreuungsausbaugesetz 1,5 Milliarden Euro zukommen lassen wollen. Aber es ist völlig unklar, wie viel von diesem Geld ankommt, wie es verteilt wird und wer überhaupt jemals davon profitieren wird.
In Nordrhein-Westfalen kann Ihnen kein Mensch sagen, wie sich das überhaupt auf die Kommunen auswirken wird. Das ist doch die Realität. Das geschieht in einem Bundesland, in dem trotz des Rechtsanspruchs gerade einmal 84 Prozent der drei- bis sechsjährigen Kinder einen Kindergartenplatz bekommen. Im vorschulischen Bereich, in dem das Fundament für Bildung gelegt wird, haben wir eine Abdeckung von 2,3 Prozent. Das erinnert an ein Entwicklungsland, liebe Frau Bulmahn, und das ist ein SPD-geführtes Land.
Im Schulbereich haben Sie versucht, mit dem 4-Milliarden-Euro-Ganztagsschulprogramm gegenzusteuern. Das haben Sie eben erwähnt. Damals haben Sie „Zeit für mehr“ plakatiert. Fakt aber ist – auch das können Sie im „Spiegel“ dieser Woche nachlesen –, dass die Länder diese Mittel nicht abrufen. Da ist Nordrhein-Westfalen nicht vorneweg, wie Sie eben behauptet haben. Nur 23 Prozent der Mittel werden in NRW abgerufen.
An der Spitze steht Bremen. Mecklenburg-Vorpommern hat nur 20 Prozent der Mittel abgerufen. Berlin ist mit 46 Prozent toll; es ist ja auch toll verschuldet. Schleswig-Holstein hat 27 Prozent der Mittel abgerufen. Das alles sind SPD-regierte Länder, Frau Bulmahn. Sie stehen damit einer weitgehend geschlossenen Front von Verschleppern der Ganztagsschulbetreuung gegenüber – und das als SPD-Ministerin. Das sind alles Ihre Länder.
– Lieber Herr Tauss, jedes Jahr verlassen immer noch rund 80 000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Fast jeder zweite arbeitslose Jugendliche hat keine abgeschlossene Ausbildung. Nur knapp über 50 Prozent derjenigen, die keinen Sek-II-Abschluss haben, finden eine Beschäftigung. Damit erreichen wir den mageren Platz 20 unter 28 untersuchten Ländern, Frau Bulmahn.
Das können Sie doch nicht allen Ernstes als soziale Teilhabe in diesem Lande bezeichnen!
Sie haben eben die Bundesregierung gelobt – das steht Ihnen frei und das wird Ihnen wahrscheinlich auch niemand übel nehmen – und dabei die Hartz-Reformen hervorgehoben. Das mag zwar damals für Sie ein Kraftakt für die sozialdemokratische Seele gewesen sein – wir alle waren Zeuge –, aber bisher ist von gezielter Förderung und besserer Vermittlung nichts zu merken. Im Gegenteil: Neben den Zahlen, die Herr Laumann eben erwähnt hat, leben wir doch inzwischen mit der Tatsache, dass nach der Umgestaltung der Bundesanstalt für Arbeit die Berufsberatung der Arbeitsämter faktisch aufgegeben wurde.
Nun will ich nicht behaupten, Frau Bulmahn, dass wir Liberalen meinten, die Arbeitsämter müssten das alles tun. Aber Sie haben keinen neuen Weg aufgezeigt. Die Jugendlichen – gerade diejenigen, die besonders gestützt und gefördert werden müssen – erhalten durch die Arbeitsämter keine Beratung mehr. Ist das die soziale Teilhabe?
Sie tragen weiterhin die Ausbildungsplatzabgabe wie eine Monstranz vor sich her, Frau Bulmahn – in diesen Tagen geht aus der Presse hervor, dass Sie sie offensichtlich wieder für den Herbst androhen wollen –,
obwohl die Unternehmen Ihnen gezeigt haben, dass man in diesem Land gemeinsam in der Lage ist, gerade etwas für Jugendliche in diesem Alter zu tun.
Es gibt inzwischen 15 400 Ausbildungsplätze mehr – das sind 2,8 Prozent –, und zwar ohne eine Abgabe. Was haben Sie damals für diese Abgabe gekämpft, Frau Bulmahn. Wie viele Anhörungen in unserem Ausschuss haben wir durchführen müssen, bis Ihnen klar wurde, dass es so nicht geht.
Die Ausbildungsplatzabgabe und der dann erfolgte Pakt für mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Jugendliche
haben gezeigt, dass in diesem Lande nicht mit Druck oder einer Abgabe vorzugehen ist; vielmehr wird in diesem Fall im Einvernehmen mit den Unternehmen gehandelt. Denn sie – nicht der Staat – sind diejenigen, die die Arbeitsplätze schaffen.
Die Bundesregierung hat ein Berufsbildungsgesetz beschlossen – wir haben uns seinerzeit der Stimme enthalten –, das zumindest in die richtige Richtung ging. Sie haben aber dabei keine Verbesserung in den entscheidenden Punkten vorgenommen. Sie wollen nach wie vor die Ausbildungszeiten nicht in ausreichendem Maße verkürzen. Sie wollen nach wie vor nicht in der notwendigen Weise mit Modulen für benachteiligte Jugendliche arbeiten und Sie haben in dem einen Jahr nach der Verabschiedung des Gesetzes gerade zwei neue Berufe mit einer zweijährigen Ausbildung geschaffen.
Das kann ich nicht als Schritt in die Zukunft bezeichnen. Das ist wirklich nicht der Fall, Frau Bulmahn.
Wir als FDP wollen mehr Spielräume für die betriebliche Gestaltung in den Ausbildungsverordnungen schaffen. Sie hingegen setzen auf die weitere Verschulung. Wir wollen die Verkleinerung der Berufsbildungsausschüsse. Sie wollen das nicht. Wir wollen eine Erleichterung bei den Vorschriften über Sozialräume und eine flexiblere Handhabungsmöglichkeit für Unternehmen bei der Höhe der Ausbildungsvergütung.
All dies haben Sie auf Druck Ihres linken Flügels nicht machen können, Frau Bulmahn. Daraus ergeben sich die Probleme in diesem Bereich. In diesem Fall sind Sie nicht in der Lage, den Jugendlichen schnell und unbürokratisch das zu bieten, was sie brauchen, nämlich einen Arbeitsplatz und damit einen Platz in der Gesellschaft, damit sie mitmachen können.
Ich würde gerne noch etwas zu den Hochschulen ausführen, aber wir führen heute noch eine wunderschöne Debatte über das BAföG, in der wir uns gegenseitig etwas erklären können. Deshalb will ich nur Folgendes anmerken: Wir haben seit 1998 mit Ihnen viel erlebt. Wir haben von Ihnen viele tolle Reden
und Versprechungen gehört, Frau Bulmahn. Aber wie sieht die Realität aus? Realität ist, dass wir nach wie vor in einem Land leben, in dem die Leute, die mit einem goldenen Löffel geboren werden, bessere Chancen haben, während die Armen sehen müssen, wie sie sich eingliedern können.
Das ist die Bilanz der rot-grünen Regierung seit 1998.
Die Armen sind nach wie vor so weit von der Bildung entfernt, wie sie es 1998 waren. Deswegen ist es Zeit, dass sich die Situation am 22. Mai dieses Jahres – darin stimme ich Herrn Laumann zu – verändert. Nordrhein-Westfalen wird vorangehen und Berlin wird folgen.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion.
Klaus Brandner (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Aufbruch und Perspektiven – Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken“, das ist der Titel unseres Antrags, der deutlich macht, wofür Rot-Grün steht, kämpft und eintritt.
Heute Morgen durften wir gleich beim ersten Tagesordnungspunkt den Aufbruch miterleben. Bei der Wahl des neuen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe ist deutlich geworden, dass Sie selbst in den Kreisen der Opposition nicht geschlossen auftreten. Schließlich waren auch Sie von diesem qualifizierten Kandidaten überzeugt, sodass große Zustimmung aus Ihren Reihen kam. Das ist ein Stück Aufbruch.
Wir haben des Weiteren miterleben dürfen, dass wir in Nordrhein-Westfalen einen guten Wirtschafts- und Arbeitsminister haben. Er heißt Harald Schartau. Heute Morgen ist deutlich geworden: Zu ihm hat die Opposition keine Alternative zu bieten. Auch das muss festgestellt werden.
Wir müssen die Reformen, die wir mit der Agenda 2010 begonnen haben, engagiert fortsetzen. Das ist unser Auftrag. Mit „wir“ meine ich nicht nur die Regierung, sondern auch all diejenigen, die mit ihrer Arbeit in den Schulen, in den Kindergärten, bei den Bildungsträgern und in den Arbeitsgemeinschaften mithelfen, damit die Arbeitslosigkeit in diesem Land gesenkt wird. Junge Menschen in unserem Land brauchen eine Perspektive. Sie dürfen nicht ängstlich, sondern sie sollen mit Zuversicht der Zukunft entgegensehen, und zwar nach unserer Überzeugung ganz unabhängig davon, in welcher Lebenssituation sie sich befinden. Junge Menschen müssen eine Chance bekommen. Dafür steht Rot-Grün. Das wollen wir mit unserem Antrag noch einmal deutlich machen. Wir haben letztlich mit der Agenda 2010 die Zukunftsfähigkeit dieses Landes organisiert. Wir sind auf einem Weg, der letztlich die Chancen für junge Menschen deutlich verbessern wird.
Die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland hängt nach unserer Überzeugung nicht davon ab, wie lange und für wie viel – noch weniger – Geld in diesem Land gearbeitet werden muss. Denn eines will ich klar sagen: Wir können und wollen uns nicht mit Billiglohnländern messen lassen. Mit ihnen wollen wir nicht konkurrieren. Unser Grundsatz lautet: Wir wollen nicht billiger sein, sondern wir müssen besser sein. Das ist die Losung, mit der wir in die Auseinandersetzung gehen.
Lassen Sie mich klar sagen: Im Zuge der Dienstleistungsfreiheit ist es deshalb wichtig, dass wir nicht an der Spirale nach unten drehen. Vielmehr müssen wir auch in einer erweiterten EU Mindeststandards sichern. Die Opposition macht zwar interessante Aussagen. Aber während die einen wie Herr Laumann und Herr Stoiber Mindestlohn und Mindestbedingungen bejahen, sagen andere wie Frau Merkel und Herr Pofalla: unter keinen Umständen. Dieses Hott-und-Hü macht dieses Land noch nervöser und bietet keine Zukunftsperspektive. Ich will hier klar sagen: Wir stehen dafür, dass in diesem Land die sozialen Standards nicht der Globalisierung zum Opfer fallen.
Eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bedeutet für uns keine Spirale nach unten. Es geht nicht um weniger Lohn und längere Arbeitszeiten. Die Wettbewerbsfähigkeit hängt vielmehr von der Sicherung der Standortfaktoren ab. Dabei sind das Bildungsniveau, die Rechtssicherheit und die Zuverlässigkeit in dieser Gesellschaft ganz wesentliche Faktoren. Im Übrigen sehen das ausländische Investoren genauso. Diese beurteilen die Situation in Deutschland mehr und mehr positiv und loben sie. Das, was in Nordrhein-Westfalen geschieht, was Herr Rüttgers und Frau Merkel fordern, nämlich ohne Lohnausgleich länger zu arbeiten, ist nichts anderes als eine Aufforderung zum kollektiven Tarifbruch. Das muss deutlich gesagt werden. Das bringt dieses Land nicht nach vorne. Das machen wir nicht mit.
Wir treten dafür ein, dass die Teilhabe am sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben gewährleistet ist. Das ist für Sozialdemokraten oberstes Ziel.
Arbeit ist insbesondere für Jugendliche ein zentraler Teilhabefaktor; wie wir wissen, lösen sich nämlich andere Bindungen – Bindungen in Vereinen und Organisationen – immer stärker auf. Gerade deshalb ist die Möglichkeit, in Arbeit oder in einer Bildungsmaßnahme zu sein, für uns ein Faktor von grundlegender Bedeutung.
Herr Laumann, es ist nicht redlich, hier zu erklären – das will ich ganz deutlich sagen –: Ja, auch wir wollen, dass es berufsvorbereitende Maßnahmen gibt; auch wir wollen Angebote für die Jugendlichen schaffen; aber das alles muss steuerfinanziert werden. Erst sagen Sie, diese Maßnahmen seien nicht bei der Bundesagentur für Arbeit anzusiedeln, vielmehr sei dafür die gesamte Gesellschaft zuständig.
Dann sagen Sie: Lassen Sie uns das steuerfinanzieren. Gleichzeitig ziehen Sie tagaus, tagein in diesem Lande umher und sagen: Wir müssen Steuern senken; im Kern muss dieser Staat bei seinen überbordenden Ansprüchen zurückstecken. Auf der einen Seite fordern Sie, dass Beiträge nicht genutzt werden und dass diese Maßnahmen steuerfinanziert werden, und auf der anderen Seite sind Sie gegen irgendwelche sicheren Finanzierungsgrundlagen. Das ist ein Widerspruch. Hier muss ganz deutlich gesagt werden: Das ist nicht redlich.
Wir haben die Arbeitslosigkeit sichtbar gemacht. Wir sagen nicht: Es ist alles gut. Wir haben die Jugendlichen aus dem statistischen Dunkel herausgeholt. Es gibt rund 660 000 arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahre. 16 Prozent von ihnen haben keinen Schulabschluss. Im SGB-II-Bereich, also bei den Beziehern von steuerfinanzierten Grundsicherungsleistungen, ist sogar ein Drittel der Personen ohne Schulabschluss. 68 Prozent von ihnen haben keine Ausbildung. Viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Die Versäumnisse der Bildungs- und Zuwanderungspolitik der 80er- und 90er-Jahre lassen hier ganz deutlich grüßen.
Wie so oft ist dabei wieder einer durchgebrannt, Herr Laumann. Er sagt: 21 Prozent der Jugendlichen in NRW
gehören zu den Lernbehinderten und sind in Sonderschulen untergebracht. Richtig ist, dass 4,9 Prozent der Schüler Lernbehindertenschulen, also Sonderschulen, besuchen. Richtig ist aber auch, dass es auf diesem Gebiet im letzten Jahr eine Steigerungsrate von 21 Prozent gab. Das hat etwas damit zu tun, dass man diesen Personenkreis ganz besonders fördert. Auch deshalb wird dieses statistische Dunkel gelichtet. Wir widmen uns diesem Problem ganz konkret. Wir widmen uns den Menschen und wir banalisieren nicht und pauschalisieren nicht.
Wir sind dabei, die Umsetzung der Reformen zu optimieren. Die Einführung von Hartz IV hat trotz einer knappen Vorlaufzeit gut geklappt. Die CDU hat dieses Gesetz zwar mitbeschlossen, aber wenig mitgeholfen, es in die Praxis umzusetzen. Sie mäkelt: Eigentlich sollte die BA nicht zuständig sein; sie ist überfordert; die Kommunen sollten es machen. Ob das richtig ist, wird sich zeigen.
Aber es wird sich auch zeigen, ob es redlich ist, dass Sie in Bezug auf Ausschreibungsmaßnahmen sagen: Preis und Qualität müssen in den Vordergrund gerückt werden. Genau das hat Rot-Grün organisiert. Die BA hat am Anfang falsch gesteuert. Wir, nicht Sie, haben dafür gesorgt, dass Preis und Qualität im Vordergrund stehen. Es wird darum gehen, in die Vergabeordnung zum Beispiel die Tariftreue aufzunehmen. Ich bin gespannt, inwieweit Sie diesen Ansatz für einen fairen Wettbewerb mittragen.
An genau dieser Stelle kneifen Sie nämlich. In der Vergangenheit haben Sie all das verhindert, was dazu geführt hat, dass gerade ein geordneter Wettbewerb überhaupt stattfinden konnte. Hier stellen Sie sich hin und behaupten großspurig: Die Qualität gehört in den Vordergrund; nicht der Preis, sondern der Mensch muss Priorität haben. Hier muss deutlich gesagt werden: Das ist heuchlerisch.
Wir sind für eine intensive Betreuung. Wir wollen, dass auf 75 längere Zeit arbeitslose Jugendliche ein Ansprechpartner kommt. In NordrheinWestfalen beträgt dieses Verhältnis schon eins zu 78. Dort ist eine tolle Leistung erbracht worden. Ich will nicht sagen, dass da alles schon gut ist; schließlich müssen diese Jugendlichen noch weiter ausgebildet werden.
Wir stellen 6,55 Milliarden Euro zur Verfügung, damit diese Menschen eine Chance bekommen.
Dieses Beispiel sucht auf der ganzen Welt seinesgleichen. Unterstützen Sie diesen Prozess und mäkeln Sie nicht dauernd an ihm herum!
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Arbeitslosigkeit ist kein Problem Einzelner, sondern der gesamten Gesellschaft. Darum müssen wir alle mithelfen. Wir dürfen nicht immer nur auf den anderen zeigen, sondern wir alle, das heißt auch die Unternehmen, die Tarifpartner, die Menschen in den Jobcentern, in den Arbeitsagenturen, die Beschäftigungs- und Bildungsträger, müssen mithelfen, damit wir die Jugendarbeitslosigkeit zurückdrängen. Wenn ich von „wir“ spreche, dann meine ich, dass jeder Einzelne das zu seinem ganz privaten Anliegen machen muss, sei es bei der Mithilfe bei der Organisation von Arbeitsgelegenheiten oder Weiterbildungsmaßnahmen oder der Organisierung eines neuen Ausbildungsplatzes.
Präsident Wolfgang Thierse:
Kollege Brandner, Sie müssen zum Schluss kommen.
Klaus Brandner (SPD):
Das ist eine Gemeinschaftsaktivität, zu der wir gemeinsam stehen sollten. Dazu rufe ich Sie alle auf.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile Kollegin Maria Böhmer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD zeichnet in ihrem Antrag das Bild einer schönen neuen Welt. Nur: Die Realität sieht leider anders aus.
– Nein, das ist keine Schwarzmalerei. – Mehr als 660 000 Jugendliche sind arbeitslos.
Es gibt 5,2 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Das sind Fakten, an denen wir nicht vorbei können.
Die Jugendlichen, die uns heute auf der Tribüne im Deutschen Bundestag zuhören, wollen wissen, wie es weitergeht.
Sie wollen keine Warteschleifen, sondern ganz konkret die Chance auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz haben. Da ist ihnen mit Schönfärberei nicht gedient.
Ich will aus Ihrem Antrag zitieren. Sie schreiben:
Hartz IV sieht vor, hilfebedürftigen Jugendlichen unter 25 Jahren unverzüglich eine Ausbildung, Arbeit oder eine Arbeitsgelegenheit anzubieten.
Ich war wie viele von Ihnen in einer Arbeitsgemeinschaft, die vor Ort Hartz IV umsetzt. Ich habe mir die Statistik angesehen. Ich habe gefragt: Wie sehen die Einzelschicksale aus, die sich hinter diesen Zahlen verbergen? Die Mitarbeiter haben mir gesagt: Wir können es Ihnen nicht sagen. Uns fehlen die Daten. Wir sind noch nicht so weit. – Das bedeutet: Es ist gegenwärtig schier unmöglich, diesen Jugendlichen gegenüber das Versprechen einzulösen, mit ihnen eine individuelle Eingliederungsvereinbarung zu treffen.
Das Schicksal der vielen allein erziehenden Mütter und Väter ist besonders dramatisch.
Es gibt eine Riesenzahl von Alleinerziehenden, die nach Hartz IV besonderen Anspruch auf Kinderbetreuung haben.
Fragen Sie einmal in der Arbeitsagentur oder in der Kommune, ob man dort weiß, wie die reale Situation ist, und ob man Ihnen die Zahlen aufschlüsseln kann!
Fehlanzeige! Die Hilfe fehlt. Deshalb entspricht das, was Sie hier sagen, nicht den Tatsachen;
es entspricht nicht der Wirklichkeit in unserem Land.
1,1 Milliarden Euro werden von der Bundesagentur allein nur für die Förderung benachteiligter Jugendlicher in unserem Land ausgegeben. Der Kollege Laumann hat völlig Recht, wenn er den Blick auf diesen Punkt richtet. Das ist eine enorme Summe. Sie zeigt auch, dass vorher etwas schief gelaufen ist – in der Schule und im Elternhaus. Es kann nicht sein, dass wir immer nur reparieren. Wir müssen an den Wurzeln ansetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kinder eine bessere Bildung bekommen und dass die Erziehung im Elternhaus besser klappt. Das Ziel muss heißen: Ursachen der Bildungsmängel beseitigen, um nicht reparieren zu müssen.
Laut PISA haben 200 000 Schüler jedes Jahrgangs schwere Lese- und Schreibprobleme. 100 000 Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss. 85 000 von ihnen kommen aus der Hauptschule. Die BDA stellt fest: Mängel im Lesen, Rechnen und Schreiben sind genau so verbreitet wie fehlende Verantwortungsbereitschaft oder fehlendes Durchhaltevermögen.
Wenn Sie sich noch einmal mit der Nachvermittlungsaktion der Industrie- und Handelskammern des letzten Jahres befassen, dann werden Sie feststellen, dass ein Drittel der Kandidaten gar nicht erst erschienen war und dass nur 42 Prozent der Jugendlichen für eine berufliche Ausbildung geeignet waren. Das ist ein dramatisch schlechtes Zeugnis für das, was vorher in der Schule geschehen ist.
Wer genau darauf schaut, wie es um Bildungs- und Schulpolitik bestellt ist, erkennt: Die schlechtesten Ergebnisse – das zeigt PISA, das zeigt IGLU und das zeigt TIMSS – sind in den sozialdemokratisch regierten Ländern.
Sie sind mit dem Ziel angetreten, Chancengleichheit herzustellen. Das ist Ihnen nicht gelungen. Sie haben in Nordrhein-Westfalen das große Experiment Gesamtschule durchgeführt. Sie sind mit dieser Schule kläglich gescheitert.
PISA zeigt uns: Nirgendwo sind die Bildungschancen so stark vom sozialen Hintergrund abhängig wie in Nordrhein-Westfalen
und in keinem Bundesland sind die Leistungsunterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund so groß wie in Nordrhein-Westfalen.
Ein Viertel der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler dort kann nicht ordentlich lesen, schreiben und rechnen und mehr als jeder zehnte Hauptschüler in Nordrhein-Westfalen verlässt die Schule ohne Abschluss.
Das entspricht 244 kompletten Hauptschulklassen, die ohne Abschluss ins Leben gehen.
Angesichts dieser Situation und des Ausfalls von 5 Millionen Unterrichtsstunden streicht Nordrhein-Westfalen jetzt Lehrerstellen an Gymnasien, Hauptschulen, Realschulen, Gesamtschulen und Sonderschulen.
Das ist die Realität und nicht die schöne neue Welt, die Sie hier zeichnen.
Und wie wollen Sie diese Probleme lösen? Ich habe es hier von Frau Bulmahn gehört, als es um PISA ging. Wir haben die Auseinandersetzungen in Schleswig-Holstein und auf dem Berliner SPD-Parteitag vor wenigen Tagen erlebt und wir erleben es in Nordrhein-Westfalen. Gegen den Rat aller Experten wollen Sie die Einheitsschule durchsetzen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Lassen Sie ab von diesem Irrweg. Er führt Schüler in die denkbar schwierigste und schlechteste Ausgangssituation.
– Ich freue mich über Ihren Zuruf und möchte mit einer Aussage von Professor Baumert, Chef des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und einer der großen Bildungsexperten in unserem Land, darauf eingehen. Er bringt es auf den Punkt, indem er ganz deutlich sagt: Es geht nicht darum, die Schulstruktur umzustülpen, sondern vorhandene Schulsysteme intelligent zu nutzen.
An dieser Stelle scheitern Sie. Wir müssen die Hauptschule stärken.
Wir müssen Praxis in die Schule bringen. Wir brauchen die Verknüpfung von betrieblicher und schulischer Wirklichkeit. Wir können nicht schulmüde Schüler immer länger auf der Schulbank halten, sondern wir müssen ihnen die Chance geben, sich in der betrieblichen Praxis zu bewähren. Hierfür gibt es Beispiele: in Hessen die SchuB-Klasse, in Bayern und Baden-Württemberg die Praxisklassen. Diesen Beispielen muss man folgen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu Ganztagsschulen und zu frühkindlicher Bildung und Erziehung sagen. Wir unterstützen die Einführung von Ganztagsschulen in unserem Land. Diese Entwicklung muss gestärkt werden. Aber es darf kein Milliardenbluff sein, wie wir es im „Spiegel“ nachlesen können. Die Anwürfe gegenüber den CDU-regierten Ländern sind völlig falsch, wenn in Nordrhein-Westfalen von den bereitgestellten 297 Millionen Euro gerade einmal 23 Prozent abgerufen werden. Die Fehler sind in Ihrem eigenen Bundesland zu suchen, Herr Müntefering, und nicht bei der Union.
Sie sind auch dort zu suchen, wo es um die Qualität von Ganztagsschulen geht. Es ist nicht allein mit der Bereitstellung von Mittagessen, mit Hausaufgabenbetreuung und mit Betreuungsangeboten am Nachmittag wie Sport oder Theaterspiel getan.
Wer Ganztagsschulen in unserem Land will, der muss dafür sorgen, dass dort, wo Schule drauf steht, auch Schule drin ist. Das heißt: Wir brauchen Bildung in den Ganztagsschulen. Dafür werden sich die CDU- und CSU-regierten Länder einsetzen. Dafür ist es an der Zeit.
Dasselbe gilt im Bereich der frühkindlichen Bildung und Erziehung. Wir haben das Tagesbetreuungsausbaugesetz mitgetragen.
Wir haben an dieser Stelle aber auch deutlich gemacht: Der Ausbau der Kinderbetreuung in unserem Land darf finanziell nicht auf tönernen Füßen stehen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl?
Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU):
Ich gestatte natürlich gern der Frau Kollegin Kressl eine Zwischenfrage, weil es immer spannend ist, mit ihr zu diskutieren.
Nicolette Kressl (SPD):
Sehr geehrte Frau Kollegin Böhmer, das nette Kompliment wird mich nicht daran hindern, Sie zu fragen, nachdem Sie gerade behauptet haben, CDU-regierte Länder würden ihre Ganztagsschulen mit pädagogischem Personal ausstatten, warum beispielsweise die Kultusministerien weder in Niedersachsen noch in Baden-Württemberg
bereit sind, die von uns geförderten Ganztagsschulen auch nur mit etwas mehr pädagogischem Personal auszustatten.
In Baden-Württemberg wird sogar argumentiert, eine zusätzliche pädagogische Ausstattung sei nur für Schulen in sozialen Brennpunkten nötig. Das bedeutet eine Stigmatisierung von Ganztagsschulen. Ich finde, Sie sollten wirklich aufpassen, wie Sie argumentieren.
Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU):
Frau Kollegin Kressl, wir streiten hier nicht um die Tatsache, dass man pädagogische Konzepte braucht, dass man qualifizierte und motivierte Lehrkräfte im Ganztagsschulbereich braucht, dass es eine Umstellung hin zu wirklichen Ganztagsschulkonzepten geben muss, sondern wir streiten darüber, was in den Ländern passiert.
Dazu sage ich Ihnen als jemand, der aus dem Land Rheinland-Pfalz kommt, das ja sozusagen für die SPD die Vorreiterfunktion im Bereich der Ganztagsschulen übernommen hat, ganz deutlich:
Dort werden Vereine gebeten, die Nachmittagsbetreuung zu übernehmen. Dabei handelt es sich nicht um pädagogisch qualifizierte Kräfte.
Es handelt sich um Landfrauen – die ich sehr schätze –, die Kochkurse machen,
und Übungsleiter von Sportvereinen, die normalerweise Kurse für Erwachsene geben.
Nach den Besuchen, die ich in jüngster Zeit in Schulen gemacht habe, muss ich Ihnen sagen: Mittlerweile erklären mir die Schulleiterinnen und Schulleiter, dass sie endlich auf pädagogische Kräfte zurückgreifen wollen. Deshalb ist es notwendig, dass Sie vor Ihrer eigenen Haustür kehren und dort für Ordnung sorgen. Wir sorgen in den CDU-regierten Ländern dafür. Die von uns dort betriebene Schulpolitik ist ja auch von PISA, IGLU und TIMSS mit den besten Noten bewertet worden.
Ich möchte noch ein Wort zum Ausbau der frühkindlichen Bildung und Erziehung sagen. Wir brauchen Bildung von Anfang an. Da die Finanzen nicht stimmen – die versprochenen 1,5 Milliarden Euro sind bei den Kommunen nicht angekommen –, stehen die Kommunen mit dem Rücken zur Wand. Wir halten es aber für richtig, dass alle Anstrengungen unternommen werden, um Kinder früh, das heißt von Anfang an zu fördern. Was tut sich an dieser Stelle? Das Saarland ist beispielhaft vorangegangen, indem das dritte Kindergartenjahr beitragsfrei gestellt worden ist. Im Unterschied dazu müssen die Eltern im SPD-geführten Berlin bis zu 500 Euro für einen Ganztagsplatz zur Kinderbetreuung zahlen. Das führt zu Abmeldungen; das ist kontraproduktiv. Folgen Sie unserem Weg! Setzen Sie sich dafür ein, den Bereich des Kindergartens beitragsfrei zu stellen. Das gibt bessere Chancen im Bildungsbereich. Das schafft Möglichkeiten für Integration. Das führt dazu, dass Kinder von Anfang an eine gute Förderung erfahre können.
Zum Abschluss möchte ich an dieser Stelle noch ein Wort zu dem sagen, was Sie uns in den letzten Tagen böswilligerweise immer wieder unterstellt haben, nämlich dass wir das BAföG abschaffen wollten.
Ich sage Ihnen an dieser Stelle noch einmal in aller Deutlichkeit:
Wir wollen BAföG nicht abschaffen. Sie nehmen hier eine böswillige Unterstellung vor, um von Ihren eigenen Fehlern im Bildungsbereich und beim BAföG abzulenken.
Die Wahrheit ist: Seit 2001 sind die Bedarfssätze und die Freibeträge nicht mehr angehoben worden. Das ist die Wahrheit in Bezug auf die Förderung von Studierenden in unserem Land.
Deshalb sage ich: Es muss Schluss sein mit Schönfärberei. Es muss Schluss sein mit dem Verweigern von Analysen. Wir müssen uns die Fakten vor Augen führen und eindeutig handeln, damit Jugendliche in unserem Land eine Perspektive erhalten. Dafür brauchen wir einen Perspektivwechsel in der Politik. Der Anfang wird in Nordrhein-Westfalen gemacht. Dort werden die Bürgerinnen und Bürger die Weichen neu stellen. Wir werden für die Jugendlichen kämpfen. Uns wird das gelingen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Grietje Bettin.
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Schwarz-Weiß-Bilder, die Sie, liebe Opposition,
heute hier in der Debatte aufzeigen wollen, sind zwar einfach, aber sie helfen uns, gerade den Jugendlichen in unserem Land, in dieser Situation absolut nicht weiter. Konstruktive Lösungsansätze habe ich von Ihnen heute in der Debatte nicht gehört.
Aber es ist doch klar: Viele Rädchen, große und kleine, müssen in Deutschland, im Bund, in den Ländern und Kommunen, gedreht werden, damit wir unser Bildungs- und Ausbildungssystem an die Herausforderungen anpassen können. Wir sind uns hier hoffentlich alle darin einig, dass Bildungschancen Lebenschancen sind. Wir alle sind aufgefordert, gerade den Jugendlichen in diesem Land diese so notwendigen Lebenschancen mit auf den Weg zu geben. Jeder Mensch braucht, gerade in der Wissensgesellschaft, eine gute Erstausbildung und muss sein ganzes Leben lang ständig weiterlernen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.
Die vier Anträge, die wir heute hier gleichzeitig beraten, befassen sich mit den Rahmenbedingungen für ein Lernen in allen Lebensphasen. Ich will mich auf ein paar Kernpunkte beschränken. In dem Antrag der Koalition wird sehr deutlich, dass wir erhebliche Ressourcen für Jugendliche bereitstellen und die Rahmenbedingungen stark zugunsten der Wirtschaft verändert haben, um das Ausbilden attraktiver zu machen. Trotzdem haben wir in diesem Jahr wieder weniger Ausbildungsplätze als Ausbildungswillige. Wenn hier immer wieder mit mangelnder Ausbildungsreife argumentiert wird, ist das meiner Meinung nach sehr fadenscheinig.
In Sachsen zum Beispiel sind letztes Jahr 2 600 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz geblieben. Für ganze 85 Lehrstellen konnte kein geeigneter Bewerber gefunden werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein riesiges Problem, dass die Jugendlichen trotz des Ausbildungspaktes und trotz des absehbaren Fachkräftemangels so im Stich gelassen werden. Natürlich ist es verheerend, wenn fast ein Viertel aller Schulabsolventen das Lesen, Schreiben und Rechnen nicht beherrscht. Hier sind neben weiteren Reformvorhaben der Länder in Sachen Bildungspolitik auch Initiativen der Wirtschaft gefragt, die sich damit befassen, wie die Jugendlichen zu Fachkräften ausgebildet werden können. In fünf bis sechs Jahren werden wir diese Fachkräfte dringend benötigen.
Darüber hinaus ist es auch aus Sicht der Wirtschaft wichtig, dass alle Menschen Impulse und Möglichkeiten bekommen, ständig weiterzulernen. Der Weiterbildungsantrag der Union liest sich da gar nicht so schlecht; dort ist die Rede von Bildungssparen und Weiterbildungs-BAföG. Wenn Sie das ernst meinen würden, könnten wir in diesen Punkten sehr schnell einig werden. Aber Sie verweigern sich gleichzeitig total, wenn es um eine vernünftige Bildungsfinanzierung geht. Ich nenne nur das Stichwort Eigenheimzulage. Außerdem wollen Sie das BAföG eigentlich abschaffen. Glauben Sie im Ernst, Sie könnten dann ein Erwachsenen-BAföG einführen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Thema Hochschulfinanzierung wird heute Nachmittag in der BAföG-Debatte noch einiges gesagt werden; deshalb werde ich auf diesen Punkt jetzt nicht weiter eingehen. Aber wenn, wie der Bundespräsident sagt, „Vorfahrt für Arbeit“ gilt, dann müssen wir in diesem Sinne die entsprechenden Grundlagen schaffen. Die Grundlage für die Teilhabe am Arbeitsmarkt sind gerechte Bildungschancen. Es ist aber – das möchte ich abschließend noch einmal betonen – nicht allein die Politik, die für diese Chancen verantwortlich ist. Verantwortlich sind auch die Unternehmen, die sich mehr für die Zukunft der Jugendlichen einsetzen sollten,
statt immer nur das finanzielle Wohl ihrer Aktionäre im Auge zu haben.
Das ist meiner Ansicht nach verdammt kurzsichtig und das sollten wir ihnen nicht durchgehen lassen.
Danke schön.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch.
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS. – Der Genosse Müntefering geißelte gestern in einer Rede die „Macht des Kapitals“ und die „totale Ökonomisierung“. Das war eine wahrhaft revolutionäre Rede. Ich selbst fühlte mich von ihm dreimal links überholt.
Die Rede, Kollege Müntefering, klang radikal und klang vor allem nach Wahlkampf.
Nun ist die Bundesregierung zwar nicht allmächtig, aber es liegt doch in ihrer Macht, etwas gegen die Macht des Kapitals und gegen die totale Ökonomisierung zu tun.
Ich kann mich noch gut an den Wahlkampf in Niedersachsen erinnern. Der Spitzenkandidat der SPD forderte damals die Wiedereinführung der Vermögensteuer zur Finanzierung der Bildung. Der Kanzler lehnte ab. Seitdem habe ich aus SPD-Kreisen nichts mehr von der Vermögensteuer gehört und auch von den Grünen ist – trotz Parteitagsbeschluss zur Wiedereinführung der Vermögensteuer – gar nichts mehr zu hören.
Wir als PDS fordern die Wiedereinführung der Vermögensteuer und die Erhöhung der Erbschaftsteuer zur Finanzierung der Bildung. Ein Zehntel der Haushalte in unserem Land besitzt fast die Hälfte des gesamten Vermögens. Ich bin mir sicher, dass diese Haushalte schmerzfrei einen Beitrag für die Zukunft der Jugend leisten können und vielleicht sogar wollen.
Doch sie werden von der Bundesregierung nicht behelligt.
Wir als PDS wollen den breiten Zugang zur Bildung für alle Jugendlichen herstellen und sichern. Leider liegen die Studienchancen der Kinder aus Facharbeiterfamilien um das Vierzehnfache niedriger als die der Kinder von Selbstständigen. Wir als PDS wollen diese massive Ausgrenzung beenden.
Im Übrigen, meine Damen und Herren von der CSU, ist die Selektion nach Einkommensschichten laut einer OECD-Studie am stärksten in Bayern. Da Sie es sich sozusagen zum Hobby gemacht haben, landespolitische Themen im Bundestag zu behandeln, wäre es vielleicht auch einmal ein Thema für eine Aktuelle Stunde, warum denn in Bayern so früh aussortiert wird.
Die Kollegin Böhmer hat die SPD-Parteitagsbeschlüsse zur Einheitsschule angesprochen. Da sich die SPD gestern weggeduckt hat und sich nicht zu den Beschlüssen der Berliner SPD verhalten hat, darf ich Ihnen vielleicht einmal ganz kurz erklären, warum in der Berliner Landespolitik der rot-rote Senat sich für ein längeres gemeinsames Lernen ausgesprochen hat. Wissenschaftliche Untersuchungen, die es in vielen Ländern gibt, haben bewiesen, dass die Chancen in Bezug auf die spätere Ausbildung erhöht werden, wenn Kinder lange gemeinsam lernen. Viele Bildungspolitiker pilgern jetzt nach Finnland und schauen sich die Situation vor Ort an. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten. Ich denke, der Praxistest ist überzeugend ausgefallen und zeigt, dass eine frühe Selektion nicht sinnvoll ist. In Bayern ist, wie gesagt, diese Selektion besonders stark ausgeprägt.
Die Einführung von Studiengebühren und die Abschaffung des BAföG, wie von CDU und CSU gefordert, sind ein Irrweg. Sie führen zu einer weiteren Ausgrenzung der Jugendlichen. CDU und CSU schreiben in ihrem Antrag, Drucksache 15/4931, dass „Selbstverständlich ... Studienbeiträge sozial verträglich ausgestaltet sein müssen“.
Studiengebühren sind aber nicht sozial verträglich. Es gibt keine sozial verträglichen Studiengebühren. Wer selber davon nicht überzeugt ist, kann sich beispielsweise eine wissenschaftliche Ausarbeitung aus diesem Hause anschauen. Der Wissenschaftliche Parlamentsdienst hat in einer vergleichenden Studie festgestellt:
In keinem der untersuchten Staaten konnte schlüssig die Sozialverträglichkeit von Studiengebühren dargelegt werden… Auch das immer wieder vorgebrachte Argument, wonach Studiengebühren zu einem zügigeren Studienverlauf führen, konnte nicht belegt werden.
In den USA – sie werden von CDU und CSU gerne als Beispiel herangezogen – sind in den letzten zehn Jahren die Kosten staatlicher Colleges um fast 80 Prozent, die Einkommen aber nur um 38 Prozent gestiegen. Das motiviert nicht gerade zur Übernahme des amerikanischen Modells.
Wir als PDS beklagen nicht wie der Genosse Müntefering die Macht des Kapitals, sondern wir haben konkrete Finanzierungsvorschläge, die nur mutig umgesetzt werden müssen. Diesen Mut, Kollege Müntefering, muss die von Ihnen unterstützte Regierung aufbringen, wenn sie der Jugend eine Zukunft geben will.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Karin Roth.
Karin Roth (Esslingen) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit unserem heutigen Antrag zeigen wir die Zukunftsperspektiven der Jugend auf. Es geht in der Tat um die Frage: Wie schaffen wir es gemeinsam, jungen Menschen genügend Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen? Ich möchte ergänzen, dass es bei dieser Debatte auch darum geht, die Zukunftschancen der Unternehmen im Blick zu haben. Denn nicht ausgebildete Menschen bedeuten gleichzeitig Facharbeitermangel in der Zukunft.
Die negative demographische Entwicklung wird oft beschworen, aber ihre beschäftigungspolitischen Konsequenzen werden unterschätzt. Es droht ein Fachkräftemangel in der Industrie, im Handwerk und im Dienstleistungsbereich, wenn es nicht gelingt, allen Jugendlichen eine Ausbildung zukommen zu lassen. Das ist eine der größten Gefahren für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Der gemeinsame Ausbildungspakt der Bundesregierung und der Wirtschaft, die sich verpflichtet hat, allen Ausbildungswilligen und Ausbildungsfähigen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, ist dabei ein richtiger und wichtiger Ansatz.
Die positive Bilanz, die wir bisher zu verzeichnen haben, müssen wir auch in diesem Jahr erreichen, damit die Jugendlichen eine Ausbildungsperspektive haben. Nur so kann die Wirtschaft ihren Kräftenachwuchs sichern und nur so ist gewährleistet, dass eine Produktion mit einer hohen Produktivität und Qualität ermöglicht wird. Deshalb appelliere ich an die Wirtschaft, alles zu tun, damit die ausbildungsbereiten Jugendlichen auch in diesem Jahr nicht in unnötige Warteschleifen geschickt werden, sondern die Ausbildung erhalten, die sie auch brauchen. Wir erwarten, dass die Arbeitgeber ihre Verpflichtung aus dem Ausbildungspakt ohne Wenn und Aber erfüllen, und gleichzeitig setzen wir darauf, dass vermehrt Tarifverträge zur Schaffung von Ausbildungsplätzen abgeschlossen werden.
Auch das ist ein Hebel, um mehr Ausbildung zu erreichen.
Wer heute die Bildungspotenziale der Jugend verspielt, versündigt sich nicht nur an dieser Generation, sondern gleichzeitig auch am gesamten Wirtschaftsstandort. Es geht also um die Wahrnehmung von Verantwortung und dabei vor allem um Verantwortung im Bereich der Wirtschaft. Wir haben die Rahmenbedingungen dafür gesetzt. Das Berufsbildungsgesetz wurde modernisiert und zum ersten Mal sind die Berufsausbildungsgänge auch international anerkannt. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Europa.
Mit unserem Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen – man muss betonen: es geht um behinderte Jugendliche – haben wir es geschafft, betriebliche und überbetriebliche Ausbildung besser zu verzahnen. Jetzt sind die Unternehmen an der Reihe, diese Jugendlichen auch einzustellen, damit diesen benachteiligten Jugendlichen eine Zukunftschance gewährt wird.
Zum ersten Mal haben wir als Regierung die Verpflichtung übernommen, in einem Gesetz einen Rechtsanspruch für Jugendliche unter 25 Jahren auf Vermittlung in Ausbildung, Arbeit und Beschäftigung festzuschreiben. Vorher hat das noch keine Bundesregierung getan. Wir haben das wohl wissend, dass das eine wichtige Zukunftsaufgabe ist, getan.
Bei den arbeitslosen Jugendlichen setzen wir ganz besonders auf die Förderung von benachteiligten Jugendlichen. Deshalb, Herr Laumann, verstehe ich gerade nicht, dass Sie die benachteiligten Jugendlichen nicht fördern wollen, sondern die Finanzierungsfrage in den Mittelpunkt stellen. Sie wissen ganz genau: Im Rahmen von SGB II werden die Jugendlichen aus Steuermitteln und nicht aus Beitragsmitteln finanziert. So viel Ehrlichkeit muss sein.
Es ist auch richtig, dass die Berufsvorbereitungsmaßnahmen zum Teil aus dem SGB III finanziert werden.
Aber die jugendlichen Empfänger von Arbeitslosengeld II erhalten Eingliederungsmaßnahmen aus Steuermitteln. Dafür haben wir gesorgt und nicht Sie.
In diesem Zusammenhang geht es auch um die Vermittlung von Sprachkompetenz. Auch das haben wir gemacht: In unseren Maßnahmen ist die Vermittlung von deutscher Sprachkompetenz vorgesehen. Natürlich haben Sie Recht, dass es besser wäre, wenn die Länder in diesem Bereich ihre schul- und bildungspolitischen Aufgaben wahrnehmen würden.
Aber genau so richtig ist, dass wir, wenn es den Ländern nicht gelungen ist, das zu machen, diese Aufgaben übernehmen. Wir können doch nicht die Jugendlichen im Stich lassen, nur weil die Bildungspolitik versagt hat.
– Natürlich die Länder. Ich denke hier beispielsweise an Baden-Württemberg, das Land, aus dem ich komme.
Es geht darum, Eingliederungsmaßnahmen für Jugendliche zu organisieren, und darum, dass die Träger der Jugendhilfe und der Wirtschaft jetzt gemeinsam vor Ort regionale Ausbildungs- und Beschäftigungsinitiativen starten. Sie sollten uns dabei vor allen Dingen in den Regionen unterstützen. Sie sollten nicht blockieren und mäkeln, sondern die Unternehmen gemeinsam mit uns auffordern, die Jugendlichen zu integrieren.
Ein letzter Punkt, der wichtig ist.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Nein, Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit leider schon überschritten. Bitte nur noch einen Schlusssatz!
Karin Roth (Esslingen) (SPD):
Schade, ich hätte so gerne noch gesagt,
dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein wichtiger Punkt ist und dass deshalb Jugendliche, insbesondere junge Frauen, vorrangig –
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Frau Kollegin!
Karin Roth (Esslingen) (SPD):
– Tagesplätze zur Betreuung ihrer Kinder erhalten sollten.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Scheuer.
Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Wichtigkeit dieser Jugenddebatte sieht man an der Präsenz der Regierungsmitglieder: Nicht einmal die zuständige Ministerin, die Jugendministerin, ist anwesend; sie hat sich während dieser Debatte fortgeschleppt. Das ist wirklich traurig, traurig, traurig.
Man kann nur drei Vermutungsvarianten anstellen, weshalb die Koalition ihren Antrag in dieser Form in den Deutschen Bundestag eingebracht hat. Entweder haben erstens die Fachpolitiker von Rot-Grün über Ostern ihr Büro entrümpelt und noch schnell einen Antrag geschrieben. Oder die Jugenddebatte, angestoßen durch die CDU/CSU-Fraktion am 11. März 2005, hat Rot-Grün zweitens so wachgerüttelt, dass man sagte: Mein Gott, wir müssen vor der Landtagswahl in NRW auf diesem Gebiet noch etwas machen. Oder die Panik vor der Landtagswahl in NRW ist bei Ihnen drittens so groß, dass Sie sich an jeden Strohhalm klammern. Aber die Jugend in Deutschland bzw. in NRW wird die Zukunft wählen und Sie damit abwählen.
Sie belügen sich doch selbst mit Ihren vielen Allgemeinplätzen und Ihrem Schönreden in Ihrem Antrag. Betrachtet man die Ausführungen, so stellt man fest, dass alles schön ist und in perfekten Bahnen läuft. Tenor dieses Antrages ist: Es sind im Bildungsbereich umfassende und weitreichende Reformen erfolgt. Voraussetzungen für mehr Wachstum sind geschaffen worden. Der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt für junge Menschen unter 25 Jahren floriert. Die Ganztagsschulen werden bis 2007 in neuem Glanz erstrahlen.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, von welchem Land reden Sie eigentlich in Ihrem Antrag?
Das ist wirklich peinlich.
Wenn man dann noch auf der Homepage der SPD die Programmdebatte verfolgt,
dann stellt man fest: Sie haben sich ein stolzes Programm vorgenommen. Es ist nur bitter, dass in all den Sitzungen, die in diesem Zusammenhang durchgeführt wurden – es sind insgesamt sechs, wenn ich es richtig sehe –, kein einziges Mal der Punkt „Jugend“ vorkam. Das spricht Bände.
Ein aufmerksamer Leser wird den Text weiter analysieren. Ich nehme gerne einen Zuruf meiner grünen Kollegin Dümpe-Krüger aus der letzten Debatte zu diesem Thema auf, die gesagt hat: Lesen bildet! Auf Ihren Antrag trifft das leider nicht zu. Dort wird ausgeführt, „dass die Bundesregierung … mit der Agenda 2010 einen Schwerpunkt auf Bildung und Innovation gelegt und seit 1998 die Bildungspolitik im Rahmen ihrer Zuständigkeit als eine zentrale Aufgabe wahrgenommen … hat …“
Meine Damen und Herren, damit rechnet eigentlich jeder Bürger und jede Bürgerin. Das ist Regierungsverantwortung. Das muss eine Selbstverständlichkeit sein und sollte kein Allgemeinplatz sein, wie es in Ihrem Antrag der Fall ist.
Entscheidend ist, dass wir gemeinsam um die besseren Konzepte streiten. Aber wo sind die umfassenden Reformen? Wo ist die Diskussion zur Ausbildungsfähigkeit von Jugendlichen durch strukturelle Ansätze? Sie lassen wegen der Bildung sogar die Föderalismuskommission scheitern.
Dieses maßgebliche staatspolitische Reformprojekt ist doch an der Bundesbildungsministerin, SPD, und dem Noch-Ministerpräsidenten in NRW, Peer Steinbrück, auch SPD, gescheitert,
weil Sie das Bildungsthema für 2006 brauchen, um Wahlkampf zu machen. Damit missbrauchen Sie die Anliegen der jungen Generation.
Die bahnbrechenden Errungenschaften der Agenda 2010 verkommen zunehmend zu einer Werbekampagne. Ich habe hier eine Anzeige aus einer deutschen Tageszeitung in einer Kopie. Im Original ist die Anzeige vierfarbig. Diese Anzeige zur Agenda 2010 kostet montags bis freitags ganzseitig und farbig jeweils 60 610 Euro. In der Samstagsausgabe kostet sie 8 000 Euro mehr. Die Bürgerinnen und Bürger, die diese Debatte verfolgen, können sich vorstellen, was Sie mit den Steuergeldern machen. Mit 60 000 Euro, multipliziert auf viele Tageszeitungen, könnte man zahlreiche Ausbildungsmaßnahmen durchführen.
Der „Spiegel“ ist in dieser Debatte schon des Öfteren mit dem Milliardenbluff angeführt worden. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Müntefering, wird mit den Worten zitiert, dass die Ganztagsschulen eine wirkliche Großtat sind. Aber, meine Damen und Herren, Sie geben sich schon mit kleinen Dingen zufrieden. Wenn man die Trauermiene des zuständigen Wirtschaftsministers Clement bei der Bekanntgabe der Arbeitslosenstatistiken richtig deutet, dann hat er das berauschende Tremolo, das sich auch in Ihrem Antrag findet und in dem das in vielen Punkten ausgemalt wird, anscheinend noch nicht so richtig mit bekommen. Vielleicht müsste man ihm Aufklärung geben.
Der Fraktionsvorsitzende Müntefering hat ja den Saal leider schon verlassen.
Er wirbt ja immer mit dem Satz: Wir machen Tempo. – Aber bei Ihnen ist die Frage: Wohin? Auf der einen Seite sprechen Sie von Entbürokratisierung; auf der anderen Seite macht man ein Antilehrstellen-, ein Antiausbildungsplatz-, ein Antijugendgesetz. Denn nichts anderes ist doch das Antidiskriminierungsgesetz. Es ist eben scheinheilig, wenn Sie dann von Entbürokratisierung reden.
Deutschland muss sich bewegen, damit die Jugendlichen in unserem Land wieder eine gute Zukunft haben. Bewegen muss sich Deutschland auf einem klaren Kurs; den haben Sie nicht, den haben wir. Das spüren die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land und werden Sie abwählen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ute Berg.
Ute Berg (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verkneife es mir jetzt, auf die Polemik-pur-Rede meines Vorredners einzugehen. Das lohnt sich einfach nicht.
Ich konzentriere mich bei der heutigen Debatte über die Zukunftschancen für Jugendliche abschließend besonders auf die Gruppe der jungen Menschen, die ein Studium aufnehmen wollen. Da muss ich schon sagen: Bei Ihren Anträgen zur Hochschulpolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, beschleicht mich manchmal das Gefühl, in einer Zeitschleife gefangen zu sein. Ich dachte eigentlich immer, das gibt es nur beim Raumschiff „Enterprise“, aber Sie haben mich eines Besseren belehrt. Sie spulen hier mit großer Verlässlichkeit immer wieder dasselbe Programm ab: Erst klopfen Sie dem Bund auf die Finger, wenn er die Hochschulen unterstützen will, und dann fordern Sie vom Bund ebendiese Unterstützung ein.
Auch Ihrem heutigen Antrag zur Studienfinanzierung liegt diese Logik wieder zugrunde: Sie schreiben richtig, dass laut Bundesverfassungsgericht die Länder für Studiengebühren zuständig sind. Im nächsten Absatz legen Sie der Bundesregierung eine „to do“-Liste zur Umsetzung von Studiengebühren vor. Dabei behaupten Sie: Wenn es Studiengebühren gäbe, bekämen die Hochschulen mehr Geld. Genau das ist aber äußerst fraglich. Wer garantiert denn, dass das Geld aus Studiengebühren wirklich bei den Hochschulen ankommt?
Einnahmen aus Studiengebühren dürfen nicht an einen bestimmten Zweck gebunden werden; das ist juristisch nicht möglich, wie der Tübinger Rechtsprofessor Kirchhof gerade letzte Woche noch einmal betont hat, derselbe Herr Kirchhof im Übrigen, der den Vorsitzenden Ihres Fanclubs für Studiengebühren, den Minister Frankenberg aus Baden-Württemberg, berät. Wer garantiert denn, dass die Finanzminister der CDU/CSU-regierten Länder die Millionen, die sie den Studierenden aus der Tasche ziehen, nicht peu à peu bei ihren Hochschulausgaben kürzen? Die Erfahrungen in Österreich, Australien oder Großbritannien haben gezeigt, dass das, was durch Studiengebühren hineinkommt, mittelfristig bei den staatlichen Ausgaben zurückgefahren wird. Damit kommen die Unis dann letztlich auf plus/minus null und die Studierenden müssen das teuer bezahlen.
Das scheint Sie aber nicht abzuschrecken, meine Damen und Herren von der Opposition. Sie wollen trotzdem Studiengebühren einführen, und das auch noch sozialverträglich, wie Sie sagen. Bis heute hat aber keiner von Ihnen ein durchdachtes Konzept vorgelegt, wie das wirklich sozialverträglich funktionieren kann.
Das Einzige, was Ihnen mal wieder einfällt, ist, am Rockzipfel des Bundes zu zupfen.
Der Bund soll für Sie das Konzept eines Kreditsystems entwerfen und die Ausfallbürgschaften für das Geld, das nicht zurückgezahlt wird, übernehmen. Aber damit beißen Sie bei uns auf Granit. Denn auf diesem Wege würde viel Geld dafür ausgegeben, Studierwillige aus finanzschwachen Elternhäusern mehr und mehr vom Studium abzuhalten.
Aber was kümmert das die Union? Wie wir letzte Woche gehört haben, will Frau Schavan auch noch das BAföG abschaffen.
Unter Sozialverträglichkeit verstehe ich etwas anderes.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schaaf?
Ute Berg (SPD):
Gern.
Anton Schaaf (SPD):
Sehr geehrte Frau Kollegin Berg, ich unterbreche Ihre gute Rede ausdrücklich ungern. Da Sie aber aus Nordrhein-Westfalen kommen, möchte ich Ihnen gern zwei Fragen stellen. Erstens. Kollege Laumann hat wortgewaltig, pathetisch und mit einer Miene, die einen zum Weinen bringt, verkündet, dass in Nordrhein-Westfalen pro Jahr 5 Millionen Unterrichtsstunden ausfallen. Würden Sie dem Kollegen Laumann, der das offensichtlich nicht weiß, bitte erklären, wie viel Prozent des insgesamt erteilten Unterrichtes das entspricht, und das mit anderen Bundesländern vergleichen?
Zweitens. Kollegin Flach hat gesagt, dass die für das Ganztagsschulprogramm in Nordrhein-Westfalen bereitgestellten Gelder nur in geringem Umfang abgerufen werden. Könnten Sie mir vielleicht bestätigen, dass insbesondere sozialdemokratisch geführte Kommunen diese Gelder sehr wohl in großem Umfang abrufen, dass aber CDU-geführte Kommunen dies – offensichtlich aus ideologischen Gründen – nicht tun?
Ute Berg (SPD):
Wie Sie sich denken können, freue ich mich über diese Zwischenfragen des Kollegen Schaaf,
weil er mir damit die Möglichkeit gibt, auf die von Herrn Laumann genannten Wahrheiten, Halbwahrheiten und Unwahrheiten einzugehen und das, was Frau Kollegin Flach gesagt hat, geradezurücken.
Sie von der CDU plakatieren in Nordrhein-Westfalen ganz groß, dass pro Jahr 5 Millionen Unterrichtsstunden ausfallen. Was Sie aber nicht sagen – das ist wirklich verdammt unredlich –, ist, dass diese Zahl 5 Prozent der Stunden, die insgesamt erteilt werden, entspricht. Damit liegt Nordrhein-Westfalen genau im Schnitt aller Bundesländer. Insofern wird hier wieder einmal ein Popanz aufgebaut, der wunderbar in das Konzept der CDU passt.
Nun zu dem, was Frau Flach erzählt hat. Frau Flach, es tut mir Leid, dass auch Sie zu einer Verzerrung beigetragen haben; denn das Ganztagsschulprogramm wird in Nordrhein-Westfalen besonders gut angenommen. Das haben Sie nicht gesagt. In den Jahren 2003 und 2004 beteiligten sich bereits 785 Schulen an diesem Programm. Damit liegt das Bundesland Nordrhein-Westfalen an der Spitze. Das ist doch schon einmal etwas.
– Doch.
Jetzt möchte ich meine Rede fortsetzen. Ich komme noch einmal auf das Problem der Sozialverträglichkeit zu sprechen und möchte untermalen, was wir damit verbinden. Wir müssen Bildungshunger fördern und den jungen Menschen Zukunftsperspektiven eröffnen. Aber wir dürfen nicht, wie ich bereits ausgeführt habe, durch Studiengebühren neue Hindernisse aufbauen.
Das BAföG gehört zu einer Reihe von Instrumenten und Maßnahmen, die eingeführt wurden, um die Beteiligung an Bildung für alle zu erhöhen. Dazu gehören eine intensivere Betreuung und Förderung von Kindern bereits im Vorschulbereich, eine stärkere individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern in Ganztagsschulen – das hatte ich bereits ausgeführt –, eine Modernisierung der Berufsausbildung, eine Erweiterung des Ausbildungsplatzangebotes durch den Pakt für Ausbildung und eine intensivere Unterstützung benachteiligter und arbeitsloser Jugendlicher.
Frau Böhmer, da Sie Herrn Professor Baumert zitiert haben, möchte auch ich eine Aussage von ihm anführen. Er sagt, dass Arbeiterkinder in keinem anderen Bundesland so schlechte Bildungschancen wie in Bayern haben;
auch das müssten Sie einmal sagen. Dort haben sie sechsmal schlechtere Chancen, das Abitur zu schaffen, als Kinder aus Akademikerfamilien.
Wie ich gerade sehe, blinkt die Leuchte am Rednerpult, sodass ich zum Schluss kommen muss.
Abschließend appelliere ich an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Unterstützen Sie uns dabei, allen jungen Menschen in diesem Land unabhängig von ihrer sozialen Herkunft eine realistische Chance auf eine qualifizierte Ausbildung und Arbeit und damit auf eine selbstbestimmte Teilhabe an unserer Gesellschaft zu geben!
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Laumann das Wort.
Karl-Josef Laumann (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kollegin Berg, zunächst einmal bin ich Ihnen dankbar, dass Sie als Lehrerin und als Sozialdemokratin aus Nordrhein-Westfalen bestätigt haben, dass dort 5 Millionen Unterrichtsstunden im Jahr ausfallen.
Gerade als Lehrerin wissen Sie ja, was der Ausfall von Unterrichtsstunden für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für die Planbarkeit eines Familienlebens bedeutet. Auch meine drei Kinder gehen zurzeit in Nordrhein-Westfalen zur Schule, noch dazu auf unterschiedliche Schulen. Man kann sich auf eins verlassen: dass man nie genau weiß, wann sie mittags wiederkommen.
Wenn Sie sagen, diese 5 Millionen Unterrichtsstunden sind nur 4 Prozent, und das als eine Petitesse darstellen, dann zeigt das, dass Sie die Probleme in Nordrhein-Westfalen nicht erkennen.
Deswegen geht es in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai auch um eine Mehrheit für eine Politik, die 4 000 zusätzliche Lehrer einstellt, um überhaupt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Unterricht in diesem Land in aller Differenziertheit und in ausreichender Menge erteilt werden kann.
Das wiederum ist die ganz entscheidende Voraussetzung dafür, dass möglichst viele Kinder am Ende ihrer Schulzeit lesen, rechnen und schreiben können, was wiederum die Voraussetzung für eine Berufsausbildung ist.
Schönen Dank.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Frau Berg, bitte.
Ute Berg (SPD):
Sehr verehrter, lieber Herr Laumann, ich bin froh, dass Sie durch Ihren letzten Beitrag noch einmal unterstrichen haben, dass es Ihnen hier gar nicht um Ihre Politik als Bundestagsabgeordneter geht, sondern einfach darum, eine flammende Wahlkampfrede, gespickt mit ganz vielen Unwahrheiten, an den Mann zu bringen.
Jetzt zu Ihrer Intervention: Sie haben praktisch das ausgeführt, was ich Ihnen eben schon erläutert habe. Sie haben wieder von 5 Millionen Unterrichtsstunden, die ausfallen, gesprochen. Das bestreitet keiner. Aber ich habe es in Relation zum Unterrichtsausfall in anderen Bundesländern gesetzt; ich habe Ihnen aufgezeigt, welchem Prozentsatz das letztlich entspricht. Ich sage Ihnen jetzt noch einmal, damit Sie es verstehen:
Nordrhein-Westfalen liegt damit absolut im Schnitt aller Bundesländer. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis und unterlassen Sie an dem Punkt Ihre Polemik und Ihre Hetze gegen die NRW-Landesregierung!
Genau so, wie Sie Partei für Ihre Union ergreifen, unterstütze ich meine Landesregierung,
die eine sehr gute Politik macht.
Zum Zweiten, das Sie vorgebracht haben: Ihre armen Kinder kommen immer zu völlig unabsehbaren Zeiten nach Hause. Ich weiß nicht, wie alt Ihre Kinder sind – ich will es im Moment auch gar nicht wissen –, aber generell ist es so, dass wir in Nordrhein-Westfalen die Verlässliche Grundschule haben. Wenn Eltern also auf verlässliche Zeiten angewiesen sind, können sie ihre Kinder in die Verlässliche Grundschule schicken.
Im Übrigen, mein lieber Herr Laumann,
haben wir das Ganztagsschulprogramm angestoßen, damit genau das, was Sie gerade moniert haben, in Zukunft immer weniger passiert. Wir wollen, dass die Kinder zuverlässig den Tag in der Schule sind, betreut und gefördert werden.
Ich nehme an, dass Sie nach der Erkenntnis, die Sie gerade geäußert haben, jetzt mit fliegenden Fahnen auf unseren Zug aufspringen und uns unterstützen werden.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/5255, 15/5259, 15/5024 und 15/4931 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
Keine Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber China
– Drucksache 15/5103 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Auswärtiger AusschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Widerspruch höre ich keinen. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Schäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! China ist ein wichtiges Land mit wachsender Bedeutung. Die Gestaltung der Zusammenarbeit, die Entwicklung der Beziehungen mit China und die Einbeziehung von China in die internationale, globale Zusammenarbeit und Verantwortung sind in unser aller Interesse. Das gilt sowohl wirtschaftlich als auch politisch.
China ist auch ein wichtiger und notwendiger Partner im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegen die Proliferation von Nuklearwaffen und gegen all die vielen globalen Risiken, Spannungen und Spaltungen, die im Bericht von Kofi Annan so eindrucksvoll beschrieben sind. Das sehen die Europäer und die Amerikaner, die Vereinigten Staaten von Amerika, in der gleichen Weise.
Das Eintreten für Zusammenarbeit und die Entwicklung der Beziehungen dürfen aber nicht in einen Gegensatz zum Eintreten für Menschenrechte und Demokratisierung gebracht werden. Es ist immer falsch, wenn man das eine gegen das andere ausspielt.
Das ist kein Widerspruch, sondern das eine bedingt das andere. In den Jahren vor dem Fall des Eisernen Vorhangs und vor dem Ende des Ost-West-Konflikts haben wir in Europa übrigens gute Erfahrungen damit gemacht. Immer dann, wenn wir die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Eintreten für unsere grundsätzlichen Überzeugungen richtig verbunden haben, waren wir erfolgreich.
Das ist übrigens im Interesse der Länder selbst. Wir treten gegenüber Russland und China ja nicht nur deshalb für die Menschenrechte und für die Demokratisierung ein, weil wir davon überzeugt sind und weil es unserem Interesse entspricht, sondern weil das nach unserer festen Überzeugung auch dem langfristigen Interesse Russlands so sehr wie dem der Volksrepublik China entspricht.
Herr Bundeskanzler, deswegen ist es falsch, dass Sie den Eindruck einer nicht ausbalancierten Politik gegenüber China und Russland erwecken. Im Zeichen der Hannover-Messe haben wir in diesen Tagen die großen Meldungen und schönen Bilder über große Verträge gesehen, zum Beispiel auch die von Siemens. Heute lesen wir in den Zeitungen vom großen Rückschlag von Siemens in Bezug auf Russland. Das zeigt: Eine Politik, die nicht beide Seiten langfristig in der Balance und im Miteinander hält, wird den wirtschaftlichen Interessen unseres Landes nicht dienen, sondern das Gegenteil bewirken. Eine situative, opportunistische Politik dient den langfristigen Interessen unseres Landes politisch und wirtschaftlich nicht.
In diesem Grundraster muss sich unsere Politik in Bezug auf Waffenlieferungen und das Waffenembargo, das die Europäische Union 1987 als Reaktion auf die Vorgänge auf dem Platz des Himmlischen Friedens verhängt hat, bewegen.
– Richtig, 1989.
Wenn ich nun lese, was in der Sitzung der SPD-Fraktion am heutigen Vormittag gesagt wurde – –
– Nein, aber mir liegt eine dpa-Meldung vor. Es gibt ja glücklicherweise Medien, die bestimmte Dinge veröffentlichen.
– Ich bitte Sie, bleiben Sie doch völlig entspannt. – Die Meldung der Deutschen Presse-Agentur von 9.03 Uhr lautet:
Kanzler: Fühle mich an EU-Beschluss gebunden
Bundeskanzler Gerhard Schröder fühlt sich im Streit um die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber China an den entsprechenden Beschluss der EU-Regierungschefs gebunden.
Wie Teilnehmer einer SPD-Fraktionssondersitzung am Donnerstag berichteten, habe der Kanzler deutlich gemacht, dass er als deutscher Regierungschef diesen Beschluss mitvertreten müsse. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten im Dezember beschlossen, auf eine Aufhebung des Embargos hinzuarbeiten. Auf die Menschenrechtsfrage und auch Chinas jüngste Drohungen gegenüber Taiwan sei der Kanzler nicht eingegangen, hieß es.
Genau das ist der Ausdruck dieser nicht ausbalancierten Politik, die der Zusammenarbeit mit China und unseren Interessen schadet. Das ist der falsche Weg.
– Ich rede nach der SPD-Fraktionssitzung. Im Übrigen spreche ich als Erster in dieser Debatte, weil ich unseren Antrag begründe, dem Sie gerne zustimmen würden, da Sie, wie wir aus vielen Quellen wissen, sagen, dass man das EU-Embargo gegenüber China bis auf weiteres nicht einseitig aufheben sollte, sondern auf eine Politik hinwirken sollte, die beides in der richtigen Weise miteinander verbindet.
Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, dass sich seit den Vorgängen auf dem Platz des Himmlischen Friedens vieles in China weiterentwickelt und verändert hat. Natürlich ist aber auf der anderen Seite auch wahr, dass insbesondere Amnesty International, aber auch viele andere sagen: In der Menschenrechtsfrage sind die Dinge in China nicht so, wie wir es China im eigenen Interesse wünschen und wie wir dafür eintreten müssen. Ich zitiere aus dem letzten Länderbericht von Amnesty International, der mir vorliegt:
... in vielen Bereichen hat sich die Menschenrechtssituation in der Volksrepublik China nicht grundlegend gebessert, in manchen ist sogar eine deutliche Verschlechterung zu verzeichnen. Weiterhin wird jede Form von Opposition unterdrückt und gehören schwere Menschenrechtsverletzungen zum Alltag. ... Zwar hat sich die chinesische Führung in der Frage der Menschenrechte offener gezeigt, jedoch hat sie kaum Maßnahmen getroffen, die geeignet wären, den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu bereiten und Menschen wirksam vor Übergriffen zu schützen.
All das wissen wir und auch Sie wissen das. Wir sollten darüber nicht hinwegtäuschen und hinwegsehen. Das hat der Deutscher Bundestag Ende vergangenen Jahres gemeinsam zum Ausdruck gebracht. Das hat das Europäische Parlament zum Ausdruck gebracht. Das haben vor kurzem deutsche Abgeordnete aller Fraktionen des Europäischen Parlaments dem Bundeskanzler noch einmal geschrieben. Darüber sollten wir uns nicht hinwegsetzen.
Herr Bundeskanzler, die Darstellung, Sie fühlten sich nur an einen Beschluss des Europäischen Rats vom Dezember letzten Jahres gebunden, ist eine gewisse Verschiebung der Tatsachen. Es ist doch so gewesen, dass Sie bei Ihrer Reise nach China vor dem Beschluss des Europäischen Rats einseitig verkündet haben, dass Sie für eine Aufhebung des Beschlusses der Europäischen Union sind. Auf die Frage, ob das in der Europäischen Union abgestimmt sei, haben Sie geantwortet, Sie hätten das mit Herrn Chirac besprochen. Das ist eine Art, die anderen Länder in Europa gegen die deutsch-französische Zusammenarbeit aufzubringen. Das ist die falsche Europapolitik.
Auch diesen Beschluss muss man hier einmal zitieren. Der Europäische Rat hat am 16./17. Dezember des letzten Jahres beschlossen:
In diesem Zusammenhang bekräftigt der Europäische Rat erneut den politischen Willen, weiter auf eine Aufhebung des Waffenembargos hinzuarbeiten. Er fordert den künftigen Vorsitz auf, die schon weit fortgeschrittenen Arbeiten abzuschließen, damit ein Beschluss gefasst werden kann. Er betont, das jeglicher Beschluss weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht eine Steigerung der Waffenausfuhren aus EU-Mitgliedstaaten nach China bewirken sollte.
– Natürlich, ich lese aus der Originalquelle vor.
Nun lese ich aber in der „Frankfurter Rundschau“, dass der Bundeskanzler nach einer Sitzung des SPD-Präsidiums von vor ein paar Tagen
seine Position damit begründet habe, Deutschland habe zwar kein Interesse an einer Steigerung der Waffenlieferung nach China, aber Frankreich habe im Sinne seiner Rüstungsindustrie ein massives Interesse daran; insbesondere mit Blick auf das französische Referendum zum EU-Verfassungsvertrag müsse man diese Position vertreten. Das ist wieder die falsche Politik und das sind wieder die falschen Motive. Genau so wird es keine verlässliche, überzeugende und berechenbare Politik.
– Ich habe eine dunkle Erinnerung daran, dass sich eine der Fraktionen, die in diesem Haus vertreten ist, in einer gewissen Eigentümerposition in Bezug auf die „Frankfurter Rundschau“ befindet.
Deswegen ist die Vermutung, dass die Berichterstattung von SPD-Präsidiumssitzungen seriös ist, sicherlich zutreffend.
– Überhaupt nicht. Aber bis auf den heutigen Tag hat niemand von Ihnen diese Berichterstattung in der „Frankfurter Rundschau“ dementiert.
Ich kann Ihnen die Originalmeldung vortragen.
Im Übrigen ist dies nicht richtig. Die Darstellung des Bundeskanzlers, er sei durch den Beschluss des Europäischen Rats quasi zu dieser Position gezwungen, ist das genaue Gegenteil von dem, was stattgefunden hat. Das wollte ich bei dieser Gelegenheit nur klarstellen.
Man muss in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass der Eindruck, der erweckt wird – für die Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zu China insgesamt müssten wir diese Position einnehmen –, falsch ist und mit der Wirklichkeit der Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zu China in den letzten Jahren überhaupt nichts zu tun hat. Man muss auch hinzufügen, dass sich innerhalb von zwei Jahren – von 2001 bis 2003 – die Rüstungslieferungen der Europäischen Union nach China verachtfacht haben. Das heißt, es findet ziemlich viel statt. Deswegen ist die Darstellung Ihrer Motive, Herr Bundeskanzler, für diesen völlig einseitigen und schädlichen Vorstoß, der in den Koalitionsfraktionen auf massiven Widerstand stößt, das Gegenteil von dem, was unserem wirtschaftlichen wie politischen Interesse entspricht.
Nun kommt seit dem Europäischen Rat im Dezember des vergangenen Jahres erschwerend hinzu, dass sich die strategische Lage in Ostasien erheblich verschlechtert hat – um auch dieses zurückhaltend zu formulieren. Die Auseinandersetzungen zwischen der Volksrepublik China und Taiwan, das Antisezessionsgesetz, das von der Volksrepublik China erlassen worden ist, die Auseinandersetzungen mit Japan und die Zunahme von Spannungen in der Region insgesamt legen es nun wirklich dringend nahe, dass es bei der Frage über Waffenlieferungen an China keine einseitige Entscheidung der Europäischen Union ohne eine vorherige enge Abstimmung mit dem wichtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten von Amerika, gibt. Das ist der entscheidende Punkt.
Die Vereinigten Staaten von Amerika – die Außenministerin hat das vor kurzem während ihrer Reise nach Ostasien ganz klar gesagt – haben ein Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit China. Die Vereinigten Staaten von Amerika bemühen sich gemeinsam mit China, Russland, Japan und Südkorea, das Problem des nordkoreanischen Strebens nach Nuklearwaffen so zu lösen, dass keine Gefahr für Frieden und Stabilität in Ostasien und damit für den Frieden in der Welt entsteht. Europa ist an diesen Gesprächen nicht einmal beteiligt. Wir können zur Stabilität in Ostasien ziemlich wenig beitragen.
Deswegen wäre es verheerend, wenn die Europäische Union in einer solchen Situation keine Abstimmung mit denjenigen, die nicht nur im amerikanischen, sondern im Weltinteresse und damit auch im deutschen und europäischen Interesse für die Stabilität in Ostasien die Verantwortung tragen und alleine tragen können – ich meine die Amerikaner –, suchen und den Amerikanern in den Rücken fallen würde. Genau dies darf nicht geschehen. Das ist der entscheidende Punkt.
Deswegen lautet unser beschwörender Appell, alles zu unterlassen, was zu einer neuen dramatischen Zuspitzung im transatlantischen Verhältnis führt. Wir werden übrigens nicht nur das transatlantische Verhältnis enorm beschädigen – wir werden die wirtschaftlichen Interessen Europas und Deutschlands durch eine Zuspitzung des transatlantischen Konflikts noch mehr beschädigen –, sondern wir werden insbesondere auch an China völlig falsche Signale aussenden.
Wenn Europäer und Amerikaner in den zentralen Fragen und bei den großen Krisen dieser Zeit am selben Strang ziehen, dann haben sie ziemlich viele Möglichkeiten, für Frieden und Stabilität zu wirken.
Ich finde, die Bemühungen, den Iran von seinem Streben nach Atomwaffen abzubringen, sind ein gutes Beispiel. Jetzt ist es gelungen – auch im Zusammenhang mit der Reise des amerikanischen Präsidenten nach Europa –, die europäische und die amerikanische Position besser zusammenzubringen. Die Europäer haben endlich klargestellt, dass sie für den Fall des Scheiterns des Verhandlungsansatzes, den wir unterstützen, Herr Außenminister, bereit sind, den Fall vor den Weltsicherheitsrat zu bringen. Das war der entscheidende Punkt. Die Amerikaner ihrerseits haben klargemacht, dass sie jetzt schon bereit sind, dem Iran Schritte der Kooperation anzubieten, um den europäischen Verhandlungsansatz gegenüber dem Iran voranzubringen. Das ist die richtige Politik. Genau diese Politik muss auch gegenüber China, gegenüber Nordkorea und gegenüber ganz Ostasien betrieben werden. Deswegen darf es keinen Alleingang der Europäischen Union in dieser Frage geben. Das ist der Sinn unseres Antrags.
Wenn dieser Antrag dazu führt, dass der Bundeskanzler heute seine Position ein bisschen besser darstellt und gegenüber dem, was er bisher völlig falsch gemacht hat, etwas modifiziert, dann liegt das nicht zuletzt im Interesse der Koalition. Sie sehen, Herr Kollege Müntefering, wir helfen Ihnen so gut wir können, weil wir ein Interesse daran haben, dass dieses Land nicht noch schlechter regiert wird.
Es sind das ist der entscheidende Punkt; es ist keine Kleinigkeit – in den zurückliegenden Jahren sehr viele Fehler gemacht worden. Angesichts der Vielzahl von Gefahren und krisenhaften Zuspitzungen müssen wir alles daransetzen, die gemeinsame Verantwortung der Europäer und Amerikaner für eine Welt, in der die Gefahr gewalttätiger Eskalation nicht größer, sondern kleiner wird, richtig wahrzunehmen. Deshalb darf es keine Alleingänge geben.
Wir brauchen eine abgestimmte Politik. Das ist der Sinn unseres Antrags. Wir hoffen, dass wir ihn nach sorgfältigen Beratungen in diesem Parlament gemeinsam verabschieden können.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt Herr Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Gerhard Schröder, Bundeskanzler:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schäuble, ich könnte es mir leicht machen und in dieser Debatte darauf hinweisen, wie Sie sich zu Anträgen verhalten haben, die die damalige Opposition 1992 zu exakt diesem Thema vorgelegt hat. Ich könnte es mir noch leichter machen und Ihnen vorlesen, was mein Vorgänger in einer Debatte gesagt hat, die anlässlich seines Besuches bei der chinesischen Volksbefreiungsarmee sechs Jahre – nicht 15 Jahre – nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens stattgefunden hat. Ich will mir das aber schenken. Es war übrigens eine Rede, der ich in weiten Teilen durchaus zustimmen kann.
Ich will nur ein Zitat anführen, damit Sie erkennen, dass es insbesondere bei Ihnen eine Menge Heuchelei gibt.
Herr Kohl hat in der erwähnten Rede am 23. November 1995
auf die Bedeutung Chinas hingewiesen und darauf, wie wichtig es sei, dieses Land zu integrieren. Er hat weiter gesagt:
Dies ist eine Schicksalsfrage, nicht nur für die Nachbarländer in Asien, sondern letztlich für die ganze Welt.
Dann folgt die entscheidende Stelle:
Wir
– damit ist wohl die Bundesrepublik gemeint –
verfolgen mit unserer Chinapolitik eine langfristig angelegte Partnerschaft in allen Bereichen, in der Politik – einschließlich der Sicherheitspolitik – ebenso wie in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.
Genau das tun wir und werden es auch weiterhin tun.
Ich sage es noch einmal: Die Reise zur Volksbefreiungsarmee in China fand sechs Jahre nach der Verhängung des Embargos statt und ist ganz bewusst erfolgt. Ich habe das damals übrigens nicht kritisiert.
Im Bundestag ist es kritisiert worden. Sie haben damals – zu Beginn der 90er-Jahre – Anträgen zugestimmt,
mit denen Sie die Anträge der Opposition auf Beachtung dessen, was Sie jetzt hier fordern, überstimmt haben.
Das ist die Politik, die Sie vertreten, und es zeigt die Widersprüchlichkeit und Heuchelei in Ihren eigenen Aussagen, Herr Schäuble.
Das tut mir Leid. Es passt nicht zusammen.
Jetzt zur Sache. Wir reden über einen Beschluss der Staats- und Regierungschefs vom Juni 1989, und zwar als Reaktion auf den blutigen Militäreinsatz gegen demonstrierende Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Alle anderen Sanktionen, die seinerzeit verhängt worden sind, wurden bereits nach wenigen Monaten aufgehoben. Nur das politisch-symbolische Instrument des Embargos ist in Kraft geblieben.
Seit der Niederschlagung der Studentenproteste sind mehr als 15 Jahre vergangen, Jahre, in denen sich China wirtschaftlich und gesellschaftlich gewandelt und sich eine neue Führung gegeben hat.
Die Rede von Herrn Kohl und Ihr Abstimmungsverhalten zu Beginn der 90er-Jahre fanden statt – daran will ich Sie noch einmal erinnern –, als es diese neue Führung in China noch nicht gegeben hat. Auch das gehört zur historischen Wahrheit.
Klar ist: Das China von heute ist nicht mehr das China von 1989. Das wird im Übrigen von kaum jemandem auf der Welt bestritten. Das ist der Grund, warum die Europäische Union im Herbst 2003 eine neue Chinastrategie verabschiedet hat. Deswegen hat die Europäische Union beschlossen, auf eine Aufhebung des Waffenembargos hinzuarbeiten. Das ist auf dem EU-China-Gipfel am 8. Dezember 2004 von der damaligen niederländischen Präsidentschaft ausdrücklich erklärt worden. Die Staats- und Regierungschefs haben das – Sie haben es zitiert – ausdrücklich bestätigt.
Nun glauben Sie doch nicht alles, was aus internen Sitzungen von wem auch immer berichtet wird. Ich habe auch in der Fraktionssitzung das gesagt, was ich Ihnen hier sage. Es ist richtig: Ich war und bin der Überzeugung, dass das Embargo entbehrlich ist. Deswegen habe ich natürlich an den Beschlüssen, die Sie zitiert haben, aktiv mitgearbeitet. Ich habe davon überhaupt nichts abzustreiten und abzustreichen. Keineswegs ist es so, dass ich nur einen Beschluss verteidige, den andere getroffen haben. Ich verteidige vielmehr einen Beschluss, den ich mitinitiiert habe und der von allen europäischen Staats- und Regierungschefs einstimmig gefasst worden ist.
Auch das gehört zur historischen Wahrheit.
Sie haben völlig zu Recht zitiert, dass es der Europäischen Union ausdrücklich nicht darum gegangen ist, in quantitativer oder qualitativer Hinsicht Waffenlieferungen nach China zu verstärken. Deutschland liegt – das habe ich wiederholt öffentlich erklärt – keine Anfrage vor. Gäbe es eine, dann könnte Deutschland sie nicht erfüllen und wir würden sie auch nicht erfüllen. Es geht nicht um Waffenlieferungen nach China. Das muss man sehr deutlich machen.
Vor diesem Hintergrund gibt es in der Tat eine von uns mit herbeigeführte europäische Beschlusslage, die ich für richtig halte und die ich deshalb nicht verändert sehen will. Die europäischen Außenminister sind damit beauftragt, konkret festzustellen, ob die Bedingungen für einen endgültigen Beschluss erfüllt sind oder nicht. Genau um diese Diskussion geht es. Ich sage noch einmal: Die Aufhebung des Embargos hat nicht das Ziel, Waffenlieferungen nach China zu verstärken. Das ist Teil des Beschlusses. Das ist klare deutsche Position. Das wird auch so bleiben.
– Was Frankreich tun will, kann ich Ihnen nicht sagen. Das sollten Sie vielleicht Frankreich überlassen.
Ich will Ihnen dazu nur eines sagen: Sie haben eine Zeitung zitiert, die über Präsidiumssitzungen der SPD berichtet hat, in denen ich irgendetwas zu Frankreichs Motiven gesagt haben soll. An den letzten drei Sitzungen des Präsidiums der SPD konnte ich – ich musste mich bei meinem Parteivorsitzenden entschuldigen – leider nicht teilnehmen,
sodass Ihr Versuch, Herr Schäuble, hier auf infame Weise etwas unterzujubeln, wirklich schrecklich fehlgeht.
Beim nächsten Mal sollten Sie sich vergewissern, bevor Sie solche Unterstellungen machen. Das wäre sehr viel besser. Aber wir kennen ja die Art und Weise, wie hier gearbeitet wird.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?
Gerhard Schröder, Bundeskanzler:
Nein. Ich will das im Zusammenhang darstellen.
Ich will zu den Waffenlieferungen und zur regionalen Stabilität in der Region noch etwas sagen. Es wird ständig die Diskussion im amerikanischen Kongress zitiert. Viele haben sich aufgemacht, dorthin zu fahren, und haben bei ihrer Rückkehr darauf hingewiesen, was Deutschland im Unterschied zu den Vereinigten Staaten von Amerika so alles tue. Ich möchte Ihnen deswegen sagen: Erstens. Deutschland liefert keine Kriegswaffen, kann keine Kriegswaffen liefern und wird keine Kriegswaffen liefern.
Zweitens. Es gibt einen Bericht – er war auch Gegenstand einer Diskussion im amerikanischen Kongress –, nach dem sich Deutschland bei der Lieferung sonstiger Rüstungsgüter angeblich auf Platz fünf in Europa befindet. Nach diesem Bericht sieht es so aus: An erster Stelle liegt Frankreich mit Lieferungen im Wert von 171,5 Millionen Euro, an zweiter Italien, ein sehr enger Verbündeter, mit 127,1 Millionen Euro, an dritter Großbritannien mit 112,3 Millionen Euro, an vierter Tschechien mit 3,6 Millionen Euro und an fünfter Deutschland mit Lieferungen sonstiger Rüstungsgüter im Wert von 1,1 Millionen Euro. Wofür haben wir diese 1,1 Millionen Euro bekommen? Wir haben Teile von Humanzentrifugensystemen für die Astronautenausbildung und Seegravimeter als ozeano-graphische Messinstrumente geliefert. Das waren die Lieferungen Deutschlands nach China!
Jetzt möchte ich Ihnen etwas zur regionalen Stabilität sagen. Die vereinbarten Waffenlieferungen Amerikas nach Taiwan belaufen sich im Jahr 2003 auf mehr als 360 Millionen Dollar.
Auch das gehört zu einer Diskussion über regionale Stabilität.
Deutschland hat im Jahre 2002 nach China sonstige Rüstungsgüter in einer Größenordnung von 10 – ich wiederhole: 10 – Euro geliefert. Was das war, kann ich Ihnen nicht sagen. Jedenfalls kann es nicht sehr viel gewesen sein.
Ich erwähne das, um deutlich zu machen, dass alle Vorwürfe, die in der Öffentlichkeit erhoben worden sind, wir hätten ein Interesse an der Ausweitung von Waffenlieferungen, schlicht aus der Luft gegriffen sind.
Auch das muss man in der Diskussion einmal sagen.
Ich glaube, dass diese vordergründige Debatte nicht weitergeführt werden sollte; denn sie verdeckt, worum es uns wirklich gehen muss: Im Kern geht es um die Frage, wie die Europäische Union und Deutschland ihre Interessen, ihre Anliegen gegenüber China mittel- und langfristig zur Geltung bringen wollen. Es geht also um die Frage, wie wir unsere Beziehungen zu diesem in der Tat großen und wichtigen Land mittel- und langfristig gestalten wollen, wie wir im Übrigen mithelfen wollen, in diesem großen Land ein Umfeld zur Förderung einer friedlichen und demokratischen Entwicklung zu schaffen, und es geht um die Frage, wie das sich dynamisch entwickelnde China regional und global zu einem tragenden Pfeiler einer kooperativen und multilateralen Ordnung werden kann.
Wenn man die Frage des EUWaffenembargos gegenüber China vor diesem Hintergrund sieht, bleibe ich bei meiner Position, dass dieses Embargo aufgehoben werden sollte. Die Europäische Union strebt wie wir eine strategische Partnerschaft mit China an. Auch wir haben das bilateral im Mai letzten Jahres beim Besuch von Ministerpräsident Wen in Berlin so vereinbart. Strategische Partnerschaft bedeutet, dass wir die Beziehungen auf allen Feldern – in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur – konsequent ausbauen wollen. Das kann aber nur gelingen, wenn sich die beteiligten Partner im gegenseitigen Respekt vor ganz unterschiedlich gewachsenen Kulturen begegnen und ein Vertrauensverhältnis entwickeln. Nur so werden wir wirklich Einfluss auf die Entwicklung auch in diesem Land nehmen können.
China ist in den letzten Jahren – das lässt sich nicht ernsthaft bestreiten – enormes politisches und wirtschaftliches Gewicht zugewachsen. China ist der bevölkerungsreichste Staat und inzwischen die sechsgrößte Volkswirtschaft der Erde, und das mit eindrucksvollen Wachstumsraten. Ich stehe ausdrücklich dazu, dass ich es auch als meine Aufgabe ansehe, ein außenwirtschaftlich so abhängiges Land wie Deutschland in eine enge Partnerschaft mit diesem Land zu bringen und Verbesserungsmöglichkeiten, wo immer es sie gibt, zu nutzen.
Die Integration Chinas in die Weltwirtschaft vollzieht sich mit beispielhaftem Tempo. Es gibt Probleme, über die wir mit China werden reden müssen, zum Beispiel die Frage: Wie entwickelt sich die Währung in Relation zu anderen Währungen?
Das ist ein ganz wichtiges Thema, über das wir viel zu wenig diskutieren. Zum Beispiel ist die Frage „Was ist mit dem Schutz des geistigen Eigentums?“ formal akzeptiert, aber in der politischen Praxis längst nicht so gestaltet, wie wir uns das wünschen.
Wir diskutieren die Frage: Kann man, darf man bei staatlichen Aufträgen ein Maß an Technologietransfer verlangen, das unsere Unternehmen ökonomisch in Schwierigkeiten bringt?
Diese Fragen diskutieren wir mit der chinesischen Regierung bei jedem Besuch. Das sind zentrale Fragen der ökonomischen und der politischen Entwicklung im Verhältnis Deutschlands zu China.
Das Land ist der zweitgrößte Handelspartner der Europäischen Union. Umgekehrt ist die Europäische Union zum größten Handelspartner Chinas geworden.
Entscheidender Katalysator für den ökonomischen Systemwandel war dabei Chinas Beitritt zur WTO. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die konstruktive Rolle Chinas bei der Bewältigung der ökonomischen Asienkrise 1997/98. In diesem Jahr führt China den Vorsitz im Kreis der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt. Mit diesem gewachsenen Gewicht geht das Land nach meiner Bewertung durchaus verantwortungsvoll um – im Wirtschaftlichen ebenso wie im Politischen. Nach dem 11. September hat sich China mit großem Nachdruck an der Seite der USA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus engagiert.
Ohne die Mitwirkung dieses Landes ist heute keine der großen globalen Herausforderungen mehr zu bewältigen.
Ich sage das auch und gerade im Hinblick auf die Klimaschutzpolitik. Die chinesische Regierung hat angekündigt, bis zum Jahr 2010 10 Prozent der Energie aus regenerativen Quellen zu erzeugen – ein Beispiel für aktiven Umweltschutz, den viele von diesem Land so nicht erwartet hätten.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang weiter an die aktive Vermittlungsrolle Chinas im Nordkoreakonflikt.
Wir wissen China beim Kampf gegen die Weiterverbreitung nuklearer Waffen an unserer Seite.
Auch die chinesische Unterstützung für die regionale Integration in Asien weist in dieselbe Richtung. 2002 haben China und die ASEAN-Staaten die Errichtung einer Freihandelszone bis zum Jahr 2010 vereinbart. Das ist ein wichtiger Beitrag zur regionalen Sicherheit und zur regionalen Stabilität.
Ich stimme dem früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher wirklich zu, der vor kurzem sagte, China habe sich zu einem wirklichen Faktor der globalen Stabilität entwickelt. Diese Rolle – Sie haben es selbst gesagt – wird zunehmend auch von den USA anerkannt; sonst hätte man dort, auch vor dem Hintergrund des Kongressbeschlusses, wohl kaum die Einsetzung einer hochrangig besetzten Arbeitsgruppe mit China beschlossen.
Wer Frieden, Stabilität und Wohlstand in Asien und darüber hinaus fördern will, dem muss daran gelegen sein, dass China diese verantwortungsvolle Politik multilateral weiterführt. Gerade darauf ist die strategische Partnerschaft der Europäischen Union und Deutschlands mit China ausgerichtet: auf konstruktive Zusammenarbeit und Einbindung. Mit diesem Ansatz vertragen sich Sanktionen gleich welcher Art eben nicht. Sanktionen zielen auf Isolierung und Diskriminierung. Die Bundesregierung setzt dagegen auf Kooperation, auf Integration und damit verbundenen Wandel.
Ich will abschließend einige Bemerkungen zur inneren Situation Chinas machen. Die chinesische Gesellschaft wird offener und pluraler, wenn auch nicht mit der Geschwindigkeit und in dem Ausmaß, die auch ich mir gern wünschen würde. Der Schutz der Menschenrechte und des Privateigentums wurde im Frühjahr 2004 in die Verfassung aufgenommen. Natürlich kritisieren wir die Tatsache, dass es die Todesstrafe gibt, und das Ausmaß, in dem sie verhängt wird. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es gegen unseren Willen die Todesstrafe auch in anderen Gesellschaften gibt. Die Bundesregierung ist für die Abschaffung der Todesstrafe überall, in China wie in allen Ländern der Welt, wo sie noch angewendet wird.
Es ist nicht ausreichend, aber ein Fortschritt, dass Todesurteile jetzt der Überprüfung durch das oberste Gericht unterliegen.
Das alles mag nicht weit genug gehen – das ist auch nach meiner Auffassung so –, zeigt aber: Es gibt unverkennbar Fortschritte bei der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte. China modernisiert sich – politisch und wirtschaftlich. Das streiten im Übrigen auch die Vereinigten Staaten von Amerika nicht ab. Sie haben erst vor drei Wochen in Genf bei der Menschenrechtskommission – ich zitiere – „bedeutsame Schritte bei der Verbesserung der Menschenrechtslage in China“ festgestellt. Das war die Position der Vereinigten Staaten von Amerika in Genf.
Die Europäische Union und Deutschland sind willens, China auf dem Weg der Modernisierung seiner Gesellschaft konstruktiv zu unterstützen. Gerade darauf ist der von mir – nicht von früheren Regierungen – 1999 vereinbarte Rechtsstaatsdialog ausgerichtet. Er ist ein wichtiger, weil kontinuierlicher Beitrag zur strukturellen Verankerung rechtsstaatlicher Prinzipien in allen Lebensbereichen Chinas, zu etwas also, das wir wollen und für das wir uns mit allen Möglichkeiten, die wir haben, einsetzen.
Im Rahmen des Rechtsstaatsdialogs führen wir sowohl bilateral als auch auf europäischer Ebene einen offenen und ehrlichen Menschenrechtsdialog.
Meine Damen und Herren, die Kritiker einer Aufhebung des Waffenembargos verweisen auf das vom Volkskongress verabschiedete Antisezessionsgesetz. Ich glaube, es gibt außer den außenpolitischen Experten, denen ich das unterstelle, nur wenige, die das Gesetz wirklich in vollem Umfang kennen. Es ist deswegen zu empfehlen, das ganze Gesetz zu lesen. Darin wird auf der Grundlage des Ein-China-Prinzips, das seit Jahrzehnten der deutschen Chinapolitik zugrunde liegt, zuallererst eine friedliche Wiedervereinigung postuliert.
Dass China daran gelegen ist, die Beziehungen zu Taiwan in allen Bereichen zu intensiveren, und zwar zum Wohle beider Seiten, ist aus meiner Sicht nur zu begrüßen. Klar ist allerdings auch, dass sowohl die Europäische Union als auch die Bundesregierung niemals einen Zweifel daran gelassen haben, dass die Taiwanfrage ausschließlich mit friedlichen Mitteln gelöst werden kann.
Meine Damen und Herren, eine auf breit angelegte Zusammenarbeit und gemeinsame Bewältigung globaler Herausforderungen ausgerichtete Politik mit China liegt sowohl im europäischen als auch im deutschen Interesse. Wir wollen konstruktive Beziehungen zu China zum gegenseitigen Nutzen unserer Völker und zur Stärkung von Frieden und Stabilität; denn ein im Innern stabiles, modernes und rechtsstaatliches China wird auch in regionalen und internationalen Fragen ein berechenbarer, verlässlicher und verantwortungsvoller Partner sein.
Ich weiß, dass die Entwicklung in China Zeit gebraucht hat und weiter Zeit brauchen wird. Aber die Öffnung des Landes und die Integration in die Weltwirtschaft und in die internationalen politischen Strukturen werden – dessen bin ich sicher – den Wandel weiter vorantreiben. Jeder Versuch der Isolierung kann nur in die Irre führen. Deswegen habe ich mich dafür eingesetzt, dieses Embargo aufzuheben, und deswegen habe ich keinen Anlass, die Position, die alle Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union eingenommen haben, in Zweifel zu ziehen.
Das wollte ich Ihnen vermitteln. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Zu einer Kurzintervention erhält der Herr Kollege Schäuble das Wort.
Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat mit dem Hinweis, er habe an der SPD-Vorstandssitzung
– oder an der Präsidiumssitzung – nicht teilgenommen, den Eindruck erweckt, das, was ich gesagt habe, sei nicht richtig. Deswegen bin ich dankbar, dass ich das Originalzitat aus der „Frankfurter Rundschau“ vom 5. April 2005 hier noch einmal vortragen kann:
SPD und Grüne suchen hinter den Kulissen weiter nach Wegen, den Koalitionsstreit um das EU-Waffenembargo gegen China nicht eskalieren zu lassen. Während die Grünen am Montag erneut an den Kanzler appellierten, keinesfalls gegen den Willen des Bundestags für die Aufhebung des Embargos zu stimmen, gab es auch im SPD-Vorstand nach Teilnehmerangaben „keine mehrheitliche Unterstützung“ für die Linie des Kanzlers.
Parteichef Franz Müntefering machte in der SPD-Vorstandssitzung deutlich, dass Schröder vor allem aus Rücksicht auf Frankreichs Präsident Jaques Chirac gegen das Waffenembargo sei. SPD-Außenpolitiker verweisen auf massive Interessen der französischen Rüstungsindustrie in China - und auf die Zusage des Kanzlers an Chirac, zum Thema Waffenembargo mindestens bis zum heiklen französischen EU-Verfassungsreferendum Ende Mai die Pariser Linie zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, der Hinweis, ob der Kanzler an der Sitzung teilgenommen hat oder nicht,
ist deswegen überhaupt kein Dementi in der Sache.
Gerhard Schröder, Bundeskanzler:
Herr Schäuble, es handelt sich doch wieder einmal um den für Sie so typischen Versuch, aus einer Meldung über eine Sitzung, an der derjenige, der sie geschrieben hat, nun wirklich nicht teilgenommen hat, eine Tatsache zu konstruieren.
Genau mit dieser Art und Weise haben Sie schon bei mehr als einer Gelegenheit versucht, Tatsachen zu verdrehen und sich dann auf diese verdrehten Tatsachen zu berufen.
Sie kommen mit dieser Art und Weise nicht durch. Das ist nämlich, Herr Schäuble, kein redlicher Umgang mit der Wahrheit. Aber dieser unredliche Umgang mit der Wahrheit ist Ihnen ja durchaus zu Eigen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt für die FDP der Abgeordnete Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Rede versucht, den Eindruck zu erwecken, als handele es sich bei diesem Konflikt um einen Konflikt zwischen der Regierung und der Opposition. Wir wollen vorab eines festhalten: Wenn der Deutsche Bundestag seine bisherige Beschlussfassung ernst nimmt, dann handelt es sich um einen Konflikt zwischen der überparteilichen Mehrheit des Deutschen Bundestages und der Haltung der Bundesregierung.
Zweite Vorbemerkung: Herr Bundeskanzler, Sie haben am Anfang Ihrer Rede Zitate eingeführt – ich möchte mich jetzt nicht mit Ihnen weiter darüber auseinander setzen, ob die „Frankfurter Rundschau“ richtig liegt oder nicht; Sie können sich ja beim Eigentümer beschweren –
und auf die historische Wahrheit Wert gelegt. Wir erinnern uns noch an die damalige Auseinandersetzung und vor allen Dingen an das, was derjenige, der heute Vizekanzler, also Ihr Stellvertreter, und Außenminister der Bundesrepublik Deutschland ist, damals an die Adresse von Herrn Kohl und Herrn Kinkel gesagt und in diesem Zusammenhang kritisch angemerkt hat.
Er sagte damals:
Wir werden eine friedliche Entwicklung Chinas nicht bekommen, wenn wir vor allen Dingen auf das Geschäft setzen. … Deswegen müssen wir mit den Chinesen unnachgiebig über Menschenrechte, über tibetische Kultur und über den Schutz von Minderheiten in China sprechen.
Herr Bundesaußenminister, Sie sagten damals: Man muss sich klar und deutlich ausdrücken, „auch wenn das Peking nicht passt“. Sie haben dem Bundesaußenminister Kinkel damals „windelweiche Servilität“ vorgeworfen und höhnten: Herr Kinkel „kriecht vor den Chinesen auf dem Bauch“. – Wie einen doch die Bilder eines Tages wieder einholen, Herr Außenminister.
Eine dritte Vorbemerkung halte ich an der Stelle für notwendig: Es ist fast schon eine zynische Haltung, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, sich hier hinstellen und sagen, Sie wollten das Waffenembargo aufheben und keine Waffen exportieren, aber uns auf die Frage, was Sie davon halten, dass Frankreich dann Waffen exportieren wird, sagen: Wendet euch an die Franzosen. Das ist, offen gestanden, zynisch. Wenn Sie das Waffenembargo aufheben, sind Sie für jeden Waffenexport höchstpersönlich mitverantwortlich, komme er auch aus Frankreich.
Es war ja auch eine bittere Stunde für die Grünen. Das hat man ja an der Reglosigkeit bemerkt, mit der sie die Rede des Bundeskanzlers aufgenommen haben. Es hat sich ja keine Hand zum Beifall gerührt.
Etwas Viertes finde ich besonders bemerkenswert: So haben wir vor etwas mehr als einem Jahr im Deutschen Bundestag eine ausführliche Debatte über die Frage geführt, ob die zur friedlichen Nutzung der Kernenergie bestimmte zivile Nuklearanlage von Siemens aus Hanau mit einer deutschen Wertschöpfung von 1 Milliarde Euro nach China exportiert werden darf.
Die Chinesen wollten diese Hanauer Nuklearanlage kaufen und sie wollen es noch immer. Siemens will diese Anlage verkaufen und will es noch immer. 1 Milliarde Euro ist kein Pappenstiel. Wenn eine Bundesregierung den Export einer zivilen Nuklearanlage verhindern will, gleichzeitig aber ein Waffenembargo aufhebt, dann ist das mehr als widersprüchlich; dann ist das die Scheinheiligkeit, vor der wir warnen.
Schließlich finde ich es erschreckend, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, in Bezug auf das Waffenembargo nicht nur in früheren Interviews, sondern auch in Ihrer heutigen Rede wörtlich sagen, dass es sich nur noch um ein „politisch-symbolisches Instrument“ handele – als würde es sich bei einem Waffenembargo um Symbolik handeln! Was ist das denn für eine symbolische Geste, wenn Sie dieses Waffenembargo aufheben? Wofür?
3 700 vollstreckte Todesurteile gab es im vergangenen Jahr weltweit. Sie haben Recht, wenn Sie das kritisieren. Aber Sie haben Unrecht, wenn Sie dabei verschweigen, dass 3 400 davon in China vollstreckt worden sind. Die Autonomiebestrebungen der Tibeter werden weiter unterdrückt. Zahlreiche Menschen sitzen in willkürlicher Administrativhaft, unzählige stecken in Arbeitslagern. Pressefreiheit, wie wir sie kennen, gibt es dort überhaupt nicht. Da wäre eine Diskussion wie die über die „Frankfurter Rundschau“, wie wir sie gerade erlebt haben, gar nicht denkbar. Wir nehmen zur Kenntnis, dass religiöse Gruppen verfolgt werden, dass nicht nur die Pressefreiheit, sondern auch die Meinungsfreiheit unterdrückt wird. Nach dem Bericht der Generalsekretärin von Amnesty International von Anfang dieses Jahres steht fest, dass heute, 15 Jahre nach dem schrecklichen Vorfall auf dem Platz des Himmlischen Friedens, noch immer Menschen, die damals beteiligt gewesen sind, im Gefängnis sitzen.
Sie fordern die Aufhebung des Waffenembargos aus Gründen der Symbolik. Wir sagen: Es geht um mehr als Symbolik. Menschenrechte sind nicht Symbolik. Die Unterdrückung der Menschenrechte ist für diese Menschen bittere, grausame Realität. Davor warnen wir, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Niemand bestreitet, dass eine gute zivile, wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China richtig und sinnvoll ist. Niemand in diesem Hause – egal ob in den Reihen der Opposition oder der Regierungsfraktionen – erkennt doch nicht an, welche Entwicklungen es gegeben hat. Wir alle sind der Auffassung, dass jeder Fortschritt, insbesondere was die Justiz angeht, sinnvoll ist. Wir haben die Bedingungen damals selber mit auf den Weg gebracht. Sie, insbesondere die Justizministerin, führen das dankenswerterweise fort. Das soll ausdrücklich anerkannt werden.
Aber es steckt etwas anderes dahinter. Sie sehen in der Aufhebung des Waffenembargos offensichtlich ein Instrument zur Beschleunigung einer positiven Entwicklung der Menschenrechte und der Demokratie, während wir sagen: Waffenexporte können nicht ein Mittel zur Demokratisierung sein, sondern sie können bestenfalls als Ergebnis am Ende eines Demokratisierungsprozesses stehen.
Wir sagen: Wandel durch Handel ja, aber Waffenhandel nein; denn er verändert nicht die politischen Zustände, sondern zementiert Unterdrückung und die Verletzung von Rechtsstaatlichkeit.
Deswegen appellieren wir an Sie, die zivile Zusammenarbeit mit China fortzuentwickeln. Wir sind dankbar für die guten geschäftlichen Beziehungen. Die Vorstellung, wir müssten das Waffenembargo aufheben, um mit China auch zivil besser ins Geschäft zu kommen, schwingt in dieser Debatte zwar oft genug mit, ist aber trotzdem falsch. Andere Länder wie beispielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika haben weit mehr wirtschaftliche Beziehungen und Geschäfte mit China und bleiben in der Chinapolitik trotzdem dem Prinzip der Menschenrechte verpflichtet. Wir sagen: Ziviler Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit ja, ein Waffenhandel jetzt, in dieser Lage, nein.
Wenn der Bundestag seine Aufgaben und auch das, was er beschlossen hat, ernst nimmt, wenn er sich selbst ernst nimmt, dann müssten eigentliche alle Fraktionen dem Bundeskanzler hier die Stirn bieten.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesaußenminister Joschka Fischer.
Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Europäische Rat hat einstimmig den Beschluss gefasst, zu überprüfen, ob das 1989 nach den furchtbaren Ereignissen auf dem Tiananmenplatz in China, der blutigen Unterdrückung der Freiheitsbewegung, verhängte Embargo angesichts der zweifellos festzustellenden Veränderungen in China in der bestehenden Form noch angemessen ist und aufrechterhalten werden soll. Der Europäische Rat hat den Außenministern den Auftrag erteilt – es war allerdings kein unkonditionierter Auftrag –, sich in Richtung einer Aufhebung zu bewegen.
Bevor ich auf diesen Punkt näher eingehe, möchte ich unterstreichen, was der Bundeskanzler über die Bedeutung des Landes gesagt hat. Anders als 1989 hängt die Weltwirtschaft heute ganz entscheidend von der Frage ab – das wissen Sie alle –, ob die chinesische Währung auf- oder abgewertet wird. Heute gibt es eine Abhängigkeit zwischen der amerikanischen und der chinesischen Volkswirtschaft, die in dieser Form damals noch nicht existierte.
– Lassen Sie mich diese Fakten herausstellen. Ich komme noch zu den Argumenten.
Die Frage der Integration dieser aufstrebenden Weltmacht – das ist der entscheidende Punkt; da kann ich Kollegen Schäuble nur nachdrücklich unterstützen – ist für die Stabilität des internationalen Systems im 21. Jahrhundert eine der zentralen Fragen.
Wenn wir uns darauf verständigen, dann werden wir sehr schnell feststellen, dass es keine einfache Lösung gibt.
Die Überprüfung wurde von vielen Staaten unterstützt. Sie können der Bundesregierung durchaus vorwerfen, dass sie aus Ihrer Sicht an der einen oder anderen Stelle falsch gehandelt hat. Aber Sie werden das beispielsweise Großbritannien nicht vorhalten können. Ich möchte unterstreichen, dass es eine gemeinsame Position gibt. Diese wird manchmal so dargestellt, als gäbe es in der Europäischen Union schon einen Konsens.
Ich möchte betonen, dass wir Prüfkriterien haben, die sich auf die aktuelle Menschenrechtslage in China, auf die Stabilität in der Region – vor allen Dingen in der Straße von Taiwan – und darüber hinaus beziehen. Herr Westerwelle, es macht sich zwar gut, wenn Sie jetzt davon sprechen, Fischer habe das damals gesagt. Auf meiner letzten Reise nach China, an der Sie nicht teilgenommen haben – ich glaube, Herr Uhl war aber dabei –, gab es eine Pressekonferenz mit dem chinesischen Kollegen, auf der ganz offen gesprochen wurden: über Tibet, über die Menschenrechte, über die Administrativhaft und über die Unterdrückung der Christen. Ich weiß übrigens, dass auch der Bundeskanzler diese Punkte in China ebenso offen angesprochen hat.
Wir haben mit niemandem darüber diskutiert, wo der Dalai Lama in Deutschland empfangen wird. Er wird selbstverständlich im Auswärtigen Amt empfangen. Es gibt heute nicht mehr Bilder wie die, die es damals gegeben hat – Sie als junger Mann können sich daran vielleicht nicht mehr erinnern – und an die ich mich sehr gut erinnern kann. Der Bundeskanzler hat keinen Diener vor der Volksarmee gemacht, wie es der damalige Bundeskanzler wenige Jahre nach dem Massaker auf dem Tiananmenplatz getan hat.
An diesem Punkt brauchen wir uns Ihre Kritik nicht gefallen zu lassen.
Ich sage Ihnen ganz offen, dass wir sehr optimistisch waren, was die Perspektive hinsichtlich der Entwicklung zwischen der Volksrepublik China und Taiwan angeht. Wir waren sehr froh, als wir festgestellt haben, dass mit den Wahlen in Taiwan ein Signal in die richtige Richtung ausgesandt wurde. Die Eröffnung einer direkten Flugverbindung war ebenfalls ein positives Signal. Aber selbstverständlich gilt auch, dass das Taiwan-Gesetz alles andere als ein Schritt in die richtige Richtung ist, auch wenn der Bundeskanzler völlig zu Recht unterstreicht, man solle das ganze Gesetz lesen.
– Kollege Gerhardt, das eigentliche Problem ist – völlig unabhängig davon, wie die EU entscheiden wird; das sagen Ihnen alle Experten in Australien, Neuseeland, Japan und Ostasien –, dass China alles tun wird, um eine Sezession Taiwans zu verhindern. Auf der anderen Seite will Taiwan eine Demokratie bleiben. Den drohenden Zusammenprall dieser Grundsätze müssen wir verhindern; denn die Eskalationsgefahr, die sich daraus ergibt, ist nicht unerheblich.
Das wiederum hängt aber mit der Integration Chinas zusammen. Wir werden – das kann ich Ihnen an dieser Stelle sagen – die Prüfung in diesem Punkt sehr sorgfältig vornehmen.
Wir brauchen einen Konsens in der Europäischen Union. Dieser Konsens ist heute noch nicht vorhanden. Da wir diesen Konsens erreichen wollen, appelliere ich an die chinesische Regierung: Sie muss begreifen, dass sie sehr viel dazu beitragen kann, dass ein solcher Konsens möglich wird.
Das war auch immer die Haltung von Bundesregierung und Europäischer Union.
Es war ein Schritt in die richtige Richtung, als sich die chinesische Regierung direkt mit einem Vertreter des Dalai Lama zusammengesetzt hat. Bedauerlicherweise sind die Ergebnisse noch nicht so, dass ich sagen könnte, dass ein wirklich großer Schritt nach vorn getan wurde. Wir wollen, dass wenigstens jetzt die Menschenrechtspakte, die ja bereits unterschrieben sind und die seit langem in der Volksvertretung liegen – –
– Ja, China kann sofort ein richtiges und wichtiges Signal setzen. Ich appelliere deshalb an die chinesische Regierung und an den Volkskongress, die Menschenrechtspakte jetzt zu ratifizieren.
Das würde meines Erachtens ein Signal setzen, bei dem man wirklich sagen könnte, dass wir vorankommen.
Nun zur Frage der exzessiven Anwendung der Todesstrafe. Ich unterstreiche, was der Bundeskanzler gesagt hat: Es ist richtig und wichtig, dass die Todesstrafe jetzt nicht mehr allein von den Gerichten in den Regionen verhängt, sondern von dem obersten Gericht der Volksrepublik China überprüft werden soll. Aber wir müssen nach wie vor darauf drängen, dass die Todesstrafe als eine inhumane Strafe eingeschränkt und in der Perspektive auch abgeschafft wird. Das gilt übrigens nicht nur für China; ich könnte auch noch einige andere Fälle nennen. Gerade in der Menschenrechtskonferenz erleben wir an diesem Punkt recht merkwürdige Koalitionen.
Europa ist in dieser Frage ein Leuchtturm und wird von seiner Haltung auch nicht ablassen.
Selbstverständlich – lassen mich auch das unterstreichen – spielt auch der Einsatz für religiöse Toleranz eine entscheidende Rolle.
– Ich erläutere gerade, was wir meiner Meinung nach brauchen, wenn wir einen Konsens erreichen wollen, und was die Punkte sind, an denen China konstruktiv mitarbeiten kann. Das hat viel mit dem Erreichen eines Konsenses zu tun und es ist meine Aufgabe als Außenminister – wir Außenminister sind von den Regierungschefs entsprechend beauftragt worden –, zu versuchen, diesen Konsens herzustellen. Ich erläutere Ihnen gerade, was aus meiner Sicht die konstruktiven Beiträge der anderen Seite sein können und sein sollten. Es geht also sehr wohl um die Sache.
Meine Damen und Herren, vorhin wurde ja zu Recht auf die Frage der Toleranz für die christliche Religion hingewiesen. Auch das ist immer wieder ein zentrales Thema in den Gesprächen mit der anderen Seite. Im Rechtsstaatsdialog geht es um die Fortentwicklung der Herrschaft des Rechts, der Unabhängigkeit der Justiz und der Humanisierung der Gesetze. All diese Fragen sind von entscheidender Bedeutung.
Herr Kollege Schäuble – aber ich sage das auch in Richtung des Kollegen Westerwelle –, Sie sprachen die Beziehungen zu den USA an. Die Europäische Union hat eine Delegation entsandt. Wir sind gerade bei der Auswertung dieser Gespräche und untersuchen, welche zusätzlichen Anstrengungen zur Herstellung einer gemeinsamen Position unternommen werden sollten. Denn in der Tat will niemand eine erneute Eintrübung der transatlantischen Beziehungen. Meines Erachtens ist auf allen Seiten eine gewisse Ehrlichkeit in der Argumentation dringend notwendig.
Herr Kollege Westerwelle, Sie sind mir also nun wirklich einer!
Sie wollen, dass ich die Hanauer Anlage liefere, aber gleichzeitig soll ich keinen Krach mit den Amerikanern anfangen. Sie müssen mir einmal zeigen, wie das gehen soll.
Die westerwellsche „friedliche Anlage“ zur Plutoniumverarbeitung wird in Washington im Kongress und in der Administration auf donnernden Beifall stoßen! An diesem Punkt müssen Sie noch ein bisschen arbeiten. Ich kann Ihnen nur sagen: Entweder wollen Sie keinen Krach; dann rate ich Ihnen, die Sache mit Hanau weiter zu prüfen, jedenfalls aber nicht einer Lieferung zuzustimmen. Oder Sie wollen Krach; in diesem Fall verstünde ich dann aber die ganze Debatte hier nicht.
Kommen wir zur Haltung der Europäischen Union und der Bundesregierung, die der Kanzler gerade dargestellt hat. Unser Ziel ist es – –
– Der Kanzler ist bei den Kirchen.
– Er hat sich entschuldigt.
Der Kanzler hat einen nicht verlegbaren Termin gehabt. Das wissen auch die Fraktionen. Er musste um 12.30 Uhr weg.
Das hat überhaupt nichts mit dieser Debatte zu tun.
Das zeigt doch offensichtlich, dass Sie selbst die kleinste Münze nutzen, um dem Kanzler am Zeug zu flicken. Das ist doch albern.
Das war doch immer so. Er hat sich entschuldigt.
Für uns ist ganz entscheidend: Wir wollen einen Konsens erreichen. Dieser Konsens setzt voraus, dass alle in der Europäischen Union zustimmen. Um diese Zustimmung zu bekommen, wird es notwendig sein, dass sich auch die chinesische Seite bewegt. Ich habe gesagt: Die Menschenrechtspakte zu ratifizieren wäre für China relativ schnell machbar und könnte jederzeit umgesetzt werden. Gleichzeitig sollte man im Rechtsstaatsdialog vorankommen, bei der Administrativhaft Erleichterungen schaffen und vor allen Dingen eine friedliche Streitbeilegung in der Straße von Taiwan anstreben. In all diesen Dingen ist die chinesische Seite gefordert.
Die Europäische Union ist bereit, all das zu tun, was in ihrer Macht steht, um sich in die richtige Richtung zu bewegen. Aber wir erwarten auch von der anderen Seite, dass sie dies tut. Die Bedingungen sind bekannt und klar. Wenn wir eines Tages auf dieser Grundlage einen Konsens erreichen können, dann – so bin ich mir sicher – wird auch die Opposition nicht widersprechen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.
– Sie haben sich zu einem Zeitpunkt zu einer Zwischenfrage gemeldet, zu dem die Redezeit schon überschritten war.
Petra Pau (fraktionslos):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU hat beantragt, das EU-Waffenembargo gegen China nicht aufzuheben. Ich nehme vorweg: Die PDS im Bundestag stimmt diesem Antrag zu. Sie können das für eine parlamentarische Stern- oder für eine politische Geisterstunde halten. Denn dass die PDS und die Opposition zur Rechten gleicher Meinung sind, ist selten, sogar sehr selten.
Ich bin ziemlich sicher, dass wir nicht einmal derselben Meinung sind. Das wird spätestens bei den Gründen deutlich, warum die PDS und weshalb die CDU/CSU gegen Rüstungsexporte nach China ist. Unsere Position ist übersichtlich: Jeder Rüstungsexport ist unter dem Strich ein Geschäft mit dem Tod
und somit das Gegenteil einer auf Frieden gerichteten Weltwirtschaft. Das meinen wir ganz grundsätzlich.
CDU und CSU agieren eher taktisch, übrigens auch Teile der Grünen: Deutsche Waffenexporte nach China könnten die USA verstimmen. – Das hörte ich von der CDU/CSU ebenso wie aus der Fraktion der Grünen. Das heißt ja wohl: Rüstungsexporte sind okay; es müssen nur die richtigen Käufer gefunden werden. Genau da setzt übrigens der Konflikt mit dem Bundeskanzler an. Denn China ist ein großer, profitabler Markt. Deshalb ist der Kanzler für die Beseitigung aller Exportschranken.
Ich erinnere hier an eine Forderung, die ich schon in der vorletzten Sitzungswoche zitiert habe:
Die Regierung muss im Blick behalten, dass Unternehmen Rendite erzielen müssen, und dies geht bei Rüstungsgütern nur selten, wenn man sich allein auf die Belieferung der nationalen Streitkräfte beschränkt.
Dieses Zitat stammt von Dr. Diehl, dem Vorsitzenden der gleichnamigen Stiftung, eines Konzerngeflechts im weltweiten Rüstungsgeschäft, aus dem Jahre 2000 und wurde damals der rot-grünen Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben.
Seitdem hat – darüber haben wir erst jüngst diskutiert – die Zahl deutscher Waffenlieferungen und Rüstungsexporte massiv zugenommen. Die Beschränkungen, die sich Rot-Grün selbst auferlegt hatte, sind längst Makulatur. Denn deutsche Waffen- und Rüstungssysteme werden selbst in Krisengebiete exportiert. Diese Fehlentwicklung ist, wie man weiß, nicht das Gegenargument der CDU/CSU. Sie ist insgesamt nicht gegen deutsche Rüstungsprofite. Sie ist allerdings gegen neue Reibereien mit den USA. Dies unterscheidet die Union und die PDS im Deutschen Bundestag.
Der Bundeskanzler hat andere Optionen. Dass er diese durchsetzen will, ließ er vor dieser Parlamentsdebatte durchblicken. Er meinte, er und nicht das Parlament habe die Richtlinienkompetenz. Ich finde, das war ein kalkulierter Affront gegen die Demokratie. Dass er dazu heute kein Wort gesagt hat, spricht übrigens Bände.
Zurück zur Volksrepublik China. China ist gut für VW-Geschäfte, sagen die einen. China ist schlecht im Hinblick auf Menschenrechte, sagen die anderen.
Wäre ich unpolitisch neutral, würde ich sagen: Beides stimmt.
Ich bin aber nicht unpolitisch neutral. In China werden Menschenrechte verletzt, und das massiv. So werden zum Beispiel in China noch mehr Todesurteile vollstreckt als im Mutterland der Todesstrafe, den USA. In China wird ein Autogeschäft forciert, in Vergleich zu dem die aktuelle Feinstaubdebatte in Deutschland ein laues Lüftchen ist.
Dieses Autogeschäft vollzieht sich übrigens auch mit deutscher Duldung, mit deutscher Beteiligung und mit rot-grünem Eifer.
Jeder fünfte Mensch unserer Erde lebt in der Volksrepublik China. Das spricht unbedingt für Dialog und für Zusammenarbeit mit China. Die PDS ist dafür; sie wirbt dafür und sie pflegt auch den Dialog. Nur eines hilft niemandem, nämlich der Versuch, China als gewinnträchtigen Markt für deutsche und europäische Waffenexporte zu erobern. Dazu sagt die PDS im Bundestag Nein.
Zum Schluss. Ich bekam vor der heutigen Debatte Post von einem Journalisten einer linken, einer sehr linken Zeitung. Er mahnte meine Kollegin und mich: Ihr werdet doch nicht etwa dem CDU/CSU-Antrag zustimmen, noch dazu in einer Zeit, in der die USA ihren Militärring um China zusammenziehen und aufrüsten. Ich sage sehr deutlich: Wir, die PDS im Bundestag, sind dennoch dagegen, dass China mit deutscher oder europäischer Hilfe hochrüstet. Wir wollen generell, dass weltweit abgerüstet wird, dass Krieg kein Mittel der Politik ist und dass das Geschäft mit dem Tod endlich weltweit geächtet wird.
Das unterscheidet uns von CDU und CSU. Deshalb werden wir ihrem Antrag dann auch zustimmen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Zu einer Kurzintervention erhält der Herr Kollege Westerwelle das Wort.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Minister, ich wollte meine Worte in Form einer Frage an Sie richten. Vorab eine kleine Bemerkung: Ich bedanke mich zunächst einmal ausdrücklich dafür, dass Sie der Meinung sind, dass ich zu jung sei, um mich an die Debatten der 90er-Jahre zu erinnern. Das ist zu viel des Charmes und das bin ich von Ihnen, Herr Minister, an dieser Stelle gar nicht gewöhnt. Es ist wirklich enorm, was Druck alles bewegen kann.
Jetzt komme ich zu der Frage, die ich angemeldet hatte. Sie konnten es nicht sehen, weil Sie in diesem Moment in die andere Richtung geguckt haben. Herr Minister, Sie haben eine Rede gehalten, in der vieles enthalten ist, dem man zustimmen kann, in der aber auch vieles enthalten ist, dem man überhaupt nicht zustimmen kann. Hier meine ich vor allem die Lagebeurteilung und die politischen Konsequenzen. Wozu Sie in der gesamten Rede nichts gesagt haben, ist: Sind Sie jetzt für die Aufhebung des Waffenembargos oder sind Sie dagegen?
Ich möchte diese Klarstellung einfach nur aus dem Grunde haben, damit ich denen, die in zehn Jahren in der Opposition sind,
sagen kann: Ihr seid zu jung, um euch daran erinnern zu können.
„Der Kanzler weiß, dass ich hier eine skeptischere Haltung habe …“ Das haben Sie in der letzten Woche in einem bemerkenswerten Interview in der „Zeit“ gesagt. Was meinen Sie mit damit, wenn Sie davon sprechen, dass Sie beim Thema Waffenembargo eine skeptischere Haltung haben als der Bundeskanzler? Können Sie uns das einmal sagen, damit wir wissen, dass diese Regierung geschlossen ist – auch wenn das nicht immer eine Beruhigung ist?
Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:
Erstens. Jede Antwort, die ich Ihnen jetzt gebe, wird selbstverständlich für Sie nicht zureichend sein. Das wollte ich als Vorbemerkung sagen.
– Sehen Sie: Der Satz ist noch nicht zu Ende und schon zeigt die Reaktion, wie Recht ich habe.
Zweitens. Das mit dem Druck sollten Sie sich merken. Diese Erfahrung kann ich als Älterer weitergeben und Sie haben ja im Moment auch einiges um die Ohren – weniger als ich, aber doch einiges.
– Bitte.
– Sie sehen: Schon wieder Gefahr im Verzug, Kollege Gerhardt. Fürchten Sie für sich?
Ich komme zu meiner dritten Bemerkung und jetzt bin ich ernsthaft. Ich will Ihre Frage so gut beantworten, wie ich das kann.
– Das ist keine Gretchenfrage. Ich habe als Außenminister den Auftrag, daran zu arbeiten, dass es einen Konsens zur Aufhebung des Waffenembargos gibt. Das ist der Auftrag, den wir haben.
Das will ich realisieren. Aber ich weiß, dass wir diesen Konsens nicht schaffen können, wenn wir in den Bereichen, die ich genannt habe, keine Fortschritte erzielen. Insofern kommt das meiner eigenen Position sehr entgegen.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt die Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Angela Merkel.
Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst einmal zur Aufklärung, wo der Bundeskanzler ist: Er ist nicht „bei den Kirchen“, sondern beim argentinischen Staatspräsidenten Kirchner.
Das ist ein kleiner Unterschied. So ist es jedenfalls uns übermittelt worden. Von unserer Seite gilt er als entschuldigt.
Meine Damen und Herren, nun zum Debattengegenstand. Wir diskutieren heute über eine Frage, mit der wir uns in den nächsten Jahren sicherlich noch häufiger beschäftigen werden: ob das Waffenembargo gegen China aufgehoben werden sollte oder nicht. Dabei geht es um außenpolitische Fragen insgesamt.
Ich muss sagen: Wir debattieren dieses Thema erstens und vor allem vor dem Hintergrund, dass die Sicherung von Stabilität, Freiheit und Menschenrechten auch in geographisch weit entfernten Regionen heute essenziell für unser eigenes Wohlergehen geworden ist.
Die eine Welt, die lange Zeit nur in sehr theoretischen Diskussionen ein Thema war, ist heute Wirklichkeit geworden. Durch die Globalisierung müssen wir uns mit den damit zusammenhängenden Fragen sehr intensiv beschäftigen.
Zweitens diskutieren wir darüber auch deshalb, weil sich die Welt und die wirtschaftlichen Gewichte verändern. Der asiatische Raum, insbesondere China, ist ein Bereich großer Dynamik. Zudem verändern sich auch die politischen Situationen; das ist überhaupt keine Frage.
Drittens sind wir zu einer solchen Debatte genötigt, weil wir feststellen müssen, dass die Bundesregierung zunehmend weniger in der Lage ist, eine konsistente und auf nachvollziehbaren Werten begründete Außenpolitik durchzusetzen. Das sind die Gegenstände der heutigen Debatte.
Ich glaube, wir sind uns einig, dass eine konsistente Außenpolitik immer mit einer ganz nüchternen Bestandsaufnahme beginnen sollte. Heute ist bereits oft gesagt worden – ich will das wiederholen –, dass sich seit 1989 einiges getan hat. Neben den wirtschaftlichen Entwicklungen gibt es Ansätze politischer Reformen auch in China. China ist ein wichtiger Sicherheitspartner in der Welt. Peking ist zum Beispiel bei der Lösung der Nordkoreafrage unverzichtbar.
China spielt als ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat eine entscheidende Rolle, auch im Blick auf die Reformierung der UNO. Hinzu kommt, dass die ökonomische Entwicklung Chinas außerordentlich dynamisch ist, dass China ein wichtiger Handelspartner ist und dass daraus große Chancen erwachsen. In diesen Punkten gibt es in diesem Hause keine Unterschiede.
Diese Entwicklungen erkenne ich an. Wir alle haben Interesse daran – das will ich ausdrücklich sagen –, China immer stärker in die internationalen Institutionen und ihre Regelwerke einzubinden. Deshalb teile ich die Meinung der Bundesregierung, die – übrigens in großer politischer Kontinuität zu früheren Bundesregierungen – sagt: Wir brauchen eine strategische Partnerschaft mit China. Bundeskanzler Schröder hat uns den Gefallen getan, ein Zitat von Bundeskanzler Kohl anzuführen. Allerdings hat er das Zitat an genau der Stelle abgebrochen, an der es etwas unsicher wurde. Denn Bundeskanzler Kohl hat, nachdem er die Bedeutung dieser strategischen Partnerschaft in der entsprechenden Debatte des Jahres 1995 angesprochen hat, hinzugefügt:
Es geht überhaupt nicht um eine Militarisierung unserer Beziehungen. Es geht in keiner Weise um Rüstungs- oder Waffenhilfe.
Ich finde, es gehört zur Vollständigkeit des Zitats, auch das zu erwähnen.
Der Europäische Rat hat dann – das hat die Bundesregierung richtig dargestellt – in Aussicht gestellt, das 1989 ausgesprochene Embargo kontinuierlich im Lichte entsprechender Fortschritte zu überprüfen. Genau in dieser Kontinuität verstehen sich auch die letzten Beschlüsse des Europäischen Rates. Deshalb, glaube ich, müsste man doch Folgendes erwarten können – das hat aber heute weder der Bundesaußenminister noch der Bundeskanzler gemacht –: dass man einfach einmal überprüft, ob die Bedingungen für die Aufhebung des Waffenembargos gegeben sind oder nicht.
Dazu gibt es doch Beschlüsse, einen aus dem Dezember 2003 und einen vom letzten Herbst zu einem Antrag der Koalitionsfraktionen.
Wir möchten einfach wissen: Stehen Sie zu diesen Beschlüssen oder nicht?
Sie haben die Aufhebung immer an sehr klare, nachvollziehbare Bedingungen geknüpft: erstens an konkrete Schritte Chinas in den Menschenrechts- und Minderheitsfragen. So haben Sie die Aufhebung immer auch daran geknüpft – Herr Bundesaußenminister Fischer hat das heute andeutungsweise gesagt –, dass der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert wird; unter anderem, nicht ausschließlich. Sie haben von China zweitens einen substanziellen Beitrag zur Entschärfung des Taiwankonflikts erwartet und Sie haben drittens die Einigung auf einen rechtlich verbindlichen EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren gewollt. Das waren die Bedingungen. Nun sind Sie bei allen drei Punkten „dran“, wie Sie gerade gesagt haben. Offensichtlich kann dieses „Dransein“ aber lange dauern.
Die Frage, die wir heute gerne von Ihnen beantwortet haben wollten, war ja nicht, ob man das Waffenembargo gegen China vielleicht irgendwann aufheben kann – da sagen wir in diesem Hause wohl alle: das könnte sein, das schließt niemand aus –; die Frage ist, ob Sie die Position vertreten, dass es jetzt aufgehoben werden kann. Oder vertreten Sie die Position, dass es jetzt noch nicht aufgehoben werden kann?
Diese Frage muss sich doch daran ausrichten, ob das, was Sie sich selbst als Bedingungen gestellt haben, nun als erfüllt gilt. Da muss ich ganz einfach sagen: Ich kann das nicht erkennen. Ich kann vielleicht erkennen, dass Schritte in die richtige Richtung da sind, aber ich kann überhaupt nicht erkennen, dass diese Bedingungen erfüllt sind.
Oder aber Sie müssen uns mitteilen: Es gibt neue Einsichten, aus denen heraus Sie von den bisher gestellten Bedingungen abweichen. Dann müssen wir uns fragen – das will ich hier gerne tun, weil es von der Koalitionsseite nicht gemacht wurde –: Gibt es im deutschen Interesse vielleicht Gründe, einen ganz anderen Weg einzuschlagen? Ich persönlich bin der Überzeugung – ich hoffe, Sie sind es auch –, dass sich die Leitlinien der deutschen Chinapolitik nicht über Nacht verändert haben. Deshalb muss man noch einmal an vier Punkten festmachen, was diese Leitlinien sind:
Erstens. Wir haben ein vitales Interesse an der Sicherheit und Stabilität in Ostasien. China hat einen großen Rüstungshaushalt; keine Frage. Es ist nicht klar, ob China auf Dauer eine rein defensive Militärstrategie verfolgen oder ob es offensiver vorgehen wird. Der Bundeskanzler hat im Dezember 2003 bei seinem Staatsbesuch in China vom Waffenembargo als einem Relikt des Kalten Krieges gesprochen. Meine Damen und Herren, ich rate uns allen trotz der ganz offensichtlich veränderten Situation in Asien: Wir sollten die Situation, die wir dort heute vorfinden, nun wirklich nicht mit der Europas nach dem Kalten Krieg vergleichen.
In Europa ist der Siegeszug der Freiheit – und damit auch die deutsche Einheit – in einer Art und Weise möglich geworden, die man nun wirklich nicht eins zu eins auf die Region in Asien übertragen sollte; ich zumindest kann davor nur warnen.
– Wer mit Blick auf das Waffenembargo von einem „Relikt des Kalten Krieges“ spricht, überträgt die Denkmodelle, die wir in Europa angewandt haben, auf die Region, zu der auch China gehört. Das lehne ich ab.
Der japanische Ministerpräsident Koizumi hat sich anlässlich des Besuchs von Präsident Chirac sehr besorgt über die Pläne der Europäischen Union geäußert. Wir müssen uns an dieser Stelle fragen: Nehmen wir diese Sorgen ernst – das gebietet der Respekt – oder nehmen wir sie nicht ernst? Früher, als Sie in der Opposition waren, hat Herr Erler Bundeskanzler Kohl zum Beispiel zugerufen, dass er mit der Sensibilität eines hospitalisierten Nilpferds mit den Sorgen der Region umgeht.
Meine Damen und Herren, ich würde mich zu solchen Vergleichen gar nicht in der Lage sehen. Aber ich rate uns, Japans Sicherheitsinteressen ernst zu nehmen, wenn wir zu einer friedlichen Entwicklung, zu einer guten Entwicklung kommen wollen.
Zweitens. Wir brauchen einen glaubwürdigen Einsatz für Freiheit und Menschenrechte. Es wird häufig argumentiert, Moral und Interesse stünden in der Außenpolitik in einem Gegensatz.
Ich glaube, wir selbst haben in Deutschland die wesentliche Erfahrung gemacht, dass es immer auch ein fundamentaler Sicherheitsfaktor ist, Menschen- und Bürgerrechte zu gewähren. Wenn man das nicht tut, kann man jederzeit in eine mögliche explosive Entwicklung geraten. Das müssen wir verhindern. Deshalb müssen wir uns aus Sicherheitsinteressen für die Durchsetzung von Menschenrechten einsetzen. Das ist der Zusammenhang, den wir nie aufgeben dürfen.
In dem von uns geführten Dialog über Sicherheits- und Menschenrechtsfragen, den ich ausdrücklich unterstütze, müssen wir die Betroffenen ernst nehmen. Ein Studentenführer bei den damaligen Vorgängen auf dem Platz des Himmlischen Friedens hat ganz klar gesagt: Ich kann nicht erkennen, wie der Verkauf von modernen Waffen aus Europa dazu beitragen kann, den Menschen in China mehr Freiheit zu bringen. Genau über diesen Punkt müssen wir uns hier auseinander setzen. Der Bundeskanzler hat in seinem Interview in der „Zeit“, in dem er auch die große Rolle des Parlaments gewürdigt bzw. nicht gewürdigt hat, die Aufhebung des Waffenembargos damit begründet, dass man so Einfluss auf die Demokratisierung der Gesellschaft in China nehmen könnte. Genau das bezweifeln wir; genau das halten wir für falsch. Das muss hier festgestellt werden.
Herr Bundesaußenminister, auch wenn Sie sich gerne drücken wollen,
müssen Sie schon sagen, ob Sie die Aufhebung des Waffenembargos für ein geeignetes Mittel halten, Einfluss auf die Demokratisierung in China zu nehmen. Was bisher im Menschenrechtsdialog erreicht wurde, wurde ohne diesen Schritt erreicht. Im Übrigen glaube ich, dass eine gefestigte, klare und wertebegründete Position viel mehr Eindruck auf die chinesische Gesellschaft und die chinesische Regierung macht
als das Prinzip Hoffnung nach dem Motto: Wenn wir euch etwas zugestehen, könnte es ja vielleicht sein, dass ihr euch in bestimmten Fragen bewegt. Das halte ich für falsch.
Drittens. Daneben stellt sich natürlich die Frage, wie Europa Achtung und Anerkennung gewinnt. Gewinnt Europa Achtung und Anerkennung, wenn es diesen Weg zerstritten geht und wenn jede Regierung in Europa etwas anderes sagt, oder gewinnt Europa Achtung und Anerkennung, wenn es die gemeinsam gefassten Ratsbeschlüsse irgendwann auch gemeinsam beurteilt? Dann sollte es eines Tages auch möglich sein, sie gemeinsam zu verändern. Aber all das geschieht nicht.
– Sie sind skeptischer, der Bundeskanzler ist dafür. Der eine glaubt, die Gesellschaft in China verändern zu können, der andere glaubt, es sei besser, Waffen zu liefern.
Im Übrigen: Der Bundeskanzler hat uns heute gesagt, er wisse nicht, was die französische Regierung will. Lesen Sie die Worte der französischen Verteidigungsministerin nach!
Die französische Verteidigungsministerin sagt: Wir wollen Waffen nach China liefern, weil wir glauben, dass die Chinesen die Technologie nicht erlernen, wenn wir sie liefern, was immer noch besser ist, als wenn sie die Technologie selbst entwickeln.
Das muss man sich bei allem Respekt vor der französischen Regierung einmal überlegen, einerseits im Hinblick auf das Selbstverständnis der Rolle, die man den Chinesen zutraut, und andererseits im Hinblick auf die Frage, was mit diesen Waffen passieren kann.
Ich sage: Wir brauchen einen kraftvollen europäischen Dialog. Damit kommen wir wieder zu einer interessanten Frage. Nach meiner festen Auffassung kann dieser kraftvolle europäische Dialog nur stattfinden, wenn sich die westliche Welt an dieser Stelle einig ist und wenn Japan und vor allen Dingen die Vereinigten Staaten von Amerika eingebunden sind.
Herr Bundesaußenminister – oder besser: Herr Bundesverteidigungsminister, falls er noch da ist –, nun erinnere ich mich daran, dass auf der Münchener Sicherheitskonferenz eine bedeutende Rede des Bundeskanzlers verlesen wurde.
Es wurde darüber gesprochen, dass man möchte, dass die NATO ihre neue Rolle im 21. Jahrhundert findet. Ich stimme hier mit dem Bundesverteidigungsminister und General Kujat überein: Es wäre doch am besten, wenn man der NATO eine neue politische Rolle geben möchte, Fragen dieser Art nicht bei Staatsbesuchen in China oder in der „Zeit“ anzusprechen,
sondern in der NATO selbst, in dem politischen Bündnis, in dem solche Fragen auch zuerst diskutiert werden müssen.
Deshalb glaube ich, dass der Menschenrechtsdialog und unser westliches Auftreten in der Frage, wie wir unsere Werte auch in China plausibel machen können, nicht dafür sprechen, jetzt voreilig und zerstritten aufzutreten und zu sagen, was man in Bezug auf das Waffenembargo gerade denkt.
Viertens zu den wirtschaftlichen Interessen unseres Landes. Auch da kann ich nur sagen: Aufgrund der Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen spricht nichts, aber auch gar nichts dafür, dass ein vorschnelles Festlegen auf die Aufhebung des Waffenembargos mit unserem wirtschaftlichen Interesse in irgendeiner Weise positiv in Zusammenhang steht. Die Wirtschaftsbeziehungen sind gut und entwickeln sich prächtig. Die einzige Gefahr, die Sie eingehen, wenn Sie immer wieder betonen, dass Deutschland sowieso keine Waffen nach China liefern will, sehe ich in der transatlantischen Rüstungskooperation. Die Amerikaner werden sich nämlich sehr wohl überlegen, wie viele gemeinsame strategische Projekte sie mit Europa angehen, wenn Europa nicht willens ist, eine abgestimmte Haltung zum Waffenembargo gegenüber China zu finden.
Wir wollen, dass sich China vernünftig entwickelt. Wir wollen herausragende deutsch-chinesische Beziehungen. Aber wir wollen eine Außenpolitik, die sich auf Werte gründet und die diese Wertediskussion in der aktuellen Umsetzung jedes Schrittes für die Menschen auch wirklich nachvollziehbar einbezieht.
Angesichts dessen, was wir heute von der Bundesregierung gehört haben, besteht völlige Unklarheit darüber, was der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister mit dem Spagat erreichen wollen, einerseits die bestehenden Beschlüsse zu akzeptieren und für sie zu werben, aber andererseits schon jetzt von der Aufhebung des Waffenembargos zu sprechen. Sie haben sich nicht dazu durchringen können – und das ist das eigentlich Bedauerliche –, den heutigen Zustand in der Volksrepublik China zu benennen und zu sagen, ob das reicht, um das Waffenembargo aufzuheben, oder nicht. Wir sagen: Dafür reicht die jetzige Situation nicht. Damit bekommen die Bürgerinnen und Bürger wenigstens von der Unionsfraktion eine klare Antwort.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen von der SPD-Fraktion.
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):
Frau Kollegin Merkel, was wäre gewesen, wenn Sie 1995 eine vergleichbar werteorientierte Rede in Ihrer Fraktion oder im Kabinett gehalten hätten, als der damalige Bundeskanzler zu denen gereist ist, deren Hände noch von Blut trieften, das vom Massaker auf dem Tiananmen herrührte?
Ich wäre im Kabinett gerne Mäuschen gewesen.
Ich kann mich aber kaum daran erinnern, dass Sie sich dazu in irgendeiner Weise kritisch geäußert hätten.
– Herr Gerhardt, Sie waren damals Vorsitzender der FDP. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie auch nur eine einzige kritische Bemerkung gemacht haben. Stattdessen hat Herr Haussmann eine Rede ausschließlich zum Thema der ökonomischen Kooperation gehalten.
Lieber Kollege Dr. Schäuble, Sie waren damals Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ich finde es wunderbar – das ist auch berechtigt –, dass Sie Werteorientierung einfordern. Aber ich bitte Sie: Bleiben Sie redlich!
Ich fände es ganz gut, sich, wenn man über Werte redet, einmal selbstkritisch Gedanken darüber zu machen, was Werteorientierung bedeutet, etwa in der Frage des Irakkrieges.
Wie verhalten wir uns in der Frage der Werteorientierung gegenüber unserem interessantesten und wichtigsten Bündnispartner, den USA? Die USA haben Mitte der 90er-Jahre Waffen im Wert von 32 Millionen Dollar nach China geliefert. Für mehr als 360 Millionen Dollar wurden im Jahr 2003 Waffen an Taiwan verkauft.
Liebe Frau Kollegin Fraktions- und Parteivorsitzende, vielleicht sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, wenn Sie sich in Bezug auf den Begriff „Relikt des Kalten Krieges“, wie es der Bundeskanzler in China genannt hat, kritisch äußern. Schauen Sie sich doch die Spannungen in dieser Region an.
Schauen Sie sich an, wie sich Japan und China gegenseitig in nationalistischer Weise anfeinden, Stichwort: Schulbücher. Schauen Sie sich den fast autonomen Rüstungswettlauf in dieser Region an. Erinnert das nicht an unsere Erfahrungen im Kalten Krieg?
Sollten wir deshalb nicht alles dafür tun, dass sich Abrüstungsprozesse in jener Region durchsetzen? Das ist einer der zentralen Punkte.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Weisskirchen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Röttgen?
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):
Herr Präsident, gerne.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön, Herr Röttgen.
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
Herr Kollege Weisskirchen, ich möchte Ihnen eine Zwischenfrage zu einem Redeauszug aus der Debatte vom 23. November 1995 stellen. Ich zitiere den Redner:
Denken Sie vielleicht auch einmal darüber nach, welche Ängste vor China im südostasiatischen Raum vorhanden sind. Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, welche Sorgen in Japan, welche Sorgen überall in der Region gegenüber China bestehen? Es kommt darauf an, in der westlichen Staatengemeinschaft eine abgestimmte Strategie zu entwickeln, wie China in eine Allianz der Sicherheitspartnerschaften in Asien eingebunden werden kann. Das wäre der entscheidende Punkt. Aber wo bleibt Ihre Rückkoppelung mit den USA? Wo bleibt Ihre Rückkoppelung mit der Europäischen Union? Was Sie gemacht haben, war Politik auf eigene Faust. Alleingänge und Sonderwege, Herr Bundeskanzler, sind für Deutschland allemal schlecht.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)
Meine Frage, Herr Kollege: Können Sie bestätigen, dass der Redner Gert Weisskirchen war?
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):
Das Argument bleibt aber, wie Sie sehen, immer noch richtig.
Das, Herr Kollege Röttgen, ist der zentrale Punkt. Die Europäische Union hat – das hat Frau Kollegin Merkel bestätigt – seit 1993, also während Ihrer Regierungszeit, überlegt, wie sie aus dem Dilemma, das sie selbst geschaffen hat, wieder herauskommt.
– Selbstverständlich. Da haben Sie aber ein kurzes Gedächtnis. Darüber hat es innerhalb der Europäischen Union schon eine lange Debatte gegeben. Ich nenne Ihnen den Schlüssel, mit dem wir aus dem Dilemma herauskommen.
– Ja, in der Tendenz stimmt das leider immer noch.
Hören Sie einmal, was der Europäische Rat am 16./17. Dezember beschlossen hat:
In dieser Hinsicht erinnert der Europäische Rat an die Bedeutung der Kriterien des Verhaltenskodex für Waffenausfuhren, insbesondere der Kriterien in Bezug auf Menschenrechte, Stabilität und Sicherheit in der Region sowie die nationale Sicherheit von befreundeten Ländern und Bündnispartnern.
Das ist der zentrale Schlüssel.
Wenn es uns auf der europäischen Ebene gelingt, den Verhaltenskodex durchzusetzen – das war übrigens auch der gemeinsame Beschluss des Deutschen Bundestages –, dann kann es gelingen, das Waffenembargo aufzuheben; denn dann haben wir einen verrechtlichten Prozess und dann ist es nicht mehr nötig, überhaupt Waffen in der Form, in der es bislang geschieht, nach China zu exportieren. Das ist der Schlüssel. Diesen Schlüssel in die Hand zu nehmen, hat die Bundesregierung auf dem Gipfel versprochen. Ich hoffe und wünsche, dass China bereit ist, all die Bedingungen, die am 16. und 17. Dezember formuliert worden sind, so zu erfüllen, dass das Waffenembargo aufgehoben werden kann. Heute können wir diese Antwort noch nicht geben. Ich hoffe, wir können im Juni erkennen, ob das möglich ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Fritz Kuhn vom Bündnis 90/Die Grünen.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen klar zum Ausdruck bringen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht für eine Aufhebung des Waffenembargos gegenüber China sind.
Die Gründe dafür sind einfach; wir haben sie in dem Parlamentsbeschluss des Bundestages vom Oktober vergangenen Jahres dargelegt: Um das Waffenembargo aufheben zu können, muss es erstens ein klares europäisches Reglement geben, dass aus Europa keine Rüstungsgüter und Waffen nach China oder sonst wohin exportiert werden dürfen, wenn die betreffenden Staaten nicht bestimmte Bedingungen erfüllen. Ein solches Regelwerk auf europäischer Ebene in einer verbindlichen und nachprüfbaren Form existiert gegenwärtig noch nicht. Es wird zwar darüber verhandelt, aber es hat noch nicht in dem Maße verbindlichen Charakter, wie es sich der Deutsche Bundestag gewünscht hat.
Zweitens ist es noch nicht zu einer Entspannung des Konfliktherdes zwischen China und Taiwan gekommen. Das chinesische Gesetz hat in Bezug auf Taiwan eher zu einer Verschärfung geführt.
Drittens sind keine substanziellen Verbesserungen hinsichtlich der Menschenrechte erfolgt. Die Nichtratifizierung des Pakts über die politischen und bürgerlichen Rechte, die Frage der Todesstrafe und der Umgang mit Minderheiten zeigen, dass in den letzten Monaten bzw. im letzten Jahr eher eine Verschärfung der Menschenrechtssituation in China stattgefunden hat als eine Entspannung.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kuhn, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Gerne.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön, Herr Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Kollege Kuhn, Sie haben Ihre Rede in einer bemerkenswerten Klarheit eröffnet. Sie haben eine Begründung gegeben, die in weiten Teilen mit unserer übereinstimmt bzw. ihr ähnlich ist. Deswegen frage ich Sie: Wird die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen dem Antrag der FDP und der CDU/CSU im Deutschen Bundestag zustimmen?
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich will gleich auf Ihre Frage antworten, Herr Westerwelle, aber vorher noch ein Argument anführen.
Wir haben im Oktober deutlich gemacht, dass wir nur unter den von mir wiederholten Bedingungen für eine Aufhebung des Waffenembargos sind. Ihr Antrag enthält gegenüber der Situation im Oktober nichts Neues. Neu ist die Verschärfung der Situation im Zusammenhang mit Taiwan; ansonsten ist die Situation unverändert. Insofern haben wir eine klare Position. Wir hoffen und setzen darauf, dass die europäische Diskussion über die Aufhebung des Waffenembargos dazu führen wird, dass die Aufhebung mit Konditionen verbunden ist und erst dann erfolgt, wenn bestimmte Fortschritte hinsichtlich der Menschenrechtslage und gegenüber Taiwan und auch auf EU-Ebene in der Frage der Rüstungsexporte erreicht werden. Wir werden diese Position im Ausschuss bekräftigen.
Unsere Fraktion rückt nicht von dem ab, was wir im Oktober beschlossen haben. Ihr Antrag stellt keine Verstärkung des im Oktober gefassten Beschlusses dar, sondern lediglich eine terminliche Verkürzung.
Jetzt komme ich zu dem springenden Punkt. Der Bundeskanzler ist zwar leider nicht mehr anwesend – er konnte nicht länger bleiben –, aber ich will es trotzdem klar sagen: Wir wollen, dass das Waffenembargo nur dann aufgehoben wird, wenn es wirklich substanzielle Verbesserungen gibt. Wir verstehen den europäischen Diskussionsprozess so – Sie wissen, Herr Westerwelle, dass die Debatte in gewisser Weise virtuell ist, weil das Embargo nur dann aufgehoben werden kann, wenn in Europa Einstimmigkeit darüber besteht –, dass es dabei um die Frage geht, welche Signale von der chinesischen Regierung kommen werden und müssen.
Deswegen sollte der Bundestag, wenn es nicht um eine Vorführung einzelner Fraktionen geht, in klarer Entschlossenheit darauf drängen, dass aus China Signale kommen dahin gehend, dass es zu substanziellen Veränderungen in der Menschenrechtsfrage kommt. In diesem Fall kann das Waffenembargo aufgehoben werden, aber nur dann.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kuhn!
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich möchte jetzt meine Argumentation zu Ende führen.
Damit kommen wir zu der substanziellen Streitfrage – auch mit dem Bundeskanzler –, um die es bei diesem Thema geht; ich will nicht verhehlen, dass es unterschiedliche Auffassungen gibt. Die Frage ist, was der Menschenrechtssituation in China mehr nützt. Führt das Vorantreiben des wirtschaftlichen Prozesses zu einem Automatismus bei der Verbesserung der Menschenrechtssituation?
Herr Schäuble und Frau Merkel, ich finde es interessant, dass Sie diese Position von Bundeskanzler Schröder einst selbst vertreten haben. Als der Deutsche Bundestag im Dezember 1992 die Sanktionen, die 1989 gemeinsam hier beschlossen worden waren, mit den Stimmen der Regierungsfraktionen – damals CDU/CSU und FDP – gegen die Stimmen der aus den Grünen und der SPD bestehenden Opposition aufgehoben hat, haben Sie diesen Beschluss folgendermaßen begründet:
Trotz aller Bemühungen der Führung der Kommunistischen Partei Chinas, die Reformen auf das Wirtschaftssystem zu begrenzen, wird nach Auffassung des Deutschen Bundestags eine konsequente Liberalisierung der Wirtschaft Chinas und eine stärkere Integration Chinas in die internationale Gemeinschaft innerchinesische Bestrebungen nach mehr Rechtssicherheit und politischer Öffnung verstärken und auf Dauer zu politischen und gesellschaftlichen Reformen führen.
Sie haben damals also die Position eingenommen, die Sie heute dem Kanzler vorwerfen. Diese bedeutet einfach formuliert: Eine wirtschaftliche Öffnung wird automatisch zu Verbesserungen auf politischer, rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Ebene führen. Deswegen ist Ihr heutiger Vorwurf an den Bundeskanzler an dieser Stelle nicht richtig.
Ich glaube aber, dass die These, die Kanzler Schröder vorgetragen hat, falsch ist. China ist eine der letzten wenigen Einparteiendiktaturen auf der Welt. China hat zwar seit 20 Jahren eine wirtschaftliche Öffnung vollzogen, die zum Teil auch eine gesellschaftliche Öffnung war. Aber China hat in dieser Zeit niemals wirklich eine politische Öffnung vollzogen, die allein zu Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit sowie zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation führt. Das ist der Kernpunkt, über den wir uns streiten. Aber Sie nehmen eine falsche Position ein, weil Sie damals das Gleiche erzählt haben, wie wir heute gehört haben.
Ich sage Ihnen klar: Nur ein Signal für politische Reformen, Demokratie und Menschenrechtsreformen kann das Problem lösen. Ich sehe das so: Der EU-Prozess muss zu einer Ratifizierung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und damit zu Verbesserungen führen. Dann könnte man eine positive Diskussion führen, die etwas Konstruktives für die Menschen in China bringt. Dafür werden die Grünen eintreten. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung diesen Prozess in der europäischen Diskussion verstärken und vertiefen wird.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/5103 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 j sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf:
27. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention
– Drucksache 15/5214 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)Sportausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Tourismus
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abfallverbringungsgesetzes sowie zur Auflösung und Abwicklung der Anstalt Solidarfonds Abfallrückführung
– Drucksache 15/5243 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes
– Drucksache 15/5221 –
Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Finanz- und Personalstatistikgesetzes sowie des Hochschulstatistikgesetzes
– Drucksache 15/5215 –
Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)InnenausschussAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Verwaltungszustellungsrechts
– Drucksache 15/5216 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei
– Drucksache 15/5217 –
Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Haushaltsausschuss
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EG) 805/2004 über einen Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen (EG-Vollstreckungstitel-Durchführungsgesetz)
– Drucksache 15/5222 –
Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 15. November 2000 gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität sowie zu den Zusatzprotokollen gegen den Menschenhandel und gegen die Schleusung von Migranten
– Drucksache 15/5150 –
Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Auswärtiger Ausschuss InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Belastungen für Nordhorn und Siegenburg durch neue Nutzungsanordnung für die dortigen Luft-Boden-Schießplätze reduzieren
– Drucksache 15/5047 –
Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss (f)Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus
j) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2004– Einzelplan 20 –
– Drucksache 15/5005 –
Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss (f)
ZP 4 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
– Drucksache 15/5244 –
Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussFinanzausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2003 zur Änderung der Richtlinie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen
– Drucksache 15/5220 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)InnenausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
c) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen in Sudan UNMIS (United Nations Mission in Sudan) auf Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2005
– Drucksache 15/5265 –
Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Rechtsausschuss VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/5214 zu Tagesordnungspunkt 27 a soll zusätzlich an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Die Vorlage auf Drucksache 15/5005 zu Tagesordnungspunkt 27 j soll nicht an den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Unterschiedliche Forderungen aus der CDU zur Zukunft des BAföG
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion das Wort.
[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 169. Sitzung – wird morgen,
Freitag, den 15. April 2005,
an dieser Stelle veröffentlicht.]