184. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 30. Juni 2005
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Wolfgang Thierse:
Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Kollegin Ursula Lietz sowie dem Kollegen Dr. Dieter Thomae jeweils zum 65. Geburtstag und dem Kollegen Rainer Brüderle zum 60. Geburtstag nachträglich herzlich gratulieren und die besten Wünsche des Hauses aussprechen.
Sodann teile ich mit, dass die Abgeordneten Karl-Josef Laumann und Dr. Andreas Pinkwart am 28. Juni 2005 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet haben.
Als Nachfolger haben der Abgeordnete Helmut Brandt und der Abgeordnete Dr. Michael Terwiesche am 28. Juni 2005 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die beiden Kollegen sehr herzlich.
Am 1. Juli tritt das neue Abkommen über das Deutsch-Französische Jugendwerk in Kraft. Demnach sind vom Deutschen Bundestag für den Verwaltungsrat ein ordentliches und ein stellvertretendes Mitglied zu benennen. Zwischen den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD besteht Einvernehmen, den Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff als ordentliches und die Kollegin Monika Griefahn als stellvertretendes Mitglied vorzuschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Kollegin und der Kollege als Mitglieder für den Verwaltungsrat des Deutsch-Französischen Jugendwerks benannt.
Interfraktionell ist zur Tagesordnung Folgendes vereinbart worden: Kernzeitthemen sind Tagesordnungspunkt 4 – Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz – und Tagesordnungspunkt 3 – Energiepolitik –; Tagesordnungspunkt 6 – Abgeordnetengesetz – soll nach Tagesordnungspunkt 9 – Chancen für Arbeitsplätze – aufgerufen werden. Die Tagesordnungspunkte 2 – Entsendegesetz –, 10 – Mindestkapitalgesetz –, 15 – Forderungssicherungsgesetz – und 16 – Versorgungsnachhaltigkeitsgesetz – werden abgesetzt.
Außerdem soll die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte erweitert werden:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Steuerrechtliche Positionen der FDP vor dem Hintergrund von Berichten über eigene Finanztransaktionen
(siehe 183. Sitzung)
ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
(Ergänzung zu TOP 22)
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Birgit Homburger, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wärmebereich für den Klimaschutz erschließen – Erneuerbare Energien marktwirtschaftlich einbeziehen
– Drucksache 15/5731 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Hubert Hüppe, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Gentests in Medizin, Arbeitsleben und Versicherungen
– Drucksachen 15/543, 15/5866 –
Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Wolfgang Wodarg
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung: Erste Verordnung zur Änderung der Biomasseverordnung
– Drucksachen 15/5666, 15/5761 Nr. 2.1, 15/5867 –
Berichterstattung:Abgeordnete Marco Bülow Franz Obermeier Dr. Antje Vogel-Sperl Angelika Brunkhorst
d) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Gegen Gewalt und Vertreibungen in Simbabwe – Die Afrikanische Union muss handeln
– Drucksache 15/5830 –
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 223 zu Petitionen
– Drucksache 15/5836 –
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 224 zu Petitionen
– Drucksache 15/5837 –
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 225 zu Petitionen
– Drucksache 15/5838 –
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 226 zu Petitionen
– Drucksache 15/5839 –
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 227 zu Petitionen
– Drucksache 15/5840 –
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 228 zu Petitionen
– Drucksache 15/5841 –
ZP 3 a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung der Umsetzung von öffentlich-privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für öffentlich-private Partnerschaften
– Drucksache 15/5668 –
(Erste Beratung 181. Sitzung)
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss)
– Drucksache 15/5859 –
Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Michael Fuchs
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Otto Fricke, Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Privatisierung und öffentlich-private Partnerschaften
– Drucksachen 15/2601, 15/5859 –
Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Michael Fuchs
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Hartmut Schauerte, Christian Freiherr von Stetten, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Wachstumsstrategie für Deutschland: Public Private Partnership weiterentwickeln und nunmehr realisieren – Infrastruktur optimieren, Investitionsstau auflösen
– Drucksachen 15/5676, 15/5861 –
Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel
ZP 4 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Arbeit schaffen – Sozialen Zusammenhalt und wirtschaftliche Dynamik im europäischen Binnenmarkt für Dienstleistungen verbessern
– Drucksache 15/5832 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vermerk des Generalsekretariats des Rates für die Gruppe ?Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum“ – Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt
Ratsdok. 5161/05
– Drucksachen 15/5172, 15/5862 –
Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Joachim Stünker, Olaf Scholz, Erika Simm, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz – VorstOG)
– Drucksache 15/5577 –
(Erste Beratung 179. Sitzung)
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Funke, Rainer Brüderle, Daniel Bahr (Münster), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Stärkung der Eigentümerrechte einer Aktiengesellschaft (1. Eigentümerrechte-Stärkungsgesetz – EigStärkG)
– Drucksache 15/5582 –
(Erste Beratung 179. Sitzung)
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
– Drucksache 15/5860 –
Berichterstattung:Abgeordnete Olaf Scholz Erika Simm Dr. Günter Krings Jerzy Montag Rainer Funke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Olaf Scholz, SPD-Fraktion, das Wort.
Olaf Scholz (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich dem Bundeskanzler meinen Dank aussprechen;
denn es wird uns die Möglichkeit eröffnet, bald eine Neuwahl durchzuführen. Offenbar fördert das die Gedankenbildung. Dabei entstehen Situationen, in denen Vorhaben, die sonst nicht zustande gekommen wären, plötzlich zustande kommen.
Der Gesetzentwurf, über den wir heute reden, ist ein solches Vorhaben.
Es wurde schon lange darüber diskutiert, die Vorstandsvergütungen offen zu legen. Immer wieder wird von allen die Offenlegung gefordert, aber wenn es darum geht, diese Forderung handfest zu machen, also in Form von Gesetzen zu gießen, denen man nicht ausweichen kann, wird es schwierig. Insofern bin ich sehr froh, dass die Tatsache, dass man wahrscheinlich in wenigen Wochen von den Wählerinnen und Wählern gefragt wird, welche Einstellung man zu diesem Vorhaben hat, nun dazu führt, dass die Ankündigungen umgesetzt werden.
Ich möchte eine zweite Vorbemerkung machen; sie hat etwas mit einem anderen Gesetzentwurf zu tun, über den wir heute diskutieren. Dabei geht es um die Transparenz von Einkünften von Bundestagabgeordneten, es geht um Nebentätigkeiten, die wir offen legen sollen. Es war zwar nicht geplant, aber es ist doch ein ganz kluger Zufall, dass wir heute über beide Gesetzentwürfe beraten; denn damit ist das Argument des einen oder anderen, der meint, die Vorstandsvergütungen müssten transparent sein und öffentlich gemacht werden, die Einkünfte der Bundestagsabgeordneten jedoch nicht, abgeschnitten. Für die Fraktionen von SPD und Grünen, die diesen Gesetzentwurf unterstützen werden, ist das jedenfalls so.
Darum, meine Damen und Herren, ist heute ein guter Tag.
Wir tun etwas für die Transparenz der Vorstände und wir tun etwas für die Transparenz der Abgeordneten.
Das passt gut zusammen.
Nun zum Inhalt des Gesetzentwurfes. Wir haben gesagt: Wenn es die deutsche Wirtschaft von sich aus schafft, eine Offenlegung von Vorstandsvergütungen zustande zu bringen, dann ist das gut. Hier haben wir uns im Einklang mit den Vorschlägen befunden, die die Cromme-Kommission gemacht hat. Aber wir haben auch gesagt: Wir warten ab, welchen Erfolg diese Freiwilligkeitsoffensive haben wird.
In diesem Jahr wurde uns ein Bericht vorgelegt, in dem wir erfahren mussten, dass Aktiengesellschaften, die an Börsen notiert sind, doch nicht in ausreichendem Maße zu dieser Transparenz der Vergütungen ihrer Vorstände gekommen sind. Nun musste man sich entscheiden, wie man mit dieser Situation umgeht. Daher wurde, nachdem uns dieser Bericht vorlag, sofort ein Vorschlag erarbeitet, darum gibt es diesen Gesetzentwurf von SPD und Grünen, und darum glaube ich, dass dieser Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, gut ist.
Es geht – das will ich ausdrücklich sagen – nicht um die Befriedigung irgendeiner nicht berechtigten Neugier, die darin bestehen würde, dass man immer schon einmal in irgendeiner Zeitung lesen wollte, welches Vorstandsmitglied wie viel verdient. Das ist zwar interessant, aber dafür ist der Deutsche Bundestag nicht zuständig. Das herauszufinden ist eine journalistische Aufgabe. Dabei müssen wir nicht gesetzgeberisch nachhelfen.
Vielmehr geht es darum, einen Weg zu finden, wie die Aktionäre von Unternehmen und diejenigen, die sich für Aktiengesellschaften interessieren und sich an ihnen beteiligen wollen – sei es mit einer Aktie oder mit sehr vielen Aktien –, etwas darüber erfahren, wie die Vorstände der Aktiengesellschaften in Deutschland finanziell ausgestattet sind.
Diese Frage – das muss man ganz nüchtern sagen – ist heute eine andere als in früheren Jahren. Wir wissen ja, in welchem Ausmaß die Gehälter von Fußballspielern gestiegen sind und welch hohe Ablösesummen in diesem Bereich gezahlt werden. Wenn man diese Summen auf die Verzinsung einer Kapitalanlage überträgt, kommen dabei, wenn man das umrechnet, ganz ordentliche mittelständische Unternehmen heraus. Einige Vorstandseinkommen bewegen sich in einer Größenordnung, die sich manch hart arbeitender Unternehmer mit vielen Mitarbeitern ganz ernsthaft als Dividende seines Unternehmens wünschen würde; aber eine solch hohe Summe wird er niemals erreichen.
Angesichts dessen ist es von zentraler wirtschaftlicher Bedeutung, die Höhe der Gehälter, die gezahlt werden, zu erfahren. Daher ist es im Interesse des Wirtschaftsplatzes Bundesrepublik Deutschland, dass die Vorstandsgehälter offen gelegt werden.
Das geschieht durch dieses Gesetz. Es geschieht auf eine so charmante und gesetzgeberisch kluge Weise, dass niemand etwas dagegen haben konnte. Das ist der Grund dafür, dass es letztendlich zu einer solch breiten Unterstützung gekommen ist, und das ist wohl auch der Grund dafür – das will ich lobend sagen –, dass die CDU/CSU – die FDP allerdings nicht – gesagt hat, dass sie unseren Gesetzentwurf unterstützt.
Wir haben folgende Opting-Out-Lösung in unseren Gesetzentwurf aufgenommen: Wenn die Aktionäre, für die wir das machen, mit Dreiviertelmehrheit für fünf Jahre beschließen, dass sie die Höhe der Gehälter ihrer Vorstandsmitglieder nicht erfahren wollen, dann soll man sie daran nicht hindern. Weil das so ist, kann man jedem, der meint, hier gebe es verfassungsrechtliche Bedenken, sagen: Das ist nicht so. Es gibt keine verfassungsrechtlichen Bedenken; denn diejenigen, um die es geht, können selbst entscheiden und zu einer anderen Lösung kommen.
Auch ist dann jedem das Argument abgeschnitten, der sagt, hier gehe es um die Befriedigung unberechtigter Neugier; denn derjenige, der das alles schon weiß bzw. gar nicht genauer wissen will, kann eine andere Entscheidung treffen. Darum glaube ich, dass dieser Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, gut ist. Dieses Gesetz wird lange Zeit Bestand haben. Dadurch werden die Bundesrepublik Deutschland und ihre Aktiengesellschaften an die Transparenz moderner Aktienmärkte in anderen Ländern anschließen. Wir holen jetzt das nach, was anderswo schon existiert, und zwar unter einer modernen rot-grünen Regierung.
Schönen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Günter Krings, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Günter Krings (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Vielleicht sollten wir zu Beginn meiner Rede, wenn schon nicht zu Beginn der ganzen Debatte, einmal kurz klarstellen, worum es hier heute eigentlich geht, vielleicht auch für die Zuschauer zu Hause an den Fernsehern: Es geht um die Offenlegung der Bezüge von Vorständen von börsennotierten Aktiengesellschaften. Es geht nicht um die Nebeneinkünfte von Vorständen von börsennotierten Aktiengesellschaften; genau diesen Vergleich haben Sie, Herr Scholz, aber gerade hergestellt. Die Bezüge der Abgeordneten sind im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Wir wollen nicht, dass die Nebeneinkünfte der Vorstände im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden, wir wollen lediglich, dass die Haupteinkünfte veröffentlicht werden. Das ist sozusagen die Parallelität und keine andere.
Die Tagesordnungsregie, die vielleicht doch nicht ganz zufällig ist, hat dazu geführt, dass die Offenlegung der Vergütungen der Vorstandsmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften heute während der Kernzeit des Plenums behandelt wird. Darüber freuen wir als Union uns aus zwei Gründen: Zum einen gibt es uns Gelegenheit, unseren Standpunkt für Transparenz und Offenheit hier in aller Öffentlichkeit darzulegen, und zum anderen führt unsere Debatte während der Kernzeit des Bundestages der Öffentlichkeit exemplarisch unsere an der Sache orientierte Begleitung der Gesetzentwürfe der rot-grünen Bundesregierung vor. Während die linke Seite dieses Hauses von 46 Gesetzentwürfen der Union in dieser Legislaturperiode nur ganze zwei – ganze zwei! – angenommen hat, hat die Union von den über 90 Gesetzentwürfen, die ins Vermittlungsverfahren zwischen Bundesrat und Bundestag gegangen sind, im Ergebnis nur einen einzigen abgelehnt. Nach drei Jahren dieser Wahlperiode lautet das für Sie relativ ernüchternde Fazit eindeutig: Sie haben fast immer Ihre Mehrheit dazu benutzt, zu blockieren; wir waren zu Kompromissen in der Sache fast immer bereit.
– Schauen Sie sich die Zahlen an; die Zahlen belegen es.
Sie bauen Legenden auf; wir können mit Zahlen belegen, was wir gemacht haben. Das markiert eben den Unterschied zwischen Ihrer Politik und der Politik der Union. Unsere Zustimmung, auch heute zu dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz, verweist Ihre ständig wiederholte Unterstellung einer Blockadehaltung der Union endgültig in das Reich politischer Legenden.
Wir lassen uns von unserer an der Sache orientierten Haltung auch dann nicht abbringen, wenn sich Rot-Grün, wie heute, bei dem Zeitplan für die Beratung eines Gesetzes eher von Populismus als von solider Wirtschaftspolitik leiten lässt. Während die SPD-Parteispitze gegen ?Heuschrecken“ wetterte und der Kapitalismus als Sündenbock für die miserable Wirtschaftslage in Deutschland ausgemacht wurde, stellte die Justizministerin scheinbar ganz zufällig den heute zu beratenden Gesetzentwurf vor – ein sehr merkwürdiger Vorgang. Sie haben mit der Herstellung dieses unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs dem Anliegen für mehr Transparenz im Aktienrecht – das uns in diesem Hause eint – mehr geschadet als genutzt. Wer die Forderung nach Offenheit als Vorwurf an die Wirtschaft formuliert, darf sich nicht wundern, wenn die betroffenen Unternehmen eher in einer Abwehrhaltung verharren, als dass sie diesem Ziel auch positiv gegenüberstehen.
Ich kann mir daher lebhaft vorstellen – und die Reaktionen haben es ja gerade gezeigt –, wie groß die Enttäuschung in den Reihen von Rot-Grün in den letzten Tagen über unsere Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf war und ist. In Wahrheit sind Ihnen die Kapitalismuskritikthemen längst ausgegangen. Ein Klassenkampfthema der SPD nach dem anderen hat sich in heiße Luft aufgelöst. Diese Woche haben Sie gar noch das für heute angesetzte Arbeitnehmer-Entsendegesetz von der Tagesordnung absetzen müssen. Was Ihnen bleibt, ist die nackte Heuschreckenrhetorik. Wenn die Menschen Sie aber fragen, was Sie politisch-inhaltlich anders machen wollen – wozu Sie sieben Jahre Gelegenheit gehabt hätten –, dann fällt Ihnen nichts mehr ein, jedenfalls nichts, wofür Sie in Ihren jeweiligen Fraktionen auch nur annähernd eine Mehrheit zusammenbekommen würden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen mit unserer Zustimmung zu diesem Gesetz im In- und Ausland das Vertrauen in unseren Aktienmarkt stärken.
Ein logischer Beitrag hierzu ist ein möglichst hohes Maß an Transparenz im Hinblick auf die relevanten Unternehmensdaten von börsennotierten Aktiengesellschaften. Gerade viele ausländische Anleger – die wir übrigens anders als Herr Müntefering nicht als Schädlinge bekämpfen wollen, sondern deren Nutzen für unsere Wirtschaft wir anerkennen – erwarten eine individualisierte Offenlegung von Vorstandsbezügen. Dort, wo wir in einem internationalen Kapitalmarkt mit einer deutschen Sonderregelung von internationalen Standards abweichen, muss man schon gute Gründe für dieses Abweichen haben. Bei der Offenlegung von Vorstandsvergütungen vermag ich solche Gründe nicht zu erkennen. Die Höhe der Vorstandsbezüge gehört zu den relevanten Informationen, die Aktionäre einer Gesellschaft oder auch solche, die es noch werden wollen, durchaus interessieren dürfen; so weit ist im Hause wohl insgesamt, bis hin zu FDP, Konsens. Zu einer für den Durchschnittsaktionär fassbaren Größe werden diese Angaben aber erst, wenn sie auch getrennt nach den einzelnen Vorstandsmitgliedern gemacht werden.
Bei der konkreten Ausgestaltung dieses Gesetzentwurfes hätten wir in der Union uns durchaus auch andere Lösungswege vorstellen können. Nach dem von uns im Ergebnis akzeptierten Vorschlag des Herausoptierens können 75 Prozent des auf der Hauptversammlung erschienenen Kapitals eine Offenlegung verhindern. Umgekehrt betrachtet: 25 Prozent des Kapitals sind erforderlich, um die auch von der Cromme-Kommission geforderte Transparenz im Ergebnis tatsächlich sicherzustellen. Hätte man sich darauf einigen können, dass grundsätzlich ein positiver Beschluss der Hauptversammlung notwendig ist, um die Offenlegung zu erreichen – ein so genanntes Opt-in –, dann hätte man dem Minderheitenschutz meiner Meinung nach sogar noch mehr Vorschub geleistet. Denkbar wäre hier nämlich ein Quorum deutlich unter 25 Prozent gewesen.
Wenn man jedoch die Offenlegung als Grundfall ins Gesetz schreibt und den besonders gelagerten Interessen einiger Aktiengesellschaften durch ein Modell des Herausoptierens Rechnung trägt, dann darf dieses Herausoptieren nicht unnötig verkompliziert werden. Es ist daher entscheidend, dass der Hauptversammlungsbeschluss, von der Offenlegung abzusehen, nicht alle zwei Jahre oder gar jedes Jahr wiederholt werden muss. Es ist uns wichtig, durchgesetzt zu haben, dass die Fünf-Jahres-Frist im Gesetzentwurf steht. Wenn wir die Offenlegung der Vorstandsvergütungen nämlich auf jeder zweiten Hauptversammlung zum Streitpunkt werden ließen, täten wir weder den betroffenen Unternehmen noch dem Kapitalstandort Deutschland einen Gefallen. Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass es nach dem FDP-Modell fast vorprogrammiert wäre, dass wir dies jedes Jahr zum Streitpunkt in den Verhandlungen der Hauptversammlungen machen würden. Wie gesagt: Das würde weder den Unternehmen noch dem Wirtschaftsstandort dienen.
Für die kollegiale und sehr sachliche Atmosphäre im Berichterstattergespräch bedanke ich mich beim Kollegen Scholz ausdrücklich. Wir haben bei diesem Gespräch weitergehende gemeinsame Änderungen erarbeitet, durch die Schlupflöcher des ursprünglichen Gesetzentwurfes geschlossen werden und für eine realistische Darstellung der Pensionszusagen heutiger Vorstandsmitglieder gesorgt wird. So darf sich die Offenlegung nicht auf die Leistungen beschränken, die direkt an ein Vorstandsmitglied erbracht werden, sondern muss auch diejenigen umfassen, die im Interesse und im Zusammenhang mit der Gesellschaft von Dritten erbracht werden. Zu einer umfassenden Offenlegung der Vergütung zählt auch die Auflistung der Leistungen für den Fall der Beendigung der Tätigkeit.
Wir stimmen diesem Gesetzentwurf also in der Fassung, die er durch die Beratungen im Rechtsausschuss erhalten hat, zu. Wir tun dies getreu unserer Devise für unsere Arbeit als Opposition hier im Deutschen Bundestag, wonach wir zu gemeinsamen Lösungen für unser Land bereitstehen, solange die Vorteile die Nachteile überwiegen. Ich darf ergänzen: Wir erhoffen uns ab Herbst eine ebenso konstruktive Opposition für unsere Regierungsarbeit.
Ich will zum Schluss aber noch deutlich machen, dass eines bei diesem Gesetzgebungsverfahren sehr auffällig ist; das sollten Sie sich sehr ernsthaft anhören. Der Deutsche Bundestag ist beim Offenlegungsgesetz offenbar in der Lage, eine relativ komplexe Frage in wenigen Wochen einer sachdienlichen Regelung zuzuführen. Es wirft kein gutes Licht auf die Bundesregierung, dass sie es in der gleichen Zeit nicht geschafft hat, etwas ganz Einfaches zu tun, nämlich in den Gesellschafterversammlungen der Unternehmen des Bundes dafür zu sorgen, dass auch dort die Vorstandsgehälter offen gelegt werden.
Das ginge viel einfacher und schneller, als ein Gesetz zu erlassen, und das griffe nicht in Rechtspositionen privater Dritter ein. Jedermann leuchtet ein, dass Unternehmen der öffentlichen Hand auch verstärkt unter der Aufsicht der Öffentlichkeit stehen sollten.
Dennoch ist alles, was wir auf ein wiederholtes Nachfragen – auch gestern im Rechtsausschuss noch – zu diesem Punkt von der Bundesregierung zu hören bekommen: Wir beraten die Frage.
Die Bundesregierung hat hierzu offenbar sogar einen Arbeitskreis gegründet und eingesetzt. Es ist schon fast pharisäerhaft, wenn Sie den Unternehmen einerseits sagen, die Empfehlungen einer von der Wirtschaft eingesetzten Kommission, eines Arbeitskreises, nämlich der Cromme-Kommission, reichten nicht aus, man bräuchte eine verbindliche Entscheidung hierzu, während die Bundesregierung zur gleichen Zeit andererseits erst einmal einen Arbeitskreis gründet, um das Thema sozusagen ohne verbindliche Entscheidungen anzugehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden nicht an den Worten, sondern an den Taten gemessen. Gehen Sie endlich mit gutem Beispiel voran und sorgen Sie dafür, dass Sie von den privaten Unternehmen nicht etwas fordern, was Sie nicht bereit sind, in Ihrem eigenen Arbeitsbereich, bei den öffentlichen Unternehmen, einzulösen!
Danke schön.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile Kollegin Thea Dückert, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz zur Offenlegung der Managergehälter, das wir heute hier beschließen werden, holen wir etwas nach, was in Deutschland schon längst eine Selbstverständlichkeit sein sollte. In vielen anderen Marktwirtschaften dieser Welt ist dies bereits eine Selbstverständlichkeit, weil zu einer Marktwirtschaft Transparenz gehört, auch um die Vertrauensbildung voranzubringen.
Dieser Selbstverständlichkeit konnte sich nun auch die Union nicht mehr entziehen. Ich bin froh, dass wir heute gemeinsam mit diesem wichtigen Schritt das auf den Weg bringen, was in den großen deutschen Aktiengesellschaften zum Regelfall werden soll. Dafür beschließen wir heute dieses Gesetz.
Es ist schon interessant, dass sich die selbst ernannten Herolde der freien Marktwirtschaft, nämlich die FDP, an genau dieser Stelle sperren. Das ist interessant, aber überhaupt nicht verwunderlich. Wir haben hier erneut ein Beispiel dafür, dass die FDP nichts anderes als die Verteidigerin des Lobbyismus in diesem Lande ist.
Sie meinen mit Freiheit die Freiheit für eine bestimmte Gruppe. Wir meinen mit Freiheit, meine Damen und Herren von der FDP, die Freiheit mit Verantwortung.
Wir meinen, dass Manager in diesem Land nicht nur gegenüber ihren Aktionärinnen und Aktionären, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit Verantwortung tragen. Die heutigen und zukünftigen Aktionärinnen und Aktionäre und diejenigen, die sich überlegen, es zu werden, aber auch die Öffentlichkeit haben das gute Recht, zu erfahren, warum und in welchem Maße sich Managergehälter entwickeln, wenn beispielsweise große Konzerne ihre Belegschaften in die Wüste schicken. Jeder und jede haben ein Recht, dies öffentlich zu diskutieren. Wenn wir zu Recht sagen, dass Leistung in Deutschland messbar sein muss und sich Entlohnung an Leistung messen soll, dann darf es für die Manager keinen Schutzschild geben. Sie von der FDP wollen genau dies.
Ich muss auch sagen, dass diese selbstverständliche Forderung nach Transparenz und nach Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso für öffentliche Unternehmen gilt. Da bin ich mit Ihnen völlig einig. Es ist sehr einfach, diese Forderung zu erfüllen. Es wäre gut, wenn das Finanzministerium gerade in den Unternehmen, in denen wir als öffentliche Hand die Aktienmehrheit haben, wie beispielsweise bei der Bahn oder der KfW, die Öffentlichkeit zügig herstellte; das ist völlig richtig.
Zur Marktwirtschaft gehört auch Transparenz; das ist klar. Warum? Um Vertrauen zu bilden. Um Vertrauen zu bilden, gehört es zukünftig auch dazu, Vetternwirtschaft in großen Konzernen zu unterbinden. Deswegen müssen wir in Zukunft dafür sorgen, dass die Zahl der Aufsichtsratsmandate auf maximal fünf pro Person beschränkt wird. Auch der Wechsel zwischen Vorstand und Aufsichtsrat darf nicht mehr selbstverständlich sein, sondern muss untersagt werden.
Sie sehen: Zur Herstellung von Transparenz und Vertrauen ist noch einiges zu tun. Heute machen wir dafür einen wichtigen Schritt. Es wäre gut, wenn die FDP aus ihrer Ecke herausgekommen wäre. Das ist ihr nicht möglich gewesen. Wie gesagt, das wundert uns nicht. Aber wir leiten heute die entsprechenden Maßnahmen für mehr Transparenz ein. Ähnliche Maßnahmen werden wir heute auch für Abgeordnete beschließen. Das ist sehr gut so.
Ich danke Ihnen.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Sibylle Laurischk, FDP-Fraktion.
Sibylle Laurischk (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu den Bemerkungen von Herrn Scholz vorweg eines anmerken: Es geht hier nicht nur darum, dass wir Transparenz schaffen, es geht auch darum, dass wir Eigentumsrechte wahren.
Dass nun gerade vonseiten der SPD eine völlig unterschiedliche Problemlage angeschnitten wird und die Vorstandsvergütungen und die Abgeordneteneinkünfte in einen Topf geworfen werden, ist bezeichnend. Sie wissen nicht zu unterscheiden und wissen deshalb nicht, wovon Sie reden.
Zur Sache:
Es geht um Eigentumsrechte.
– Ich möchte Sie doch bitten, mir zuzuhören.
Seit über einem Jahr wird in der Öffentlichkeit und in der Politik über die Offenlegung von Vorstandsvergütungen diskutiert. Kurz vor der Wahl in NRW, die bekanntlich für die SPD katastrophal ausging, legte uns die Bundesjustizministerin einen Gesetzentwurf vor, der in größter Eile ganz offenbar zu Wahlkampfzwecken im parlamentarischen Verfahren beraten wurde, und dies, obwohl Frau Bundesjustizministerin Zypries immer und mit Nachdruck angekündigt hatte, einen Gesetzentwurf für einen gesetzlichen Zwang zur Offenlegung frühestens im Herbst dieses Jahres vorzulegen.
Die FDP hat sich schon im letzten Herbst mit ihrem Antrag zur Konzernmitbestimmung und zur Stärkung von Aufsichtsräten und Eigentümerrechten deutlich positioniert.
Diese Position haben wir durch Einbringung eines eigenen Gesetzentwurfs zur Offenlegung von Vorstandsvergütungen noch einmal bekräftigt. Ein Gesetz zur Stärkung der Eigentümerrechte liegt heute ebenfalls zur Beratung vor. Bereits dem Titel unseres Gesetzentwurfs können Sie entnehmen, worum es bei dieser Diskussion eigentlich gehen sollte: um die Stärkung der Rechte der Eigentümer einer Aktiengesellschaft, also der Aktionäre. Denn diese sind die Einzigen, die ein gerechtfertigtes Interesse an einer Offenlegung der Vorstandsgehälter haben können. Sie – nicht die Öffentlichkeit – sind die Anteilseigner der Aktiengesellschaft.
Das Gesetz der Regierungskoalition verkennt diesen Ansatz. Das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz sieht einen gesetzlichen Zwang für börsennotierte Unternehmen zur individualisierten Offenlegung der Vorstandsgehälter vor. Nach der Begründung des Entwurfs sollen damit zwar die Rechte der Aktionäre gestärkt werden, aber im Grunde geht es nur darum, die Heuschrecken- und Neiddebatte noch mit einem Gesetzentwurf anzufüttern.
Es geht Ihnen eben um diese Neiddebatte. Wir hingegen wollen, dass die Rechte der Eigentümer, die sich entschieden haben, sich an einer Aktiengesellschaft zu beteiligen, gewahrt bleiben. Das muss hier einmal so deutlich gesagt werden.
Sie scheinen zwar erkannt zu haben, dass Aktionäre Rechte haben, die auch anerkannt werden müssen; diese Rechte sollten die Aktionäre jedoch ohne Bevormundung durch den Gesetzgeber ausüben können. Deswegen haben wir die einzig logische Regelung vorgeschlagen: Die Aktionäre entscheiden als mündige Anteilseigner per Mehrheitsbeschluss – wie in einer Aktiengesellschaft üblich – darüber, ob sie Offenlegung wünschen. Ihr Ansatz eines Opt-out mit einer Dreiviertelmehrheit entspricht außerdem nicht den aktienrechtlich üblichen Regeln. Jeder Student weiß: Es genügt im Aktienrecht für Beschlüsse grundsätzlich eine einfache Mehrheit. Eine größere Mehrheit wie zum Beispiel die Dreiviertelmehrheit ist nur dann notwendig, wenn es sich um so genannte Grundlagenbeschlüsse handelt.
Auch stellt Ihr Gesetzentwurf eine Entmündigung des Aktionärs dar, trotz der Opt-out-Regelung; denn es wird ihm ein Interesse unterstellt, welches nicht nachgewiesen ist. Vielmehr wird einfach ein gesetzlicher Zwang in seinem angeblichen Interesse vorgesehen und er erhält zur angeblichen Absicherung der Verfassungsfestigkeit dieses Gesetzes die Möglichkeit, die Offenlegung abzuwehren. Was diese rechtliche Konstruktion mit der Wahrung der Interessen und der Rechte von Aktionären wirklich zu tun hat, ist zumindest Ihrem Entwurf nicht zu entnehmen.
Der Aktionär erhält durch unseren Entwurf tatsächlich mehr Rechte. Er kann nicht nur darüber entscheiden, ob er überhaupt eine individualisierte Offenlegung der Gehälter möchte, er hat auch die Möglichkeit, den Grad der Aufschlüsselung der Gehälter zu bestimmen. Damit erhält der Aktionär maximale Einflussmöglichkeiten bezüglich der Offenlegung.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal eines betonen: Transparenz ist sicherlich wichtig. Aber sie sollte nicht durch die Entmündigung der Aktionäre, sondern durch die Stärkung der Freiheit und Verantwortung der Aktionäre erreicht werden. Dieses Ziel kann nur mit unserem Gesetzentwurf erreicht werden.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Alfred Hartenbach, SPD-Fraktion.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich an dieser Stelle auch ein bisschen als Mitglied der Bundesregierung sehr herzlich für die konstruktive Atmosphäre bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs bedanken. Ich hätte mir gewünscht, dass bei diesem wichtigen rechtspolitischen Vorhaben alle Fraktionen an einem Strang ziehen und ihm zustimmen würden, statt dass einige wieder Transparenz predigen, aber in Wirklichkeit Klientelpolitik betreiben.
Immerhin dürfen wir uns über die Unterstützung der Union freuen. Damit können wir, glaube ich, auch einmal die Mehrheiten im Bundesrat positiv beeinflussen.
Verehrter Kollege Krings, man hat dem ersten Teil Ihrer Rede ein bisschen angemerkt, dass Sie aus Westdeutschland kommen. Sie wohnen in der Nähe von Aachen. Der erste Teil Ihrer Rede war zwar sicherlich lustig, aber für eine Nominierung für den ?Orden wider den tierischen Ernst“ reicht sie nicht aus.
– Ich habe gut zugehört. Was Sie hinsichtlich der Blockade gesagt haben, war völlig fehl am Platz. Ich dachte, Sie hätten das gemerkt.
Das Thema ist in den Fachkreisen und in der Öffentlichkeit breit diskutiert worden. Es geht dabei nicht um Neid oder Neugier; es geht vielmehr darum, die Kontrollrechte der Aktionäre – vor allem der Kleinaktionäre – zu stärken. Diese Ansicht teilt die FDP nicht. Unser Entwurf zielt in diese Richtung und ist damit richtig, während die FDP darauf abzielt, die Großaktionäre bzw. das Großkapital zu stärken. Sie alle wissen: Vorstandsbeschlüsse regeln das Verfahren, auch in der Versammlung. Vorschläge des Vorstands werden in aller Regel umgesetzt. Aber man muss sich ganz schön anstrengen, um 25 Prozent der Kleinaktionäre zusammenzubekommen, die einen solchen Beschluss fassen. Deswegen: Eine Entmündigung der Aktionäre wollen Sie und nicht wir.
Wir stärken die Eigentümerrechte und schaffen mehr Transparenz. Vor allen Dingen kommen wir dem Deutschen Corporate-Governance-Kodex in einem wichtigen Punkt entgegen. In vielen anderen Bereichen werden die Kodexempfehlungen Gott sei dank bereits nahezu vollständig befolgt. Dr. Cromme hat dies erst kürzlich in einer von ihm vorgelegten Neuauflage dieses Werkes bestätigt. Die Corporate-Governance-Kommission leistet auf diese Weise einen maßgeblichen Beitrag für gute Unternehmungsführung in Deutschland. Hierfür gebührt ihr ausdrücklich Anerkennung.
Die Kommission hat auch im Auftrag der Bundesregierung gearbeitet. Wir hatten lange, bevor das Thema Neuwahlen anstand, hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt, verehrte Frau Kollegin Laurischk. Wenn Sie ihn lesen, dann erkennen Sie, dass es sich dabei sozusagen um einen Parallelentwurf handelt, sodass wir mit den Koalitionsfraktionen übereinstimmen und einen guten Weg gehen. Ich glaube, die Union sieht das genauso.
Wir haben den Gesetzentwurf bewusst schlank gehalten, um Raum für den Kodex – also für Eigenverantwortung und die Stärkung der Rechte der Aktionäre – zu lassen. Wir haben davon abgesehen, den Vergütungsbericht für die Unternehmen verpflichtend vorzuschreiben. Es gilt der Grundsatz: ?So viel Regulierung wie nötig, so viel Freiheit wie möglich“. Deshalb enthält der Gesetzentwurf nur Sollvorschriften für Informationen zur Vergütungsstruktur.
Der Rechtsausschuss hat den Gesetzentwurf nach Diskussionen mit Experten – ich habe bereits erwähnt, dass die Gespräche sehr vernünftig und gut verlaufen sind – in zwei Detailpunkten ergänzt. So wurde zum einen die Angabepflicht zu den Pensionszusagen konkretisiert – das ist ein sehr wichtiger Punkt –;
zum anderen sollen die Vorstände auch die Leistungen offen legen, die ein Vorstand von dritter Seite erhält. Auch das ist ein wesentlicher Punkt, um Korruption – ich spreche das Wort aus, weil es einige andere verschämt verschweigen – auf diesem Gebiet vorzubeugen. Auch aus diesem Grund bin ich dankbar, dass wir gemeinsam daran arbeiten.
Das Grundkonzept ist aber unverändert geblieben. Mit der gesetzlichen Offenlegungspflicht befinden wir uns im internationalen Vergleich in guter Gesellschaft.
In erster Linie sind es die angloamerikanischen Länder, die die Individualangaben bereits vorschreiben. Aber auch Unternehmen in Frankreich oder Italien, deren Gesellschaftsorgane ähnlich aufgebaut sind wie bei uns, müssen ihre Vorstandsgehälter individualisiert ausweisen. In diesem Zusammenhang weise ich auch auf die Empfehlung der EU-Kommission hin, die wertvolle Vorschläge für die Offenlegung der Vergütungspolitik enthält. Noch sind es unverbindliche Vorgaben. Ich glaube aber, dass es verbindliche Vorschriften werden können, wenn wir mit unserem Gesetz heute ein Signal setzen.
Gestatten Sie mir, in der mir verbleibenden Redezeit eine Anmerkung zu machen. Herr Kollege Krings, natürlich brauchen wir für die Regelung der Offenlegung von Vorstandsgehältern bundeseigener Unternehmungen eine Arbeitsgruppe, in der alle vertreten sind. Es sind ja in der Regel keine börsennotierten Unternehmungen, für die das Aktienrecht gilt. Auch das GmbH-Recht gilt nicht.
– Mein lieber Kollege Krings, Sie haben mir gestern gut zugehört. Ich danke Ihnen dafür. – Es geht darum, dass wir Regelungen schaffen, die auch für die Länder und vor allem für die Kommunen – für die öffentlich-rechtlichen Sparkassen zum Beispiel – gelten. Es ist doch gut, wenn wir uns sehr genau überlegen, was wir machen. Wir machen etwas; das Gesetz wird kommen. Wir werden das noch machen. Ich freue mich, dass Sie dies als Opposition genau so sachlich und kompetent begleiten werden, wie Sie es bisher begleitet haben.
Vielen herzlichen Dank, meine lieben Kollegen.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion.
Hartmut Schauerte (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Hartenbach, offensichtlich hat Sie die Bemerkung des Kollegen Krings zur Frage, wer in der Vergangenheit was blockiert hat, doch sehr getroffen.
Deswegen möchte ich die Fakten noch einmal in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit benennen. Von mehr als 90 Gesetzgebungsvorhaben, die im Vermittlungsausschuss gelandet sind,
ist eines definitiv blockiert worden und gescheitert: Das war das unglaublich wichtige Verfütterungsverbotsgesetz aus dem Bereich landwirtschaftlicher Ernährungsfragen – ein ganz zentrales Gesetzgebungsvorhaben. Umgekehrt haben der Bundesrat und die Bundesländer in der zurückliegenden – man muss wohl sagen: in der noch laufenden – Legislaturperiode über 100 Gesetzesanträge eingebracht, von denen mit Ihrer Mehrheit über 90 abgelehnt wurden. Seien Sie in Zukunft also vorsichtig mit dem Blockadevorwurf; denn die Fakten sprechen ganz eindeutig gegen Sie. Sie haben immer wieder eine Blockade gegen vernünftige Gesetzgebungsvorhaben der Union praktiziert.
Damit keine falschen Legenden entstehen, eine zweite Bemerkung: Wir haben von Anfang an das, was die Kommission Deutscher Corporate-Governance-Kodex unter Cromme erarbeitet und entwickelt hat, positiv begleitet und tatkräftig mitgewirkt. Wir haben diesen Prozess gewollt und wir wollen ihn immer noch. Die Frage ist jetzt, wie lange man auf Freiwilligkeit setzen kann und wann der Gesetzgeber eingreifen sollte. Darüber kann man ein bisschen diskutieren. Das ist nicht existenziell, aber eine Frage des Stils. Dass dieses Gesetz ausgerechnet jetzt, in einer Zeit kommt, in der Sie im Wahlkampf eine Neiddiskussion lostreten werden und in der Müntefering Kapitalismuskritik – Stichwort ?Heuschreckendiskussion“ – äußert, schadet dem Anliegen. Das kritisieren wir; das finden wir nicht gut.
Es wäre besser, wenn wir das vermieden hätten.
Deswegen lassen wir uns aber von unserem Kurs, von dem, was wir mit diesem Gesetz erreichen wollen, nicht abbringen. Wir halten die Offenlegung in Publikumsgesellschaften für geboten, für notwendig, für sinnvoll und für zielführend. Die Frage ist: Wie fasst man das? Dazu gab es ein paar Varianten. Wir haben sie bereits vorgestellt.
Nach unserer Auffassung hätte man noch etwas warten können. Im Jahr 2004 hat der Cromme-Entwurf erheblich an Akzeptanz gewonnen. Über zwei Drittel der DAX-Unternehmen haben ihn akzeptiert. Man hätte abwarten können, ob noch mehr hinzugekommen wären. Es kommt in dieser Frage nicht auf ein halbes oder ein Jahr an. Das hätte man machen können. Sie sind aber den anderen Weg gegangen. Na gut!
Zum Vorgehen gab es verschiedene Alternativen: Die eine Alternative – die haben Sie jetzt gewählt –, war, dass das Gesetz die Offenlegung vorschreibt und die Aktionäre mit einer Mehrheit von 75 Prozent sagen können, dass sie sie nicht haben möchten. Der andere Weg wäre genau so praktikabel gewesen: Das Gesetz schreibt die Offenlegung nicht vor; aber 25 Prozent, 20 Prozent oder 10 Prozent der Aktionäre können beschließen, dass offen gelegt werden muss.
Über beide Wege hätte man zum Ziel kommen können. Wir hatten dasselbe Ziel, und der Streit um den Weg ist nicht so bedeutend und so wichtig, dass wir deswegen Nein sagen. Wir können auch mit diesem Ihrem Weg leben, weil 75 Prozent der Aktionäre ihr Recht wahrnehmen und Nein sagen können zu der gesetzlichen Festlegung.
Warum sind hier etwas andere Mehrheiten geboten als auf normalen Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften, auf denen eine Mehrheit von 50 Prozent ausreicht? Weil wir hier eine besondere Befangenheitssituation haben; das sage ich nachdrücklich auch noch einmal an die FDP gerichtet. In den Aufsichtsräten unserer DAX-Unternehmen sitzen sehr häufig Vorstände aus anderen Unternehmen. Bevor die Beratung zur Offenlegung in der Aktionärsrunde geführt wird, findet sie zunächst einmal im Aufsichtsrat statt. In diesen Aufsichtsräten wurde eine vernünftige Offenlegungspraxis über weite Strecken bisher blockiert, weil man sich aus seiner anderen Position heraus, nämlich in einem anderen Unternehmen selber auch Vorstand zu sein, nicht frei genug gesehen hat, um über die Fragen zu entscheiden: Welche Informationen brauchen die Aktionäre? Was ist das wirkliche Interesse der Aktionäre? Deswegen ist es vernünftig, hier nicht mit Mehrheiten von nur 50 Prozent zu operieren, sondern die Quoten zu verschieben, damit wir die Offenlegung und Transparenz bekommen, die wir für sinnvoll erachten und die wir brauchen. Das ist kein besonderes Problem.
Ich appelliere auch an die Wirtschaft. Wie bereits gesagt, gibt es in den entwickelten Kapitalmärkten, zum Beispiel in den USA und in England, diese Offenlegung schon lange. Dort geht man souveräner damit um, weil es nicht diesen Neiddruck gibt, den wir in der deutschen Gesellschaft immer noch haben. Deswegen bedauern wir, dass über das Thema in diesem zeitlichen Zusammenhang diskutiert wird. Wir hätten gern eine Diskussion frei von solchen Verdächtigungen geführt, weil das Gesetz dann klarer und positiver wirken könnte.
Sie haben eine Parallele zur Offenlegung der Einkünfte der Abgeordneten gezogen, Frau Dückert. Das ist nicht korrekt. Was die Gehälter betrifft, haben wir in vielen Bereichen in Deutschland bereits die Offenlegung. Bei Abgeordneten haben wir eine absolute Offenlegung der Gehälter.
Auch bei den Vorständen reden wir im Moment nur über die Offenlegung der Gehälter. In der derzeitigen Diskussion über die Einkünfte der Abgeordneten geht es aber nicht um die Gehälter, sondern um ihr sonstiges Einkommen. Darüber reden wir bei Vorständen mitnichten. Das ist ein sehr wesentlicher Unterschied.
– Entschuldigung, die Fakten müssen doch geklärt werden. Das, was wir jetzt für Vorstände beschließen wollen, ist für die Abgeordneten schon lange gesetzlich geregelt.
Die Offenlegung der Gehälter ist nicht nur für Abgeordnete, sondern für den gesamten öffentlichen Dienst gesetzlich geregelt. Jeder Bürger in dieser Republik kann sich danach erkundigen, was welcher Gemeindedirektor und was welcher Studienrat und Oberstudienrat verdient. Dadurch ist die Welt nicht zusammengebrochen. Diese Art von Transparenz haben wir bereits.
Diesen Teil von Transparenz übertragen wir jetzt auf Publikumsgesellschaften. Das ist vernünftig. Das war auch immer der Ansatz von CDU-Politik. In diesem Bereich sind wir nicht Nachzügler, sondern wir gehen voran in der Beurteilung dieses Sachverhalts.
Wir können auch die beteiligte Wirtschaft nur bitten, dieses Gesetz zu akzeptieren. Cromme hat es jetzt auch noch einmal vorgetragen. Auch bei ihm ging es eigentlich nur um die Frage: Ist es richtig, das Experiment jetzt durch gesetzlichen Zwang abzubrechen, oder hätte man den experimentellen Prozess noch etwas länger laufen lassen können? Das ist aber mehr eine Geschmacksfrage als eine konkrete Inhaltsfrage.
Eine weitere Bemerkung ist mir wichtig: Mit uns gibt es keine Neiddebatte und keine Kapitalismuskritik im Zusammenhang mit diesem Thema Wir wollen in allen übrigen Bereichen der Cromme-Diskussion unter allen Umständen an der Freiwilligkeit festhalten. Das ist uns ganz wichtig. Wir durchbrechen die ansonsten sinnvolle Freiwilligkeit in dem Corporate-Governance-System an einer Stelle, weil hier eine besondere Befangenheit der Beteiligten vorliegt, aber ich warne vor dem Versuch, diese Corporate-Governance-Strukturen insgesamt ins Gesetz zu kleiden. Das muss völlig unabhängig und frei bleiben. Nur bei dieser einen Ausnahme ist für uns die gesetzliche Bindung möglich.
Ich sage noch einmal: Wegen der besonderen Befangenheit erscheint es uns nach gewissenhafter Prüfung geboten, sinnvoll und vernünftig, das Gesetz jetzt in dieser Form zu verabschieden.
Eine letzte Bemerkung. Es ist ja interessant, dass die Debatte über das Entsendegesetz von der heutigen Tagesordnung genommen worden ist. Im Rahmen dieser Debatte zum Beispiel darüber zu diskutieren, ob die Art und Weise, wie wir unseren Arbeitsmarkt entwickeln, der falsche Weg ist, wäre absolut sinnvoll gewesen.
Aber Sie haben auf die Tagesordnung nur noch populismusverdächtige Themen gesetzt. Um die Dinge durchzusetzen, die dieses Land wirklich braucht, haben Sie keine Kraft mehr. Das ist nun einmal so; das wurde heute deutlich.
Ich kann Ihnen genau sagen, warum Sie die Debatte über das Entsendegesetz von der Tagesordnung genommen haben. Der Grund ist, dass die SPD in ihrem neuen Regierungsprogramm, das sie nach der Vertrauensfrage verabschieden will, nicht mehr auf das Entsendegesetz abheben, sondern grundsätzlich die Einführung eines Mindestlohns vorsehen will. Das ist der Hintergrund dieser Operation.
– Doch, das ist ein großer Gegensatz; das ist ein völlig anderes Modell. – Ich wette mit Ihnen, dass Sie in Ihrem Programm die Einführung eines generellen Mindestlohns in Deutschland festlegen werden. Deswegen passt Ihnen die bisherige Konzeption des Entsendegesetzes nicht mehr. Wir werden es erleben. Wir halten jedenfalls Ihren Weg für falsch und schädlich.
Dem Entwurf eines Gesetzes über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen werden wir zustimmen. Ich denke, dass die Wirtschaft das akzeptieren kann. Wir werden sehen, ob sich das Gesetz in der Praxis bewährt. Möglicherweise kann man auch über eine Befristung reden und diesen Bereich von einem gesetzlichen Zwang befreien, wenn akzeptiert worden ist, dass solche Dinge offen gelegt werden müssen. Das werden wir dann überprüfen, wenn wir – hoffentlich – den klaren Auftrag unserer Wähler bekommen haben, Sie abzulösen. Darauf arbeiten wir hin.
Herzlichen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS.
Es ist schon erstaunlich, wie viel Zeit die Bundesregierung den börsennotierten Unternehmen gelassen hat, um die Vorstandsgehälter zu veröffentlichen: mehr als drei Jahre. Im Februar 2002 wurde der Corporate-Governance-Kodex vorgestellt. Dieser Kodex verlangt von börsennotierten Unternehmen, dass die Vorstandsvergütungen nicht mehr als Summe für alle Vorstandsmitglieder, sondern dass die Vergütung jedes einzelnen veröffentlicht wird. Nach drei Jahren gibt es noch immer hartnäckigen Widerstand von einigen Vorständen und erst jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, soll dazu ein wahrlich zahnloses Gesetz verabschiedet werden.
Mich verwundert schon, dass sich deutsche Topmanager so vehement gegen eine Veröffentlichung ihrer Vergütung wehren. Man könnte annehmen, dass sie eine Diskussion über die Höhe ihrer Gehälter fürchten. Offensichtlich sind sie sich nicht sicher, ob die Höhe ihrer Gehälter in der Öffentlichkeit gerechtfertigt werden kann. Die Millionengehälter von Herrn Ackermann von der Deutschen Bank oder Herrn Schrempp von Daimler-Chrysler sind wirklich nicht zu rechtfertigen.
Warum wehren sich die Bundesregierung und die konservative Opposition eigentlich gegen eine gesetzlich verankerte Vergütungsobergrenze für Vorstände? Seit langer Zeit sind Obergrenzen zwischen dem 20-Fachen und dem 150-Fachen eines durchschnittlichen Arbeitnehmergehaltes in der Diskussion. Ist es denn wirklich eine Zumutung, für das 150-Fache eines Arbeitnehmergehaltes zu arbeiten? Ich glaube nicht. Eine Vergütungsobergrenze wäre nach der massiven Heuschreckenpolemik von Herrn Müntefering, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ein Muss für dieses Gesetz gewesen.
Nach dem Gesetzentwurf sollen Vorstände, die ihre Vergütungen nicht veröffentlichen, mit einer Maximalstrafe in Höhe von 50 000 Euro belegt werden. Das ist in Anbetracht von Vorstandsgehältern, die in die Millionen gehen, einfach lächerlich. 50 000 Euro Bußgeld zahlen die Vorstände aus der Kaffeekasse.
Ich möchte Ihnen einige weitere Kritikpunkte aus Sicht der PDS benennen:
Erstens. Im Gesetz wird zwar die Veröffentlichung der Vorstandsgehälter gefordert, nicht aber die Veröffentlichung der Aufsichtsratsvergütung.
Zweitens. Sie erklären zwar, dass Unternehmen, an denen der Bund beteiligt ist, nach dem Kodex arbeiten. Aber das haben Sie im Gesetz nicht geregelt. Warum sollen die Steuerzahler nicht erfahren, wie viel zum Beispiel Herr Mehdorn von der Deutschen Bahn verdient? Ich glaube, daran wären so mancher Bahnfahrer und manche Bahnfahrerin brennend interessiert.
Drittens. Dann haben Sie eine Regelung eingebaut – das ist hier schon angesprochen worden –, die den Aktionären erlaubt, dieses Gesetz mit Dreiviertelmehrheit wieder auszuhebeln.
Da fragt man sich doch: Was soll diese Hintertür? Sie werden verstehen, dass wir als PDS einem solchen zahnlosen Gesetz nicht zustimmen können. Wir werden uns enthalten.
Vielen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Christian Lange, SPD-Fraktion.
Christian Lange (Backnang) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Herbst des vergangenen Jahres haben sich 40 Kolleginnen und Kollegen der SPDBundestagsfraktion auf den Weg gemacht, ein Gesetz zur Offenlegung von Managerbezügen zu formulieren. Wir haben dies gemeinsam mit Herrn Professor Baums getan, dem ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Wir sind durch den Bericht der Cromme-Kommission, was unseren Gesetzentwurf angeht, überrollt worden. Wir alle erinnern uns: Die Cromme-Kommission musste eingestehen, dass das Versprechen der deutschen Wirtschaft, dass alle 30 DAXUnternehmen die Gehälter ihrer Manager freiwillig veröffentlichen, nicht eingehalten werden konnte.
Wir, die SPD-Fraktion und sicherlich auch die Grünen-Fraktion, freuen uns, dass die Bundesregierung sofort reagiert hat. Ich will deshalb ein Wort des Dankes auch an Sie, Frau Ministerin Zypries und Herr Staatssekretär Hartenbach, richten.
Es war für uns vom Netzwerk Berlin eine Selbstverständlichkeit, dass wir unseren Gesetzentwurf zugunsten des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen zurückziehen. An dieser Stelle will ich deutlich und klar sagen: Uns ist in der Tat wichtig, dass wir diesen Gesetzentwurf nicht gegen die Cromme-Kommission, sondern im Einvernehmen mit ihr verhandelt haben.
Ein zweiter Punkt ist mir ganz besonders wichtig – ich erinnere an das, was Sie und auch der Kollege Scholz angesprochen haben; wir werden das heute ebenfalls noch beraten –: die Offenlegung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Das, was beide Gesetzentwürfe, die wir heute verabschieden werden, verbindet, ist das Thema Vertrauen: Bei den Managergehältern, über die wir heute Vormittag diskutieren, geht es um das Vertrauen der Anleger in ihre Aktiengesellschaften und in deren Vorstände; es geht um Anlegerschutz.
Heute Mittag geht es um das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die wirtschaftliche Unabhängigkeit ihrer Volksvertreter. Das Vertrauen ist also das verbindende Element beider Gesetzentwürfe. Wir brauchen beide Gesetze und deswegen werden wir sie heute verabschieden.
Herr Staatssekretär, ich will Ihnen ausdrücklich dafür danken, dass Sie mit Blick auf die öffentlichen Unternehmen – wohlgemerkt: öffentlichen, nicht börsennotierten; um öffentliche Unternehmen geht es in diesem Gesetzentwurf nämlich nicht – angekündigt haben,
dass die Vergütungen auf allen drei Ebenen – in den Ländern, in den Gemeinden und im Bund – veröffentlicht werden.
Ich will auch erläutern, warum wir den Gesetzentwurf der FDP ablehnen. Ich stimme dem Kollegen Krings ausdrücklich zu: Nach den Vorstellungen der FDP sollte eine Offenlegungspflicht nur dann bestehen, wenn die Hauptversammlung einen entsprechenden Beschluss fasst. Wer vor einer Neiddebatte in Deutschland aber Angst hat, der darf Ihrem Weg nicht folgen; denn er bedeutet, dass bei jeder Jahreshauptversammlung entsprechende Diskussionen geführt werden. Deshalb bitte ich Sie: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Seine Verabschiedung führte zum glatten Gegenteil dessen, wovon Sie hier gesprochen haben.
Uns ist noch Folgendes wichtig: Durch die Verabschiedung unseres Gesetzentwurfs wird eine international übliche Praxis in der Bundesrepublik eingeführt. Es ist in der Tat so, dass alle börsennotierten Unternehmen in den wichtigen Industrienationen diese Veröffentlichungspflichten haben. Ich will nennen, wo das so ist – es ist gerade für die Zuschauerinnen und Zuschauer wichtig, das zu wissen –: in den USA, in Kanada, in Großbritannien, in Irland, in Frankreich, in den Niederlanden, in Österreich, in der Schweiz, in Schweden und sehr bald auch in Deutschland.
Und das ist gut so!
Deshalb sage ich an dieser Stelle in Richtung der FDP, die zu diesem Gesetzentwurf Nein sagen will: Sie behaupten doch sonst immer, ein Auge für die Wirtschaft zu haben.
Bitte, sorgen Sie dafür, dass internationale Standards auch in Deutschland gelten!
Wir verbinden mit diesem Gesetz das Anliegen, dass es unbürokratisch umgesetzt werden kann. Ein Überblick hat uns schon klar gemacht, wie es andere Länder machen. Großbritannien hat es beispielsweise geschafft, die Pflicht, Managergehälter offen zu legen, in einer 27-seitigen Verwaltungsschrift zu regeln. Ich will Ihnen sagen: Wir schaffen das mit drei Artikeln. Das macht deutlich, dass dieser Gesetzentwurf kurz, klar und intelligent ist. Wir bitten um Zustimmung.
Herzlichen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen, Drucksache 15/5577. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5860, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die übrigen Stimmen angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthaltung von zwei fraktionslosen Abgeordneten angenommen.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Stärkung der Eigentümerrechte einer Aktiengesellschaft auf Drucksache 15/5582. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5860, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, Dr. Peter Paziorek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Energiepolitik für mehr Wachstum und Beschäftigung
– Drucksache 15/4844 –
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Auswirkungen des weltweiten Energie- und Ressourcenbedarfs auf die globale Klimaentwicklung
– Drucksachen 15/3740, 15/5809 –
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Jahresgutachten 2003
?Welt im Wandel – Energiewende zur Nachhaltigkeit“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung ?Globale Umweltveränderungen“
– Drucksache 15/4155 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit und Soziale SicherungVerkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen nun zu einem weiteren Kapitel rot-grünen Versagens, der Energiepolitik.
– Die Wahrheit muss auch heute Morgen noch einmal gesagt werden.
1998 sind Sie mit der vollmundigen Ankündigung einer Energiewende angetreten.
Was ist außer Verbalakrobatik daraus geworden? Nicht viel!
Beim Thema Energie – das müssen wir allerdings einräumen – haben Sie sich wesentlich eleganter aus der Affäre gezogen als in anderen Polikbereichen. Ihr Scheitern ist nicht so offensichtlich, deswegen aber nicht weniger
eklatant und nicht minder fulminant. In anderen Feldern, etwa der Arbeitsmarktpolitik, haben sich der Wirtschaftsminister und der Bundeskanzler Ziele gesetzt. Sie wollten die Arbeitslosigkeit halbieren. Was daraus geworden ist, sehen wir jeden Monat bei den Zahlen aus Nürnberg.
In der Energiepolitik haben Sie aus weiser Voraussicht und in Erwartung Ihres Scheiterns erst gar kein Programm auf- und vorgelegt. In sieben Jahren Rot-Grün gab und gibt es kein Energieprogramm, in dem Ziele und die Instrumente zur Erreichung derselben niedergelegt sind. Ihr Vorgänger, Herr Clement, der Herr Müller, räumt mittlerweile auch öffentlich und freimütig ein, man habe ein Energieprogramm einmal in der Schublade gehabt, das aber überhaupt nicht mit den Realitäten in Einklang zu bringen gewesen sei; die Instrumente und Aktivitäten, die entwickelt worden seien, hätten auch überhaupt nicht zueinander gepasst, weshalb man in weiser Voraussicht darauf verzichtet habe, dieses Energieprogramm überhaupt vorzulegen.
Statt also mit einem konsistenten Energieprogramm seine Hausaufgaben zu machen und dieses Programm dann auch abzuarbeiten, kamen in sieben Jahren leider vor allem nur ideologiegetriebenes Stückwerk und Hickhack: Einzelaktionen, die nicht zueinander passen, Politik mit Scheuklappen, gepaart mit einem großen Schuss an Volksverdummung und Volksverhetzung, was insbesondere der Part von Herrn Trittin war und ist.
Wo steht Deutschland heute, 2005,
energiepolitisch in Europa und in der Welt? Wir haben mittlerweile wieder die höchsten Energiepreise in Europa. Allein in den energieintensiven Branchen sind akut 600 000 Arbeitsplätze gefährdet.
Ich nenne als Stichwort die Alu-Hütten in Nordrhein-Westfalen und Hamburg; das ist ja täglich nachzulesen.
Ihre selbst gesteckten Klimaziele wurden klar verfehlt. Das, was erreicht wurde, wurde teuer erkauft. Viele strukturelle Probleme in der Energiewirtschaft, beispielsweise die hohe Einfuhrabhängigkeit, wurden von Ihnen nicht wirkungsvoll angegangen. Investitionsstau und Planungsunsicherheit herrschen in weiten Bereichen der Energiewirtschaft. Entscheidungen über Milliardeninvestitionen in die Netze und in die Erneuerung des Kraftwerksparks – allein 40 000 Megawatt sind eigentlich bis 2020 zu erneuern –
hätten angesichts der Planungsvorlaufzeiten bzw. des Prozedere, das wir in Deutschland haben, heute eigentlich schon getroffen werden müssen. Das ist aber nicht der Fall.
Energiepolitik, meine Damen und Herren, sollte eigentlich zuvörderst Standortpolitik sein. Das ist eigentlich ein selbstverständlicher Leitsatz, dem Sie aber nicht gefolgt sind. Wir brauchen wettbewerbsfähige Energiepreise im europäischen Kontext für Wirtschaft und Verbraucher, damit wir für Wachstum sorgen und Arbeitsplätze schaffen,
damit wir die Konsumentensouveränität erhalten und stärken und damit wir die Nachfrage ankurbeln. Was ist bei den Strompreisen passiert? 2 Milliarden Euro betrugen die staatlich administrierten Abgaben und Belastungen bei Ihrem Regierungsantritt 1998. Was ist heute daraus geworden? Sie belasten heute mit über 12 Milliarden Euro Wirtschaft und Verbraucher und schädigen damit die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes nachhaltig. Die Steuer- und Abgabenlast der privaten Haushalte im Strombereich beträgt statt 25 Prozent im Jahr 1998 heute 40 Prozent.
Auch die Maßnahmen für mehr Wettbewerb, die vor Ihrer Regierungsübernahme schon durch die schwarz-gelbe Bundesregierung initiiert wurden und anfangs durchaus Wirkung gezeigt haben – es wurden nämlich Liberalisierungs- und Rationalisierungseffekte in einer Größenordnung von 7,5 Milliarden Euro erzielt –, haben Sie nicht weiter konsequent fortgeführt. Vielmehr haben Sie die Dinge treiben lassen.
Im Gegenteil: Sie haben diese Rationalisierungseffekte durch die Einführung staatlicher Abgaben überkompensiert.
Das Energiewirtschaftsgesetz, das jetzt novelliert wird, haben Sie nicht zum 1. Juli letzten Jahres, wie von der EU gefordert, novelliert. Wertvolle Zeit ist verstrichen. Erst durch unser Engagement im Vermittlungsausschuss
ist es gelungen, insbesondere den Wettbewerbsgedanken zu etablieren. Im Gasbereich sind Sie auf halber Strecke stehen geblieben.
Das Entry-Exit-Modell stand zwar auf der Agenda, war aber im Gesetz nicht drin. Wesentliche Stellgrößen, wie Netznutzungsentgelte im Bereich der Regelenergien, haben Sie nicht angepackt. Erst im Vermittlungsverfahren ist es gelungen, einen Kompromiss herbeizuführen und dem Wettbewerbsgedanken neue Triebkraft zu verschaffen.
Lassen Sie mich auch noch etwas zum Klimaschutz sagen. Sie haben sich auch hier große Ziele vorgenommen. In Ihrer Koalitionsvereinbarung von 1998 haben Sie das Ziel vorgegeben, den CO2-Ausstoß bis 2005 gegenüber 1990 um 25 Prozent zu reduzieren. Was haben Sie erreicht? 19 Prozent. Dabei waren 1998 schon 13 Prozent durch die Kohl-Regierung erfüllt.
Das heißt, trotz kostspieliger Anstrengungen in Form von Ökosteuer, EEG, Emissionshandel und KWK-G – all das sind Instrumente, die Sie eingeführt haben – haben Sie Ihre Klimaschutzziele, bezogen auf die absoluten Zahlen, nicht erreicht. Und wie haben Sie das, was Sie erreicht haben, erreicht? Zu hohen oder gar höchsten Kosten. Vor allem die erneuerbaren Energien sind nämlich heute noch nicht wettbewerbsfähig, weder wirtschaftlich in Bezug auf Stromerzeugung noch bezüglich ihrer Klimaschutzwirkung.
Lassen Sie mich das an dem Beispiel der Vermeidungskosten deutlich machen. Das ist ein objektiver Maßstab. Bei der Windenergie müssen mindestens 70 Euro eingesetzt werden, um eine Reduktion von 1 Tonne CO2 zu erreichen, bei der Photovoltaik gar 500 Euro. Durch die Steigerung des Wirkungsgrades von Kraftwerken oder durch Maßnahmen im Gebäudebereich – auf die dort vorhandenen Potenziale werde ich gleich noch eingehen –
können wir mit dem Einsatz von 5 bis 10 Euro den CO2-Ausstoß um 1 Tonne reduzieren. Das heißt, wenn Klimaschutz wirklich das Gebot der Stunde ist, dann müssen wir ihn heute mit den Instrumenten betreiben, die wirksam und vor allem kosteneffizient sind. Das Gegenteil dessen haben Sie gemacht.
Wir werden eine andere Klimapolitik machen. Wir wollen Vorfahrt für Arbeit und Arbeitsplätze, Arbeit durch Wachstum. Bei der Schaffung von Wachstum spielt die Energie eine große Rolle. Wir wollen keine Denkverbote bei der Energieforschung, eine marktwirtschaftliche Rückbesinnung und vor allem einen nachhaltigen, diversifizierten Energiemix, in dem alle Energieträger ihren Platz haben und ihre spezifischen Vorteile genutzt werden können. Das gilt für die fossilen Energien, die, wie beispielsweise die Braunkohle, in Deutschland verfügbar sind, Versorgungssicherheit garantieren und deren Abbau wirtschaftlich ist. In der Forschung müssen wir uns für die CO2-Reduktion – Stichwort: CO2-freie Kraftwerke – einsetzen. Das gilt auch mit Blick auf die Abgase.
Auch die erneuerbaren Energien sind Bestandteil des Energiemix. Die erneuerbaren Energien spielen eine zunehmend wichtige, aber keine alleinige Rolle für den Energiemix in Deutschland. Bis die erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig sind und bis beispielsweise die CO2-Reduktion bei den fossilen Energien technisch möglich und wirtschaftlich umsetzbar ist, brauchen wir eine Brücke in die Zukunft. Diese Brücke in die Zukunft bildet für uns die Kernenergie. Um sie zu beschreiten, werden wir die Laufzeiten der Kernenergieanlagen, am spezifischen Sicherheitsniveau orientiert, verlängern. Damit werden wir auch volkswirtschaftliche Potenziale für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands heben können.
Präsident Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen; Sie haben Ihre Redezeit bereits deutlich überschritten.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Wir werden darüber hinaus einen weiteren Schwerpunkt im Bereich der energetischen Sanierung setzen.
Präsident Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, keinen weiteren Schwerpunkt! Sie müssen zum Schluss kommen; Sie haben Ihre Redezeit deutlichst überschritten.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Bei Ihnen; da macht es nichts aus.
Wir werden einen Schwerpunkt im Bereich der energetischen Sanierung setzen. Damit schaffen wir eine Energiepolitik aus einem Guss, die Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und damit auch für die Schaffung von Arbeitsplätzen ist.
Vielen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Herr Kollege Pfeiffer, Sie haben in Ihrer Rede dem Bundesminister Trittin ?Volksverdummung und Volksverhetzung“ vorgeworfen. Ich rüge diese Ausdrucksweise schärfstens; denn wir sollten uns nicht angewöhnen, Kollegen Straftaten vorzuwerfen.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Wolfgang Clement.
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Union fragt in ihrem Antrag, der dem Hohen Haus vorliegt, nach dem energiepolitischen Konzept der Bundesregierung. Herr Kollege Pfeiffer hat das gerade auf seine Weise noch einmal deutlich zu machen versucht. Ich antworte ihm, dass sich das Energiekonzept der Bundesregierung dadurch auszeichnet, dass es zukunftsfähig ist und den Unternehmen Planungssicherheit bietet; das werde ich gleich darstellen.
Nachdem ich seine Rede aufmerksam verfolgt habe, muss ich sagen: Das Energiekonzept der Union zeichnet sich dadurch aus, dass es keines gibt.
Ich meine, Sie sollten Ihre Energie lieber auf die Entwicklung eines solchen Energiekonzeptes konzentrieren. Das, was Sie mit Ihrem Antrag, den ich studiert habe, dargelegt haben und was eben hier öffentlich erörtert worden ist, habe ich, ehrlich gesagt, als Energieverschwendung empfunden.
Das Energiekonzept der Bundesregierung bedeutet – das ist bekannt – einen ausgewogenen Energiemix, zu dem die Kernenergie auf die Dauer, wie es vereinbart ist, nicht mehr gehört. Das ist einer der Unterschiede zwischen uns, über den wir uns auseinander setzen werden. Die Bilanz der Energiepolitik, die wir vorlegen können, ist meines Erachtens positiv. Der beste Beweis ist die Tatsache, dass die Energieversorgungsunternehmen unmittelbar nach der Verabschiedung des EnWG, des Energiewirtschaftsgesetzes, erklärt haben, dass sie Investitionen in einer Größenordnung von rund 19 Milliarden Euro vornehmen werden.
Erst gestern las ich eine Meldung von Vattenfall, dass es seine Investitionen noch einmal um 1 Milliarde Euro erhöhen wird. Ich frage mich wirklich, wie Sie allen Ernstes in Ihrem Antrag schreiben können, durch das, was wir täten, insbesondere durch das EnWG, würden Investitionen verhindert und Arbeitsplätze gefährdet. Wenn wir einigermaßen vernünftig miteinander umgehen wollten, müssten Sie einen solchen Antrag sofort zurückziehen.
Das entspricht doch wirklich nicht dem, was wir vereinbart und woran wir gemeinsam gewirkt haben.
Ich frage mich gelegentlich – das mag altersbedingt sein –, wozu die Auseinandersetzungen, die Sie mit Behauptungen führen, die nichts mehr mit der Realität zu tun haben, dienen sollen.
Sie haben gerade dem Energiewirtschaftsgesetz zugestimmt, mit dem Investitionen in Netze und Anlagen in Höhe von vielen Milliarden Euro ermöglicht werden.
Wir haben meines Erachtens die Weichen in Richtung Energiemix richtig gestellt. Dazu gehören hocheffiziente und klimaverträgliche fossile Energien. Dazu gehört auch das CO2-arme Kraftwerk. Die Experten erwarten, dass es bis zum Jahr 2020 fast CO2-freie Kraftwerke gibt. Das erste Pilotkraftwerk dieser Art wird jetzt vermutlich – Vattenfall hat es so angekündigt – in Deutschland errichtet. Es soll im Jahr 2008 fertig gestellt sein. Um es Ihnen klar und deutlich zu sagen: Aus meiner Sicht ist das die Antwort, die die Bundesrepublik Deutschland auf die Frage nach der Kernenergie geben sollte.
Diese Antwort ist richtig, weil die neuen Kraftwerke klimaverträglich sind.
Präsident Wolfgang Thierse:
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:
Nein. Ich bitte um Verständnis.
Zum anderen gehört zu einem zukunftsfähigen Energiemix, dass wir im Rahmen einer vernünftigen Gesamtstrategie die technologische Weiterentwicklung auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien vorantreiben. Wir haben uns das Ziel gesetzt, bis 2020 einen Anteil von 20 Prozent der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung zu erreichen. Wir haben fast 10 Prozent erreicht. Wir werden wahrscheinlich schon vor dem Jahr 2015 einen Anteil von 20 Prozent erreichen. Dass eine höhere Menge an aus regenerativen Energieträgern erzeugtem Strom zusätzlich in das Netz integriert werden kann, hat die DENA-Netzstudie gezeigt. Erforderlich sind aber Investitionen in den Netzausbau. Wir brauchen außerdem ein Erzeugungsmanagement – über das wir weiter zu diskutieren haben –, damit es nicht zu Ausfällen im Netz, beispielsweise aufgrund der Schwankungen bei der Stromerzeugung aus Windkraft, kommt.
Die Kernenergie gehört für uns nicht zum Energiemix. Das habe ich schon deutlich gemacht.
Der dritte Eckpfeiler unserer Energiepolitik ist die Energieeffizienz. Wenn man über diese Frage ernsthaft diskutieren will, Herr Kollege Pfeiffer, muss man die Tatsache beachten, dass der hohe Ölpreis natürlich auch mit Energieeffizienz und Energienachfrage zu tun hat. Die zurzeit hohe Nachfrage der USA und Chinas nach Energie trägt maßgeblich zu den unerträglich hohen Ölpreisen bei. Es ist ganz unzweifelhaft, dass in den USA und China wesentlich mehr getan werden muss, um die Energieeffizienz zu steigern und um Energie einzusparen.
Gerade an die USA muss man appellieren, in einer solchen Zeit endlich die notwendigen Raffineriekapazitäten aufzubauen. Die geringen Kapazitäten sind nämlich einer der wesentlichen Gründe, warum die USA die europäischen Märkte leer kaufen und warum die Situation am Ölmarkt so angespannt ist.
Der Bundeskanzler war es, der angeregt hat, über den Ölpreis auf dem G-8-Gipfel in Gleneagles zu sprechen. Das wird auch geschehen. Der Bundeskanzler ist übrigens auch derjenige, der die Beziehungen zu Russland so entwickelt hat, dass es eine absolut sichere und vor allen Dingen ausbaufähige Energiepartnerschaft gibt – das gilt für die Partnerschaft mit Russland insgesamt –, die für unsere Energieversorgung von außerordentlicher Bedeutung ist und die wir pflegen müssen.
Schließlich müssen wir mit der Strategie ?Weg vom Öl“ weitermachen. Ich habe wenig von Ihnen gehört, wie Sie mit der Ölpreissituation umgehen wollen. Wir werden aus meiner Sicht den Anteil alternativer Kraftstoffe steigern müssen. Der Anteil der Biokraftstoffe liegt zurzeit bei 1,8 Prozent. Wir werden hier wie auch bei der Energieeinsparung als eines von ganz wenigen Ländern das europäische Ziel erreichen. Wir werden mit einiger Sicherheit im Jahre 2005 einen Anteil von 2 Prozent erreichen. Im Jahr 2010 wird der Anteil der Biokraftstoffe bei über 5 Prozent liegen. Die deutsche Automobilindustrie geht davon aus, dass dieser Anteil bis 2020 bei einer Größenordnung von 10 Prozent liegt. Das ist wichtig für die Landwirtschaft wie auch für die Sicherstellung der Energieversorgung in unserem Land.
Um es kurz und knapp zu sagen, Herr Kollege Pfeiffer: Wir sichern die Energieversorgung am zuverlässigsten, wenn wir Investitionen in unseren Standort attraktiv machen.
– Herr Kollege, ich war gerade in Ihrem Wahlkreis. Es hat mir dort unten ausgesprochen gut gefallen. Ich habe aber von Ihnen nichts zur Energiepolitik gehört.
– Ich war in Ihrem Wahlkreis. Mir ist gesagt worden, Sie seien dort nicht gesehen worden.
Ich hatte dort ausgesprochen nette Gesprächspartner. Deshalb bitte ich um Entschuldigung für meine Bemerkung.
Attraktiv heißt jedenfalls erstklassige und stabile Rahmenbedingungen sowie Anreize für Investitionen in Kraftwerke und in Leitungen. Dazu haben wir mit dem Energiewirtschaftsgesetz einen großen Schritt getan.
Ich sage ganz offen: Ich bin allen Beteiligten – auch denen von Ihrer Seite –, die daran mitgewirkt haben, sehr dankbar dafür, dass wir einen Kompromiss zustande gebracht haben, sodass der Entwurf eines Energiewirtschaftsgesetzes noch verabschiedet werden konnte. Das ist von großer Bedeutung.
Noch ein Wort zur Aluminiumindustrie. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Aluminiumindustrie in ganz Europa unter Druck ist. Das ist kein deutsches Problem. Es ist auch nicht mit der Ökosteuer zu begründen. Ich hätte gerne von Ihnen gehört, was Sie, wenn Sie die Ökosteuer abschaffen wollen, stattdessen tun wollen; aber lassen wir das jetzt.
Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass beispielsweise Norsk Hydro, das Unternehmen, mit dem die Aluminiumindustrie hier viel zu tun hat, auch in Norwegen zwei Hütten stilllegt. Wir reden hier über ein Problem, das uns am Standort Deutschland insgesamt sehr beschäftigt. Wir werden alles tun, um die jetzigen Standorte, soweit es irgendwie geht, zu erhalten. Wir sind mit allen beteiligten Unternehmen sowohl auf der Stromversorgungsseite als auch auf der Seite der Aluminiumindustrie im Gespräch. Ich meine, dass es – um es klar zu sagen – im Interesse von RWE und Vattenfall sein sollte – dabei geht es um die Standorte in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Stade –, die Aluminiumindustrie als Kunden in unserem Land zu halten. Das sollte, so schwierig das im Moment angesichts der Preissituation ist, das Interesse der Stromversorgungsunternehmen sein. Aber auch die Aluminiumindustrie sollte abschlusswillig sein. Sie darf die Verantwortung nicht auf die Politik verlagern. Da wäre sie nicht richtig.
Deshalb führen wir, wie gesagt, Gespräche mit den beteiligten EVUs und der Aluminiumindustrie – und dies übrigens zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der Wirtschaftsminister der Länder, die auf diesem Sektor tätig sind. Wir versuchen, diese Gespräche zu moderieren. Wir hoffen, dass wir im Interesse unseres Wirtschaftsstandortes Lösungen finden. Wir möchten, dass die Aluminiumindustrie wie alle stromintensiven Industrien in Deutschland und in Europa bleiben kann.
Um über das zu reden, was wirklich ist, muss ich darauf hinweisen, dass Norsk Hydro zurzeit in Katar ein neues Aluminiumwerk baut. Es wird direkt auf einer Erdgasblase gebaut. Ich möchte einmal irgendeinen Standort in Europa sehen – außer in Russland –, auf dem man das konkurrenzfähig machen kann. Lassen Sie also die Tassen im Schrank und lassen Sie uns über die wirklichen Fakten und nicht über oberflächliche Vorwürfe reden!
Kurz und gut, klimaverträgliche fossile Energien plus eine Gesamtstrategie für die erneuerbaren Energien, mehr Energieeffizienz auch im Sinne einer höheren Unabhängigkeit vom Öl und erstklassige Rahmenbedingungen für die Energiebranche, darum geht es. Das versuchen wir herzustellen.
Wenn wir in diesem Zusammenhang über die Wirtschaftlichkeit sprechen, dann gehört dazu auch, dass den Unternehmen die Möglichkeit eröffnet wird, ihre Reduktionsverpflichtungen aus dem Emissionshandel möglichst kostengünstig und flexibel zu erfüllen, indem sie auch ihre im Ausland erzielten Minderungen angerechnet bekommen. Dazu hat die Bundesregierung einen Entwurf vorgelegt; ich nehme an, mein Kollege Trittin wird dazu etwas sagen. Ich bitte Sie, diesem Entwurf zuzustimmen. Sie sagen, dass die Maßnahmen der Clean Development Mechanism und des Joint Implementation vollkommen fehlen. Der Gesetzentwurf ist da. Stimmen Sie ihm zu! Dann haben wir eine weitere Entlastung der Energieindustrie.
Unterschätzen Sie das nicht! Das sage ich nicht aus polemischen Gründen. Ein ganz wichtiger Gesichtspunkt in unseren Gesprächen mit der Aluminiumindustrie ist, dass wir längerfristig eine Perspektive für den Umgang mit dem Emissionshandel bieten können. Auch dort sind die Preise durch Spekulationen inzwischen ziemlich hoch.
Machen Sie den Weg frei, sodass wir die Möglichkeiten des Joint Implementation und die Instrumente, die im Kioto-Protokoll vorgesehen sind, nutzen können! Dann haben Sie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, die Energiepreise in den Griff zu bekommen.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.
Gudrun Kopp (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Herr Minister Clement, in der heutigen Energiedebatte müssen wir festhalten, dass Sie in der zurückliegenden Legislaturperiode den Kampf um die richtige Energiepolitik, das heißt um Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze und die Entlastung von Verbrauchern, schlicht verloren haben.
Denn die richtige Energiepolitik hat auch eine wichtige Sozialkomponente.
Wie das zusammenhängt, möchte ich Ihnen kurz darstellen. Die Strompreise für Endverbraucher, also für Haushalte und Gewerbe, liegen nach Auskunft der Bundesregierung – dies ist in einer Drucksache nachzulesen – in allen Abnahmebereichen an der Spitze Europas. Ein Beispiel eines mittelständischen Maschinenbauers in Deutschland: Er musste im Jahr 2003 eine Stromrechnung von im Durchschnitt circa 9 100 Euro bezahlen und sein Kollege in Schweden eine Stromrechnung von nicht einmal der Hälfte, nämlich von 4 083 Euro.
Das ist ein Standortnachteil, den Sie mit Ihrer rot-grünen Energiepolitik in den zurückliegenden Jahren verursacht haben. An dieser Bilanz kommen Sie auch am heutigen Morgen nicht vorbei.
Wir wissen, dass die Strompreise inzwischen zu 41 Prozent durch staatliche Belastungen verursacht werden. Ich nenne die Fakten: die Stromsteuer, die Belastungen durch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz und das Erneuerbare-Energien-Gesetz.
– Die Mehrwertsteuer ist natürlich ebenso dabei wie die Konzessionsabgaben.
Die Belastungen auf den Energiepreisen haben sich seit Ihrem Regierungsantritt versechsfacht, Herr Kollege Hempelmann.
Auch das gehört zu der Bilanz Ihrer Energiepolitik.
Über 7 Milliarden Euro betragen die Zusatzkosten
für die Zwangseinspeisung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, wenn man diese mit den Strompreisen an der Leipziger Börse vergleicht.
Herr Minister Clement, Sie sagen, wir müssen über das Erzeugungsmanagement, beispielsweise über die Zwangsverpflichtung, Strom aus Windenergieanlagen einzuspeisen, reden. Nein, Sie hätten längst handeln müssen. Die Zwangsverpflichtung belastet den Energiestandort Deutschland, und zwar ganz erheblich.
Wirtschaftlichkeit, günstige Preise und Versorgungssicherheit sind während Ihrer Regierungszeit aus dem Lot geraten. Wir wissen sehr wohl, Herr Minister Clement, dass durch die Aufsplittung der Zuständigkeiten für die Energiepolitik zwischen Wirtschaftsministerium einerseits und Umweltministerium andererseits manche Turbulenzen entstanden sind. Diesen Turbulenzen mussten Sie viel zu häufig hilflos zusehen.
Was will die FDP-Bundestagsfraktion?
Wir waren die erste und sind bislang auch die einzige Bundestagsfraktion, die ein rundum schlüssiges Energiekonzept vorgelegt hat.
Ich möchte Ihnen daher erklären, worum es uns geht. Wir möchten, dass Markt und Wettbewerb wieder Raum greifen, dass Vernunft zurückkehrt und Ideologie sich nicht ausbreiten kann. Wir legen Wert auf einen Energiemix, um Abhängigkeiten zu vermeiden. Wir wollen einen ausgewogenen Energiemix, der nicht politisch bestimmt wird, sondern sich nach Markt- und Wettbewerbsgegebenheiten richtet.
In unserem energiepolitischen Programm sind die fossilen Energien genauso wie die erneuerbaren Energien vorgesehen. Die erneuerbaren Energien dürfen nicht weiter überfördert werden, sondern müssen sich im Wettbewerb bewähren. Es darf nicht sein, dass sie Überförderung zulasten der Steuerzahler und der Stromkunden genießen.
– Ganz richtig, Herr Kollege Tauss.
Sie haben die Laufzeiten der Kernkraftwerke zwangsweise beschlossen.
Uns ist wichtig, dass daran nicht so einfach festgehalten wird. Ich nenne Ihnen dafür ein Beispiel. Wenn die Laufzeiten der bestehenden Kernkraftwerke ausgenutzt würden –
technisch und sicherheitstechnisch sind im Schnitt 40 Jahre vorgesehen –, dann könnten wir 500 Millionen Tonnen CO2 einsparen.
Wir könnten damit enorme volkswirtschaftliche Gewinne erzielen. Auch dieser Punkt muss hier einmal genannt werden.
Das Energiewirtschaftsgesetz haben wir inzwischen gemeinsam im Vermittlungsverfahren auf den Weg gebracht. Mir liegt daran, zu sagen: Auch wir wollten ein Zeichen dafür setzen, dass ein Rahmenprogramm und Rechtssicherheit für die Energieunternehmen in Deutschland gegeben werden und sie nicht länger auf die nötigen Beschlüsse warten müssen. Ich bin ganz besonders froh darüber, dass es uns im Rahmen des Vermittlungsverfahrens auch gelungen ist, die bürokratischen Lasten, nämlich über 130 Berichts- und Veröffentlichungspflichten, um 75 Prozent zu senken. Das war sehr gut.
Wir möchten einen Neustart. In Nordrhein-Westfalen haben wir, CDU und FDP, ihn bereits eingeleitet. Bei der Subventionierung der Steinkohle haben wir Fakten geschaffen. Auch beim Thema Windenergie sind wir vorangegangen und haben Abstandsflächen zur Wohnbebauung eingezogen,
nämlich 1 500 Meter, weil es uns in erster Linie um die Menschen und nicht um Ideologie geht.
Wir legen Wert auf Forschung und Entwicklung, und zwar in allen Bereichen. Wir möchten keine Denk- und Forschungsverbote. Deshalb verfolgen wir auch das Ziel, in der Fusionsforschung voranzukommen. Wie Sie wissen, wird in Frankreich von hoch qualifizierten Wissenschaftlern der erste ITER-Forschungsreaktor gebaut. Wir möchten, dass sich daran auch deutsche Wissenschaftler beteiligen und das Know-how, das sie haben, einbringen können.
Ich glaube, dass ab morgen, nachdem sich auch Rot-Grün zur Vertrauensfrage geäußert hat, neue Zeiten anbrechen – nicht nur neue energiepolitische Zeiten, sondern auch ein Neustart,
der im Interesse unseres Landes, seiner Menschen, der Schaffung von Arbeitsplätzen und eines besseren Wirtschaftens in Deutschland dringend notwendig ist.
Vielen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile der Kollegin Michaele Hustedt, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Pfeiffer, wenn Sie sagen, wir hätten keine Energiewende durchgesetzt und wir hätten kein Energiekonzept, kann ich nur mit den Worten von Minister Clement antworten: Wir haben den Emissionshandel durchgesetzt und das KWK-Gesetz für Energieeffizienz verabschiedet, wir sind mit dem EEG mit Siebenmeilenstiefeln den Weg ins Solarzeitalter gegangen, wir haben mit dem CO2-Sanierungsprogramm zur Energieeinsparung im Gebäudebereich einen ordentlichen Schritt getan und wir haben mit dem Energiewirtschaftsgesetz einen wettbewerblichen Rahmen gesetzt. So viele Aktivitäten, um eine Energiewende durchzuführen, gab es in einer Legislaturperiode noch nie.
Das Ergebnis ist, dass die Stromkonzerne zugesagt haben, 20 Milliarden Euro zu investieren; das ist das größte Investitionsprogramm, das in der Bundesrepublik zurzeit geplant ist.
Wir haben unser Konzept umgesetzt. Sie allerdings haben gar keines. Sie selbst sagen, dass Sie Ihr Konzept im Jahre 2007 – man höre: im Jahre 2007 – vorlegen wollen. Wofür haben Sie eigentlich Ihre Oppositionszeit genutzt?
Warum haben Sie nicht schon seit langem ein gemeinsames Konzept erarbeitet, das Sie jetzt vorlegen könnten, damit der Wähler weiß, was von Ihnen zu erwarten ist?
Sie sind sich nicht einig. Beim Thema erneuerbare Energien zum Beispiel vertreten Sie unterschiedliche Auffassungen. Die Positionen von Herrn Lamp und Herrn Pfeiffer stehen sich diametral gegenüber.
Ich sage Ihnen: Unter der Überschrift ?Angleichung der Instrumente“ spekulieren Sie auf die Abschaffung des EEG, sagen es aber nicht offen. Wenn man dann genau hinsieht, was Sie in Nordrhein-Westfalen tun, stellt man fest, dass Sie dort, zum Beispiel durch das Abstandsgebot, eine Windkraftinvestitionsverhinderungspolitik betreiben. Das ist die Realität.
Daher fordere ich Sie auf: Lassen Sie, was die junge Branche der erneuerbaren Energien betrifft, die Katze aus dem Sack. Sagen Sie vor und nicht erst nach der Wahl, ob die erneuerbaren Energien bei Ihnen eine Chance haben.
Beim Thema Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke verhalten Sie sich eindeutiger. Dazu muss ich sagen: Laufzeitverlängerungen führen erstens dazu, dass das Investitionsprogramm, das jetzt auf den Weg gebracht werden soll, gefährdet wird. Zweitens erhöhen sie die Sicherheitsgefahren; denn Kraftwerke werden, je länger sie in Betrieb sind – vor allem in der Endphase –, immer unsicherer. Drittens gefährden sie die Integration der erneuerbaren Energien ins Netz; denn Atomkraftwerke sind am unflexibelsten; der von ihnen produzierte Strom kann am wenigsten mit den erneuerbaren Energien gemixt werden. Viertens gefährden sie die Versorgungssicherheit.
Frankreich hat aktuell angekündigt, keinen Strom mehr nach Deutschland liefern zu können; denn dort müssen Atomkraftwerke in absehbarer Zeit wahrscheinlich wieder vom Netz genommen werden, weil die Kühlung wegen der großen Hitze nicht mehr organisiert werden kann. Das ist ein Fakt. Deswegen sage ich Ihnen: Eine Kombination aus Energieeinsparung, Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und Atomausstieg ist eine bessere Klimaschutz- und eine bessere ökonomische Strategie als das, was Sie hier vorlegen.
Mir liegt am Herzen, noch etwas zur Debatte über die Kosten zu sagen; denn die Art und Weise, wie sie – insbesondere von der CDU/CSU – geführt wird, ist verlogen bis zum Abwinken.
Sie sprechen von staatlichen Auflagen, aber die Konzessionsabgabe wollen Sie nicht abschaffen; jedenfalls habe ich nichts Derartiges gehört. Sie schimpfen über die Ökosteuer, aber Frau Merkel hat auf der VDEW-Jahrestagung klipp und klar gesagt: Die Ökosteuer wird beibehalten, wir brauchen sie zur Gegenfinanzierung der Renten. Ich sage Ihnen eines: Ihre Strategie, die sozialen Sicherungssysteme verstärkt durch Mehrwertsteuer, also durch indirekte Steuern zu finanzieren, ist genau die Strategie, die wir mit der Ökosteuer eingeschlagen haben. Der Unterschied liegt nur darin, ob das über die Mehrwertsteuer oder eine Ökosteuer erfolgen soll. Nebenbei gesagt: Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 bis 4 Prozentpunkte würde natürlich auch die Energiepreise erhöhen.
Also lassen Sie die Kirche bitte im Dorf.
Zum nächsten Punkt, zur Förderung der erneuerbaren Energien: Was denn nun? Entweder Sie wollen die Förderung der erneuerbaren Energien – dann wird das auch weiterhin etwas kosten – oder Sie wollen sie nicht. Damit bin ich wieder beim Thema: Lassen Sie bitte die Katze aus dem Sack, und zwar vor der Wahl und nicht hinterher!
Es geht nicht nur um die heute entstehenden Kosten, sondern es geht auch um die Kosten in der Zukunft. Wenn Sie sich die Entwicklung des Ölpreises anschauen – dieses Thema kommt in Ihren Gedanken noch nicht einmal vor, weder im Antrag noch in Ihren Reden; da hat Minister Clement Recht –, müssen Sie doch feststellen: Da droht ein Problem für die wirtschaftliche Entwicklung. Denn wenn der Förderhöhepunkt einmal überschritten ist – ob das nun in den nächsten Jahren ist oder erst in zehn Jahren –, wird der Ölpreis gegebenenfalls nicht mehr bei 60 Dollar pro Barrel liegen, was die wirtschaftliche Entwicklung schon jetzt gefährdet, sondern bei 100 oder 200 Dollar pro Barrel. Was sind Ihre Antworten auf diese Frage?
Nichts! Gar nichts! Wir haben unsere Antworten auf den Tisch gelegt.
Abschließend möchte ich mich noch ganz herzlich bedanken.
– Herr Schauerte, die Anzeige blinkt schon; deswegen lassen Sie mich das noch kurz sagen. – Sie wissen, dies ist meine letzte Rede im Bundestag; ich werde nicht mehr kandidieren. Ich möchte mich bei allen Kollegen aller Parteien ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken. Ich weiß, dass es für alle Mitglieder des Umweltausschusses nicht immer einfach ist, in diesen harten Zeiten ihre Anliegen durchzusetzen. Ich wünsche mir, dass die Kollegen aller Parteien da in Zukunft noch enger zusammenarbeiten. Ich danke auch den Kollegen im Wirtschaftsausschuss, insbesondere natürlich den energiepolitischen Sprechern. Ich glaube, es war immer eine gute Zusammenarbeit. Es war nicht immer bierernst, wir haben auch mal zusammen gelacht. Gerade im Wirtschaftsausschuss ging es manchmal ganz lustig zu.
Ich wünsche Ihnen allen eine gute Zukunft.
Ich wünsche Ihnen einen fairen Wahlkampf und ich wünsche, dass die richtige Politik gewinnt.
Danke schön.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir auch über das Jahresgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung ?Globale Umweltveränderungen“, und zwar zu dem Thema ?Welt im Wandel – Energiewende zur Nachhaltigkeit“. Im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich zunächst den Sachverständigen für dieses Gutachten ausdrücklich danken.
Mit vielen Handlungsempfehlungen des Sachverständigenrats über eine in sich schlüssige und konsistente Umwelt- und Energiepolitik stimmen wir überein, auch wenn wir nicht alle Ziele im Detail teilen. Ich will bewusst die Übereinstimmungen aufzählen: zum Beispiel die Erhöhung der Energieproduktivität, der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Beseitigung der globalen Energiearmut, die Verbesserung der Entwicklungszusammenarbeit oder die Erhöhung der Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung.
Frau Hustedt, Sie haben gerade die erneuerbaren Energien angesprochen. Ich hatte gesagt, dass wir mit den Forderungen des Sachverständigenrats übereinstimmen. Auf Ihre politischen Vorwürfe bezogen auf die angebliche Bandbreite der Meinungen in der Union sage ich Ihnen ganz deutlich: Sie werden niemanden in meiner Fraktion finden, der nicht zu dem Ziel steht, den Anteil der erneuerbaren Energien in Deutschland bis zum Jahr 2010 auf 12,5 Prozent zu erhöhen.
Warum leugnen Sie das? Wir waren immer dafür.
Wenn Sie als Beispiel anführen, dass in Nordrhein-Westfalen durch die neue Koalition von CDU von FDP jetzt ein Erlass in Vorbereitung ist, der die Windradansiedlung erschwert, muss ich Ihnen für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion klar und deutlich sagen: Erneuerbare Energien sind mehr als Windenergie. Es gibt auch andere Bereiche, die wir fördern wollen.
Diese Konzentration auf die Windenergie ist fachlich und sachlich falsch.
Ich sage den Anhängern der Windenergie aber auch: Wir werden uns im Bereich Offshore – Nordsee, Ostsee – nicht von der Diskussion verabschieden.
Wir werden uns auch nicht von der Diskussion darüber verabschieden, wie bestehende Windparks repowered – das ist der Fachausdruck –, also erneuert werden können. Aber wir müssen neue Akzente setzen; in den Bereichen Biomasse, Geothermie und Solar gibt es noch Chancen. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! Es war Ihre Abschlussrede; daher tut es mir Leid, dass ich Ihnen in diesem Punkt so massiv widersprechen muss. Aber hier haben Sie ein Zerrbild einer Position wiedergegeben, die es bei uns glücklicherweise so nicht gibt.
Ich muss in diesem Zusammenhang einen Punkt erwähnen, in dem wir nicht mit dem Sachverständigenrat übereinstimmen. Es geht um die Forderung, weltweit bis zum Jahre 2050 aus der Nutzung der Kernenergie auszusteigen. Ich glaube, in dieser Form kann man den Anspruch nicht erheben. Ich sage hier für unsere Fraktion ganz deutlich: Das, was gerade auch von einigen Vorrednern aufgebaut worden ist, ist völlig falsch. Es geht hier nicht um eine so genannte Renaissance der Kernenergie und den Neubau von Kernkraftwerken. Es geht um die Frage, ob die Laufzeit der aus unserer Sicht sicheren Kernkraftwerke verlängert werden kann, um es im Rahmen eines Energiekonzeptes zu schaffen, einerseits den Energie- und Strompreis endlich unter Kontrolle zu bekommen und andererseits gleichzeitig Chancen für erneuerbare Energien zu entwickeln. Das wäre ein interessanter Aspekt. Sie können ja gar nicht an eine inhaltliche Verbindung zwischen der Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke und den erneuerbaren Energien denken, weil Sie per se für einen kurzfristigen Atomausstieg sind.
Unser Ansatz ist ganzheitlich; er ist richtig. Mit unserem Antrag verbinden wir für eine Übergangszeit – Kollege Pfeiffer hat von der ?Brücke“ gesprochen – die Vorteile der Nutzung der friedlichen Kernenergie mit der Ausgestaltung eines neuen Energiemixes. Das ist ein Weg in die Zukunft; er ist attraktiv und modern. Sie gehen ihn aus ideologischen Gründen nicht.
Auf eines muss aus unserer Sicht noch hingewiesen werden: Wir haben uns in diesem Hause immer gemeinsam zu einer anspruchsvollen internationalen Klimaschutzpolitik bekannt. Wir als Union haben jetzt einen Antrag eingebracht, mit dem wir bewusst die Fortsetzung von Kioto, nämlich Kioto plus, fordern. Stehen Sie im rot-grünen Regierungslager wirklich geschlossen zu dieser Haltung? Mit Erlaubnis des Präsidenten will ich einen Presseartikel aus dem ?Tagesspiegel“ vom 25. Juni 2005 zitieren. Dort heißt es:
Doch nun
– also kurz vor den Verhandlungen in Schottland –
scheint ausgerechnet den Deutschen, die bei Verhandlungen zum Schutz des Klimas stets eine wichtige Rolle gespielt haben, der Atem auszugehen. In Kreisen der britischen G-8-Präsidentschaft gibt es wegen des Zerwürfnisses zwischen Blair und Bundeskanzler Schröder um die EU-Finanzen leichte Zweifel an den Deutschen. Dazu kommt, dass der deutsche Sherpa, Wirtschaftsstaatssekretär Bernd Pfaffenbach, nach dem gescheiterten EU-Gipfel zwar eine ?konstruktive Rolle“ beim G-8-Gipfel versprochen hat. Allerdings hat er offenbar einen Vorschlag Frankreichs nicht unterstützt, das von der EU bereits beschlossene langfristige Klimaschutzziel – die Erde darf sich nicht mehr als zwei Grad im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung erwärmen – in das Gipfelpapier einzuarbeiten.
Das sagt ein Staatssekretär der deutschen Regierung.
In der Zeitung heißt es weiter – das will ich abschließend zitieren –:
Eine Stellungnahme aus dem Wirtschaftsministerium ist dazu allerdings nicht zu erhalten.
Bis jetzt haben wir dazu auch keine Stellungnahme des Umweltministeriums erhalten. Wo ist denn hier die abgestimmte Meinung zur internationalen Klimaschutzpolitik bei Rot-Grün?
– Der Herr Bundeswirtschaftsminister ruft dazwischen. Vielleicht hat er ja noch die Möglichkeit, einige Sätze dazu zu sagen.
Herr Minister Trittin, Sie werden hier gleich noch reden. Die Fragen der Opposition lauten: Stimmt es, dass Deutschland im Vorfeld des Gipfels beim Klimaschutz bremst? Gibt es in der rot-grünen Bundesregierung unterschiedliche Vorstellungen zur internationalen Klimaschutzpolitik?
Herr Minister Trittin, warum haben Sie die seit langem angekündigte Neufassung des Klimaschutzprogramms aus dem Jahre 2000 noch nicht vorgelegt?
Ich weiß, was Sie gleich sagen werden. Sie werden sagen, dass Sie das Klimaschutzprogramm in der Kabinettssitzung am 6. Juli 2005 verabschieden werden. Hier geht es Ihnen genauso wie bei der Vorlage Ihres Konzeptes zur Endlagersuche: Jetzt, da politisch das Ende der Legislaturperiode zu erkennen ist, dürfen Sie wieder mit Vorschlägen, zum Beispiel zur Endlagerpolitik, herauskommen. Jetzt auf einmal dürfen Sie auch ein Klimaschutzprogramm vorlegen, das Sie schon seit Anfang dieses Jahres angekündigt haben. Aber so können wir international im Vorfeld einer wichtigen Konferenz keine Glaubwürdigkeit erreichen. Deshalb müssen wir wissen, was Sie in dieser Frage überhaupt wollen.
Ein Hinweis von uns: Mit einer solchen Bilanz brauchen Sie, Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen von der rot-grünen Koalition, nicht in den Wahlkampf zu ziehen. Unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes sind all die hehren Ziele, die Sie in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben, nicht erreicht worden.
Unsere Aufgabe ist es – das kann man nicht so vom Tisch wischen, wie es der Wirtschaftminister getan hat –, den Spagat zu bewältigen, den Energiemix in Deutschland neu auszurichten und die dadurch entstehende Kostenbelastung – in der Tat kostet die Anfangsförderung der erneuerbaren Energien Geld und belastet den Preis – so zu gestalten, dass wir auch kurzfristig in der Industriestruktur unseres Landes keine Einbrüche haben. Vor dieser spannenden Aufgabe stehen wir.
Es stimmt natürlich, dass auch andere Kriterien dafür ausschlaggebend sind, eine Standortverlagerung vorzunehmen. Aber darauf, dass der Energiepreis in Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarn im Grunde genommen zu hoch ist und dass vor allen Dingen Mittelständler, die vor Ort riesige Probleme haben und zu Recht über den hohen Industriepreis stöhnen, aber darauf nicht so öffentlichkeitswirksam hinweisen können wie große Anbieter im Energie- und Industriebereich, haben Sie in den letzten Monaten keine positive Antwort geben können. Diesen Vorwurf müssen wir Ihnen machen.
Wir brauchen deshalb ein Klimaschutzprogramm und ein energiepolitisches Gesamtkonzept, das diese Punkte zusammenfasst. Aktuell brauchen wir zum Beispiel ganz schnell eine neue Härtefallregelung, gerade für den mittelständischen Bereich. Aber wir brauchen auch die belastbare Perspektive, wie es in der Klimaschutz- und Energiepolitik weitergeht. Die Bilanz, die Sie vorlegen, ist negativ.
Ich komme zu der Antwort auf unsere Große Anfrage – das ist mein abschließender Gedanke – zur augenblicklichen Klimaschutzpolitik. Auf unsere Frage 62, in der wir nach dem zusätzlichen Ausstoß von CO2 in Deutschland durch den Ausstieg aus der Kernenergie gefragt haben, antworten Sie – das will ich abschließend zitieren –:
Im marktwirtschaftlich organisierten Energiesektor liegt die Entscheidung, ob, wann und in welchem Umfang Ersatzinvestitionen für stillgelegte Kernkraftwerke ... getätigt werden, bei den Unternehmen. Da diese Entscheidungen noch nicht getroffen sind, kann die Frage nicht beantwortet werden.
Sie steigen aus der Kernenergie aus und sagen nicht, wie eine CO2-Reduktion in Deutschland bewältigt werden soll.
Daran sieht man doch, dass Sie die Augen vor den Problemen, die wir lösen müssen, verschließen.
Herzlichen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion.
Rolf Hempelmann (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Pfeiffer – Pfeiffer mit drei f –, anscheinend hat es auf einem der vielen Sommerfeste auch Feuerzangenbowle gegeben. Anders kann ich mir das, was Sie heute vom Stapel gelassen haben, nicht erklären. Wir arbeiten ja seit Jahren im Wirtschaftsausschuss zusammen. Ich glaube, so weit kann man sich von der Realität nicht mehr entfernen, wie Sie das gerade in Ihrem Beitrag gemacht haben.
Zu der Forderung, ein Energieprogramm vorzulegen, die Sie immer gestellt haben, der Sie aber selber in Ihrer Regierungszeit über die gesamten 90er-Jahre hinweg nicht nachgekommen sind, ist zu sagen, dass in Zeiten einer liberalisierten Energiewirtschaft die Zeit der Programme mehr oder weniger vorbei ist. Wir können doch keine Energieprogramme auflegen und dann erwarten, dass sie sozusagen von Dritten abgearbeitet werden. Was wir entwickeln können – darüber ist hier heute gesprochen worden –, sind Konzepte. Diese können wir dann überzeugend abarbeiten.
Wir haben in dieser Legislaturperiode beispielsweise eine Energieagenda abgearbeitet, und zwar mit großem Erfolg, mit großer positiver öffentlicher Resonanz. Nehmen wir nur das EEG, das Sie gerade wieder gescholten haben. Gleichzeitig versuchen Sie aber, in Nebensätzen immer einzuflechten, dass Sie natürlich zu den erneuerbaren Energien stehen
– das nehme ich Ihnen persönlich auch ab, Herr Paziorek – und dass Sie einen Anteil der erneuerbaren Energien von 12,5 Prozent im Jahre 2010 erreichen wollen. Wenn dann aber einige in Ihrer Fraktion, wenn auch nicht Sie persönlich, die erneuerbaren Energien diffamieren, indem sie so tun, als könne die Bedeutung der erneuerbaren Energien ausschließlich an ihrem Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen gemessen werden, dann ist völlig klar, dass viele von Ihnen die erneuerbaren Energien nicht wirklich wollen. Sie müssen sie aber schon deswegen wollen, weil die fossilen Ressourcen irgendwann zu Ende gehen.
Wir müssen heute handeln, um morgen vorbereitet zu sein.
Wir haben das EEG novelliert. Wir haben dabei die zum Teil berechtigten Kritikpunkte aufgenommen und insbesondere dafür gesorgt, dass die Kosteneffizienz des EEG gesteigert worden ist. Da ist immer noch Luft und da gibt es immer noch Verbesserungsmöglichkeiten; das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen. Auch bei der Windenergie wird man sich sicherlich weiter darüber verständigen müssen, wie man die Netzintegration von Windenergie verbessert, um auch die ökonomischen Effekte, von denen Sie gesprochen haben, zu erzielen.
Das ist in Ordnung so. Sie sollten aber auch anerkennen, dass wir auf diesem Weg schon erheblich weitergekommen sind. Die Degression der Förderung gerade der Windenergie ist deutlich verschärft worden. Das wird von der Windbranche nicht nur mit einem lachenden Auge gesehen; sie ist vielmehr ganz erheblich unter Effizienzdruck geraten. Das ist auch richtig so.
Der von Ihnen geforderte Schwerpunktwechsel in Richtung der Bioenergien ist vorgenommen worden. Wir haben Ankündigungen von Investitionen in Biogas- und Biomassekraftwerke. Das ist auf die veränderten Förderbedingungen in diesem Bereich zurückzuführen. Gerade Ihre Klientel, die Landwirte, hat das sehr begrüßt.
Ich glaube, dass man auch das der Ehrlichkeit halber offen ansprechen sollte.
Wir haben also das EEG durchaus erfolgreich weiterentwickelt, was arbeitsmarktpolitische Effekte hatte und zu Ankündigungen von Investitionen führte.
Genauso verhält es sich mit dem Emissionshandel. Es ist richtig, dass der erste Entwurf, der damals vom federführenden Ministerium vorgelegt worden ist, auch bei uns zum Teil kritisch gesehen wurde. Wir haben ihn aber weiterentwickelt und dafür gesorgt, dass durch den Emissionshandel der Energiemix nicht gefährdet, sondern befördert wird. Wir haben in diesem Bereich aufgrund unserer Regelungen Ankündigungen aus der Energiewirtschaft, dass es umfangreiche Investitionen in Gaskraftwerke, in Braunkohlekraftwerke und in Steinkohlekraftwerke geben wird. Das ist gut so. Das schafft Wertschöpfung in Deutschland. Das schafft Unabhängigkeit, jedenfalls in dem Umfang, den wir als vom Energieimport abhängiges Land erreichen können. Ich denke, das ist zu würdigen. Diese Investitionen schaffen auch Arbeitsplätze. Insofern haben wir ein Instrument geschaffen, das erfolgreich für Beschäftigung und für Investitionen am Standort Deutschland sorgt. Gleichzeitig hatten wir auf die energieintensiven Industrien zu achten. Wir haben zahlreiche Ausnahme- und Sonderregelungen für diejenigen geschaffen, die Strom sozusagen als Rohstoff für ihre Produktion benutzen. Das ist von denen anerkannt worden.
Richtig ist auch, dass wir, wenn wir in die zweite Handelsperiode gehen, dieses Instrument überprüfen müssen. Natürlich zeigt sich, dass, wenn Zertifikate kostenlos vergeben werden, die aber, wie es sein muss, werthaltig in die Bilanzen eingestellt werden, das am Ende zu Preiserhöhungen führt, zum Beispiel für die Industrie. Darüber werden wir nachdenken müssen. Wir müssen überlegen, ob wir diesen Mechanismus möglicherweise in einer zweiten Handelsperiode verändern müssen. Aber klar ist: Wir haben beide im Auge gehabt, sowohl die Industrie als auch die Energiewirtschaft.
Genauso sieht es beim Energiewirtschaftsgesetz aus. Schon der erste Entwurf, der vom Bundestag verabschiedet worden ist, ist von allen Akteuren – sowohl von der Verbraucherseite als auch von der Energiewirtschaft – als ein vernünftiger Kompromiss gelobt worden. Wir haben das dann im Vermittlungsausschuss weiterentwickelt. Herr Dr. Pfeiffer, man sollte doch nicht versuchen, dort mit uns gemeinsam zu Lösungen zu kommen, und sagen, es sei ein vernünftiges Verhandlungsklima gewesen,
und sich anschließend hier hinstellen und so tun, als habe dieses Gesetz nur durch Sie – wahrscheinlich auch noch durch Sie persönlich – zu einem vernünftigen Ergebnis geführt. Das ist doch unglaubwürdig. Tun Sie einfach einmal Folgendes: Loben Sie uns ab und zu! Das steigert Ihre persönliche Glaubwürdigkeit.
Auch dieses Energiewirtschaftsgesetz sorgt nicht nur dafür, dass wir mehr Wettbewerb haben und dass es Preissenkungsspielräume geben wird – ich sage ganz klar: sie sind sehr begrenzt durch eine Kostensteigerung am anderen Ende, etwa bei den Primärenergiekosten –, sondern es sorgt auch für mehr Investitionen. Diese sind von der gesamten betroffenen Wirtschaft angekündigt. Es handelt sich um zahlreiche Investitionen in die Netze.
Insgesamt kann man also zu unserer Energiepolitik sagen: Es gibt große Akzeptanz in der Bevölkerung. Darum sollten Sie sich auch einmal bei Ihrer Atompolitik kümmern. Es gibt große wirtschaftliche Effekte, gerade auch in der Energiewirtschaft selbst.
Was die Industrie angeht, so haben wir durch entsprechende Sonderregelungen dafür gesorgt, dass auch in unserem Hochlohn- und Hochpreisland Industrie weiter möglich ist. Trotzdem ist dies eine Daueraufgabe, an der wir weiter arbeiten müssen. Sie sind herzlich eingeladen, daran mitzuwirken.
Vielen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Bundesminister Jürgen Trittin.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU hat in ihrem Antrag die Vorlage eines energiepolitischen Konzepts gefordert. Ich kann Ihnen nur einen Rat geben, der unter Juristen üblich ist:
Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung.
Alle Eckpunkte der energiepolitischen Konzeption dieser Koalition sind bereits im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden. Dabei handelt es sich um das Gesetz zum Atomausstieg, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Gesetz zur Einführung des Emissionshandels und das Energiewirtschaftsgesetz. Diese politischen Rahmenbedingungen – der Kollege Clement hat darauf hingewiesen – haben dazu geführt, dass nach zehn Jahren weit gehender Abstinenz bei Investitionen im Energiesektor, sieht man einmal von den erneuerbaren Energien ab, in Deutschland wieder in neue Kraftwerke, in Energie, in Leitungen investiert wird. Sie haben ein Bild gezeichnet, das der Realität nicht entspricht. RWE investiert allein 5,6 Milliarden Euro, die STEAG investiert 3,6 Milliarden Euro. Die Investitionen fließen in neue, hoch moderne Kraftwerkstechnologie. Sie aber versuchen, ein Bild zu zeichnen, als würden in Deutschland die Lichter ausgehen.
Nein, meine Damen und Herren, wenn wir ernsthaft über die von Ihnen genannten Probleme reden wollen, dann sollten wir darüber reden, warum in Deutschland die Netzdurchleitungskosten im Verhältnis zur Europäischen Union 40 Prozent über dem Durchschnitt liegen. Wenn Sie jetzt mehr Marktwirtschaft in den Netzen fordern, dann sollten Sie das in den Verhandlungen zum Energiewirtschaftsgesetz erzielte Ergebnis zur Kenntnis nehmen. Es war der Wunsch Ihrer Länderchefs, dass die Anreizregulierung nicht unmittelbar wirkt, sondern stattdessen erst eine Verordnung erlassen werden muss. Was heißt das?
Das heißt: mehr Bürokratie. Das heißt vor allen Dingen aber auch, lieber Herr Pfeiffer: Die Anreizregulierung kommt ein bis zwei Jahre später. Damit wird die Senkung der zu hohen Netzkosten erst ein bis zwei Jahre später wirksam. Das war Ihr Verdienst im Vermittlungsverfahren. Jetzt aber vergießen Sie Krokodilstränen darüber, dass die Preise zu hoch sind. Dabei haben Sie selber dafür gesorgt, dass die Netzpreise nicht so schnell sinken, wie wir es wollten.
Ich bin gerne bereit, dem Kollegen Paziorek abzunehmen, dass auch er möchte, dass es noch ein bisschen erneuerbare Energien gibt. Sie haben aber schon mit Ihrer Koalitionsvereinbarung in Nordrhein-Westfalen bewiesen, Herr Paziorek, dass das nichts taugt. Die Koalitionsvereinbarung in NRW sieht nicht nur die Abstandsregel, sondern auch die Änderung des Bundesbaugesetzes vor. Danach werden Sie in diesem Land kein Repowering und keinen Ausbau von Energieanlagen – das gilt übrigens auch für Biomasseanlagen – mehr durchführen können. Die FDP in Ihrer Koalition sagt auch genau, wo es langgehen soll: Wir wollen nicht mehr, dass die erneuerbaren Energien weiter wachsen. Das ist die Realpolitik, wenn CDU und FDP regieren,
und Sie dürfen das umweltpolitische Feigenblatt dazu liefern. Das ist das Problem.
Wenn wir über Pragmatismus in diesem Lande reden, dann tun Sie so, als wollten Sie nur ein paar Laufzeiten verlängern.
Sie verschweigen dabei zwei Punkte: Die Verlängerung der Laufzeiten vergrößert den Umfang eines Problems, nämlich die Menge des einzulagernden Atommülls.
Die letzten Gebote, die ich aus Ihren Reihen, den Reihen der Union und der FDP, gehört habe, lauteten: Laufzeitverlängerung auf 60 Jahre.
Dies bedeutet eine Verdoppelung der Atommüllmenge, die eingelagert werden muss. So sieht Ihre nachhaltige Energiepolitik aus!
Das ist aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. In dem von Ihnen produzierten Papier zur Endlagerpolitik wird der Frage nachgegangen,
wie man in Gorleben weiter enteignen kann, obwohl es noch nicht einmal eine atomrechtliche Genehmigung gibt.
Enteignen müssen Sie nur, wenn Sie solche zusätzlichen Mengen von Atommüll dorthin schaffen. Das heißt, Sie haben in Ihrem eigenen Konzept zur Endlagerung zugegeben, worum es Ihnen bei der Diskussion um Laufzeitverlängerung wirklich geht: auch und gerade um eine Renaissance von, den Wiedereinstieg in und den Neubau von Atomanlagen. Verstecken Sie sich an dieser Stelle nicht so feige, meine Damen und Herren!
Dann sagen Sie uns auch, bei welchen technischen Meisterwerken Sie die Laufzeit verlängern wollen. Es handelt sich um ganz konkrete Kraftwerke wie Brunsbüttel und Biblis.
Diese beiden Kraftwerke haben auf jeder unserer Störfalllisten einen Stammplatz. Wenn Sie das Atomgesetz ändern, dann verhindern Sie, dass diese Kraftwerke wie vorgesehen endlich vom Netz gehen.
Eine Schlussbemerkung zu einem Punkt, auf den Frau Hustedt bereits hingewiesen hat: Frau Merkel hat selber gesagt, sie wolle an der Ökosteuer festhalten. Hören Sie also auf, hier solche Reden zu halten! Ich will Sie nur ganz diskret auf das von Herrn Paziorek schon angesprochene Klimaschutzprogramm hinweisen. Deutschland ist nicht nur der größte Einsparer von Treibhausgasen in der Europäischen Union – zwei Drittel sind allein hier erwirtschaftet worden –,
Deutschland ist auch das einzige Land in ganz Europa, in dem die Verkehrsemissionen sinken, während sie in allen anderen Ländern steigen. Allein im Verkehrsbereich haben wir – übrigens dank der Ökosteuer – 15 Millionen Tonnen CO2 eingespart.
Meine Damen und Herren, dies belegt, dass sich Energiepolitik in Zeiten steigender Ölpreise und wachsender Nachfrage nach Rohstoffen nur auf mehr Energieeffizienz, mehr Energieeinsparung und den Ausbau erneuerbarer Energien konzentrieren kann. All dies wollen Sie zugunsten einer Energiepolitik rückgängig machen, die nichts anderes als ?Vorwärts, zurück in die 70er-Jahre“ heißt.
Das ist das Gegenteil von Zukunftsbewältigung.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Kurt-Dieter Grill, CDU/CSU-Fraktion.
Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Trittin, zu Ihrer Rede fällt mir eigentlich nur eines ein: Lautstärke ersetzt nicht die richtigen Argumente.
Wenn Sie meinen, in dieser Art und Weise über Energiepolitik und Standortfragen in Deutschland diskutieren zu müssen, dann ist das Ihre Wahl.
Dass der Kollege Pfeiffer mit dem, was er vorhin zu der Art, wie Sie Politik machen, geäußert hat, nicht ganz Unrecht hat, beweise ich an einem Beispiel: Sie haben hier gerade vorgetragen, dass in unserem Papier irgendetwas über Enteignung stehe, und damit wohl gemeint, dass dies die Vorbereitung des Ganzen sei, 60 Jahre, und was Sie wahrscheinlich draußen im Wahlkampf noch erzählen werden. Sie haben aber in Ihrem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf – dazu hat eine Zeitung in Niedersachsen geschrieben, dieses Gesetz sei für die Endlagerung bestimmt, weil es diesen Bundestag gar nicht mehr erreichen wird, also eine reine Showveranstaltung ist – mit denselben Ziffern wie Angela Merkel Enteignungsparagraphen für dieses Land vorgeschlagen. Sie schreiben also die Enteignungsparagraphen in Ihren Gesetzentwurf.
Nun können Sie selber von dieser Stelle aus sagen, ob Ihre Enteignung eine andere ist als unsere Enteignung.
Sie haben damals von einer Lex Bernstorff gesprochen. Nun frage ich Sie: Wozu brauchen Sie eine Enteignung?
Im Übrigen reicht das Volumen des Salzstockes Gorleben in dem Teil, der nicht enteignet werden muss, weil die Rechte vorliegen – das wissen Sie genau so gut wie ich –, für die Mengen, über die Sie hier diskutieren, allemal aus.
Nun wende ich mich der Energiepolitik insgesamt zu. Hier war von Energieeffizienz und von ?weg vom Öl“ die Rede, Herr Minister Clement. Was Sie heute vorgetragen haben, war weder eine schlüssige Konzeption im Sinne von ?Weg vom Öl“ noch hat es den darüber liegenden problematischen Teil der Rohstoffpolitik auch nur ansatzweise erwähnt, nämlich die Frage, wie dieses Land in dieser Situation überhaupt zu einer Sicherung seiner Energieversorgung kommt und was Versorgungssicherheit bedeutet.
Hier an diesem Pult haben Frau Hustedt und andere Vertreter von Rot-Grün noch zu Beginn Ihrer Regierungszeit eine Vision von Gaskraftwerken vorgestellt, als ob es nur der Gaskraftwerke bedürfte, um die bestehenden Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke im Sinne Ihrer Klimapolitik zu ersetzen. Bis heute ist kein einziges angekündigtes Kraftwerk gebaut worden. Deswegen glauben wir nicht, dass Sie eine Strategie hatten; das beweise ich Ihnen anhand der Papiere des Nachhaltigkeitsrates. Wir reden heute über die Situation nach immerhin sieben Jahren Ihrer Regierungsverantwortung. Sie haben bisher kein Offshorewindkraftwerk gebaut, sodass man es hätte testen können.
Sie haben das CO2-freie Kohlekraftwerk in der Enquete-Kommission abgelehnt. Jetzt geben Sie, die Vertreter von Rot-Grün, mit einem 35-Megawatt-Kraftwerk an, das eine private Firma baut.
Sie, lieber Herr Clement, erklären Deutschland zu einer kernenergiefreien Zone. Das stimmt schlicht und einfach nicht. Soll ich Ihnen die Zahlen zum ITER, zum Komplex Lubmin vortragen? Soll ich Ihnen sagen, mit wie vielen hundert Millionen Deutschland sich an der Kernfusionsforschung beteiligt?
Ihre Projekte sind nicht kernenergiefrei und Sie verschweigen der Bevölkerung genau dieses Faktum. Ganz abgesehen davon gibt es ja durchaus Signale, dass diese Bundesregierung nicht aufschreien würde, wenn sich die deutschen EVUs am französischen EPR in Flamanville beteiligten.
Ich denke, wir dürfen im Zusammenhang mit Energiepreisen nicht allein über Aluminiumwerke diskutieren. Die Energiepreise haben nicht nur einen Aspekt, der die energieintensive Industrie betrifft. Vielmehr bewirken sie auch eine Abschöpfung der Kaufkraft. Durch hohe Energiepreise und durch die 40-prozentige Verteuerung der staatlichen Abgaben auf Energie während Ihrer Regierungszeit wurden Kaufkraft und damit auch Wachstumskräfte abgeschöpft.
Im Übrigen will ich auch deutlich sagen, dass Sie an keiner Stelle den Beweis für die Behauptung antreten konnten, wir wollten ein Ende der erneuerbaren Energien. Ich will Ihnen einen Satz, den ich persönlich mit verfasst habe und den ich deshalb hier mit Nachdruck vortrage, noch einmal vorlesen, damit Sie ihn verinnerlichen können:
CDU und CSU sind davon überzeugt, dass die Kernenergie als Brücke in den zukunftsfähigen Energiemix mit einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien fungieren kann.
Genau das ist der Punkt, meine Damen und Herren, und nicht das, was Sie die Bevölkerung glauben machen wollen.
Die von Ihnen hier zitierten Investitionen in Höhe von 20 Milliarden tragen nun weiß Gott nicht dazu bei, die Kernenergie zu ersetzen. Sie haben bis heute kein Papier vorgelegt, dem man entnehmen könnte, wie die 20 000 Megawatt Energie, die in Deutschland durch Kernkraft produziert werden, ersetzt werden sollen. Im Übrigen steht in dem Vertrag, den Sie, Herr Trittin, mit unterschrieben haben, dass die deutschen Kernkraftwerke gemäß einem hohen internationalen Sicherheitsstandard gebaut worden sind und betrieben werden. Sie haben zwar großspurig angekündigt, Sie würden eine neue Risikobewertung vornehmen, aber bis heute liegt sie nicht vor. Sie haben in diesem Vertrag, den man auch ganz anders nennen könnte als Ausstiegsvertrag, bestätigt, dass Gorleben eignungsfähig ist. In Ihrer Regierungszeit wurden die Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben und das Endlager Konrad genehmigt. Wo ist also das Problem? Was werfen Sie uns eigentlich vor?
Diese Fragen müssen Sie sich gefallen lassen. Alles das, was Sie noch 1998/99 in diesem Hause kritisiert hatten, haben Sie hinterher genutzt. Ich fasse das in dem Satz zusammen, den wir ab dem 19. September in Deutschland sicher wieder hören werden: grüner Castor – guter Castor, schwarzer Castor – schlechter Castor. Das ist das, was wir mit Ihnen erleben werden.
Nun will ich Ihnen noch einige Zitate aus dem Papier des Nachhaltigkeitsrates vortragen. Es heißt dort:
... dabei wird in dieser Empfehlung vornehmlich auf bislang vernachlässigte Felder abgehoben:
1. Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz im Bereich der Energienutzung, des Verkehrs und des Materialeinsatzes.
2. Entwicklung einer Strategie, um Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit, gegebenenfalls auch unabhängig von internationalen Vereinbarungen, zu verbinden.
Das sagt der Nachhaltigkeitsrat. Dann kommt er zu entscheidenden Bemerkungen und damit zu genau dem Punkt, über den wir heute diskutieren. Er spricht von der Notwendigkeit einer konsistenten Strategie. Der Rat schreibt:
Das letzte, gegenwärtig noch gültige Energieprogramm aus dem Jahr 1996 und auch der Energiedialog 2000 haben letztlich nicht zu einem neuen Energiekonzept geführt. ... Die genannten Handlungsfelder der Energiepolitik sind bislang noch nicht unter eine neue einheitliche Strategie und eine durchdachte Entwicklung von Energienutzung und -umwandlung gestellt worden. Das Credo der Bundesregierung, die Versorgung mit einem ?ausgewogenen Energiemix“ bereitstellen zu wollen, bei dem die Anforderungen kostengünstige Energiedienstleistungen ... berücksichtigt werden, ist noch unausgefüllt geblieben. ...
Diese
– Ihre Maßnahmen –
sind einzeln stets erklärbar... Durch fehlende Orientierung entwickeln sich jedoch Ergebnisse, die nicht zielkongruent, teilweise widersprüchlich, zumindest aber ohne ausreichende Begründung bleiben und hier – beispielhaft – aufgeführt sind.
Das ist die Realität Ihrer Energiepolitik.
Der Nachhaltigkeitsrat schreibt weiter:
Ein schlüssiges Konzept zur Vermeidung der zusätzlichen CO2-Emissionen durch den Wegfall der Kernkraftkapazitäten ist gegenwärtig nicht sichtbar.
Sie haben sieben Jahre Zeit gehabt, ein entsprechendes Konzept vorzulegen. Aber das Einzige, was wir in der Hand haben, ist ein Bericht des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Müller, in dem steht, dass ein CO2-freier Ausstieg aus der Kernenergie dieses Land 250 Milliarden Euro kosten wird. Das heißt, Ihre Politik verteuert den Standort Deutschland und kostet Arbeitsplätze und Wachstum. Wenn wir im Übrigen das Wachstum hätten, von dem Sie träumen und das dieses Land braucht, dann hätten wir heute mehr CO2-Emissionen und nicht weniger. Das ist das Ergebnis rot-grüner Politik nach sieben Jahren.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Michael Müller von der SPD-Fraktion.
Michael Müller (Düsseldorf) (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir finden es richtig, dass die Energiepolitik in das Zentrum des Wahlkampfes rückt; denn nirgendwo sonst sind die Unterschiede so klar wie auf diesem Feld. Es geht nämlich nicht, wie Sie behaupten, um ?kein Konzept oder ein Konzept“, sondern um die Frage, ob man endlich auf die erkennbaren, unbestrittenen Zukunftsherausforderungen mit einer Neuordnung der Energiepolitik reagiert oder ob man an alten, überholten Strukturen festhält. Das ist die Grundauseinandersetzung.
Wenn man die Situation betrachtet, dann stellt man fest: Die Opposition steht beispielhaft für ein antiquiertes Denken in der Energiepolitik, das vor allem zunehmend größere Kapazitäten und mehr Wachstum in der Energieversorgung kennt, das aber nicht den entscheidenden Weg sucht, Energieeinsparungen, Effizienzsteigerungen und die Solarenergie mit aller Kraft voranzubringen. Das ist der Unterschied. Diesen werden wir auch im Wahlkampf herausstellen; denn hier geht es um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Für uns ist völlig klar: Eine moderne Energiepolitik darf nicht mehr in der alten Logik der grenzenlosen Nutzung von Energieressourcen stehen. Vielmehr muss sie in der Logik der Sicherung der notwendigen Leistungen durch zunehmend geringeren Energieeinsatz stehen. Das ist eine ganz andere Philosophie als diejenige, die Sie vertreten. In Ihren Papieren heißt es, dass Sie ein Bündnis aus Atomkraft und erneuerbaren Energieträgern wollen. Ich stelle fest, dass dieses Bündnis real nicht möglich ist; denn die Atomkraft ist auf einen zunehmend höheren, und zwar sehr extensiven, Energieverbrauch ausgerichtet. Sonst rechnet sie sich wirtschaftlich nicht.
– Herr Paziorek, Sie haben die Logik noch immer nicht begriffen. Ich verstehe Sie wirklich nicht. Die Enquete-Kommission schreibt mit Zustimmung der CDU/CSU in ihrem Bericht: Eine Energiepolitik, die glaubt, die Klimaprobleme mit der Atomkraft zu lösen, geht ins Leere.
Aber hier sagen Sie das genaue Gegenteil. Das passt doch nicht zusammen.
In dem Bericht der Enquete-Kommission steht völlig zu Recht: Die entscheidende Frage ist, wie man so schnell und so umfassend wie möglich die Sparpotenziale mobilisieren kann.
Wie wollen Sie aber mit einer Energietechnik, die im Grunde genommen über einen Wirkungsgrad von etwa 30 Prozent nicht hinauskommt, dieses Problem lösen?
Ihre Philosophie kreist um den Austausch von Energieträgern. Darum geht es aber nicht. Vielmehr geht es um eine andere Grundlogik in der Energiepolitik. Das haben Sie bis heute nicht begriffen.
Auch wenn Sie noch so viel mit dem Kopf schütteln: Es geht einfach nicht an, über Nachhaltigkeit zwar zu sprechen, aber im Grunde genommen die alte Strategie weiterhin zu verfolgen. Immer wenn es darauf ankam, haben Sie an den alten Strukturen festgehalten. Sie reden über erneuerbare Energien und wenn es ernst wird, blockieren Sie. Genau das und nichts anderes ist es, was wir überall erleben.
Die Neuordnung der Energieversorgung ist kein Selbstzweck. Auch wir wissen, dass das zum Teil mit Umstrukturierungen und höheren Kosten verbunden ist. Das ist richtig; wir streiten das überhaupt nicht ab. Aber was ist denn die Alternative? Die Alternative ist, weiter an einem Energiesystem festzuhalten, von dem wir wissen, dass es nicht zukunftsfähig ist. Es ist leider so: Innovationen kosten Geld. Aber Innovationen zahlen sich auch aus. Mittelfristig ist es immer besser, auf die Erneuerung des Energiesystems zu setzen, als unter Zwang Kraftakte vorzunehmen, die uns alle, auch finanziell, überfordern. Diesen Weg wollen wir nicht.
Die Ausgangssituation ist klar: Unser heutiges Energiesystem wird zu Dreivierteln von etwa 1,2 Milliarden Menschen genutzt. Schon jetzt überfordern wir mit diesem Energiesystem die natürliche Tragfähigkeit unseres Planeten. Was passiert aber – das wird in wenigen Jahrzehnten so sein –, wenn diese Energieressourcen von 3 bis 4 Milliarden Menschen unter industriellen Bedingungen genutzt werden? Sagen wir dann: ?Ihr dürft das nicht“? Oder werden wir unserer Verantwortung gerecht, indem wir zeigen, dass es auch eine andere, eine effiziente Energieversorgung gibt – nämlich die Versorgung unter anderem mit Solarenergie –, die auf die ganze Welt übertragbar ist? Wir sind immer für den zweiten Weg, denn es ist der richtige.
Langfristig ist das Ganze für die Welt nicht nur eine ökonomische Frage, sondern auch eine Frage von friedenspolitischer Bedeutung.
Man muss auch Folgendes sehen: Es geht nicht an, bei jeder Gelegenheit über Klimaänderungen zu reden und das Ziel, dass die globale Erwärmung um nicht mehr als 2 Grad Celsius steigen soll, festzulegen – wir müssen uns schon ziemlich anstrengen, um dieses Ziel zu erreichen –, dann aber, wenn es um konkrete Einsparungen geht, zu sagen: Nein, das würde uns so sehr belasten, dass wir es nicht wollen. – Wir müssen uns hier entscheiden. Sie kommen nicht darum herum, eine Entscheidung zu treffen. Wenn es zu keiner gemeinsamen Entscheidung kommt, dann werden wir natürlich klarstellen, wer dafür die Verantwortung trägt.
Politik muss mehr sein als die Reaktion auf Krisen. Politik muss sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie erkennbaren Gefahren früh genug vorgreift und Weichen anders stellt. Das tun wir in der Energiepolitik. Wir haben nicht etwa kein Konzept, sondern wir haben ein anderes Konzept als Sie. Ich glaube, es ist das richtige Konzept. Darum geht es.
Ich möchte auch noch auf die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien zu sprechen kommen. Vor dem Hintergrund der Unsicherheiten in der Nachfrage nach Energie sind im letzten Jahrhundert große Kapazitäten mit entsprechend hohen Reserveleistungen geschaffen worden. Die Energiepolitik der Zukunft kann auf die Bedarfe sehr viel flexibler reagieren. Ich bin zutiefst überzeugt: Diejenige Volkswirtschaft, die effiziente bzw. solare Technologien im großen Stil anbietet, wird auch die Märkte der Zukunft bestimmen.
Das ist ein ökonomisch brisantes Feld. Ich sage Ihnen: Wir befinden uns in einem Wettbewerb mit anderen Ländern um die Vorreiterrolle. Auch hier ist das Bild klar: Aufseiten der Opposition sitzen die Bremser, aufseiten der Koalition gibt es Abgeordnete, die mutig Schritte nach vorn machen. Wir wollen diese Schritte nach vorn machen; denn das wird eine neue und lange Phase ökonomischer Stabilität nach sich ziehen. Wir wollen Vorreiter bei der ökologischen Modernisierung der Energie- und Ressourcenbasis in der Welt werden. Es lohnt sich, dort an der Spitze zu stehen. Dies wäre eine Leistung, auf die wir stolz sein könnten.
Wir wissen, dass dieser Umbau nicht leicht ist. Wir wissen, dass er natürlich auch etwas kostet. Aber wir versprechen, alles zu tun, ihn sozial- und wirtschaftsverträglich durchzuführen. Das heißt, dieser Umbau wird sich sowohl sozial, nämlich in einer höheren Beschäftigung, als auch zum Vorteil der Wirtschaft auswirken. Es ist klar: Energiesparen und Solarenergie sind auch Jobmotoren. Wir wollen diese Jobmotoren. Wir wollen mehr Beschäftigung in diesen Bereichen.
Wir wollen keinen Rückfall in alte Strukturen.
Wir stehen für diesen Richtungswechsel. Sie wollen an alten Strukturen festhalten. Die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken macht nur einen Sinn, wenn Sie zur alten Atomtechnologie zurückwollen.
Sie müssten aber wissen, dass Sie schnell an Grenzen stoßen, nicht nur in Bezug auf die Entsorgung, sondern auch hinsichtlich der Verfügbarkeit von Uran.
Die Atomtechnologie hat in den 70er-Jahren unser Land tief gespalten. Wir haben diese Spaltung überwunden. Die Bürger müssen wissen: Wer zur Atomtechnologie zurück will, wird dieses Land erneut spalten. Wir wollen das nicht.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4844 mit dem Titel ?Energiepolitik für mehr Wachstum und Beschäftigung“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion abgelehnt.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/4155 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 184. Sitzung – wird morgen,
Freitag, den 1. Juli 2005,
an dieser Stelle veröffentlicht.]