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Der Dienstag ist der Hauptentscheidungstag im parlamentarischen Geschehen – auch wenn davon nach außen hin direkt wenig sichtbar wird. Denn der Dienstag dient der internen Meinungsfindung innerhalb der einzelnen Fraktionen. Das beginnt schon früh am Morgen. Denn alle Politikfelder, die in dieser Woche gefragt sind, müssen an diesem Tag beackert werden. Häufig sind Abgeordnete Mitglieder in mehreren Arbeitsgruppen, Arbeitskreisen oder Arbeitsgemeinschaften. Die großen Fraktionen haben sich spiegelbildlich zu den 21 ständigen Fachausschüssen und deren Untergremien organisiert, die kleineren haben thematisch verwandte Angelegenheiten, wie Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, zusammengefasst.
Ganz gleich, ob ein „kleines“ oder „großes“ Zuständigkeitsterrain zu überblicken ist – in allen diesen Fraktionsgremien werden die anstehenden Fachberatungen detailliert vorberaten: Ist der eigene Gesetzentwurf ausgereift, so dass er der gesamten Fraktion vorgestellt werden kann? Welchen Teilen der Regierungsinitiative kann man auch in der Opposition zustimmen, wo sollten Änderungen durchgesetzt werden? Welche Sachverständigen sollte man für die nächste Anhörung benennen? Welche Konsequenzen sind aus dem jüngsten Hearing zu ziehen? Wie sind die Hinweise aus dem Lobby-Bereich zu bewerten – haben die Experten aus der Praxis mit ihren Bedenken Recht?
Zur effizienten Meinungsbildung in den Fraktionen gehört auch die Koordination im direkten Umfeld. Das politische Spiel der Kräfte verlangt die Einbindung geborener und potenzieller Verbündeter. Das heißt, dass sich in einer Koalition die Fraktionen untereinander auf dem Laufenden halten und die Vorhaben zwischen Regierung, Regierungsfraktionen und Regierungsparteien synchronisieren. Regelmäßige Koalitionsrunden sind genauso unerlässlich wie Strategiegespräche im Kanzleramt, in die die Spitzen von Parteien und Fraktionen eingebunden sind. Neben turnusmäßige Zusammenkünfte treten Ad-hoc-Konferenzen, wenn bedeutsame Gesetzesvorhaben anstehen und angesichts von Verhandlungen mit anderen Parteien oder Fraktionen die eigene Haltung synchronisiert werden sollte. Andererseits stehen auch die Oppositionsfraktionen im Bundestag im Meinungsaustausch mit Mitgliedern aus der eigenen Partei im Bundesrat.
Es geht über die Mittagszeit weiter mit Vorbesprechungen. Denn jede Fraktion ist im Grunde ein Parlament im Parlament: Jede Fraktion gliedert sich in Gruppen von Abgeordneten, die aus verschiedenen Regionen kommen, die politische Grundströmungen bevorzugen, die gemeinsame Anliegen quer zu den einzelnen Fachgebieten verfolgen. Und das alles wird in regelmäßigen Treffen im Auge behalten.
So stimmen die politischen Grundströmungen ihren weiteren Fluss ab. Bei der SPD sind das zum Beispiel die eher konservativen „Seeheimer“, die „PLer“ von der Parlamentarischen Linken und die eher pragmatisch orientierten „Netzwerker“. Schließlich treffen sich innerhalb der Fraktionen auch andere Vereinigungen von Abgeordneten, um die Projekte quer durch die Themen zu prüfen: Bei der CDU/CSU-Fraktion sind das etwa die „Junge Gruppe“ oder die „Gruppe der Frauen“.
Als zentraler Punkt der Sitzungswoche stellen sich dienstags am frühen Nachmittag die Fraktionssitzungen dar. Hier wird alles gebündelt, was in den vielen Dutzend anderen Fachgremien vorgeklärt worden ist. Hier geben die Vorsitzenden einen Überblick über die aktuelle Lage und erläutern die Strategie. Hier erläutern in den Regierungsfraktionen unter anderem auch der Bundeskanzler und seine Minister die Hintergründe und Zusammenhänge der jüngsten Initiativen. Und hier fallen die herausragenden Vorentscheidungen: Stimmt die Fraktion als Ganzes einem Gesetzesvorhaben zu? Lehnt sie es als Ganzes ab? Also ist hier der Ort und der Zeitpunkt für jedes Fraktionsmitglied, die Meinungsfindung der Gesamtfraktion zu beeinflussen: Wer anderer Meinung ist, hat hier die Chance, seine Kollegen von seiner Position zu überzeugen. Vielleicht werden dann auf seine Anregung noch Änderungen vorgesehen. Vielleicht aber auch schließt sich der Einzelne nach der internen Abstimmung der Mehrheitsposition an, damit die Fraktion nach außen hin wieder geschlossen auftreten kann.
Die Fraktionssitzungen sind damit der Ort der Vorentscheidung. So wie die Mehrheitsfraktionen sich entscheiden, so soll es – von Korrekturen im Detail abgesehen – später auch Gesetz werden. Deshalb halten sich vor allem die Koalitionsfraktionen über den Stand ihrer internen Beratungen oft gegenseitig auf dem Laufenden. Und deshalb richtet sich auch das Interesse der Medien auf diese Sitzungen. Damit der Meinungsaustausch unbeschwert funktionieren kann, sind die Zusammenkünfte vertraulich. Und doch stehen Ergebnis und Gang der Entscheidungen am nächsten Tag in den Zeitungen. Abgeordnete, die neu hinzu treten, machen die verblüffende Entdeckung, dass auf wundersame Weise sogar wörtliche Zitate aus den Diskussionen den Weg in die Medien finden. Bei mehreren hundert Teilnehmern – außer den Abgeordneten auch Mitarbeiter der Büros, Arbeitsgruppen und Fraktionen, Vertreter der Landesvertretungen und Ministerien – ist das nicht weiter verwunderlich. Und angesichts der Bedeutung sogar sehr verständlich.
Text: Gregor Mayntz
Fotos: Phalanx Fotoagentur
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Arbeitsgruppe: Für alle Bundestagsausschüsse bilden die Fraktionen interne Arbeitsgruppen oder Arbeitskreise, in denen die Themen in den Fachausschüssen begleitet und die dort stattfindende Detailberatung mit der eigenen Meinungsbildung verknüpft wird. Die großen Fraktionen haben je Ausschuss mindestens eine Arbeitsgruppe und bei Bedarf auch noch Unterarbeitsgruppen für spezielle Aspekte des Fachgebietes.
Lobbyisten: Lobbyisten sind Interessenvertreter, benannt nach dem Flur vor den Parlamentssälen, der so genannten Lobby, wo Abgeordnete mit ihnen zusammentrafen. Da Demokratie auch das Bemühen um gerechten Ausgleich von Interessen ist, gehören Lobbyisten dazu. Knapp 1.800 Interessenverbände sind beim Bundestag offiziell registriert und haben so die Möglichkeit, bei Anhörungen berücksichtigt zu werden.
Koalition: Ein häufig gebrauchtes Wort. Da es aber von „coalescere“ (verschmelzen) kommt, wird es oft missverstanden: Es ist ein Zweckbündnis auf Zeit, das mindestens zwei Parteien eingehen, um zusammen über ihre Fraktionen im Bundestag über die Mehrheit zu verfügen und so den Kanzler stellen und die Regierung bilden zu können. Zur Verständigung über Ziele und Initiativen schließen sie einen Vertrag, die darin enthaltenen politischen Absichtserklärungen sind aber nicht einklagbar.
Landesvertretungen: Die Bundesländer unterhalten in der Hauptstadt Vertretungen, die auch regionale Kulturakzente setzen. Die Vertretungen dienen in erster Linie der Interessenwahrnehmung der Bundesländer. Ihre Mitarbeiter behalten die Gesetzgebung in Bundestag und Bundesrat im Auge, die Räumlichkeiten bieten Übernachtungsmöglichkeiten für Vertreter der Landesregierungen und laden zu Begegnungen ein.