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Das Parlament
Nr. 12 / 21.03.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Karl-Otto Sattler

Bodenständig und solide

Baden-Württemberg: Erwin Teufel tritt ab
Selbst Bundesaußenminister Joseph Fischer ist voll des Lobes: "Das war eine große europäische Rede." Alle Fraktionen applaudieren dem Rhetor. Angela Merkel, Rezzo Schlauch, Birgit Homburger, Jörg van Essen gehen zur Bundesratsbank und gratulieren. Die Debatte im Bundestag über die EU-Verfassung ist vor allem eines: eine Huldigung an Erwin Teufel (CDU), den scheidenden baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Bei seinem Auftritt in Berlin am 24. Februar beschwört der Stuttgarter Regierungschef, der im EU-Konvent für die Verankerung der Rechte der Regionen im Grundgesetz der Staatengemeinschaft gefochten hat, sein Credo von Europa als einer "Erfolsgeschichte", für die es "mit der Ratio und dem Herzen" zu kämpfen gelte.

Erwin Teufel, der Europäer: Da zollt man parteiübergreifend Beifall. Die Weihestunde im Bundestag dürfte der 65-Jährige als angemessene Würdigung werten. Das sieht zu Hause etwas anders aus: Im Schwäbischen und Badischen steht der Abgang Teufels, der am 19. April seine Insignien niederlegt, im Schatten des unschönen landespolitischen Kleinkleins: Gegen seinen Willen wurde der Ministerpräsident, der mit 14 Jahren länger als alle Vorgänger in der Villa Reitzenstein residierte, von der Fronde des Fraktionsvorsitzenden Günther Oettinger zum Rücktritt getrieben. "Diese Gruppe will endlich selbst an die Regierung, das ist der einzige Grund", hat Teufel einmal gewettert.

Der Dauerregent hatte andere Perspektiven: "Ich bin selbstbewusst genug zu sagen, dass ich die nächste Wahl überzeugend gewinnen kann." Seit dem Triumph des ungeliebten Kronprinzen, der im Nachfolgekrieg auch noch Teufels Favoritin Annette Schavan besiegte, vermag der Altvordere seine Bitterkeit kaum zu unterdrücken. Denkwürdig eine Rede Ende 2004 vor dem Landtag, bei der Erwin Teufel ziemlich unverblümt kundtat, eigentlich unersetzlich zu sein - und kurzerhand noch ein 170 Millionen Euro teures "Zukunftsprogramm" auflegte. Der Verlust der Macht schmerzt.

Doch je näher der 19. April rückt, desto abgeklärter und milder werden die Blicke auf Teufels Ära, der 1991 Lothar Späth nach dessen Abgang im Zuge der "Traumschiff-Affäre" wegen industriefinanzierter Reisen folgte und seither auch die Landes-CDU führt. "Teufel, das muss man zugestehen, hat seine Mehrheit 2001 mit dem überzeugenden Image der Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit errungen", sagt SPD-Kontrahentin Ute Vogt. Vom grünen Fraktionsvorsitzenden Winfried Kretschmann stammt dieses positiv gemeinte Urteil: "Vergleicht man Erwin Teufel mit den Medienvirtuosen, die zunehmend die politische Bühne bevölkern, ist er ein Unzeitgemäßer, ein hoffnungslos Unzeitgemäßer."

Frei von Affären

Das Image der Bodenständigkeit und des Soliden verhalf dem konservativen Teufel zur Rolle der unangefochtenen landespolitischen Nummer eins: Frei von Affären zog er im "Ländle" Schritt für Schritt seine Bahn, die fast wie ein Werdegang im öffentlichen Dienst vom ersten Landtagsmandat 1972 über zwei Staatsekretärsposten und den Fraktionsvorsitz an die Kabinettsspitze führte. Als eines von acht Kindern auf einem Bauernhof bei Rottweil aufgewachsen, hatte Teufel eine Verwaltungsausbildung absolviert und war mit 25 Jahren in Spaichingen zum jüngsten Bürgermeister der Republik gewählt worden. Als Ministerpräsident quartierte sich Teufel nicht in eine Dienstvilla in Stuttgart ein, sondern zuckelte lieber morgens im Zug von Spaichingen aus in die Hauptstadt. In Rottweil stieg seine Sekretärin ein, und dann ging man während der Reise zusammen die Post durch. Nötigenfalls übernachtete Teufel, der als Junge Sportreporter werden wollte, in einem gemieteten Zimmer in Stuttgart. Die populäre Bescheidenheit hat indes nichts mit politischer Naivität zu tun. Der bauernschlaue Teufel ist mit allen machtpolitischen Wassern gewaschen. Erst zum Schluss entglitten ihm in der eigenen Partei die Zügel.

So unangefochten der "ewige Erwin" am Neckar das Zepter schwang, so schaffte er es nie, in Bonn und Berlin mitzumischen - was angesichts der wirtschaftlichen Stärke Baden-Württembergs und des Gewichts der Südwest-CDU in der Gesamtpartei seltsam anmutet. Der Glanz der bundespolitischen Kür blieb Teufel versagt, er versprühte auch keine Ambitionen dieser Art. Als Wolfgang Schäuble und dann Annette Schavan um die Kandidatur für das Bundespräsidentenamt kämpften, spielte der "Ländle"-Regent keine Rolle. Irgendwie umweht Teufel, den Mann mit dem alemannischen Tonfall, trotz seiner Ausflüge in die europäische Politik das Flair des Statthalters in der Provinz. Dazu passt die spöttelnde Charakterisierung als "Landespater" - Teufel sitzt auch im Zentralkomitee der Katholiken.

Landespolitisch gesellt sich zu manchem Licht auch dieser und jener Schatten. Bei seiner ersten Wahl verlor Teufel 1992 die absolute CDU-Mehrheit, angesichts des Vormarsches der rechtsextremen Republikaner stürzte die Union auf 39,6 Prozent ab. Eine ungeliebte große Koalition war die Folge. Seither steigerte Teufel die Prozentpunkte für die CDU wieder, 2001 waren es 44,8 Prozent. 1996 bereiteten ihm Parteifreunde im Landtag eine Schmach: Erst im zweiten Durchgang schaffte Teufel die Wahl zum Chef einer Koalition mit der FDP.

Baden-Württemberg steht ökonomisch gut da und hat im Bundesvergleich die niedrigste Erwerbslosenquote. Auch das Schulwesen und die Universitäten rangieren in der Spitzengruppe. Teufel gelangen Großprojekte, an denen "Cleverle" Späth gescheitert war: Mehrere Staatsbanken fusionierten, die Energielandschaft wurde neu geordnet, aus Südwestfunk und Süddeutschem Rundfunk entstand der mächtige ARD-Sender Südwestrundfunk. Gegen viele Widerstände auch in der CDU setzte er die Reform der Verwaltung durch. Ausgerechnet im sparwütigen Schwaben hat Teufel indes wenig solide gewirtschaftet: Er hinterlässt Oettinger einen gewaltigen Schuldenbuckel, der auf gigantische 40 Milliarden Euro angewachsen ist. Von den üppigen Privatisierungserlösen des Landes zweigte Teufel über 1,7 Milliarden Euro ab für insgesamt vier Zukunftsprogramme - die als Erwin I, Erwin II, Erwin III und zuletzt nun als Erwin IV firmieren, sozusagen das Sahnehäubchen zum Ausklang der Amtszeit. Das Geld hätte auch in die Kredittilgung fließen können. Das ist die Kehrseite der üppigen Ausstattung von Wissenschaft und Forschung.

Doch mit der Schuldenhypothek muss sich Teufel nicht mehr herumschlagen. Fortan kann er frischen Tatendrang ausleben. Andere Herausforderungen wolle er künftig annehmen: Man werde "sich wundern".

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