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Das Parlament
Nr. 12 / 21.03.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Ralf Hanselle

Boheme vor dem Absturz

Der Gesprächskreis Kultur und Politik der SPD diskutierte die Lage der bildenden Künstler in Deutschland
Kunst ist schön, darf aber nichts kosten. Betrachtet man die gegenwärtige soziale Lage von bildenden Künstlern in der Bundesrepublik, dann scheint klar: Was viel Arbeit macht, bringt wenig Geld. Laut einer aktuellen Umfrage, durchgeführt vom Berufsverband Bildende Künstler (BBK) Leipzig, nimmt ein Künstler in Sachsen durchschnittlich lediglich 287 Euro im Monat aus dem Verkauf seiner Werke ein. Dabei liegt junge deutsche Kunst auf dem internationalen Kunstmarkt durchaus im Trend. Mancher Absolvent der Leipziger Kunsthochschule wird derzeit als kommender Malerfürst durch die Szene gereicht. Die breite Mehrheit jedoch kann an diesem Boom nicht partizipieren. Die ökonomischen Rahmenbedingungen für freischaffende Künstler in Deutschland sind so schlecht wie selten.

Manfred Stolpe, Bundesminister für den Aufbau Ost, wird daher geahnt haben, worauf er sich einließ, als er am 11. März zu einer weiteren Runde des "Gesprächskreises Kultur und Politik" im Rahmen des "Forums Ostdeutschland" ins Willy-Brandt-Haus lud. 16 Vertreter aus Kulturpolitik und Kunstbetrieb, darunter der Maler Johannes Heisig und der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, diskutierten unter der Überschrift "Zwischen Überlebenskunst und künstlerischem Erfolg - Zur Lage der bildenden Kunst (nicht nur) in Ostdeutschland" die Probleme der Szene - und die sind groß.

Kunst fehlt es gemeinhin an Lobby. Das ist nicht nur im Osten so. Aber dort trifft es die Freischaffenden besonders hart. Oft mangelt es an einer weit gefächerten Galerienszene, an Kunstvereinen und an finanzkräftigen Käufern. Mag der Weg in den Kunstmarkt in Köln und Düsseldorf schon kompliziert sein, so ist er in den fünf neuen Bundesländern fast unmöglich. Der Berliner Maler und Fotograf Matthias Müller, einer der wenigen freischaffenden Künstler in der Runde, kühlte die in den einschlägigen Magazinen gefeierte Hausse in der deutschen Kunst denn auch auf nüchterne Zahlen runter. Lediglich ein Prozent der Kunstschaffenden, so Müller, könne derzeit wirklich von ihrer Kunst leben. Der Rest schlägt sich mit Nebenjobs durch. Das permanente Neuerfinden der künstlerischen Existenz scheint ein Drahtseilakt zwischen Stipendien, Mäzenen und Minijobs. Was für die Gesellschaft die Romantik der Boheme ist, das ist für den einzelnen Künstler ein Kampf ums Überleben.

Dennoch ist das Berufskünstlertum noch immer attraktiv. Angelika Krüger-Leißner (SPD), Mitglied des Kulturausschusses im Deutschen Bundestag, wies darauf hin, dass Deutschland im europäischen Vergleich die höchste Zulaufrate in die künstlerischen Berufe aufweise. In Zeiten, in denen immer mehr Menschen von Arbeitslosigkeit bedroht sind oder von ihren Arbeitgebern "outgesourct" werden, bietet Kunst ein trügerisches Alternativkonzept. Dieses geht nicht nur zu Lasten des einzelnen Künstlers, sondern der sozialen Sicherungssysteme. Die Künstlersozialkasse (KSK), einst gefeiertes Vorreitermodell in Europa, steht mehr und mehr vor dem Kollaps. Krüger-Leißner ist sich jedenfalls sicher: Wenn nicht in den nächsten Jahren mehr Verwerter erfasst würden, ließe sich die KSK nicht mehr finanzieren.

Die Politik steht unter Handlungszwang. Schließlich, so verdeutlichte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bereits ganz zu Anfang der Diskussion, leiste Kunst einen erheblichen Beitrag für die freie Gesellschaft. Dabei geht es nicht nur um das willkommene "corporate design" von Staaten wie Unternehmen, sondern um die Sicherung öffentlicher Güter. Doch wer vom Kulturstaat redet, der darf von den ökonomischen Missverhältnissen nicht schweigen.

Und diese, das wurde im Willy-Brandt-Haus nicht zuletzt in der anschließenden öffentlichen Diskussion deutlich, sind zahlreich. Noch immer erfolgt das Ausstellen in öffentlichen Museen für die Künstler unentgeltlich, zahlreiche Künstler verlieren im Zuge von Hartz IV ihre Atelierräume, und Honorare werden im öffentlichen wie im privaten Sektor von einer Ehrensache mehr und mehr zu einer Glückssache.

Die freie Kunst steht im Abseits der Kulturpolitik. Das betrifft nicht nur die Fördermittel, sondern die politische Aufmerksamkeit. "Künstler", so formulierte es Olaf Zimmermann, "können im Bedarfsfall eben nicht soviel Tamtam machen wie Opernhäuser." Zumeist agieren sie unsichtbar; und dort, wo sie sich organisieren, müssen sie oft für jeden Euro betteln gehen. Dieser Auffassung waren zumindest die Sprecher der Verbände.

Auf vielen Gebieten mag es eine regulierende Marktmacht geben. Kultur aber folgt anderen Gesetzen. So waren sich in einem Punkt nahezu alle Teilnehmer einig: Der Kunstmarkt ist nicht in der Lage, die unzähligen Kunstschaffenden aufzufangen. Nicht nur weil er letztlich zu klein ist, sondern weil er mehr denn je unberechenbaren Wellen unterliegt. Gerhard Pfennig, Geschäftsführer der Stiftung Kunstfonds, formulierte es anschaulich: "Der Kunstmarkt", so Pfennig, "funktioniert zu 60 Prozent wie die Bekleidungsindustrie: Er folgt einem Vierjahrestrend." Daraus folgt, dass Karrieren immer weniger zu planen sind. Wer sich in frühen Jahren am Markt platzieren kann, der kann später durchaus von Altersarmut bedroht sein. Rein marktorientiert zu denken, hilft also zumeist nicht weiter. Ein Gemälde ist schließlich kein Pullover. In einem künstlerischen Werk spiegeln sich individuelle Ausdrucksweisen. So ist eine ästhetisch herausragende Leistung nicht automatisch gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Erfolg.

Soll die Breite der Kunst aber erhalten bleiben - und nur sie kann Ausdruck einer kulturell geprägten Gesellschaft sein -, dann muss die ökonomische Grundlage der meisten Künstler anders abgesichert werden. Vorschläge hierzu gab es reichlich. Sie reichten von einer vermehrten öffentlichen Förderung von Kunst im öffentlichen Raum bis zur Einbindung der Freischaffenden in die künstlerische Bildung.

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