*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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11.1.5.6   Basis für die globalisierte Zukunft schaffen: Bildung und Forschung fördern

Die Gesellschaft befindet sich im Übergang von der Industrie- in die Wissensgesellschaft. Dieser Übergang bedeutet sicher nicht den Abschied von industrieller Produktion oder von industriellen Produktionsweisen. Aber das Gewicht der einzelnen Produktionsfaktoren verändert sich. Information und Wissen und damit eine besondere Form des „Humankapitals“ gewinnen gegenüber anderen Produktionsfaktoren wie Kapital, Rohstoffen, Boden oder der menschlich-körperlichen Arbeit die entscheidende Bedeutung.

Dienstleister und Industrie sind inzwischen untrennbar miteinander verflochten. Services gehen in erheblichem Umfang als Vorleistungen in moderne und innovative Industrieprodukte ein. Mittlerweile machen Dienstleistungen, wie etwa Planung und Beratung sowie FuE inkl. Patente und Lizenzen, einen Großteil der in Gütern enthaltenen Wertschöpfung aus. Der Strukturwandel bedeutet enorme Chancen für Wachstum, Produktivitätsfortschritte und Entwicklungen in der Lebensqualität. Gleichzeitig bedeutet dieser Strukturwandel auch Herausforderungen im globalen Innovationswettbewerb. Der Druck im internationalen Wettbewerb wird stärker, die technologische Entwicklung dynamischer, die Produktlebenszyklen kürzer.

Bildung und Wissen als Voraussetzung für Innovationen

Der Strukturwandel wird durch die Möglichkeiten der verstärkten internationalen Arbeitsteilung im Rahmen der Globalisierung unterstützt. Die Voraussetzungen, um die Vorteile und Chancen dieses Strukturwandels und damit auch der Globalisierung optimal nutzen zu können, sind Bildung, ein wettbewerbsfähiges Wissen und die Fähigkeit, diese rasch in Innovationen umsetzen zu können. Bildung und Ausbildung sind die entscheidenden Faktoren in der Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft sowie der einzelnen in ihr lebenden Menschen. Denn nur gut ausgebildete Menschen schaffen neue Produkte und Dienstleis­ tungen. Forschung, Wissen, Ausbildung und Wirtschaftswachstum hängen eng miteinander zusammen.

So wie in den Zeiten von Wissensgesellschaft und Globalisierung Bildung immer wichtiger wird, eröffnen umgekehrt die Globalisierung und die neuen Techniken der Wissensgesellschaft aber auch mehr Menschen als jemals zuvor in der Geschichte Zugang zu genau diesen Faktoren, Bildung und Wissen. Forschung und Entwicklung waren die Grundlage für die Innovationen in der Halbleitertechnologie, die die kostengünstige Massenproduktion von Computern ermöglicht haben. Dadurch haben heute breite Bevölkerungskreise (in Verbindung mit Software) Zugang zu den weltweit vorhandenen Informationen, um die darin liegenden vielfältigen Chancen nutzen zu können. Erstmals in der Geschichte eröffnet sich dank der Verfügbarkeit der Technik der Zugang zu Wissen und Informationen nicht mehr nur einer vergleichsweise kleinen Gruppe Privilegierter.

   Indien hat gezeigt, mit welcher Dynamik ein der Technik aufgeschlossen gegenüberstehendes Schwellenland in der Nutzung der Informationstechnologie den Anschluss an die weltweit führenden Länder geschafft hat. Hierbei haben insbesondere die erfolgreichen Anstrengungen in der Heranbildung von hochqualifizierten Fachkräften beigetragen. Jedes Jahr verlassen Tausende Software-Entwickler(innen) die indischen Colleges und Universitäten. Sie finden dank ihrer Ausbildung auf dem rasch wachsenden heimischen IT-Arbeitsmarkt oder im Ausland eine Anstellung, die attraktive berufliche Perspektiven bietet.

Für das große Thema Bildung ist Folgendes notwendig:

–    In der gesamten Welt, und das gilt eben auch für Deutschland, müssen die Bildung wesentlich ausgebaut und hierzu die Bildungssysteme verbessert werden. Im Rahmen einer weltweiten Strategie zur Stärkung der Wissensgesellschaft besitzt der Bildungssektor erste Priorität. Dies muss auch durch internationale Anstrengungen der Entwicklungshilfe unterstrichen werden. Die Rahmenbedingungen der Schulen und Hochschulen müssen mehr auf Wettbewerb hin orientiert werden. Effizienzsteigerung und mehr Investitionen im Bildungssektor sind das Gebot.

–    Beim Aufbau von Bildung und Wissen ist aber auch Eigeninitiative notwendig, sie muss gefördert werden. Meist verspricht sie sogar den größten Erfolg. Dabei müssen auch Anreize für private Investitionen verstärkt werden. Die Bedeutung des privaten Sektors für Bildung und Ausbildung nimmt weltweit zu. Einen wichtigen Beitrag beim „Capacity building“, also beim Aufbau von Bildung und Wissen in den Entwicklungs- und Schwellenländern, leisten etwa die globalen Aktivitäten transnationaler Unternehmen.

–    Die neuen Techniken der global vernetzten Welt müssen stärker für einen weltweiten Zugang zu Bildungseinrichtungen genutzt werden. Eine „digitale Spaltung“ ist nicht hinnehmbar.

–    Transfer von Know-how funktioniert am besten über Köpfe. Hierin liegt ein erhebliches Beschleunigungspotenzial für Innovationen, das es zu nutzen gilt. Die Globalisierung bietet gerade hier enorme Chancen, zum Vorteil aller den personellen Austausch zwischen In- und Ausland sowie zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu verstärken. Dazu müssen im Inland das Dienst- und Besoldungsrecht flexibilisiert sowie für den grenzüberschreitenden Austausch die entsprechenden nationalen und internationalen Regelungen vereinfacht und flexibilisiert werden.

Konzentration im Forschungssektor

Im Gegensatz zu den Bildungsausgaben ist der Forschungssektor global stark konzentriert. Von den etwa fünf Millionen Forschern in der Welt entfallen 70% auf die sechs Staaten USA, Deutschland, Japan, Großbritannien, Frankreich und Italien. Diese Konzentration resultiert zum Teil auch daraus, dass etwa 60–70% der weltweiten Forschungsausgaben von der Wirtschaft getragen werden (OECD 2001m).

Investitionen in Forschung und Entwicklung haben eine große Hebelwirkung über die eigentlichen Investitionen hinaus und sind damit von großem volkswirtschaftlichem Nutzen. Diesem stehen jedoch hohe Erfolgsrisiken gegenüber. Dies gilt gleichermaßen für öffentliche wie für industrielle FuE-Aufwendungen. Im Rahmen der Globalisierung gibt es auch einen innovationsfördernden globalen Wettbewerb der besten FuE-Standorte um die privaten FuE-Mittel. Zu den wichtigsten Aufgaben der Forschungspolitik gehören daher:

–    Im Interesse der Gesellschaft muss auch die öffentlich finanzierte Forschung neues Grundlagenwissen für spätere innovative Entwicklungen erarbeiten. Diese Forschung muss nicht angewandt sein, aber anwendungsoffen. Schon weil die Mittel begrenzt sind, müssen die Mittel im Wettbewerb an die Hochschulen und Institute vergeben werden. In der Wissenschaft ist Wettbewerb genau so angebracht wie in der Wirtschaft.

–    Zur Unterstützung der industriellen FuE-Anstrengungen, die immer auch mit Erfolgsrisiken behaftet sind, muss der Staat die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Wichtig sind hierbei vor allem Rechtssicherheit in Fragen des geistigen Eigentums sowie schlüssige Innovationsstrategien von FuE bis hin zur unternehmerischen Verwertung. Häufig konterkarieren langwierige Genehmigungsverfahren bei der Umsetzung die Technologieförderung ein- und derselben Regierung.

–    Die Globalisierung bietet durch Technologietransfer den Entwicklungs- und Schwellenländern enorme Chancen, Anschluss an die weltweit führenden Technologien zu finden. Patente schaffen einen Anreiz zur Erweiterung des Wissens und für weitere Erfindungen, weil der erfinderische Schritt offengelegt wird und damit der Gesellschaft zugute kommt. Technologietransfer setzt jedoch wirksamen Patentschutz, etwa durch das TRIPS-Abkommen im Rahmen der WTO voraus. Entwicklungsländer, die die richtigen Rahmenbedingungen wie eben einen effektiven Schutz geistigen Eigentums setzen, schaffen die Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklungen und auch für eigenständige Innovationen, die sie dann wiederum auf dem Welt- und Heimatmarkt verwerten können. Da es den Entwicklungs- und Schwellenländern oft lediglich an Know-how bei der Umsetzung solcher internationaler Abkommen fehlt, sprechen wir uns für eine Unterstützung dieser Länder im Umgang mit FuE-fördernden Rechtsabkommen aus. Das muss auch die im TRIPS-Abkommen vorgesehenen Möglichkeiten zu Zwangslizenzen umfassen.

–    Die Globalisierung bietet die Chance, das enorme Potenzial für mehr Innovationen, das durch internationale Kooperation entsteht, freizulegen. Daher müssen die Rahmenbedingungen für solche internationalen – Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer umfassende – Kooperationen geschaffen werden.

–    Die Erfahrungen vieler Länder zeigen, dass im Rahmen des globalen Wettbewerbs um die besten FuE-    Standorte insbesondere steuerliche Anreize geeignet sein können, dass Unternehmen verstärkt FuE im eigenen Hause oder durch externe Forschungsaufträge durchführen. Ein finanzierbarer und sinnvoller Einstieg könnte die Förderung von Forschungsaufträgen der Wirtschaft an die Wissenschaft sein, indem ein Teil der Transferzahlungen von der Steuerschuld in Form eines Steuerguthabens abzugsberechtigt wäre. Wichtig sind dabei folgende Kriterien: keine sektorale Förderung, Schwerpunkt im vorwettbewerblichen Bereich, administrativ leicht abzuwickeln, Gegenfinanzierung durch Einsparung der direkten FuE-Zuwendungen des Staates an die Wirtschaft.

–    Die Innovationskette von der universitären und außer­ universitären Grundlagenforschung hin zu wirtschaftlich verwertbaren Innovationen bei Produkten und Dienstleistungen muss verstärkt werden. Zum Ausbau dieses Transfers müssen die Hochschulen die Ergebnisse ihrer Forschung besser verwerten, etwa durch mehr Patentanmeldungen. Die unternehmensbezogene Forschung muss gestärkt werden.




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