*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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11.1.5.5   Volkswirtschaften verbinden: Direktinvestitionen, transnationale Unternehmen und den Mittelstand unterstützen

Das starke Ansteigen von Direktinvestitionen im Ausland ist eines der wesentlichen Kennzeichen der Globalisierung. Weltweit hat sich ihr Volumen von 1980 – 1999 etwa verhundertfacht. Oft stammen diese von großen weltweit tätigen Unternehmen, sog. transnationalen Unternehmen.

Gründe für ausländische Direktinvestitionen

Direktinvestition erfolgen in aller Regel nicht, um Arbeitsplätze zu verlagern. Das Motiv der meisten Direkt­ investitionen ist die Erschließung neuer Märkte. Angesichts der Vorteile der direkten Marktnähe sind dazu meist (Produktions-)Niederlassungen im Ausland erforderlich. In anderen Fällen werden in den Produkten bestimmte Anteile an heimischen Komponenten verlangt, was Inves­ titionen in Produktionsanlagen bedingt. Ein weiteres Motiv für Direktinvestitionen ist auch die Risikominderung, etwa durch Verteilung der Risiken auf verschiedene Märkte oder die Verringerung von Wechselkursrisiken. Die meisten Direktinvestitionen finden innerhalb von Industrieländern statt. Hier zeigt sich, dass die mögliche Senkung der Produktionskosten durch geringere Energie-, Rohstoff- oder Arbeitskosten zumindest im Vergleich von Industrie- zu Entwicklungsländern eine eher geringe Rolle spielt.

Arbeitsplätze sichern durch ausländische Direktinvestitionen

Gerade solche Entwicklungsländer, deren Verwaltung international übliche Standards der Rechtsstaatlichkeit beachtet, ziehen allerdings auch immer stärker ausländisches Kapital an. Grundsätzlich führen derartige Investitionen zu mehr Wohlstand und Arbeitsplätzen im Zielland. Aber auch das Herkunftsland der Investitionen zieht Vorteile aus Auslandsinvestitionen. Zusätzliche Märkte werden erschlossen, bestehende abgesichert. Neue Impulse strahlen in das Heimatland zurück. Auslandsaktive Unternehmen vernichten durch die Auslandsinvestition nicht Arbeitsplätze im Heimatland, sondern sichern sie im Gegenteil, da sie die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen erhöhen (Döhrn 2002). Austausch von Wissen und Technologie wirkt in beiden Richtungen positiv. Das gleiche gilt für gesellschaftliche Wechselwirkungen, etwa im Hinblick auf Menschenrechte.

Rolle von Multinationalen Unternehmen

Transnationale Unternehmen wirken heute oft als Vorbild. Im Gegensatz zu ihrem allgemein schlechten Image in der Öffentlichkeit gilt es unter Fachleuten als unbestritten, dass die transnationalen Unternehmen einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Situation im ökonomischen, gesellschaftlichen und ökologischen Bereich in den Ländern leisten, in denen sie investieren – auch wenn dies nicht die ursprüngliche und erstrangige Zielsetzung der Unternehmen ist. Zahlreiche Studien belegen einerseits die Notwendigkeit des Transfers von Wissen und Technologie in die Entwicklungsländer und andererseits, dass transnationale Unternehmen hierzu entscheidende Impulse geben. Wer heute in einem Entwicklungsland investiert, wendet grundsätzlich dieselbe Technik an wie in einem Industrieland. Wer heute in einem Entwicklungsland erfolgreich arbeiten will, muss dafür Sorge tragen, dass seine Mitarbeiter gut ausgebildet sind und ständig weitergebildet werden. Deshalb unterscheiden sich ausländische Direktinvestitionen von landeseigenen in der Regel positiv in ihrer Modernität: in der Qualität der geschaffenen Arbeitsplätze und der wettbewerblichen Zukunftsfähigkeit.

Die Löhne, die von ausländischen Unternehmen in Entwicklungsländern gezahlt werden, sind in der Regel deutlich höher als das landeseigene Durchschnittseinkommen. Damit können es sich immer mehr Eltern leisten, ihre Kinder zur Schule anstatt zur Arbeit zu schicken. Qualifiziertere Arbeit führt dann wieder zu höheren Löhnen. Auch Frauen bekommen verstärkt Gelegenheit zu regulären Arbeitsverhältnissen. Dies gilt zum Beispiel für Volkswagen in Mexiko.

Hohe internationale Standards durch unternehmenseigene Leitbilder

Auch vor dem Hintergrund funktionierender Aufsicht durch Aktionäre, Tarifpartner und Politik im Heimatland sind transnationale Unternehmen bestrebt, die Sozialbeziehungen in ihren ausländischen Gesellschaften so zu gestalten, dass die landesspezifischen Regelungen übertroffen werden. Das gilt für die Entlohnung und soziale    Leistungen und ebenso für die Arbeitsorganisation oder die Nichtdiskriminierung von Minderheiten. Gewerkschaften sind in transnationalen Unternehmen signifikant häufiger als in anderen Unternehmen aktiv. Nahezu alle transnationalen Unternehmen in den Industrieländern verfügen heute über unternehmenseigene Leitbilder und Visionen, die weltweite Geltung haben. Sie sollen sicherstellen, dass grundsätzlich auf der gesamten Welt die gleichen Normen gelten – ohne die vielfältigen und unterschiedlichen rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen im jeweiligen Land zu verletzen.

Beispiele aus der Vergangenheit und der Gegenwart zeigen, dass es gelegentlich unverantwortbares Verhalten von Unternehmen gibt. Hierzu gehören z.B. Missachtung von Menschenrechten, ausbeutungsähnliche Arbeitsverhältnisse und das Verursachen von Umweltschäden. Sie können nicht geduldet werden. Internationale Organisationen entwickeln deshalb Verhaltenskodizes, wie etwa die von fast allen Staaten anerkannten ILO-Kernarbeitsnormen oder die OECD-Guidelines für transnationale Unternehmen.

Notwendige Flexibilität in der Praxis

Bei der Diskussion darüber, welche konkreten Vorgaben oder Leitlinien Unternehmen bezüglich ihres Verhaltens im Ausland gemacht werden sollen, muss aber auch berücksichtigt werden, dass mittlerweile nicht mehr nur die großen transnationalen Unternehmen, sondern vielfach auch Mittelständler Auslandsinvestoren sind. Die Anforderungen müssen auch ihnen gerecht werden und dürfen keinen übermäßigen Aufwand verursachen. Zudem darf die Politik die Verantwortung für bestimmte politische Ziele nicht einseitig auf Unternehmen abschieben. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass die politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen in Entwicklungsländern z. T. völlig verschieden von denen in den Industrieländern sind. Daher lassen sich die bei uns vorherrschenden Vorstellungen über sozial und ökologisch „richtiges“ Verhalten oft nur eingeschränkt auf Länder in anderen Teilen der Welt übertragen. Hier stellen freiwillige Leitsätze die weitaus bessere Alternative dar. Sie lassen den Unternehmen den Raum für die notwendige Flexibilität in der unternehmerischen Praxis. Unternehmenskodizes können so dazu beitragen, das Vertrauen zwischen Investoren und Gaststaaten zu stärken. Damit fördern sie insbesondere für Entwicklungs- und Schwellenländer wichtige Direktinvestitionen. Diese Funktion können Leitsätze nur dann übernehmen, wenn sie weiterhin ihren Empfehlungscharakter behalten.

Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Staaten bei ihren Bemühungen um eine Verbesserung der weltweiten Lebensbedingungen immer mehr an (z. B. finanzielle) Grenzen stoßen. Zunehmend werden daher solche Probleme von Staat und privaten Unternehmen gemeinsam angegangen. Das bedeutet den Austausch von Kenntnissen, Erfahrungen, Finanzmitteln und Humanvermögen. Beide Seiten können davon profitieren. Diese Initiativen wollen wir unterstützen, denn solche positiven Ansätze einer Entwicklungsförderung, die wettbewerbsorientiert bleibt, sind im ureigensten Entwicklungsinteresse der entsprechenden Länder.

Voraussetzung für das Gelingen solcher Ansätze ist jedoch eine klare Zuordnung der Verantwortung und der Steuerung der Projekte einschließlich der finanziellen Risiken. Je freiwilliger das Zusammengehen von Staat und Wirtschaft ist und bleibt, desto höher sind die Erfolgschancen für beide Parteien.

Die Vorteile des Mittelstandes nutzen und dem Mittelstand Chancen geben

Die Rolle des Mittelstandes in den Produktions- und vor allem in den Dienstleistungssektoren ist im Prozess der Globalisierung der Weltwirtschaft von großer Bedeutung. Der eigentümergeführte oder genossenschaftlich organisierte Mittelstand ist sowohl volkswirtschaftlich wie gesellschaftspolitisch von außerordentlich großem Nutzen. Die Chancen und Risiken der Globalisierung für den Mittelstand sind sorgfältig zu prüfen. Hierbei können die Auswirkungen auf den Mittelstand, der weltweit seine Produkte und Dienstleistungen anbieten will und der damit auch der weltweiten Wettbewerbssituation auf der einen Seite unterliegt und den mittelständischen Strukturen, die regionale Märkte und Bedürfnisse abdecken, durchaus unterschiedlich sein. Beiden gemeinsam ist, dass sie sich durch hohe Anpassungsfähigkeit, große Innovation und Arbeitsplatzintensität auszeichnen, so wie sie unter dem gemeinsamen Mangel an Kapital und der Behinderung durch Bürokratie besonders leiden. Als dritte Gemeinsamkeit ist ihre besonders hervorzuhebende stabilisierende Wirkung für gesellschaftliche Entwicklungen zu benennen. Diese positive Wirkung liegt nicht zuletzt in der Tatsache begründet, dass der Mittelstand dezentrale Siedlungsstrukturen ermöglicht, große Standorttreue aufweist und Generationen übergreifend nachhaltig plant.

Soweit der Mittelstand selbst in seinen Möglichkeiten global antritt, ist er in besonderer Weise auf offene, unbürokratische Märkte, auf Investitionssicherheit und auf durchsetzbares Handelsrecht angewiesen. Er reagiert besonders empfindlich auf Diskriminierung sowie tarifäre und nicht tarifäre Handelshemmnisse.

Auch für den Mittelstand gilt, dass die Globalisierung Chancen und Risiken birgt. Die Chancen liegen insbesondere in der weltweiten Informationsmöglichkeit und in der weltweiten Nischenpolitik. Sie liegen aber auch darin, dass deutsche Global Player ihre Kernkompetenzen entwickeln und „outsourcen“. Sie eröffnen damit neue Chancen und Tätigkeitsfelder für mittelständische Unternehmen.

Eigenkapital und Wettbewerbsrecht stärken

Die Risiken liegen in zunehmender, auch weltweiter Konzentration und im Entstehen von übermächtigen Marktteilnehmern, die Marktwirtschaft durch Machtwirtschaft ersetzen. Die Öffnung von Dienstleistungsmärkten erhöht selbstverständlich den Konkurrenzdruck auf den ansässigen Mittelstand. Um ihn fit für die neuen Herausforderungen zu machen, gilt für den nationalen Politikansatz das Folgende: Die Eigenkapitalbasis muss    durch vernünftige Steuerpolitik deutlich verbessert werden. Auch im Interesse des Mittelstandes muss der Arbeitsmarkt flexibler werden. Die Finanzierung des Mittelstandes darf durch Entwicklungen wie in Basel II nicht erschwert werden.

Unverzichtbar ist deshalb ein energischer Einsatz der deutschen Verhandlungsführer bei den Baseler Konsultationen für eine stärkere Mittelstandsorientierung der geplanten Eigenkapitalvorschriften, um Schaden für kleine und mittlere Unternehmen abzuwenden. Dazu gehören u.a. der Verzicht auf Aufschläge für langfristige Kreditlaufzeiten, eine stärkere Berücksichtigung der bisher in Deutschland banküblichen Sicherheiten sowie ein Bonus für kleinere Unternehmen beim internen Rating durch die Banken.

Die in Basel zu entwickelnden neuen Richtlinien müssen so ausgestaltet werden, dass sie die Stabilität der Finanzmärkte gewährleisten, ohne die Finanzierungsmöglichkeiten unserer mittelständischen Unternehmen zu gefährden.

So wichtig aber eine stärkere Berücksichtigung mittelständischer Belange bei Basel II ist: es führt kein Weg an umfassenden politischen Maßnahmen in Deutschland vorbei, die zur Verbesserung der geringen Eigenkapitalausstattung der Betriebe beitragen. So muss insbesondere das steuerliche Umfeld die Eigenkapitaldeckung erheblich erleichtern und stärken.

Eine verschärfte Wettbewerbspolitik und ein klar geregeltes Vergabewesen sind von lebenswichtiger Bedeutung. Die Gründerszene einschließlich der Kapitalversorgung muss in Deutschland auf hohes Niveau gebracht werden. National und international müssen moderne und neue Kooperationsformen entwickelt werden, um den Mittelstand auch im Verband und im Verbund vor übermächtiger Konkurrenz zu schützen und ihm neue Felder in der globalisierten Wirtschaft zu eröffnen.

Mittelstand – Pate von Demokratie und Menschenrechten

Ein zukunftsweisendes modernes Entwicklungspolitik-Konzept muss realisieren, dass die wirtschaftlichen Strukturen in den Entwicklungsländern und in den Schwellenländern nur dann in der Breite erfolgreich aufgestellt werden können, wenn die Mittelstandsförderung in diesen Ländern ein zentrales Anliegen wird. Genossenschaftliche Ansätze, Ansätze für Handwerk und Dienstleistung, Familienunternehmen und vor allem auch Existenzgründungen durch Frauen müssen unverzichtbare Bestandteile der Entwicklungshilfe-Konzepte sein. Dies gilt auch für Ansätze der Weltbank und des internationalen Währungsfonds. Diese Forderungen sind auch vor dem Hintergrund der entwickelten demokratischen Strukturen in vielen Ländern unverzichtbar. Ein selbstbewusstes ökonomisch starkes Bürgertum ist immer ein entscheidender Pate an der Wiege von Demokratie und Menschenrechten gewesen. Durch die Vielfältigkeit eines selbstbewussten Mittelstandes kann Clanbildung, Vetternwirtschaft und Oli­ garchie erfolgreich und dauerhaft durchbrochen werden.




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