*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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11.2.2.7     Globale Wissensgesellschaft (Kapitel 5 des Abschlussberichts)

Unter Verweis auf die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit hat sich die Enquete-Kommission dafür ausgesprochen, den Themenbereich der Wissensübertragung und -generierung einer weiteren Enquete-Kommission zu überlassen. Die FDP ist aber der Überzeugung, dass es auf der Basis der bisherigen Diskussionen und dem aktuellen Stand der Kenntnisse durchaus möglich und nötig ist, eine Darstellung des Hochschulwesens sowie einige Handlungsempfehlungen in den Abschlussbericht aufzunehmen. Nicht zuletzt nach dem schlechten Abschneiden bei der PISA-Bildungsstudie ist es unerlässlich, zügig Korrekturen am deutschen Bildungssystem vorzunehmen, um im internationalen Vergleich bestehen zu können.

Auf der Grundlage eines Gutachtens der Professoren Dierkes und Merkens und mit Beiträgen verschiedener Experten, auch unter Mitwirkung der FDP, hat die Arbeitsgruppe „Globale Wissensgesellschaft“ ein Positionspapier erarbeitet, das zunächst die Zustimmung der Arbeitsgruppe fand, schließlich aber doch von der Enquete-Mehrheit abgelehnt wurde. Aus liberaler Sicht sollte die genannte Ausarbeitung im Abschlussbericht – wie nachstehend – dargestellt werden. Sie bietet eine solide Grundlage für den nötigen Aufholprozess im Hochschulwesen.

   11.2.2.7.1  Wissensübertragung – Wissensgenerierung1

Die Unterscheidung von Begriffen wie „Wissensübertragung“ und „Wissensgenerierung“ im Zusammenhang einer Beschäftigung mit dem Thema „Wissen“ verdeutlicht, dass hier – aufbauend auf der Grundlage der Organisationstheorie von Probst, G. et al. (Wissen managen, 3. Aufl.1997) – von einer Systematisierung der Wissensorganisation ausgegangen wird, in dem die Wissensübertragung der Lehre und die Wissensgenerierung der Forschung zugeschrieben werden kann.

Ausgehend von der Annahme, dass unabdingbare Voraussetzung (und Konsequenz) zunehmend wissensbasierter Gesellschaften die (globale Qualität der) Informationsbeschaffung und -verarbeitung, Wissensgenerierung und -übertragung ist, hat sich die Enquete-Kommission für das deutsche Hochschulsystem als Fallbeispiel entschieden, weil Hochschulen zum einen in diesem Prozess eine entscheidende Rolle spielen und zum anderen dem globalen Wettbewerb in besonderer Weise ausgesetzt sind.

Wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit konnte sich die Enquete-Kommission mit dem Aspekt der Wissensgenerierung und einem Vergleich mit dem Forschungssektor in der Welt nicht ausführlich befassen. Sie empfiehlt, diesen Bereich in einer späteren Untersuchung genauer zu betrachten und zu bewerten.

Das Gutachten von Dierkes und Merkens (Dierkes 2002) bildet die Grundlage der folgenden Ausführungen.

Globalisierung, Wissenschaft und Hochschulen: eine Einführung

Der jetzt erreichte und wahrscheinlich fortschreitende Stand der Globalisierung der Weltwirtschaft hat tiefgreifende Konsequenzen für die Wirtschaft aller Nationen und Regionen: der Wettbewerb wird intensiviert, neue Wettbewerber treten auf und brechen in Märkte ein, die bislang von wenigen dominiert wurden. Wirtschaftsstand­ orte wie die Bundesrepublik Deutschland müssen so zunehmend Anstrengungen unternehmen, um ihre Marktführerschaft in einzelnen Märkten und ihre generelle Exportfähigkeit zu erhalten.

Unterhalb dieser Makrotrends ist festzustellen, dass neben einer großen Steigerung bei den einfachen Dienstleis­ tungen, die in der Regel weiterhin lokal und regional nachgefragt und angeboten werden, der Markt an wissensintensiven Dienstleistungen – global nachgefragt und angeboten – deutlich zunimmt. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass die für die modernen Ausprägungen traditioneller Produkte und Techniken erforderliche Wissensbasis ebenfalls deutlich zunimmt. Ob diese Entwicklung nun als Wissensgesellschaft oder auch nicht bezeichnet wird mag Anlass zu trefflichen Diskursen geben. Erheblich ist bei dieser Entwicklung, dass sowohl bei Dienstleistungen als auch bei Produkten mehr Technik, neuere Technik, neuere Kombinationen von Technik und – damit verknüpft – mehr und besseres Wissen erforderlich sind. Unstrittig ist auch wohl, dass durch die Vernetzung, Datenbanken und Datenaufbereitungsmethoden immer mehr Informationen zur Verfügung stehen.

Die Konsequenz liegt auf der Hand: Nationen und Regionen, die in die Wissensbasis ihrer Bevölkerung investieren, sind diejenigen, die in diesem Rennen die Chance haben, auf der Gewinnerseite zu stehen. Die, die es nicht tun, oder deren Bevölkerung nicht bereit ist, zu lernen und ständig neu zu lernen, dürften eher zu den Verlierern zählen. Investitionen in das so genannte Humankapital sind damit ein Schlüsselfaktor im gegenüber den letzten Jahrzehnten intensiveren und globaleren Wettbewerb. Damit steht und fällt die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit einer Region und Nation mit der Leistungsfähigkeit ihrer Bildungseinrichtungen auf allen Stufen und für alle Phasen des Lebensprozesses. Wissen, Umgang mit Wissen, Schaffen von neuem Wissen muss allein schon im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit immer wieder gelernt werden Dabei sind die mindestens ebenso wichtigen kulturellen, sozialen und politischen Aspekte des Bildungsprozesses noch nicht einmal thematisiert.

Die Frage nach der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Bundesrepublik Deutschland lässt sich daher zu einem großen Teil auf die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit der Bildungsinstitutionen, der Prozesse im Bildungswesen und die Bildungsinhalte zurückführen. Angesichts der großen Bedeutung von Wissen macht es Sinn, hier exemplarisch die Hochschulen herauszugreifen und zu fragen: Inwieweit sind diese in der Lage, Jugendliche und zunehmend auch Menschen jenseits der Erstausbildung auf diesen Wettbewerb um Wissen vorzubereiten und zu unterstützen.

Des Weiteren sind Hochschulen in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse weil sie selbst, mehr als andere Teile des Bildungssystems, einem Globalisierungsdruck und verschärftem Wettbewerb ausgesetzt sein werden . Während vorschulische Bildung, Grundschulen und das Angebot der Sekundarstufe fast ausschließlich regional und lokal angeboten werden und nur auf dieser Ebene einem Wettbewerb – je nach Kulturraum – unterliegen, sind die Nachfrager nach Hochschulausbildung, wenn Sprachbarrieren weiterhin unbedeutender werden und die finanziellen Mittel bereitstehen, grundsätzlich mobil. Sie können und werden dies in Zukunft wahrscheinlich immer mehr tun und sich verstärkt weltweit die leistungsfähigsten Hochschulen aussuchen, die sie am bes­ ten auf den für die hochtalentierten und -motivierten Studierenden immer globaleren Arbeitsmarkt vorbereiten. Gilt dies zunächst auch nur für eben diesen kleinen Kreis, deuten die mit der Entstehung der Wissensgesellschaft erhöhten Anforderungen z. B. des Arbeitsmarktes schon jetzt darauf hin, dass diese Nachfrage steigen wird.

Global wettbewerbsfähige Hochschulen haben darüber hinaus noch eine Fülle zusätzlicher positiver Sekundär- und Tertiäreffekte. Sie binden Studierende an den Kulturraum, in dem sie studiert haben, seine Institutionen,    Technologien und Verfahren und tragen somit langfristig und nachhaltig zur weiteren Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit einer Region mit global wettbewerbsfähigen Hochschulen bei.

Die Frage ist also damit ganz einfach: Wo steht das deutsche Hochschulsystem in dieser dualen Verantwortung, selbst global wettbewerbsfähig und damit für Studierende und Forscherinnen und Forscher aus anderen Regionen attraktiv zu sein und gleichzeitig die hiesige zukünftige Generation optimal auf eine globale Wettbewerbsfähigkeit vorzubereiten, die zunehmend von der Qualität der Bildung und Ausbildung der Menschen abhängen wird.

Die Sogwirkung der US-amerikanischen und englischen Hochschulen

Bei einer Gesamtschau der wahrgenommenen Wettbewerbssituation im Bereich der Hochschulbildung gelten global in erster Linie und mit großem Abstand die Vereinigten Staaten als das „Mekka“ der Bildungswilligen und Leistungsorientierten. Für Südostasien beginnt Australien mehr und mehr eine ähnliche Rolle als regionales Zentrum einzunehmen. Aus kontinentaleuropäischer Sicht sind es vor allem wiederum die Vereinigten Staaten und Großbritannien, denen die höchste Attraktivität beigemessen wird. Eine gewisse Wettbewerbsstärke ist noch in den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden festzustellen.

Diese Aussagen sind einmal gestützt durch aktuelle Wanderungsbewegungen von Jugendlichen aus den hochschulpolitisch weniger wettbewerbsfähigen Regionen. Das lässt sich eindrucksvoll, neben vielen anderen Statistiken, mit der Tatsache illustrieren, dass 50 Prozent der PhD Studierenden in den Vereinigten Staaten heute nicht BürgerInnen dieses Landes sind. Diese Attraktion wird vor allem von Natur-, Ingenieur-, und medizinischen Wissenschaften ausgeübt. Sie wird, gerade am Bildungsstand­ort Deutschland, reflektiert durch immer stärkere Anfragen von Jugendlichen und ihren Eltern aus der oberen Mittelschicht und dem Bildungsbürgertum nach den Bedingungen eines Studiums vor allem in den Vereinigten Staaten aber auch in Großbritannien. Die generelle Veränderung, die sich hier niederschlägt, ist in dreierlei Hinsicht zu sehen. Erstens wird angenommen, dass die Chancen in zunehmend globalisierten Arbeitsmärkten für die gehobenen und interessanteren Positionen noch mehr als zuvor von der Qualität der Ausbildung abhingen, dass zweitens eine solche Qualität am Hochschulstandort Deutschland nicht geboten werden könne, sondern hier ein Ausweichen in die besseren und höher reputierlichen Top 20 bis 30 US-amerikanischen Universitäten erforderlich sei .Darüber hinaus wird als wohl weitgehendste Veränderung die Bereitschaft wachsen, ein volles Studium und nicht allein ein Auslandssemester zu finanzieren, d. h. in Investitionskategorien zu denken, die gut und gerne über 100000 bis 200000 zu gehen.

Allerdings ist die Zahl der Jugendlichen, die diesen Weg einschlagen, und ihrer Familien, die in der Lage und bereit sind, diese Finanzierungsmittel aufzubringen, immer noch, gemessen an der Gesamtzahl der Studierenden am Hochschulstandort Deutschland, recht klein. Sie nimmt jedoch zu und dürfte, bei einem weiteren Auseinanderklaffen der Wettbewerbsfähigkeitsschere, deutlich zunehmen. Bei der augenblicklichen Situation muss diese Entwicklung als Indikator dafür angesehen werden, dass gerade die bildungspolitisch sensiblen und gutinformierten Bevölkerungskreise den Hochschulstandort Deutschland als weniger attraktiv einschätzen als die top 20 bis 30 amerikanischen Universitäten. Insofern kann diese Entwicklung als Frühwarnindikator für breitere Tendenzen gelten, die, besonders wenn sie durch mangelnde finanzielle Möglichkeiten beschnitten werden, sich in politischer Unzufriedenheit mit dem deutschen Bildungssystem niederschlagen.

Generell ist natürlich zu sagen, dass es begrüßenswert ist, wenn die Jugendlichen, die an Spitzeneinrichtungen der Forschung und Wissenschaft im Ausland Qualifikationen erworben haben, zurückkehren und damit nicht Teil des wachsenden brain drains auf der Welt werden. Genauso zu begrüßen ist, wenn in ähnlichem Umfang Studierende anderer Länder, insbesondere der stark wissensbasierten Volkswirtschaften, nach Deutschland kommen würden und ihre Qualifikation hier erwürben. Diese Art der Internationalisierung und Globalisierung der Ausbildung ist nur wünschenswert. Die augenblickliche Situation zeigt jedoch, dass sich bei dieser bildungspolitisch kritischen und sensiblen Bevölkerungsschicht zunehmend eine Schere herausbildet zwischen der Attraktivität eines Studiums in den Vereinigten Staaten oder auch Großbritannien und der zurückgehenden Attraktivität, ein Studium am Hochschulstandort Deutschland aufzunehmen.

Die Markenstärke US-amerikanischer Spitzen­ universitäten als Zugfaktor für den Hochschul­ standort USA

Die besondere Anziehungskraft US-amerikanischer Universitäten weltweit ist im Wesentlichen auf eine jahr­ zehntelange Hierarchisierung des Bildungssystems zu­ rück­ zuführen, bei der die leistungsfähigen Privat- wie Staatsuniversitäten durch starke Finanzkraft (endowment, alumni donations, andere Unterstützung privater Personen und Organisationen, Forschungsförderung) die kompetenteste Fakultät mit den besten Studierendenten zusammengeführt haben. Strenge Selektion, Leistungsstreben und Verbreitung der Leistungsfähigkeit der Institution durch eine entsprechende Informationspolitik sind hier, neben intensiver Studierenden- und Ehemaligenbetreuung, die Schlüsselfaktoren. Die breite öffentliche Diskussion verschiedener allgemeiner und fachspezifischer Rankings der Universitäten macht dieses, bei allen methodischen Schwächen, deutlich und verstärkt die hier wirkenden Faktoren noch einmal.

Die Reputation der hervorragenden 20 bis 30 Universitäten bestimmt das Image und die Attraktivität des Hochschulsystems der USA insgesamt. Ein USA-Studium gilt generell als besser und damit – in den meisten Ländern – als karriereförderlicher als die Abschlüsse nationaler Universitäten. Obwohl sehr viel für den objektiven Qualitätsvorsprung der Spitzenuniversitäten und die Berechtigung ihrer hohen Attraktivität spricht, ist dies im Hinblick auf    den verbleibenden Großteil des Hochschulsystems der USA eher fragwürdig. Einige Faktoren wie beispielsweise intensive Studierendenbetreuung, Flexibilität, Leistungsstreben oder die breite Akzeptanz von neuen, auf die „Kundeninteressen“ bezogenen, Entwicklungen in den Curricula müssen auch hier als weitgehend durchgängige Wettbewerbsvorteile angesehen werden. Die Qualität der Lehrenden und Forschenden bleibt jedoch, ebenso wie die Qualität der Studierenden, in der Regel hinter einer durchschnittlichen Universität in Kontinentaleuropa zurück. Nur, auch für Bildung gilt, was in vielen Produkt- und Dienstleistungsmärkten zu beobachten ist: nicht nur die Fakten zählen; die aus dem Image resultierenden Wahrnehmungen sind ebenfalls sehr wichtig, und diese werden, wenn keine Strategieänderungen des Hochschulstandorts Deutschland auf der faktischen wie auch kommunikativen Ebene erfolgen, noch lange für einen Wettbewerbsvorteil des US-amerikanischen Bildungssystems sprechen. Dieses wird so auch noch langfristig in der Lage sein, hervorragende und hochmotivierte Jugendliche von überall aus der Welt mit all den damit verknüpften positiven Sekundär- und Tertiärwirkungen an sich zu ziehen. Das hier über die US-amerikanischen Hochschulen Gesagte gilt mit gewissen Einschränkungen auch für die Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulsystems in Großbritannien gegenüber den kontinentaleuropäischen Konkurrenten, bei denen die kleinen Länder, vor allem Skandinavien und Holland, eine Mittelstellung einnehmen dürften.

Die Globalisierungsstrategien US-amerikanischer Universitäten

Die große Kompetenz führender US-amerikanischen Universitäten, Institutionen hoher Bildungs- Ausbildungs- und Forschungskompetenz zu schaffen, wie auch deren exzeptionelle Leistungsfähigkeit zu erhalten oder noch auszubauen, hat nicht nur zur großen Aktivität bei hochmotivierten und begabten Jugendlichen weltweit geführt; sie hat gleichzeitig in den letzten zwei Jahrzehnten die strategische Option, auch physisch-räumlich auf neue „Kundengruppen“ zuzugehen, verstärkt. Der Ausbau von Programmen und Studiengängen bis hin zur Gründung von Zweigniederlassungen in anderen Teilen der Welt ist die logische Konsequenz einer solchen Strategie, die zunehmend zu einem systematisch verfolgten Globalisierungskonzept einer Reihe von hochreputierlichen Universitäten geführt hat.

Die Entwicklung zur Präsenz solcher Niederlassungen von als leistungsfähig angesehenen und besonders „kundenorientierten“ Mitbewerberinnen in angestammten Marktterritorien wird Hochschulen auch in Deutschland zunehmend unter Druck setzen, entweder wettbewerbsfähiger zu werden, oder auch im Heimatmarkt in eine „zweite Liga“ abzusteigen. Die nächsten Jahre werden hier die entscheidenden sein. Sie werden auch bestimmen, ob ein nicht unwichtiger Teil gerade der begabtesten Jugendlichen Deutschlands nach curricularen Bestimmungen, basierend auf den Grundsätzen US-amerikanischer Akkreditierungseinrichtungen, studieren werden oder ob hier eine eigenständige europäische Lösung als Wettbewerbsmodell gefunden wird.

Ob die finanzielle Unterstützung von Filialgründungen US-amerikanischer Universitäten durch den deutschen Steuerzahler – wie in Bremen im Fall der Rice University geschehen – eine sinnvolle Strategie ist, die Wettbewerbsfähigkeit des Bildungsstandorts Deutschland auf Hochschulebene zu fördern, bleibt abzusehen. Es scheint a priori als eher relativ fragwürdig.

Die sinkende Attraktivität deutscher Hochschulen bei ausländischen Studierenden, vor allem aus wissensintensiven Volkswirtschaften

US-amerikanische und zum Teil auch englische Universitäten nehmen damit den Wettbewerbsrang ein, den die deutschen Hochschulen sehr lange, d. h. bis zur Zeit des Nationalsozialismus, in vielen Disziplinen im 20sten Jahrhundert hatten, nämlich zum „Mekka“ der Hochbegabten und Leistungsmotivierten Jugendlichen aller Welt zu werden.

Diese Verschiebung spiegelt sich in einer sinkenden Attraktivität des Hochschulstandortes Bundesrepublik Deutschland wider: Die Zahl der ausländischen Studierenden, vor allem solcher aus wissensintensiven Volkswirtschaften, ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Programme wie Sokrates und Erasmus konnten hier nur geringe Kompensation bieten. Vor allem blieben sie auf Europa beschränkt. Die Nachteile liegen auf der Hand: geringe Vertrautheit zukünftiger ausländischer Eliten mit Deutschland, seinen Institutionen und seiner Kultur. Weniger „Botschafter“ deutscher Technologien und weniger Rückkoppelung aus der Praxiserfahrung ehemaliger Studierenden in die deutsche Hochschul- und Forschungslandschaft. Damit ergibt sich ein langfristig wirkendes weiteres Element einer Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandortes Deutschland und insbesondere seiner Hochschulen.

Der Erfolg neuer Wettbewerber am Beispiel Australiens

Hochschulbildung als „Exportgut“ ist einer der am schnellsten wachsenden Zweige in Australien und lag im Jahre 2001 an 14ter Stelle, als Dienstleistungsexport sogar an dritter Stelle. Die hieraus resultierende Einnahmen betrugen über vier Milliarden australische Dollar – eine Erhöhung von 19 Prozent im Vergleich zum Jahre 2000. Die „Bildungs-Export-Industrie“ spielt damit eine wichtige Rolle in der rapide wachsenden australischen Wirtschaft, die sich während der letzten zehn Jahre immer mehr zu einer wissensbasierten Gesellschaft entwickelt hat.

Dank des Columbo Plans bietet Australien schon seit den 50er und 60er Jahren Stipendien für eine kleine Anzahl hervorragender Studierender aus Asien und afrikanischen Ländern. Bis zum Jahre 1986, als Studiengebühren in vollem Umfang für ausländische Studierenden eingeführt wurden, profitierten die australischen Hochschulen und die australischer Wirtschaft in nur geringem Maße von diesen Studierenden. Seit 1986 ist jedoch eine dramatische Änderung festzustellen. Im Herbst 2001 studierten 126807 AusländerInnen in Australien, mehr als 80 Prozent von ihnen kamen aus Asien.

   Die drastische Änderung in der Einstellung zum Hochschulwesen – von der des Empfängers von öffentlichen Geldern zu der eines geschätzten Exportgutes – ist das Ergebnis der Änderungen in den Hochschulfinanzierungsprogrammen in den späten 80er Jahren. Diese zwangen die Hochschulen dazu, zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb des öffentlichen Sektors zu suchen. Dies führte zu einem erhöhten Interesse an ausländischen Studierenden als externe „Einkommensquelle“. Der enorme Zuwachs an ausländischen Studierenden seit Ende der 80er Jahre ist das Resultat einer konzertierten Aktion, australische Universitäten für den internationalen, in erster Linie südostasiatischen Markt attraktiv zu machen.

Diese neue Strategie erwies sich in vielerlei Hinsicht als nutzbringend. Von den vier Milliarden AU-Dollar Einnahmen durch ausländische Studierende im Jahre 2001 ist ungefähr die Hälfte auf reine Studiengebühren zurückzuführen, die restlichen zwei Milliarden australische Dollar wurden von den Studierenden für Essen, Wohnen, Reisen und Freizeit aufgewendet. Weitere 1000 australische Dollar pro Studentin flossen durch Freunde oder Familienmitglieder ins Land, die zu Besuchszwecken nach Australien reisten.

Vor allem aber profitiert das australische Bildungs- und Ausbildungswesen jenseits des wirtschaftlichen Gewinns sehr durch die ausländischen Studierenden. Die Öffnung der Hochschulen für internationale Konkurrenz, d. h. best practice-Vorbilder, und das Streben, konkurrenzfähig zu bleiben, führten dazu, dass die Qualität der Hochschulausbildung auf ein hohes Niveau gestiegen ist. Die Förderung einer stärkeren internationalen Dimension in Lehre und Forschung kam auch den australischen Studierenden zugute – ein wichtiger langfristiger Gewinn auch wiederum für die australische Wirtschaft. Die ausländischen Studierenden dienen als „goodwill ambassadors“ und werden das australische Hochschulsystem ihren Kindern und Freunden weiterempfehlen. Freundschaften und Beziehungen, die während des Studienaufenthaltes in Australien zustande kamen, werden zu hervorragenden Netzwerken ausgebaut und bilden für zukünftige Aktivitäten im Handel, Politik oder Technologie eine wertvolle Komponente im Transformationsprozess zu einer Wissensgesellschaft. Der „Export“ von Wissen ist „preisstabil“ und einer der wenigen „value-added“ „Exportindustrien“. Erwächst kontinuierlich und schnell.

Ein Großteil des Wachstums in der „Wissens-Export-Industrie“ innerhalb der letzten zehn Jahre ist auch auf ein hohes Maß staatlicher Investitionen zurückzuführen. Australiens Ausgaben für Bildung im Jahre 2001 lagen bei 5,8 Milliarden AU-Dollar. Dies ist ein bedeutend höherer Anteil des Bruttoinlandsproduktes als das in den meisten Industrieländern. Dadurch, dass Bildung als eine „value-added“ „Industrie“ angesehen wird und nicht als ein „Kostgänger“ des Staates, erhält das Hochschulwesen auch staatliche Investitionen im selben Maße wie andere Exportindustrien, z. B. Bergbau, Landwirtschaft und Tourismus. Diese Investitionen werden langfristige Vorteile für die gesamte Gesellschaft mit sich bringen, nicht nur für die Bildungseinrichtungen.

Eine weitere wichtige Form von staatlicher Investition in das Bildungssystem als „Wissensindustrie“ sind die großen Programme des Auslandsmarketings für Hochschulen wie

–    Repräsentation auf Bildungsmessen

–    Aktivitäten, die Australiens Zugang zu internationalen Bildungs- und Ausbildungsmärkten erhöht

–    Promotionen, Sponsoring und Studienreisen

–    Erhöhte Internetpräsenz und Internetkioske in australischen Botschaften

–    Austauschstudienprogramme

–    Stipendien.

Das Hauptziel sind die anderen Asienländer (wegen ihrer Nähe zu Australien) mit jährlich 680000 Studierenden, die ihr Studium im Ausland absolvieren. Viele australische Universitäten haben während der letzten vier Jahre Filialen im Ausland eingerichtet, die eine australische, englischsprachige Ausbildung mit niedrigeren Kosten für Reisen und Unterbringung für mindestens einen Teil der Ausbildungszeit ermöglichen. Von der Gesamtzahl an Australiens Studierenden im Jahre 2000 waren 35 Prozent Off-campus Studierende.

Australien hat insgesamt schon seit mehr als zehn Jahren erkannt, dass Wissen, lebenslanges Lernen, Innovation und Technologie die wichtigsten Faktoren in unserer sich stark verändernden Gesellschaft sind und diese Erkenntnis systematisch in die Positionierung seines Hochschulsystems als führende „Exportindustrie“ des Dienstleis­ tungssektors umgesetzt.

Die Herausforderungen von morgen: Verknüpfung von E-Learning mit Präsenzunterricht

Das schrittweise Vordringen von E-Learning, die systematische Verknüpfung von Internet gestütztem Unterricht mit Präsenzveranstaltungen stellt eine enorme Herausforderung an die Lehrfunktion der Hochschule dar. Rea­ listisch ist zwar davon auszugehen, dass die vielzitierte „virtuelle Universität“ als alleiniges Lehrkonzept nicht sinnvoll ist, dass aber Teile des heutigen Präsenzunterrichts und Eigenstudiums der Studierenden sinnvoll durch Internet gestützte Lehrformen ersetzt und verbessert werden. Während die Vermittlung von „tacit knowledge“ (Erfahrungswissen, Entwicklung von Einfühlungsvermögen) noch lange in auf Praxis ausgerichteten und gruppenbezogenen Formen des Präsenzunterrichtes vonstatten gehen dürfte, ist zu erwarten, dass große Teile des expliziten Wissens, das heute noch die wesentlichen Anteile von Vorlesungen und Lehrbüchern einnimmt, in Internet gestützte Lernformen übergehen wird. Diese Entwicklung wird weitreichende Konsequenzen für die Struktur unserer Hochschulen, die Art des Unterrichts und die Qualifikationsanforderungen an die Lehrenden haben, die sich insgesamt heute schon abzeichnen und als revolutionär bezeichnet werden können.

Diese Veränderung bietet ungeheure Chancen auf den Gebiet der Entwicklung von relevanten Lehrtechnologien    und Lehrmaterialien. Dieses Feld stellt einen neuen Markt für Universitäten dar. Diejenigen Universitäten, die heute beginnen, diesen Markt zu bedienen, werden nicht nur einen Wettbewerbsvorteil durch den erfahreneren Umgang mit ihnen haben, sondern auch starke Akteurinnen im globalen Markt der Lerninhalte der Zukunft sein. Diesen Markt zu erschließen, ist schwierig und mit hohen Kosten verbunden. Die Entscheidung von Stanford University, Princeton University und Harvard University, gemeinsam E-learning Konzepte zu entwickeln illustriert dieses recht deutlich. Es wird daher in Deutschland, wahrscheinlich sogar europaweit, ähnliche Konsortien von Universitäten, eingebunden in strategischen Allianzen mit entsprechenden Unternehmen wie Multimediafirmen oder Verlagen, erfordern. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass E-Learning ähnlich wie E-Commerce eher ein zusätzlicher Vertriebskanal von spezialisierten Hochschulen (z.B. Fernuniversität Hagen) sein wird, werden interessierte Universitäten in Deutschland, und dies gilt überwiegend auch für die anderen Länder der Europäischen Union, die hierfür notwendigen Investitionen nicht aus eigener Kraft tätigen können. Hier sind daher die Bundesregierung und auch die Kommission der Europäischen Union gefordert, gezielt die Entwicklung dieses Teils einer neudefinierten „Bildungsindustrie“ auf Hochschulebene zu unterstützen. Wenn dies nicht bald geschieht, bleiben Chancen ungenutzt mit der Konsequenz, dass die Wettbewerbsfähigkeit anderer Regionen auf diesem globalen Markt der Bildungstechnologien und Bildungsinhalte gestärkt wird.

Konsequenz der Status-quo-Diagnose: Abnehmende Bedeutung der deutschen Universitäten im globalen Wettbewerb und Herausforderung durch die Notwendigkeit der Bildung der Vielen

Konsequenz aus der Notwendigkeit zur Bildung der Vielen

Der zunehmende Wettbewerb um gut ausgebildete Menschen steigt, weil zukünftig nur noch solche Volkswirtschaften konkurrenzfähig bleiben werden, die in hinreichendem Maße über Arbeitsplätze mit hohen Ansprüchen an die Ausbildung verfügen. Dabei verändert sich die notwendige Qualifizierung von Menschen inhaltlich und hinsichtlich der Halbwertzeiten der erworbenen Kenntnisse. Das deutsche Bildungssystem bietet dafür mit seinem dualen System der Berufsausbildung und einem Hochschulsystem, das auf qualitativ guten Niveau prinzipiell allen Studierwilligen, unabhängig von der wirtschaftlichen Herkunft, die Chance für eine gute (Aus-)Bildung eröffnet, eine solide Grundlage.

Allerdings müssen vermehrt Anstrengungen von Seiten der Politik unternommen werden, um diese Stärken weiter auszubauen und eindeutig vorhandene Mängel zu beseitigen. Dies hat auch das von der Bundesregierung initiierte „Forum Bildung“, an dem die für die Schulpolitik zuständigen Länder sowie die Sozialpartner und Vertretungen der gesellschaftlichen Gruppen teilgenommen haben, konstatiert und Anfang des Jahres 2002 12 Empfehlungen veröffentlicht, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Zuerst werden im Schulsystem die Wege zum Erwerb einer qualifizierten Berufsausbildung oder eines Hochschulstudiums optimiert werden müssen. Dazu bedarf es entsprechender Maßnahmen sowohl im allgemeinbildenden – Allgemeine Hochschulreife – als auch im berufsbildenden Schulwesen – Fachgebundene Hochschulreife. Die Qualität des Schulsystems muss verbessert werden. Das deutsche Schulsystem schneidet im internationalen Vergleich schlecht ab. Das setzt eine entsprechende Forschung aber auch finanzielle Unterstützung voraus. Nur auf diese Weise kann die Zahl der Studierwilligen dem internationalen Standard angeglichen werden. Da in Deutschland weitgehend Inhalte, die in anderen Ländern bereits zu den Lerninhalten des weiterführenden Bildungssystems gehören, noch in den Bereich der schulischen Ausbildung fallen, scheint es gerade angesichts der vielfach beklagten mangelnden Qualifikation der SchulabgängerInnen eher zweifelhaft, ob eine reine Verkürzung der Schulzeiten Sinn machte. Zielführender und auf jeden Fall geboten ist eine deutliche Erweiterung des Angebotes an Ganztagsschulen. Im Hinblick auf den internationalen Vergleich sollte der Prozentsatz eines Altersjahrgangs vergrößert werden, der einen Hochschulabschluss erreicht. Gestaffelte Studienabschlüsse, die nach kürzeren Studienzeiten erreichbar sind, können hier Abhilfe schaffen.

Neben den Hochschulstudiengängen müssen in den Sektoren, in denen die Nachfrage das Angebot an Studienplätzen übersteigt, auch die Studienplätze an Fachhochschulen ausgebaut werden. Auch in diesem Sektor nimmt Deutschland in der OECD-Statistik nur einen Mittelplatz ein.

In den technischen Disziplinen und in den Naturwissenschaften muss der Schwerpunkt an den Hochschulen weniger auf die Schaffung neuer Studienplätze gelegt werden. Es kommt vielmehr darauf an, die vorhandenen Studienplätze auszulasten. Es ist jedenfalls eine falsche Reaktion, wenn gegenwärtig in einzelnen Bundesländern Studienplätze in diesem Bereich gestrichen werden sollen, weil die Nachfrage zu gering ist. Angemessener ist es, die Nachfrage durch geeignete Maßnahmen zu steigern. Es gibt bisher zu geringe Überlegungen in die Richtung, wie man durch geeignete Informationen die Wahl naturwissenschaftlicher und technischer Studiengänge in geeigneter Weise beeinflussen kann. Grundsätzlich ist zu überlegen, mit welchen Maßnahmen nachhaltig dem viel zitierten, seit langem bekannten und doch immer wieder beobachtbaren „Schweinezyklus“ in vielen Bereichen begegnet werden kann.

Eine der Stärken des deutschen Hochschulsystems, die Förderung der Graduierten und Postgraduierten, muss weiter ausgebaut werden. Deshalb müssen die bisherigen Formen der Förderung durch die DFG – Sonderforschungsbereiche, vor allem aber die Graduiertenkollegs – beibehalten und noch ausgebaut werden. In den Hochschulen müssen ergänzend interdisziplinäre Zentren auf Zeit gebildet werden. Dieses Maßnahmenbündel wird es erlauben, die Wettbewerbsfähigkeit in diesem Sektor zu vergrößern. Darüber hinaus sollten die bereits eingeleiteten Maßnahmen der Bundesregierung, die die verschiedenen Akteure des Wissenschaftssystems besser miteinander vernetzen sollen, fortgeführt werden.

   Die Investitionen in das so genannte Humankapital müssen sowohl in den öffentlichen als auch den privaten Haushalten erhöht werden. Es ist von Interesse, dass es in Deutschland nur eine geringe Bereitschaft gibt, die Leistungen des öffentlichen Bereichs durch entsprechende Zusatzleistungen aus dem privaten Bereich zu flankieren. Dabei geht es nicht um die ca. 5 Prozent der Eltern, die in der Lage sind, die hohen Studiengebühren im Ausland zu bezahlen und es auch tun. Vielmehr scheint Bildung generell den Stellenwert als eines der höchsten Güter, in die zu investieren sich in jedem Fall lohnt, eingebüßt zu haben. Das ist eine Herausforderung an die gesamte Gesellschaft.

Konsequenz aus der abnehmenden Bedeutung der deutschen Universitäten

Stellt man die anerkanntermaßen große Stärken den gleichzeitig nicht zu vernachlässigen Schwächen gegenüber, so lässt sich feststellen, dass die Hochschulen heute trotz hoher Motivation und großen Engagements einzelne ihrer Aufgaben an vielen Stellen nicht mit der Qualität und Präzision erfüllen können, die von ihnen erwartet werden müssen, um den Wissenschaftsstandort Deutschland langfristig wettbewerbsfähig zu halten. Eine weiterhin restriktive Haushaltspolitik bei den traditionellen Hauptmittelgebern der Hochschulen, den Bundesländern, eine bis jetzt ergebnislos geführte Diskussion über die Einführung von Studiengebühren sowie die Tatsache, dass viele der hier aufgeführten Schwächen sich nicht allein auf mangelnde finanzielle Ausstattung zurückführen lassen, machen deutlich, wie hoch der Reformbedarf angesichts der globalen Wettbewerbslage im Bildungssys­ tem einerseits und den Anforderungen durch den Wissensstandort Deutschland andererseits ist. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass das Größenwachstum vieler Universitäten in den letzten 25 Jahren – durch Neugründungen nur ungenügend abgepuffert – zu einer vielbeklagten Schwerfälligkeit der Entscheidungsgremien und den bekannten Problemen z.B. bei der Ausstattung geführt hat und die vorhandenen Wettbewerbsmöglichkeiten durch die Bundesländer als den politischen Entscheidungsträgern nur unzulänglich ausgenutzt werden, kann daher bei unveränderten Randbedingungen nur auf eine abnehmende Bedeutung der deutschen Hochschulen im globalen Wettbewerb um Reputation, Forschungsmittel und hochqualifizierte Studierende ausgegangen werden. Der deutlichen Verschärfung des Wettbewerbsklimas auf dem Gebiet der Hochschulausbildung durch amerikanische, australische aber auch englische, skandinavische und niederländische Hochschulen tritt die deutsche Hochschullandschaft mit zu geringer Ausnutzung der Stärken und zu hoher Belastung durch die Schwächen nicht chancenlos aber chancengemindert gegenüber.

Das Leitbild für ein wettbewerbsfähiges Hochschul­ system: Differenzierung, Leistung, Eigenprofil und Kooperation

Eine Verbesserung dieser Situation erfordert fundamentale Änderungen in der Struktur der Hochschulen selbst und in den Beziehungen der Hochschulen zu den sie politisch tragenden Institutionen, die prinzipielle Neuorientierungen ermöglichen müssen. Ziel muss es sein, die Hochschulen wieder in die Lage zu versetzen, im Rahmen eines globalisierten Umfeldes, den für die Gesellschaft der Zukunft und ihre weitere Entwicklung notwendigen Aufgaben nachzukommen, nämlich

–    die zentrale Einrichtung für Forschung und

–    ein Ort akademischer Lehre und Ausbildung zu sein,

–    ein Forum für die geistige Auseinandersetzung über Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung zu bilden, und

–    Serviceleistungen bereitzustellen

Die Gutachter sehen in dem Leitbild eines so genannten differenzierten Effizienzszenarios die größten Chancen, Anschluss an die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Dieses Leitbild umfasst insbesondere folgende Einzelziele:

–    Die Entscheidungsautonomie und -fähigkeit der Hochschulen und damit auch die Eigenverantwortung sind zu erhöhen. Den Hochschulen ist so die Möglichkeit zu geben, auf die wechselnden Anforderungen ihrer sozialen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen Umwelt flexibler als unter dem jetzigen Regelungssystem zu reagieren.

–    Die Orientierung auf Leistung in Forschung und Lehre ist stärker zu institutionalisieren; individuelle Motivation allein reicht als Antriebskraft für akademische Wissenschaft und Lehre unter den heutigen Bedingungen komplexer Verflechtung der Hochschulen mit der Gesellschaft offenkundig nicht aus.

–    Die Steuerung durch staatliche Gremien ist – jenseits der budgetären Prioritätensetzung für den Bereich Wissenschaft und Forschung allgemein – auf die Schaffung genereller Anreiz- und Feedbacksysteme und die Evaluation der Aufgabenerfüllung durch die Hochschulen nach leistungsbezogenen Kriterien zu konzentrieren und das Engagement in Detailentscheidungen zurückzunehmen.

Dieses Leitbild ist nur dann zu erreichen, wenn die Hochschulen Deutschlands in Zukunft einen hohen Grad an Autonomie, Wettbewerbs- und Leistungsorientierung, Flexibilität in der Aufgabenerfüllung sowie Spezialisierung und Kooperation in der Aufgabendefinition erreichen können. Ebenso ist eine entsprechende Internationalität oder Europäisierung erforderlich.

Empfehlungen

Das Hochschulsystem Deutschlands hat seine bis in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts vorhandene hervorragende Wettbewerbsfähigkeit nie mehr wiedergewinnen können. Seine Wettbewerbsfähigkeit muss heute sogar als deutlich zu niedrig angesehen werden. Dies hat zweierlei weitreichende Konsequenzen: Zum einen wird die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland in einer zunehmend als wissensintensiv angesehenen globalen Wirtschaft mittel- und langfristig gefährdet sein; zum anderen werden auf dem globalen Markt der Hoch    schulausbildung in Zukunft andere Regionen, vor allem der angelsächsische Raum, die wachsende Nachfrage nach Hochschulausbildung befriedigen und damit am meisten von der neuen „Exportindustrie“ Hochschulbildung in vielfältiger Weise profitieren. Für Deutschland hat dies die Konsequenz, dass potenzielle Einnahmen aus dem Studium von Jugendlichen aus anderen Weltregionen nicht erzielt werden, das enorme Potenzial des E-Learning Marktes von den deutschen Hochschulen mit all seinen wirtschaftlichen Sekundär- und Tertiärwirkungen nicht ausgeschöpft wird und zunehmend finanzielle Ressourcen deutscher Haushalte in das Studium der hochtalentierten und -motivierten Jugendlichen an ausländischen Hochschulen mit besserem Bildungsangebot und einem höheren Marktwert ihre Abschlüsse fließen. Es wird hierbei bewusst nur auf die wirtschaftlichen Konsequenzen der zu geringen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen eingegangen, auf die in diesem Zusammenhang ebenfalls sehr wichtigen kulturellen, politischen und sozialen Aspekte muss jedoch hingewiesen werden.

Es ist daher dringend erforderlich, eine deutliche Trendwende einzuleiten und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Hochschulen zu stärken und zu verbessern, vor allem durch die Änderung einiger grundlegender Perspektiven.

–    Die Hochschulen dürfen nicht mehr vorrangig als Belastung staatlicher Budgets angesehen werden, sondern als Investitionen in den wichtigsten Wettbewerbsfaktor der Zukunft und als neue „Exportindustrie“

–    Den Hochschulen muss eine hohe Autonomie zugestanden werden Gleichzeitig muss der Wettbewerb zwischen ihnen und die Konkurrenz mit ausländischen Universitäten um die besten Studierenden wie auch die besten ForscherInnen und LehrerInnen, verstärkt werden.

–    Durch Budgetautonomie und die Möglichkeit der Einführung sozial abgefederter Studiengebühren können Anreize geschaffen werden, aktiv Studierende im Ausland anzuwerben, höhere Anteile an dem bei größerer Modularisierung der Studiengänge stark wachsenden Markt der beruflichen Fortbildung in akademischen Berufen zu gewinnen und in den lukrativen globalen Markt des E-Learning mit ausreichender Grundausstattung einsteigen zu können (kursiv: abweichende Formulierung der FDP).

Das dies auch in der relativ kurzen Zeit einer Dekade mit zum Teil spektakulären Ergebnisse möglich ist, haben andere Länder, beispielsweise die Niederlande und vor allem Australien, deutlich gemacht. Die hierfür erforder­ lichen Einzelmaßnahmen sind in der Fülle von Empfehlungen vieler Beraterkommissionen zur Entwicklung des Hochschulsystems in der Bundesrepublik Deutschland bereits niedergelegt. Die Bundesregierung hat deshalb nicht nur das Budget für Bildung und Forschung seit 1998 um über 21 Prozent erhöht, sondern darüber hinaus im Rahmen ihres Zukunftsinvestitionsprogramms eine Zukunftsinitiative Hochschule gestartet, in der viele Maßnahmen davon aufgegriffen wurden. Denn die sich immer deutlicher abzeichnende Krise des Wirtschaftsstandortes Deutschland und seine durch zu niedrige Investitionen in Bildung und Ausbildung weitere sinkende Wettbewerbsfähigkeit war und ist Anlass genug, auf diesem zentralen Gebiet, der Qualität und Quantität der Hochschulausbildung, vom Mahnen und Vorschlagen zum Handeln überzugehen.

Einzelempfehlungen

Empfehlung 1      Begabungsreserven der Gesell­ schaft auf allen Ebenen nutzen

Deutschland kann nicht länger auf Rang 21 von 25 OECD Ländern im Hinblick auf den Prozentsatz eines Jahrgangs, der einen Hochschulabschluss erreicht, liegen, oder zu den führenden Nationen im Hinblick auf die Quote von Studienabbrechern gehören. Wenn sich dies nicht schnell und deutlich ändert, wird die Wettbewerbsposition der Bundesrepublik, vor allem in den zunehmend wissensintensiven Industrien, deutlich beeinträchtigt. Gefordert ist „mehr und bessere Bildung für Alle“, vor allem aber auch „mehr und bessere Bildung für die Besten“. Die Erreichung dieses Zieles erfordert Maßnahmen vor allem im Primarbereich aber auch im Bereich der höheren Stufen des Bildungssystems. Es sind entsprechende Voraussetzungen zu schaffen, damit die Zahl der Jugendlichen zunimmt, die eine Hochschulreife erreichen, ohne dass die Qualität des Abschlusses dadurch (weiter) gemindert wird Dazu bieten sich in Deutschland zwei Wege an, die sich auch in der Vergangenheit schon bewährt haben:

–    Ausbau des Allgemeinbildenden Schulwesens, damit mehr Jugendliche die Möglichkeit ergreifen, die Allgemeine Hochschulreife zu erwerben.

–    Ausbau der Wege zur fachgebundenen Hochschulreife, um die Praxis- und Berufsnähe in entsprechenden Studiengängen zu verbessern.

Neben dem Ausbau dieser traditionellen Hauptwege zur Erlangung der Hochschulreife gilt es aber auch, in Anlehnung an die Empfehlung des Sachverständigenrates Bildung bei der Hans-Böckler-Stiftung, die anderen Zugangswege zur Hochschulbildung zu verstärken und hierfür auch zu werben. .

Empfehlung 2      Studienplätze schaffen und Studienangebote verbessern

Innerhalb des Hochschulsystems muss die Zahl der Studienplätze insgesamt gesteigert werden. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, Studienangebote zu entwickeln, die als berufsbezogene Abschlüsse modular angelegt auf die „Vielen“ zugeschnitten sind. Deshalb hat die Bundesregierung die Einführung von gestuften Studiengängen und den Auf- und Ausbau von Leistungspunktsystemen beschlossen. Gleichzeitig wird eine Erweiterung des Angebots im Bereich der Fachhochschulen erforderlich sein.

Empfehlung 3      Investitionen ins Bildungssystem steigern

Die Investitionen insbesondere in das allgemeine Bildungssystem aber auch in den tertiären Bereich müssen    erhöht werden, wenn Deutschland im internationalen Wettbewerb bestehen will, weil es – wie dargelegt – einen starken Zusammenhang zwischen diesen Investitionen in die Köpfe der Menschen und der Wettbewerbsfähigkeit einer Region gibt.

Empfehlung 4      Private Bildungsinvestitionen fördern

Die Notwendigkeit stärker in Bildung und Ausbildung zu investieren, gilt für die öffentlichen und auch die privaten Haushalte. In Deutschland werden die privaten Haushalte im internationalen Vergleich wenig durch das Studieren der Kinder belastet. Bildungsinvestitionen haben offensichtlich in Deutschland bei den Ausgaben privater Haushalte mittlerweile einen zu geringen Stellenwert. Es wird erwartet, dass der Staat hier in fast allen Sektoren – Ausnahmen sind der vorschulische und der Weiterbildungsbereich – die entsprechenden finanziellen Verpflichtungen übernimmt. Hier ist eine Umverteilung der Lasten im Lebenszyklus erforderlich: Im vorschulischen Bereich sollten keine Kosten anfallen, demgegenüber erscheint in vielen Fällen eine finanzielle Belastung im tertiären Bereich als gerechtfertigt. Dies fällt umso leichter, je mehr auch aus verteilungspolitischen Gründen auf Bildungskonten, Vouchersysteme und ähnliche Formen der Bildungsfinanzierung wie vom Sachverständigenrat Bildung der Hans-Böckler-Stiftung schon vorgeschlagen, zurückgegriffen wird.

Empfehlung 5      Studienanreize in den Natur­ wissenschaften erhöhen

Speziell bei den Naturwissenschaften, insbesondere Physik und Chemie sowie in der Mathematik, muss die Nachfrage nach Studienplätzen erhöht werden . Es gibt in diesen Fächern nicht zu wenige Studienplätze, sondern eine zu geringe Nachfrage. Das setzt Maßnahmen voraus, die im Schulsystem ergriffen werden. Die Motivation, diese Fächer zu studieren, muss verbessert werden. Mit dem Schwerpunktprogramm BIQUA (Bildungsqualität von Schule) der DFG werden erste, entsprechende Vorarbeiten geleistet.

Empfehlung 6      Lehre personell und strukturell stärken

Die Einheit von Lehre und Forschung kann nicht in allen Bereichen des Studiums beibehalten werden. Im Erststudium werden große Teile der Lehre ohne eine enge Verknüpfung mit der Forschung geleistet werden müssen. Deshalb werden Professuren notwendig sein, die ihren Schwerpunkt in der Lehre finden.

Empfehlung 7      Qualitätssicherung vorantreiben

Die Qualitätsanforderungen an die Lehre müssen generell gesteigert werden. Erforderlich ist dazu eine entsprechend bessere Ausbildung für die Lehrenden durch hochschuldidaktische Kurse sowie der systemweite Ausbau von Qualitätsbeurteilung, unter Berücksichtigung der Studierenden sowie durch peers. Die Einführung eines sys­ tematischen Qualitätsmanagements in Forschung und Lehre durch die Bundesregierung ist ein wichtiger Schritt zur Erreichung dieses Ziels.

Empfehlung 8      Leistungskomponente ausbauen und stärker institutionalisieren

Die Orientierung auf Leistung in Forschung und Lehre ist stärker zu institutionalisieren; individuelle Motivation allein reicht als Antriebskraft für akademische Forschung und Lehre unter den heutigen Bedingungen komplexer Verflechtung der Hochschulen mit der Gesellschaft nicht aus. Um diese Fragen anzugehen, hat die Bundesregierung mit den Reformen des Dienstrechts ein Instrument zur Unterstützung der Verbindung von Theorie und Praxis geschaffen. Dabei wird der Habilitation traditioneller Prägung die Juniorprofessur und die Möglichkeit des Rufs durch Praxiserfahrung an ihre Seite gestellt. Damit können endlich auch solche Nachwuchskräfte eine Hochschulprofessur erhalten, die sich in der Praxis als he­ rausragend bewiesen haben.

Empfehlung 9      Hochschulverwaltungen dienstleistungsorientiert modernisieren

Hochschulen benötigen ein professionelles Management in der Leitung und eine entsprechende Zuordnung von Verantwortung. Universitäre Gremien haben in einem solchen System die Funktion der Aufsicht wahrzunehmen.

Empfehlung 10    Anreizsysteme verstärkt ausbauen

Es müssen über die entsprechenden Organisationsstrukturen hinaus Anreizsysteme für die Individuen geschaffen werden. Mit der Besoldungsreform für die HochschullehrerInnen sind hier erste Schritte getan. Es ist in den nächsten Jahren zu evaluieren, inwieweit der jetzt gegebene Rahmen hierfür ausreicht.

Empfehlung 11    Flexibilisierung der Rahmenbedingungen für das wissenschaftliche Personal

Für Teile des Lehrangebots kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie längerfristiger angeboten werden. Studienordnungen müssen gerade an den Grenzen der Disziplinen flexibel sein und die Lernfähigkeit des Hochschulsektors reflektieren. Damit müssen hochqualifizierte Lehrende auf Zeit gewonnen werden. Hierfür bedarf es entsprechender Entgeltregelungen. Die starre Bindung an das Beamtenrecht bzw. den BAT muss für das wissenschaftliche Personal aufgegeben werden. Für mittelfris­ tige Engagements attraktiver Lehrender müssen entsprechende Handlungsspielräume eröffnet werden. Die Qualitätsanforderungen in der Lehre müssen generell gesteigert werden. Erforderlich ist hier eine entsprechend bessere Ausbildung für die Lehrenden durch hochschuldidaktische Kurse.

Empfehlung 12    Verkürzung und Modularisierung des Erststudiums

Höhere Anteile einer Altersgruppe, die studieren, erfordern, dass die Zeiten für das Erststudium verkürzt werden.    Wenn gleichzeitig die Internationalisierung der Studien gefördert werden soll, setzt das vor allem im Erststudium eine konsequente Modularisierung voraus.

Empfehlung 13    Hochschulspezifische Auswahl­ verfahren ermöglichen

Universitäten müssen das Recht haben, ihre Studierenden mit hochschulspezifischen Auswahlverfahren (Probestudienzeit, Aufnahmeprüfungen) selbst auszuwählen.

Empfehlung 14    Universitäre Weiterbildung ausbauen

Die universitäre Weiterbildung muss ausgebaut werden. In Deutschland wird im internationalen Vergleich nicht, in Jahren bilanziert, zu lange studiert, falsch ist die extreme Konzentration der Studienzeiten auf die Erstausbildung, also vor dem Übertritt in das Beschäftigungssystem.

Empfehlung 15    Graduiertenförderung

Die Stärken der deutschen Hochschulen bei der Graduiertenförderung und der Förderung der Postgraduierten müssen ausgebaut werden. In diesen Bereichen müssen verstärkt Arbeits- bzw. Forschergruppen eingerichtet werden. In den Hochschulen muss generell die Form der Kooperation durch die Schaffung geeigneter Zentren auf Zeit verbessert werden.

Empfehlung 16    Autonomie der Hochschulen stärken und Spezialisierung ermöglichen

Hochschulen muss die Wahlfreiheit gelassen werden, ob sie sich insgesamt oder in einzelnen Fachbereichen bzw. Fakultäten mehr auf die Bildung der Vielen oder auf Angebote für Eliten konzentrieren wollen. Sie müssen eigenständige Leitbilder entwickeln und so verstärkt an ihrer Profilbildung arbeiten. Dies setzt weitgehende Autonomie voraus. Um diese Autonomie langfristig zu sichern, müssen Hochschulen Systeme zur Überprüfung einrichten, ob und inwieweit sie die Ziele ihres Leitbildes erreichen.

Empfehlung 17    Internationalisierung vorantreiben

Die Internationalisierung der Studiengänge und Studienabschlüsse muss vorangetrieben werden. Dies hat Konsequenzen sowohl für die inhaltliche Orientierung der Studiengänge als auch für den Anteil der Lehrveranstaltungen, die in der lingua franca der heutigen Welt, Englisch, auf einem didaktisch international wettbewerbsfähigen Niveau angeboten werden. Hier liegt eine besondere Herausforderung an den Wissenschaftsstand­ ort Deutschland im globalen Wettbewerb. Die Bundesregierung hat deshalb verschiedene Maßnahmen, vor allem im Rahmen der Zukunftsinitiative Hochschule, initiiert, die von der Gewinnung exzellenter ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über den Aufbau internationaler Studiengänge bis hin zur Förderung des „Exports“ deutscher Studiengänge durch deutsche Hochschulen reichen.

Empfehlung 18    Europäisierung der Studiengänge und Abschlüsse ausbauen

Die bestehenden Instrumente der Europäisierung der Hochschulausbildung sind auszubauen und beschleunigt voranzutreiben. Dies gilt, neben gemeinsamen Studiengängen einiger europäischer Universitäten und internationalen Abschlüssen, vor allem für die Mobilitätsprogramme wie Sokrates-Erasmus, die quantitativ und von der Ausstattung her deutlich erweitert werden müssen. Dies gilt auch für eine umfassendere Anerkennung von Studienleistungen durch den weiteren Ausbau des Creditpoint Systems. Die guten Erfahrungen vieler Fachhochschulen in der Europäisierung vornehmlich wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge sollten in andere Fachgebiete übernommen werden. Entsprechende Modellvorhaben sind zu unterstützen. Die Europäisierung erfordert darüber hinaus zusätzliche innovative Ansätze, wie sie beispielsweise unter Führung der Luxemburger Regierung in der Schaffung eines Verbundsystems europäischer Reformuniversitäten unter dem Markennamen „Campus Europae“ entwickelt werden. Hier sollen Studierende an mindestens zwei Verbunduniversitäten in unterschiedlichen europäischen Ländern studiert haben, bevor sie ihren jeweiligen Abschluss erreichen (zu den Einzelheiten siehe Schily, K. et al. Denkschrift der Initiative „Europäische Stiftungsuniversitäten“ zweite Auflage Witten 2000). Alle diese Maßnahmen dienen dazu, die kulturelle Vielfalt Europas bewusst als Wettbewerbsvorteil zu nutzen und die Studierenden Europas im weitmöglichsten Umfang auf das Arbeiten in globalen Märkten und multikulturellen Umwelten vorzubereiten. Die Kommission der Europäischen Union und die Bundesregierung sind aufgerufen, im Interesse des Wirtschaftsstandortes Europa und Deutschland hier schnell und umfassend aktiv zu werden.

Empfehlung 19    Internationales Marketing für den Bildungsstandort Deutschland intensivieren

Begleitend zu diesen Maßnahmen muss das Potential des Wissenschaftsstandortes Deutschland international deutlicher gemacht werden. Hier ist auch die auswärtige Kulturpolitik gefordert, entsprechende Marketing-Maßnahmen nach dem Vorbild anderer Bildungsexportnationen auszubauen. Die Stärkung des Standorts Deutschland durch Ausbau der relevanten Programme des DAAD und der Alexander von Humboldt Stiftung sind ebenfalls richtige und wichtige Maßnahmen. Sie müssen ergänzt werden durch dezentrales Marketing der Hochschulen im Ausland für ihre Dienstleistungen. Zum Start sind befris­ tet Projektmittel hierzu bereitzustellen. Eine wichtige Ini­ tiative ist in diesem Zusammenhang die „Konzertierte Aktion Internationales Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland“, mit der Bund, Länder, Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam für die deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen international um die besten WissenschaftlerInnen und Studierenden werben. Erste Erfolge sind bereits sichtbar: So ist die Zahl der ausländischen Studierenden nach ersten Schätzungen von 2000 auf 2001 um rund 15 Prozent auf nunmehr 140000 gestiegen.

   Empfehlung 20    Externe Steuerung verringern und Hochschulautonomie ausbauen

Die Steuerung durch staatliche Gremien ist – jenseits der budgetären Prioritätensetzung für den Bereich Wissenschaft und Forschung allgemein – auf die Schaffung genereller Anreiz- und Feedbacksysteme und die Evaluation der Aufgabenerfüllung durch die Hochschulen nach leis­ tungsbezogenen Kriterien zu konzentrieren und das Engagement in Detailentscheidungen zurückzunehmen. Die Wissenschaftsverwaltungen müssen sich so einerseits auf die Setzung von Rahmenbedingungen, die grundlegenden Budgetentscheidungen, Entscheidungen über die Förderung von Forschungsschwerpunkten sowie das Ausmaß von Finanzierung von Lehre konzentrieren und sollen andererseits langfristig die Forschungs- und Ausbildungsleistungen der Hochschulen in Bezug auf Zielerreichung kontrollieren.

Empfehlung 21    E-Learning im Verbund ausbauen

Die Hochschulen müssen Verbünde schaffen, die das große intellektuelle und wirtschaftliche Potenzial des e-Learnings erschließen. Hierzu müssen auch Allianzen mit den relevanten Softwareanbietern und Multimediaunternehmen geschaffen werden. Die Kommission der Europäischen Union und die Bundesregierung sind aufgerufen, durch Förderanstrengungen den deutschen Hochschulen, die hier für sich die Möglichkeit der spezifischen Profilbildung sehen, im Verbund mit Universitäten anderer europäischer Länder den Einstieg in diesen großen und schnell expandierenden Markt zu ermöglichen. Dies dient nicht nur dem wirtschaftlichen Ziel der Wettbewerbsfähigkeit auf diesem Gebiet, sondern hat auch hohe kultur- und europapolitische Bedeutung.

11.2.2.7.2  Offene Fragen

E-Commerce ist zwar eine neue wichtige Form des Handels, es bleibt aber unklar, welche konkreten Fragen noch zusätzlich behandeln werden sollen.



1 Der Text dieses Unterkapitels wurde von den Mitgliedern der Enquete- Kommission Dr. Werner Gries, Jörg Tauss und Prof. Dr. Karl- Heinz Paqué auf der Grundlage des Gutachtens von Dierkes und Merkens (Dierkes 2002) verfasst.

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