*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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11.3.3.2     Handel und Wettbewerb in der Globalisierung

11.3.3.2.1  Bewertung

Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Konzentration im Unternehmenssektor für alle Parteien ein Problem darstellt. Allerdings greifen sowohl die Beschreibung als auch die politischen Empfehlungen zu kurz. Einerseits ist dies durch die Konzentration auf das Problem des fehlenden internationalen ordnungspolitischen Rahmens bedingt. Im Zentrum steht damit zwangsläufig nur die Frage nach der „richtigen“ Wettbewerbspolitik. Andererseits wird versäumt, die sozialen Wirkungen der jüngsten Fusionswelle zu betrachten. Es wird zwar festgestellt, dass die meisten Fusionen nicht von Erfolg gekrönt sind. Wichtiger ist, dass es vor, während und nach Fusionen zu Massenentlassungen, zur Einschränkung der Mitbestimmung und einem weiteren Druck auf Sozialstandards kommt. In dieser Kombination liegt für uns das zentrale Problemfeld, aus dem direkte und indirekte negative soziale Wirkungen für die Beschäftigten und Veränderungen der in­ nerbetrieblichen Demokratie abzuleiten sind. Folglich resultiert der politische Handlungsdruck nicht allein aus den negativen Effekten der „Megafusionen“ für den technischen Fortschritt, aus der steigenden Abhängigkeit des Mittelstandes und „allgemeinen“ gesellschaftspolitischen Problemen, die durch die wachsenden Einflußmöglichkeiten der Unternehmen verursacht werden.

Die Problemfelder sind im Endbericht zwar richtig beschrieben, doch die unterstellte Beeinträchtigung des technischen Fortschritts durch wettbewerbsbeschränkende Wirkungen ist zu hinterfragen. Gerade weil die steigenden Kosten des technischen Fortschritts bei hoher Kapitalintensität ein zentraler Fusionsgrund sind wäre demnach zu fragen, welcher technische Fortschritt so verhindert und welcher auch in „vermachteten“ Strukturen befördert wird. Welcher gesellschaftliche Bedarf wird nicht befriedigt, weil Mittel gebunden und für Übernahmen und Rationalisierung eingesetzt werden? Mit der steigenden Macht der Unternehmen wachsen die gesellschaftspolitischen Risiken, während die demokratische und soziale Teilhabe sowie die Entscheidungskompetenz nicht nur für die Politik, sondern auch in den Betrieben eingeschränkt wird. Wettbewerbspolitik allein wird diesen Problemen allerdings genau so wenig gerecht werden, wie hierüber der Interessenausgleich zwischen den ungleich entwickelten Volkswirtschaften stattfinden kann.

11.3.3.2.2  Feststellung

Wir stellen fest, dass im Mehrheitsvotum einer der zentralen ökonomischen Gründe der jüngsten Fusionswelle fehlt: Sie ist Produkt der Wachstumskrisen auf den Binnenmärkten. Denn trotz steigender Gewinne ist es nicht rentabel, in neue Produktionskapazitäten zu investieren. Stattdessen wird das interne Wachstum über eine Stärkung der eigenen Position auf dem Weltmarkt und die massive Kostenreduktion durchgesetzt. Dieser Ansatz forciert zum einen den Kauf bestehender Unternehmen auf dem Weltmarkt. Zum anderen wird mit Übernahmen/Fusionen die Ausgangsbasis für die Abwehr gegen Übernahmen durch andere Unternehmen verstärkt. Ausschlaggebend für alle ausländischen Direktinvesti­ tionstätigkeiten (ADI) sind vor allem das Wachstum des Binnenmarktes (Zielland der Investition) bzw. die Absatzmöglichkeiten auf den angestammten Märkten. Die Kontraktion auf dem heimischen Markt verstärkt immer die Tendenz zur Erschließung neuer Märkte. Was u.a. als Unterkonsumption be­ zeichnet wird und betriebswirtschaftlich als Absatzproblem im Unternehmen auftaucht, soll so grenzüberschreitend gelöst werden. Die Lohnhöhe spielt als Investitionsmotiv eine untergeordnete Bedeutung (Wortmann 2000:165ff). Jedoch übersetzt sich die Kostenkonkurrenz zwischen den einzelnen Standorten in Lohn- und Sozialdumping.

Trotz der Investition im Ausland und der steigenden Bedeutung transnationaler Konzerne sind klare Einschränkungen bezüglich des Inter­ nationalisierungsgrades und ihrer weltweiten Mobilität zu treffen: Obwohl sich Unternehmen internationalisieren liegt ihr Hauptaktionsrahmen in der OECD, mit einem deutlichen Bezug zum angestammten nationalen Standort. Hier werden die zentralen Entscheidungen für sämtliche Aktivitäten getroffen, da sich dort die Konzernzentralen befinden. Dies betrifft sowohl die Produktionsstruktur, den Handel mit Waren und    Dienstleistungen, die Investitionstätigkeit und den Rückfluß der Gewinne sowie die getätigten Forschungs- und Entwicklungs­ ausgaben (Doremus, Kellner, Pauly, Reich 1998). Folglich ergänzen die ADI den Trend, der auf den Waren-, Güter- und Dienstleistungsmärkten generell zu verzeichnen ist: Sie sind regional konzentriert, und in die Mehrheit der Länder auf der Welt fließen in Relation hierzu kaum Investitionen. Auf der anderen Seite bedeutet dies eine Konzentration in den Industrienationen über alle Branchen hinweg. Mit diesen Strukturveränderungen bilden sich Unternehmensnetzwerke heraus, in denen Unternehmen unterschiedlicher Größenordnung mit klaren Abhängigkeiten und Hierarchien verbunden werden.

Den im Endbericht angemahnten wettbewerbsrechtlichen Entscheidungen zur Minimierung der „Vermachtung der Märkte“ kann zugestimmt werden. Aber eine allein auf die Herstellung besserer Rahmenbedingungen für den Wettbewerb und eine darauf abzielende Kontrolle von Fusionen, sich abzeichnenden Kartellen und ihre Zerschlagung zentrierte Lösungsperspektive wird dem Problem nicht gerecht. Zurückzuführen ist diese verkürzte Sicht auf das dem Endbericht zugrundeliegende, aber der Realität widersprechende Verständnis vom „vollkommenen“ Wettbewerb als normale Marktform. Wir teilen nicht die Auffassung, dass der Trend zur „Vermachtung“ der Märkte zwar zu beobachten ist, aber die Probleme noch nicht gänzlich sichtbar sind und erst in der Zukunft eine Gefahr darstellen. Diese Einschätzung abstrahiert von den realen Marktgrößen und der Marktaufteilung, da im Prozess der Globalisierung die gesamte Welt oder große Regionen als Wettbewerbsfeld gelten. In Anbetracht des Gewichts von Unternehmen aus der OECD, die unter sich bereits die heimischen als auch die anderen Märkte aufgeteilt haben, ist der Zeitpunkt des Handelns längst überschritten.

Gleichfalls unterbelichtet bleibt die Abhängigkeit in Netzwerkstrukturen, die KMU an einen oder wenige große Unternehmen binden. Folgen und Begleitumstände von Fusionen sind fast immer Entlassungen, dauerhafte Arbeitsplatzvernichtung und Arbeitsverdichtung durch massive Rationalisierungen und der Abbau sozialer und tariflicher Leistungen und Schutzrechte. Verstärkt wird dieser Prozess durch Ausgliederungen und Verkäufe, da die Durchsetzung des „shareholder values“ im Rahmen von Fusionen/Übernahmen eine Konzentration auf das Kerngeschäft verlangt. Wirtschaftliche und damit politische Macht organisiert sich neu und verschwindet nicht durch den Wettbewerb in einer „globalisierten Wirtschaft“ oder durch „neue Unternehmen“. Die steigende unternehmerische Macht führt somit nicht nur zu den im Endbericht angeführten gesellschaftspolitischen Risiken, sie entwertet zunehmend auch die Mitbestimmung in den Betrieben, so dass sich die Fragen nach innerbetrieblicher Demokratie und sozialer Gestaltung vor einem veränderten Hintergrund stellen. In dieser Hinsicht sind die Instrumente auf nationaler und europäischer Ebene zu stärken, die den Beschäftigten ihre sozialen Rechte sichern und im Zeitalter von „Megafusionen“ auf die neuen Bedingungen reagieren. Informationsrechte allein helfen kaum, hier bedarf es neuer, effektiver Einflussmöglichkeiten auf nationaler und europäischer Ebene.

Empfehlung

Angesichts der sozialen Dimension von Fusionen und Unternehmensübernahmen sind die Aspekte der sozialen Sicherungen in den entsprechenden Gesetzen und Verordnungen (Übernahmegesetz und EU-Übernahmericht­ linie) stärker zu verankern bzw. durch Erweiterungen zu flankieren. Zur Sicherung der Interessen von Öffentlichkeit und Belegschaften sollen Regelungen für Übernahmen vorsehen, dass sie nur nach intensiver Information der Belegschafts- und Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertretern und in besonderen Fällen nur mit Zustimmung der Belegschaften/Gewerkschaften erfolgen dürfen. Gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen sollten ein befristetes Verbot von Massenentlassungen und Betriebsschließungen als Folge von Fusionen enthalten und vorsehen, dass die sozialen Kosten von Folgemaßnahmen durch die Unternehmen zu tragen sind.

11.3.3.2.3  Wettbewerbsordnung

Der im Endbericht thematisierte beitrittsoffene plurinationale Ansatz (Clublösung) als „Keimzelle einer globalen Wettbewerbsordnung“ erscheint uns problematisch. Richtig und wichtig ist die angemahnte bessere Absprache und globale Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vor allem in den Industriestaaten. Allerdings kann die Konstitution eines internationalen „Wettbewerbsregimes“ nicht allein durch die Bedürfnisse und Interessen der Industrieländer bestimmt werden, die mit einer „Clublösung“ die weitere Debatte vorgeben. Ein vergleichbares Ansinnen unterliegt dem ebenfalls angeführten Vorschlag der EU-Kommission, das Thema „Handel und Wettbewerb“ in der WTO zu behandeln und zu verankern. Wir erachten zwar eine künftige multilaterale Vereinbarung über wettbewerbspolitische Mindeststandards als notwendig, halten aber die WTO nicht für den geeignete Ort, um das Thema „Wettbewerb“ zu regeln. Multi- und plurinationale Regelungen müssen an die Einhaltung international gültiger Sozial- und Umweltstandards sowie menschenrechtlicher und demokratischer Normen gebunden, darüber hinaus jedoch auch mit entwicklungspolitischen und strukturpolitischen Zielsetzungen verbunden werden. Das Regelwerk der WTO umfasst aber genau diese Ziele und Regelwerke nicht (siehe oben). Offensichtlich wird die Diskrepanz zwischen der im Endbericht skizzierten quantitativen und qualitativen Ungleichheit in der Globalisierung (Volkswirtschaften und Unternehmen), die sich einerseits in der Behandlung von Fragestellungen in der WTO unter dem Aspekt des „special and differential treatment“ niederschlägt. Andererseits wird genau diese Differenzierung mit dem Hinweis, ein „level playing field“ durch eine gemeinsame Wettbewerbs- und Ordnungspolitik zu schaffen, in Abrede gestellt oder stark begrenzt (Kapitel 3.3.2. Wettbewerb und Entwicklungsländer).

Im Kern sind die wettbewerbsrechtlichen Fragen trotz aller fehlenden Regelungen in den Entwicklungs- und Schwellenländern sowie den dortigen personellen und finanziellen Unzulänglichkeiten ein Problem der OECD-Nationen. Denn hier sind die „global player“ im wesentlichen beheimatet, werden sie hofiert und zur guten    Aufstellung des heimischen Standortes im „globalen Wettbewerb“ für notwendig erachtet. Aus den daraus abgeleiteten wirtschafts- und sozialpolitischen Strategien ergeben sich die Probleme der Oligopolisierung und Monopolisierung auf den internationalen Märkten, die häufig den Entwicklungsanstrengungen im Rest der Welt zuwiderlaufen und auch hierzulande zu sozialen Problemen führen.

Unabhängig davon sehen wir die Notwendigkeit, über die bisherigen bilateralen Abkommen und internationalen Vereinbarungen hinauszukommen, um das Problem der Konzentration zu minimieren. Internationale Vereinbarungen über Mindeststandards des internationalen Wettbewerbsrechts, die parallel zum Ausbau der bilateralen Zusammenarbeit geschlossen werden könnten, würden einen Beitrag zur Vermeidung von Durchsetzungs-Konflikten leisten, ohne dass eine Aufweichung des erreichten Schutzniveaus – z.B. bei der Fusionskontrolle – zu befürchten wäre. Der im Endbericht angeführte plurilaterale Ansatz kann somit höchstens die Aufgabe übernehmen, so lange kein multilaterales Regelwerk unter VN-Hoheit exis­ tiert, die bestehenden Probleme zu minimieren.

Empfehlung

Angesichts der unzureichenden Zielsetzung und Struktur der WTO ist die Behandlung der Frage „Handel und Wettbewerb“ auf die Ebene der VN zu verlagern. Mit allen relevanten Institutionen sind hier die Themen Wettbewerb und Investitionen zu behandeln, wobei die gleichberechtigte Teilnahme der betroffenen Länder, sozialen Gruppen und Parlamenten zu gewährleisten ist.

Empfehlung

Ein plurinationaler Ansatz sollte zunächst nur verbindliche Schritte für die Länder beinhalten, die eine entwickelte Wettbewerbsordnung sowie eine effiziente Fusionskontrolle besitzen und entsprechende Institutionen aufgebaut haben. In Anbetracht dessen, dass die überwiegende Zahl der Konzerne aus dem Gebiet der OECD stammen und die überwiegende Zahl von Über­ nahmen/Fusionen sich in diesen Staaten abspielen, könnte damit ein Schritt gegen die weitere „Vermachtung der Märkte“ erreicht werden, ohne die zwischen den Staaten getroffenen Vereinbarungen als „globalen Ordnungsrahmen“ vorzugeben.

Empfehlung

Angesichts der ökonomischen Unterschiede, der speziellen Bedürfnisse und der Unzahl bilateraler Abkommen empfehlen wir auf regionaler Ebene – z.B. im Rahmen der UNCTAD – ähnliche plurinationalen Ansätze zwischen Entwicklungs- und Schwellenländer zu fördern, die sich auf die spezielle Situation der nachholenden Entwicklung beziehen und kooperative Lösung von Problemen finden und im Sinne einer gemeinsamen Interessenvertretung (capacity building) gegenüber transnationalen Konzernen und den OECD Staaten agieren. Diese sind in Handelsverträgen auf jeder Ebene anzuerkennen und nicht als „Wettbewerbsbeschränkungen“ aufzufassen.




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