*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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3.3.3       Liberalisierung von Dienstleistungen durch GATS41

3.3.3.1    Das GATS-Abkommen

Der Handel mit Dienstleistungen gilt als dynamischer Wachstumsbereich der Weltwirtschaft. Nach Angaben der WTO erreichte der Dienstleistungshandel im Jahr 1999 einen Wert von 1,34 Billionen US-Dollar (WTO 2000a), was rund einem Fünftel des gesamten Welthandels entspricht. Dreiviertel der Dienstleistungsexporte entfallen auf Industrieländer. Größte Exporteure sind die EU und die USA. Der Auslandsreiseverkehr und der Transport stellen die bedeutsamsten Sektoren dar, ihre Umsätze machen 32,8 bzw. 23 Prozent des weltweiten Dienstleis­ tungshandels aus (WTO 2000a). Der Dienstleistungsanteil am Welthandel gilt jedoch als relativ gering im Vergleich zur stetig angewachsenen ökonomischen und beschäftigungspolitischen Bedeutung des tertiären Sektors. In den OECD-Staaten tragen Dienstleistungen 60 bis 70 Prozent zum BIP bei und beschäftigen 64 Prozent der Arbeitnehmer (OECD 2000i).

Entwicklungsländer haben sich während der Uruguay-Runde zunächst gegen die Aufnahme von Dienstleistungen in das Regime der WTO ausgesprochen. Ihre eigene Service-Industrie sei zu schwach entwickelt, so dass sie bei verfrühter Marktöffnung dem verschärften Wettbewerb nicht standhalten könne. Dass es dennoch zur Einigung auf das GATS kommen konnte, ist auch auf die Lobbyarbeit einflussreicher Dienstleistungskonzerne der Industrieländer zurückzuführen.

3.3.3.1.1 Wesentliche Bestimmungen

Im Rahmen des GATS wurde ein Schema entwickelt, das Dienstleistungen in zwölf Sektoren unterteilt:

   Im Prinzip umfasst das GATS alle Dienstleistungen, ausgeschlossen sind nur solche, die „in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht“ (Art. I) werden und Luftverkehrsrechte. Ferner werden im Artikel I vier Erbringungsarten (sog. „Modes“) des Dienstleistungshandels unterschieden:

1.   grenzüberschreitende Lieferungen,

2.   der Konsum von Dienstleistungen im Ausland (z. B. Tourismus),

3.   die kommerzielle Präsenz im Ausland und

4.   die zeitweise Migration von Dienstleistungserbringern.

Damit erstreckt sich das GATS nicht nur auf den klassischen grenzüberschreitenden Handel, sondern auf ausländische Direktinvestitionen und befristete Arbeitsmigration. Da gegenwärtig mehr als 50 Prozent der weltweit getätigten ausländischen Direktinvestitionen in die Service-Industrie fließen, kommt der Erbringungsart 3 eine besondere Bedeutung zu (Hufbauer und Warren 1999). Das GATS gilt daher als ein Handels- und Investitionsabkommen.

Das GATS unterscheidet zwischen allgemeinen Verpflichtungen, die für alle WTO-Mitglieder gleichermaßen gelten und den spezifischen Verpflichtungen, die insoweit gelten, wie die Mitglieder konkrete Verpflichtungen eingegangen sind. Das flexible Konzept erlaubt den Staaten, die zu liberalisierenden Sektoren selbst zu bestimmen (Bottom-up-Ansatz).

3.3.3.1.2 Meistbegünstigung

Meistbegünstigung verlangt, dass Handelsvergünstigungen, die einem Land gewährt werden, auch allen anderen WTO-Mitgliedern zugestanden werden. Allerdings gibt es im GATS einige allgemeine Meistbegünstigungsausnahmen, so für regionale Integrationsabkommen (Art. V). Diese Ausnahme ist z.B. für die EU von Bedeutung, da sie verhindert, dass Handelsvorteile des Binnenmarkts umstandslos auch Drittstaaten gewährt werden müssen. Daneben gewährte das GATS länderspezifische Meist­ begünstigungsausnahmen, die bis zum Abschluss der Verhandlungen angemeldet werden mussten. Die In­ dustrie­ länder, v.a. die der EU, haben zahlreiche Meistbegünstigungsausnahmen angemeldet, so bei Finanzdienstleistungen, Telekommunikation, audiovisuellen Diensten, Seeverkehr und bei der Erbringungsart des grenzüberschreitenden Personenverkehrs.

3.3.3.1.3 Transparenz

Artikel III enthält die Verpflichtung, alle Maßnah- men, die den Dienstleistungshandel betreffen, zu veröffentlichen. Einmal im Jahr muss die WTO über Gesetzesänderungen, Vorschriften oder Verwaltungsricht­ linien unterrichtet werden. Zwei Jahren nach Errichtung der WTO mussten nationale Auskunftsstellen eingerichtet werden, die andere Mitglieder über alle den Dienstleistungshandel betreffende Maßnahmen informieren.

   3.3.3.1.4 Innerstaatliche Regulierung

Mit dem Artikel VI über die innerstaatliche Regulierung ist ein sensibler Bereich des GATS angesprochen. Die Brisanz der GATS-Verhandlungen liegt darin, dass bedeutende Hemmnisse für den internationalen Handel mit Dienstleistungen nicht in Maßnahmen der Zollpolitik, sondern in innerstaatlichen Regelungen bestehen. Mit dem GATS wurde eine multilaterale Verhandlungsinstanz geschaffen, die die Entwicklung verbindlicher Disziplinen für Gesetzgebung und Regulierung aller Dienstleis­ tungsmärkte zum Zweck hat. Damit greift das GATS in die Innenpolitik der WTO-Mitglieder ein und berührt oft zentrale Bereiche staatlicher Regelungshoheit. Mit der Klausel, dass Dienstleistungen, die “in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht” werden (Art. 1, Abs. 3 b), von der Liberalisierung ausgenommen sind, bleibt unklar, ob öffentliche Dienste, die der Befriedigung grundlegender gesellschaftlicher Bedürfnisse (Gesundheitsversorgung, Bildung, Infrastruktur) dienen, durch handelsbezogene Maßnahmen geschützt werden dürfen. Dies wäre nur erlaubt, wenn ein solcher Dienst „weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht wird“. Problematisch könnten alle Bereiche sein, die teilprivatisiert sind oder in denen quasistaatliche oder private Anbieter öffentliche Aufgaben (z. B. bestimmte Gemeinwohlverpflichtungen) wahrnehmen. Es besteht Unsicherheit, die durch zukünftige Interpretationen dessen, was als hoheitliche Aufgabe unter dem GATS gelten soll, noch erhöht wird. Zwar wird in der Präambel und im Artikel VI das Recht der Mitgliedstaaten bestätigt, die Erbringung von Dienstleistungen nach ihren politischen Zielen zu regulieren. Liberalisierungsverpflichtungen dürfen aber nicht eingeschränkt werden. Der Rat für den Dienstleistungshandel wird in Artikel VI beauftragt, Disziplinen zu entwickeln, die gewährleisten, dass nationale Qualifikationserfordernisse, technische Normen sowie Zulassungsverfahren keine unnötige Belastung des Dienstleistungshandels darstellen. Welche politischen Ziele handelsbeschränkende Maßnahmen legitimieren können, bleibt ungeklärt.

Zur Erarbeitung sektorübergreifender Disziplinen wurde unter dem GATS eine „Working Party for Domestic Regulation“ eingesetzt. Das GATS erzeugt Druck, über nationale Regelungen in einen internationalen Beratungspozess mit interessierten Parteien einzutreten (OECD 2000f). Offen ist, wie weit nationale Politikpräferenzen gegenüber Handelspartnern zurückgestellt werden, insbesondere, wenn es Druckmittel seitens dieser Länder gibt.

3.3.3.1.5 Wettbewerbsregeln und Notstandsmaßnahmen

Der Artikel VIII über Monopole und Dienstleistungserbringer mit ausschließlichen Rechten ist in seiner Reichweite begrenzt. Im Fall wettbewerbsbeschränkender Praktiken (Art. IX) verpflichtet das GATS zu wechselseitigem Informationsaustausch und Konsultationen mit dem Ziel, die Praktiken zu unterbinden. In Artikel X werden Verhandlungen über sog. Notstandsmaßnahmen, d.h. die zeitlich befristete Rücknahme von Liberalisierungsverpflichtungen, vorgeschrieben. Gewerkschaften, aber auch Entwicklungsländer fordern hierbei verbindliche Notstandsmaßnahmen. Während die EU eine gewisse Aufgeschlossenheit in dieser Frage signalisiert, sind andere Industriestaaten bisher ablehnend. Sie verweisen auf die ihrer Ansicht nach hinreichende Flexibilität des GATS.

Es gibt Forderungen, dass eine Sicherheitsklausel den Schutz des inländischen Arbeitsmarkts ermöglichen solle. Eine solche Klausel sollte Frühwarnsysteme über die Beschäftigungsentwicklung enthalten sowie eine flexible Anwendung hinsichtlich der verschiedenen Erbringungsarten erlauben (Dessewffy 1999: 10f.).

3.3.3.1.6 Zahlungen und Übertragungen

Die Industrieländer streben eine Lockerung der in Entwicklungsländern z.T. verbreiteten Kapitalverkehrskontrollen an, mit denen diese sich gegen unerwünschte Zu- und Abflüsse abzusichern versuchen. Artikel XI verbietet die „Beschränkung internationaler Übertragungen und Zahlungen im Rahmen laufender Geschäfte, die mit ihren spezifischen Verpflichtungen zusammenhängen“. Nur bei „bestehenden oder drohenden schwerwiegenden Zahlungsbilanzstörungen oder externen Zahlungsschwierigkeiten“ sind Ausnahmen möglich (Mattoo 1998).

3.3.3.1.7 Öffentliches Beschaffungswesen

Das öffentliche Beschaffungswesen ist ein Bereich von großer ökonomischer Bedeutung. Es wird geschätzt, dass die weltweiten öffentlichen Aufträge jährlich einem Wert von zehn bis fünfzehn Prozent des Welt-BIP entsprechen. Artikel XIII nimmt die öffentliche Beschaffung ausdrücklich vom Meistbegünstigungsprinzip, Marktzugang und von der Inländerbehandlung aus. Es ist aber gefordert, dass innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der WTO-Verträge Verhandlungen hierüber stattfinden sollen.

Parallel besteht schon ein Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen im Rahmen der WTO, das die Inländerbehandlung und Nichtdiskriminierung bei öffentlichen Aufträgen regelt. Hierbei handelt es sich jedoch um ein „plurilaterales“ Abkommen, das nur für die Unterzeichner gilt, u.a. EU, USA und Japan. Die EU hat in Sektoren Ausnahmen festschreiben lassen, so in den Bereichen Telekommunikation, Verkehr, Elektrizitäts- und Wasserversorgung.

Gewerkschaften fordern, dass weitere Marktöffnungszugeständnisse bei öffentlichen Aufträgen der EU nur bei Einhaltung der ILO-Konventionen 94 (Regierungsaufträge), 95 (Lohnschutz) und 98 (Vereinigungsfreiheit, Kollektiv­ vertragsrecht) gemacht werden dürfen. Ein zukünftiges europäisches Vergaberecht könnte eine Orientierung für das entsprechende WTO-Abkommen sein (Dessewffy 1999, DGB 2001a). Der EGB fordert, dass bei der Überprüfung mehrerer EU-Direktiven zu öffentlichen Aufträgen für die Bereiche Lieferungen, Dienstleistungen, Bauarbeiten, Wasser, Energie und Verkehr Sozialklauseln integriert werden. Die EU wird aufgefordert, erst nach öffentlicher Diskussion ihrer geplanten Mitteilungen zu den sozialen und ökologischen Aspekten öffentlicher Beschaffung Veränderungen an den genannten Direktiven vorzunehmen.

   3.3.3.1.8    Allgemeine Ausnahmen

Artikel XIV räumt Ausnahmen von Liberalisierungsverpflichtungen ein. Dazu gehören Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zum Schutz des Lebens und der Gesundheit. Mit Ausnahme des Gesundheitsschutzes fehlen weitergehende Arbeits- und Sozialstandards, die handelsbeschränkende Maßnahme rechtfertigen könnten.

3.3.3.1.9    Subventionen

Anders als das GATT enthält das GATS keine verbindlichen Regelungen zur Subventionierung von Dienstleis­ tungen. Artikel XV enthält nur den Hinweis, dass Subventionen zu Verzerrungen im Dienstleistungshandel führen können und verlangt die Aufnahme von Verhandlungen über multilaterale Disziplinen und im Falle subventionsbezogener Konflikte. Allerdings können Subventionen wegen der Prinzipien der Inländerbehandlung und der Meistbegünstigung unter die GATS-Bestimmungen fallen.

3.3.3.1.10  Spezifische Verpflichtungen

Zwar gelten für das GATS mit dem Marktzugang (Art.XVI), der Inländerbehandlung (Art. XVII) und der Meistbegünstigung (Art II) die gleichen Prinzipien, die auf den Güterhandel angewendet werden. Die Prinzipien Marktzugang und Inländerbehandlung sind nur auf diejenigen Sektoren anwendbar, die die WTO-Mitglieder in Länderlisten spezifischer Verpflichtungen aufgenommen haben. Während die Industrieländer alle wichtigen Sektoren in ihren Länderlisten zumindest abdecken, haben Entwicklungsländer eine geringere Zahl von Sektoren liberalisiert. Aufgrund der flexiblen Struktur des GATS, die es den Staaten überlässt, die zu liberalisierenden Sektoren selbst zu bestimmen, spricht man auch von einem „Bottom Up“-Ansatz. Artikel XVI, 2 zum Marktzugang umfasst alle quantitativen Handelshemmnisse, die untersagt sind, es sei denn, es werden entsprechende Rechte in Länder­ listen aufgenommen. Wenn ein Mitglied Verpflichtungen zur Inländerbehandlung in seine Länderliste aufnimmt, müssen in- und ausländische Anbieter eine gleichwertige Behandlung erfahren.

3.3.3.1.11 Fortschreitende Liberalisierung

In Artikel XIX wird das Prinzip fortschreitender Liberalisierung festgeschrieben. Spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens sollen die Mitglieder eine neue Verhandlungsrunde zum GATS starten. Damit wird deutlich, dass mit dem GATS der institutionelle Rahmen für weitere Liberalisierungsverhandlungen geschaffen wurde, um schrittweise zu einem höheren Stand der Liberalisierung zu gelangen. Neue Liberalisierungsangebote werden zum 31. März 2003 folgen.

3.3.3.1.12 Institutionelle Bestimmungen

Teil V des GATS enthält institutionelle Bestimmungen über Streitbeilegung und Einrichtung des Rats für den Dienstleistungshandel. Einseitige Handelssanktionen sind unzulässig. Ausgleichsmaßnahmen dürfen im Fall des Dienstleistungshandels allerdings nicht nur sektor­ übergreifend vorgenommen werden, sondern auch auf den Warenhandel übergreifen.

3.3.3.1.13 Struktur der EU-Verpflichtungen

Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben eine gemeinsame Liste spezifischer Verpflichtungen (WTO 1994b). In diese Liste sind die Beschränkungen bei Marktzugang und Inländerbehandlung eingetragen. Die allgemeinen Verpflichtungen erstrecken sich auf sämtliche Sektoren, die in der Rubrik der spezifischen Verpflichtungen aufgelistet sind.42

Bei horizontalen Verpflichtungen hat die EU eingetragen, dass in EU-Mitgliedstaaten Dienstleistungen, die auf nationaler oder örtlicher Ebene als öffentliche Aufgaben betrachtet werden, staatlichen Monopolen oder ausschließlichen Rechten privater Betreiber unterliegen können (WTO 1994b). Die EU behält sich das Recht vor, den Marktzugang im Bereich öffentlicher Aufgaben einzuschränken. Dies gilt prinzipiell auch für nachgeordnete Gebietskörperschaften. Bei der Subventionierung von Forschung und Entwicklung sind die EU-Staaten keinerlei Verpflichtungen eingegangen, d.h. sie behalten sich das Recht vor, staatliche Förderungen nicht auf niedergelassene Anbieter aus Drittstaaten auszuweiten.



41 Der wissenschaftliche Input zu diesem entstammt dem Gutachten von Fritz (2002).

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42 Etwa die Meistbegünstigung, Transparenz, verstärkte Beteiligung der Entwicklungsländer, Regionale wirtschaftliche Integration, Abkommen über die Integration von Arbeitsmärkten u. v. m.

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