*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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4.9.2.3 Arbeitsmigration

4.9.2.3.1  Allgemeine Entwicklungen52

Die Migration der Arbeitskräfte ist ein wichtiger Bestandteil der Globalisierung; sie wird durch wirtschaftliche und politische Faktoren beeinflusst und wirkt sich andererseits auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt aus (Lorenz 2001: 2). Angaben der International Organisation for Migration (IOM) zufolge waren im Jahr 2000 etwa drei Prozent der Weltbevölkerung Migranten. Die absolute Anzahl der Migranten stieg damit von 120 Millionen im Jahr 1990 auf 150 Millionen im Jahr 2000. Mit steigender Tendenz gehören auch immer mehr Frauen zu den Migranten, sie machen derzeit fast die Hälfte. Europa, Nordamerika und einige Länder Asiens zählen zu den bedeutendsten Einwanderungsländern. So verzeichnet die USA eine jährliche legale Zuwanderung von einer Million Menschen. Weitere 300 000 wandern nach Schätzungen der IOM illegal ein (vgl. auch Kapitel 6.2.2.2).

Zur Zeit leben etwa über 90 Millionen Arbeitsmigranten und ihre Familien legal oder illegal außerhalb ihrer Herkunftsländer. Die Migration von Arbeitskräften ist noch immer eine wichtige Komponente der internationalen Wanderungsbewegungen, und ihre Entwicklung spiegelt tiefgreifende Veränderungen bei der Weltwirtschaft wider, vor allem auf der regionalen und interregionalen Ebene (Lorenz 2001: 1).

Die Migration aus den Entwicklungsländern ist dabei sowohl im Hinblick auf die Herkunfts- als auch auf die Zielländer vielfältiger geworden. Sie wird durch die Globalisierung, die technologischen Fortschritte bei Kommunikation und Transport und das Wachstum regionaler Wirtschaftsblöcke (in Europa, Nordamerika, Asien und dem pazifischen Raum) erleichtert. Während die Migration der Arbeitskräfte aus den Entwicklungsländern in die    Industriestaaten andauert, haben Wanderungsbewegungen zwischen den Entwicklungsländern, sowie die Ost-West-Ströme, vor allem in Europa, erheblich zugenommen. Heute kommt es außerdem häufiger zu Bewegungen innerhalb von Regionen, und jede Region hat ihre eigenen typischen Muster (z. B. die Systeme der zeitlich begrenzten Verträge in Asien).

Da viele Zielländer der Migranten die Möglichkeiten für eine dauerhafte Einwanderung stark eingeschränkt haben, ist die vorübergehende oder illegale Migration für viele Menschen die einzige Möglichkeit zur Migration. Selbst in Ländern wie Australien, Kanada, Neuseeland und den Vereinigten Staaten, die weiterhin dauerhafte Einwanderungsgenehmigungen vergeben, ist die vo­ rübergehende und illegale Migration dramatisch angestiegen.

Nach wie vor ist die Migrationspolitik der Zielländer durch den Versuch gekennzeichnet, die Migranten nach den Erfordernissen des heimischen Arbeitsmarkts aus­ zuwählen und zu steuern. In den 60er Jahren war z. B. die einheimische Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland vollbeschäftigt, und es gab eine zusätzliche Nachfrage aus der Wirtschaft. Um diese Lücke auf dem Arbeitsmarkt zu schließen, wurden massenhaft Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben. Auch damals wurden die Grenzen nicht für alle, sondern nur für den prognostizierten Arbeitskräftebedarf geöffnet. Die ausländischen Arbeitskräfte wurden vorher anhand ihres Alters und gesundheitlichem Zustand aus einem Bewerberpotenzial ausgewählt. Heute ist der Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland durch Massenarbeitslosigkeit gekennzeichnet. In einigen Branchen, insbesondere in der Informationswirtschaft, wird jedoch zeitgleich ein Mangel an Fachkräften beklagt. Die Möglichkeit, auf ausländische Fachkräfte zurückzugreifen, kann aber in den Zielländern die Motivation senken, in hinreichendem Maße finanzielle Ressourcen für eine angemessene Bereitstellung von Ausbildungskapazitäten bereitzustellen.

Allgemein globalisiert wurde die legale Migration von Arbeitskräften nur für Gruppen bestimmter Spezialisten wie Computer-Fachleute, bei denen in vielen westlichen Ländern die Nachfrage nicht ausreichend durch einheimische Kräfte gedeckt werden kann. In manchen Fällen ist die Arbeit zu Subunternehmern in Ländern wie Indien ausgelagert worden, in denen ein großes Reservoir von Fachkräften existiert. Außerdem werben, vor allem in den USA, private Firmen selektiv Fachpersonal aus Europa und Südamerika an (Lorenz 2001: 3).

Ein zentrales Probem in diesem Zusammenhang all­ gemeiner Migration, ist die Zunahme der illegalen Einwanderung und des Menschenschmuggels als schwer­ wiegende Folge des Ungleichgewichts zwischen dem Emigrationsdruck und der restriktiven Einwanderungspolitik traditioneller Zielländer. Illegale Einwanderung, Menschenschmuggel sowie Zwangsprostitution sind wichtige Themen für eine Folge-Enquete-Kommission.

4.9.2.3.2  Die Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte53

In der Diskussion um die digitale Spaltung spielt die Migration von Fachkräften des IuK-Sektors eine zentrale Rolle. Hier existiert seit mehreren Jahren ein ausgeprägter internationaler Wettbewerb. Dabei übersteigt die Nachfrage das Angebot an Arbeitskräften im IuK-Sektor deutlich.

Neben der Notwendigkeit, genügend hochqualifizierte Arbeitskräfte auszubilden, muss auch Vorsorge getroffen werden, um Fachkräfte mit monetären und nicht-monetären Anreizen im Land zu halten bzw. sie zur Rückkehr zu bewegen. Kehren Migranten in ihr Heimatland zurück, können sich das erworbene Wissen und die internationalen Kontakte in Wissenschaft und Industrie positiv auf die Volkswirtschaft des Heimatlandes auswirken. Dieses „brain gain“ gilt insbesondere für Entwicklungs- und Schwellenländer. Der IOM zufolge konnte Mexiko von einer Person, die in den USA ein Jahr Berufserfahrung gesammelt hat, acht Mal höher profitieren, als wenn die entsprechende Person in Mexiko geblieben wäre (IOM 2001: 33). Teilweise wird dieser Verlust von Humankapital durch Rückkehrer kompensiert, die den Aufbau einer einheimischen Software Industrie durch ihre Berufserfahrungen und internationalen Kontakte in hohem Masse fördern (Zuwanderungskommission 2001: Kap. 6.4). Dennoch wird der finanzielle Verlust durch Brain Drain z. B. in Indien im Jahr 2000 auf zwei Milliarden US-Dollar geschätzt (UNDP 2001a).

Fazit ist, dass die Abwanderung von Fachkräften in vielen Ländern ein reales Entwicklungshemmnis darstellt. Die Zuwanderungskommission der Bundesregierung schreibt hierzu:

„Grundsätzlich gefährdet eine Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften die technische Kompetenz eines Landes, und sie kann potenzielle Entwicklungschancen reduzieren. Die Abwanderung kann Auswirkungen auf das im Land vorhandene Know How, die Produktivität und nicht zuletzt die gesamtgesellschaftliche Entwicklung haben. Negative Rückwirkungen auf den Arbeitsmarkt des Herkunftslandes sind nicht ausgeschlossen. Es besteht die Gefahr eines sich selbst verstärkenden Prozesses wirtschaftlichen Niedergangs und der Nichterfüllung staatlicher Aufgaben, was weitere Abwanderung nach sich ziehen kann.“ (Zuwanderungskommission 2001: Kap. 6.4)

Im Bereich des Brain Drain fehlen verlässliche, international vergleichbare Zahlen. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die Emigration hochqualifizierter Arbeitskräfte insgesamt, d.h. nicht nur IuK Experten, aus Süd- und Mittelamerika und Asien nach Nordamerika besonders hoch ausfällt. So hielten sich im Jahr 2000 annähernd 200000 hochqualifizierte Arbeitskräfte, vor allem Software Experten aus Indien, mit H-1B Visen in den USA auf, die ihnen eine Arbeitserlaubnis von    zunächst drei Jahren gewähren. In Indien verlassen ca. 60 Prozent der Absolventen der Technischen Universitäten das Land (Zuwanderungskommission 2001: 81).

Afrika hat Schätzungen der Weltbank zufolge zwischen 1960 und 1987 etwa ein Drittel seiner ausgebildeten Fachkräfte an die Industrieländer verloren. Auch weiterhin wandern durchschnittlich jährlich ca. 23000 qualifizierte Arbeitskräfte insbesondere Akademiker und Ingenieure ab (Kriks 1997: 232f., Körner 1998: 27, Weltbank 1995). Zwischen 1988 und 1997 wanderten ca. 233 000 Südafrikaner dauerhaft in fünf Länder (GB, USA, Kanada, Australien, Neuseeland) ab. Besonders betroffen sind Länder wie Nigeria, Ghana und der Sudan, aber auch nordafrikanische Länder wie Ägypten und Algerien (Stamm 2001a, Körner 1998: 27)54.

Die ökonomischen und sozialen Folgen des Brain Drain sind insbesondere für Entwicklungs- und Schwellen­ länder enorm. Die zentrale Frage ist, wie diese Kosten kompensiert, wie die betroffenen Länder ihre Aus­ bil­ dungssys­ teme erhalten und auf welchem Wege die Fachkräfte im Land gehalten bzw. zur Rückkehr bewegt werden können.

Eine Möglichkeit ist die Einführung von Steuern, um die finanziellen Verluste durch das Brain Drain zu kompensieren. Dabei werden verschiedene Konzepte diskutiert. Zum einen wird die “Exit-Steuer” debattiert. Diese Steuer wird erhoben, sobald ein Visum ausgestellt wird und entweder vom Arbeitnehmer oder dem neuen Arbeitgeber gezahlt. Zudem sollen Studierende eventuelle Darlehen beim Verlassen des Landes zurückzahlen. Des Weiteren wird über eine sogenannte Kopfsteuer diskutiert, die von allen im Ausland lebenden Personen zu zahlen wäre. Internationale Absprachen können zudem darauf hinwirken, den Verlust durch Brain Drain bilateral zwischen einzelnen Ländern auszugleichen (UNDP 2001a: 92).

Eine andere Möglichkeit wäre, von den Firmen und Institutionen, die in den Zuwanderungsländern von speziellen Anwerbeverfahren („Green Cards“) profitieren, eine Gebühr zu erheben, die sich ggf. an den üblichen Entlohnungen von „Head Huntern“ orientiert. Die so geschöpften Ressourcen könnten dann gezielt zur Förderung von Ausbildungskapazitäten in den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) eingesetzt werden.

Korea und Taiwan versuchen über attraktive Forschungsinstitute, eine moderne Wissenschaftsinfrastruktur, hohe Gehälter und Karrieremöglichkeiten sowie Investitionsmöglichkeiten für forschungsintensive High-Tech-Unternehmen Hochqualifizierte ins Land zurückzuholen. So lag die Rückkehrrate von Personen, die ihre Promotion in den USA abgeschlossen haben, in Korea in den 1960er Jahren bei ca. 16 Prozent während die Rate in den 1980er auf über zwei Drittel anstieg. Infolge der standortungebundenen Kommunikationsmöglichkeiten engagieren sich darüber hinaus beide Länder im Aufbau von internationalen Netzwerken (UNDP 2001a: 92, BMBF 2001d: 8).

In Afrika gestaltet sich die Rückkehr qualifizierter Arbeitskräfte aufgrund gravierender politischer, sozialer und ökonomischer Probleme wesentlich schwieriger. Dort versucht eine Kommission „The Return of Qualified African Nationals Programme“ die Reintegration hochqualifizierter Afrikaner, jedoch mit geringem Erfolg (UNDP 2001a: 92).



52 Dieser Abschnitt basiert auf Lorenz (2001).
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53 Dieser Abschnitt basiert auf Lorenz (2001).
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54 Die (zeitweilige) Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte betrifft auch Industrieländer. Grundsätzlich ist der mehrjährige internationale wissenschaftliche Austausch positiv zu bewerten und nicht als Brain Drain zu bezeichnen. So weist das BMBF in einer Studie darauf hin, dass 12-14 Prozent aller deutschen Nachwuchswissenschaftler im Durchschnitt 3-4 Jahre als Postdocs in den USA forschen. Die sehr produktive wissenschaftliche Zeit nach der Promotion wird folglich an führenden Forschungsuniversitäten oder -laboratorien in den USA verbracht. Eine ähnliche Situation ergibt sich in der Schweiz, die ebenfalls zu den Entsendeländern von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zählt. Als sogenannte Push-Faktoren werden ähnlich wie in Deutschland die Lage des akademischen Mittelbaus und des Ordinariensystems sowie abnehmende Forschungsfinanzierung genannt. Ein Pull-Faktor ist die Attraktivität eines Netzwerkes von gut ausgebildeten Nachwuchswissenschaftlern aus aller Welt, u. a. in Form von „Think Tanks“ und „Centers of Excellence“ (BMBF 2001d: 7f).
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