*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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4.9.3       Nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Gleichberechtigung55

Geschlechtliche Gleichberechtigung und nachhaltiges Wachstum stehen in einem Wechselverhältnis. Wirtschaftliches Wachstum hat nicht nur Auswirkungen auf die Verhältnisse der Geschlechter und das Maß der Gleichberechtigung von Frauen, sondern umgekehrt wirkt Gleichberechtigung auch auf Wachstumsprozesse. In einer kürzlich veröffentlichten Studie konstatiert die Weltbank (2001), dass Geschlechterdiskriminierung in vielen Ländern einhergeht mit gesamtgesellschaftlichen Folgen wie Armut, langsameres Wirtschaftswachstum, schlechtere Regierungsführung und geringere Lebensqualität (Weltbank 2001a; o.V. 2001).

Simulationsstudien der Weltbank über die Kausalität von Frauenbildung und Wachstum verdeutlichen exemplarisch die wesentlichen Zusammenhänge zwischen Geschlechtergleichheit und Wachstum. Errechnet wurden entgangene Wachstumseffekte durch fehlende Gleichberechtigungsstrategien im Bildungsbereich für Subsahara-Afrika, Südasien sowie die Region Nordafrika und Mittlerer Osten in der Zeit von 1960 bis 1992. Hätten diese Regionen 1960 gleiche geschlechtliche Ausgangsbedingungen beim Schulbesuch gehabt wie die Wachstumsregion Ostasien und diese bis 1992 auch im gleichen Maße verbessert wie Ostasien, wären folgende Erhöhungen der Pro-Kopf-Wachstumsraten möglich geworden: für Subsahara-Afrika um 0,7% jährlich, für Südasien um 1,7% jährlich und für Nordafrika und den Mittleren Osten sogar um 2,2% jährlich (Weltbank 2001a: 90f.).

   Ein Grund dafür, dass der wirtschaftliche Nutzen von In­ ves­ titionen in die Frauenbildung den Nutzen von Männerbildung übersteigt, liegt darin, dass Frauen einen deutlich größeren Teil ihrer zusätzlichen Einkommensgewinne in die Gesundheit und Ausbildung ihrer Kinder investieren. Zudem geht mit einem steigenden Bildungsgrad von Frauen die Ausbreitung von HIV signifikant zurück. Vor allem für städtische Gebiete empfiehlt die Weltbank die Erhöhung der Bildungs- und Beschäftigungsraten von Frauen als eines der wirksamsten Mittel, um HIV einzudämmen (Weltbank 2001a: 76). Mehr Bildung von Müttern senkt außerdem die Sterblichkeits- und Krankheitsraten von Säuglingen und Kleinkindern (Weltbank 2001a: 81).

Empirische Untersuchungen in Brasilien bestätigen gesamtgesellschaftliche Nutzeneffekte auch in Bezug auf Einkommenserhöhungen für Frauen. Sie zeigen, dass auch hier zusätzliches Haushaltseinkommen in den Händen von Müttern in einem sehr viel höheren Maß der nächsten Generation zu Gute kommt als Zusatzeinkommen, das einem männlichen Haushaltsvorstand zufließt.

Eng verbunden mit dem Zugang von Frauen zu Bildung, Gesundheitseinrichtungen und zur politischen Partizipation ist auch die Gewährleistung von Ernährungssicherheit, die die Grundvoraussetzung von gesellschaftlicher Entwicklung überhaupt darstellt. Insbesondere in Entwicklungsländern gefährden Benachteiligungen und Diskriminierungen von Frauen u.a. beim Zugang zu Krediten, zu Grundeigentum oder Produktionsressourcen die Versorgung von Familien mit Wasser und Nahrungsmitteln (Okeyo 2002, Murphy 2002: 14).

Darüber hinaus stellt die Weltbank in ihrer Studie fest, dass mehr rechtliche und politische Gleichberechtigung korreliert mit weniger Korruption in Wirtschaft und Politik und einhergeht mit „cleaner business and government and better governance“ (Weltbank 2001a: 12). Nach Auswertung von Daten aus mehr als 80 Ländern sinkt unter den Bedingungen ökonomischer und sozialer Gleichberechtigung von Frauen der Korruptionsindex auf die Hälfte des Wertes, den er in Gesellschaften mit ausgeprägter Ungleichheit zwischen Frauen und Männern annimmt (Weltbank 2001a: 95f). Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass Gesellschaften mit einem hohen Maß an geschlechtlicher Gleichberechtigung in der Regel auch demokratisch und transparent strukturiert und in soweit auch weniger korruptionsanfällig sind.

Gleichzeitig kann sich nachhaltiges Wirtschaftswachstum positiv auf die Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen auswirken und Geschlechtergleichheit fördern. Die einzelnen Haushalte investieren bei höherem Einkommen verstärkt in die Ausbildung der Töchter. Dadurch arbeiten auch mehr Frauen und sind durch ein eigenes Einkommen unabhängiger in ihren Entscheidungen. Darüber hinaus führt Wirtschaftswachstum meist zu mehr Investitionen in die Infrastruktur, Wasserversorgung, Transport und Energie, was die Arbeitszeit von Frauen und Mädchen im Haushalt deutlich verringert. Damit wird Zeit gewonnen, die jetzt für Schulbesuch, Lohnarbeit oder Gesundheitsvorsorge zur Verfügung steht. Allerdings darf die Auswirkung des Wirtschaftswachstums auf die Gleichberechtigung nicht überschätzt werden. Sie erfolgt zudem nicht automatisch, sondern hängt ab von anderen Faktoren wie z. B. dem Rechtsstatus der Frau, dem Zugang zu und der Kontrolle über Produktionsmittel oder den politischen Rahmenbedingungen. Deshalb müssen sich ökonomische Entwicklung und institutionelle Reformen ergänzen (Nord Süd 2002: 2)

Spiegelbildlich zur positiven Korrelation von Geschlechtergleichheit und Wachstum führt ein ein hohes Maß an Geschlechterungleichheit zu gesamtgesellschaftlichen und ökonomischen Kosten. Enorm hoch, wenn auch schwer zu beziffern, sind beispielsweise die gesellschaftlichen Kosten von Gewalt gegen Frauen. In ihren Untersuchungen der sozioökonomischen Kosten von Gewalt gegen Frauen unterscheidet die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) verschiedene Kos­ tenarten (UNICEF 2000: 12f.) Zu den direkten Kosten geschlechtlicher Gewalt gehören danach u.a. die Behandlungskosten für gesundheitliche Kurz- und Langzeitschäden der Opfer, die Kosten für Polizeidienste und die Kosten für die strafrechtliche Verfolgung der Täter sowie die Kosten für Frauenhäuser. Ökonomische Multiplikationseffekte von Gewalt gegen Frauen liegen beispielsweise in Fehlzeiten und verminderter Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz, in Einkommensverlusten und daraus folgend einem Rückgang der privaten Investitionen in Bildung und Ausbildung der Kinder. In armen Ländern verursacht Gewalt gegen Frauen demnach vor allem Kosten in Form von entgangenen Entwicklungschancen. Für Industrieländer existieren außerdem Schätzungen der monetären Kosten geschlechtlicher Gewalt. So kommt eine kanadische Studie zu dem Ergebnis, dass Gewalt gegen Frauen den Staat jährlich mit Kosten von mehr als einer Milliarde kanadischer Dollar belastet (UNICEF 2000: 12). Dies entspricht einem Prozent des kanadischen BSP (Weltbank 2001a: 78).

Zwischen Gleichberechtigung und Wachstum können jedoch auch Zielkonflikte auftreten. Dies verdeutlicht beispielsweise eine neuere vergleichende Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Wachstumseffekten, wie sie für den Prozess ökonomischer Globalisierung geradezu als idealtypisch gelten können, und geschlechtlicher Einkommensverteilung in semi-industrialisierten, export­ orientierten Ökonomien mit einem hohen Anteil an Frauen in der verarbeitenden Exportproduktion. Dazu zählen etwa Länder wie Malaysia, Sri Lanka und Taiwan (Seguino 2000). Diese empirische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Lohndiskriminierung von Frauen in solchen Ökonomien durchaus wachstumsfördernd sein kann (Seguino 2000: 1212). In allen betrachteten Fällen führte die geschlechtliche Segregation des Arbeitsmarktes zunächst dazu, dass in bestimmten Bereichen der Exportindustrie, in denen die Preiselastizitäten der Nachfrage vergleichsweise hoch sind, vorzugsweise Frauen beschäftigt wurden – und zwar deshalb, weil die im Vergleich zu Männern schlechtere Verhandlungsposition von Frauen es erlaubt, ihnen niedrigere Löhne zu zahlen. Exporterlöse bauen hier also gezielt auf Geschlechterungleichheit auf (Seguino 2000: 1222).

   Selbst wenn argumentiert wird, dass über den Zugewinn an Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen neue Gleichberechtigungseffekte entstehen können, ändert dies nichts an der Tatsache, dass auf der anderen Seite Ungleichheit zwischen Frauen und Männern in Bezug auf die Bezahlung manifestiert wird. Globalisierung als komplexer Prozess mag solche Widersprüchlichkeiten begünstigen. Ohne Einbettung in einen normativen Rahmen kann Wachstum das Ziel der Gleichstellung konterkarieren und zu gesellschaftlich gänzlich unerwünschten Effekten führen. So stellt auch die Weltbank unmissverständlich fest: „growth alone will not deliver the desired results. Also needed are an institutional environment that provides equal rights and opportunities for women and men and policy measures that address persistent inequalities“ (Weltbank 2001a: 1). Rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen, die Gleichberechtigung auch auf dem Arbeitsmarkt gewährleisten, sind damit eine zentrale Voraussetzung für Wachstum und Gleichberechtigung.

Ohne politische Steuerungen, ohne Gleichstellungsgesetze und ohne ein bestimmtes Maß an Frauenfördermaßnahmen sind solche Entwicklungen, wie die Weltbank zu Recht betont, kaum zu erwarten (Ruppert 2002: 18-27).



55 Dieses Kapitel basiert auf einem Gutachten von Ruppert (2002).

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