*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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5.2          Teilhabe an der und Recht in der Wissensgesellschaft

5.2.1       Digitale Spaltung – Ursachen, Risiken, Überwindung

Definition und Einführung in das Problem:

Mit der zunehmenden Verlagerung der Kommunikation, des wirtschaftlichen Handelns aber auch der politischen Willensbildung und -äußerung in das Internet, stellt sich die Frage nach einer gerechten Partizipation aller Staaten und Bevölkerungskreise an den durch die neuen Techniken eröffneten Möglichkeiten. Als digitale Spaltung – oft auch als „digital divide“ bezeichnet – wird die Spaltung derjenigen in der Gesellschaft, die Zugang zu Informationen und neuen Techniken haben, von denjenigen, die keinen Zugang dazu haben, bezeichnet (Holznagel 2002: 7). Der Begriff der digitalen Spaltung beschreibt zudem die weltweit extrem ungleiche Verteilung von Informations- und Kommunikationstechniken. Dabei ist zwischen der digitalen Spaltung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern (vgl. Kapitel 5.2.1.1.1) und der digitalen Spaltung innerhalb der Industrieländer (vgl. Kapitel 5.2.1.1.2) zu unterscheiden.

Die Teilung der Gesellschaft in Teilnehmer und Teilnehmerinnen sowie Nichtteilnehmer und Nichtteilnehmerinnen an neuen Informations- und Kommunikationstechniken ist angesichts des umfassenden Strukturwandels in Europa und in der Welt hin zur Wissensgesellschaft ein zentrales Zukunftsproblem. Zum einen zeigt sich, dass die Diskrepanz zwischen den „Information-Haves“ und den „Information-Have-Nots“ im globalen Maßstab größer geworden ist, zum anderen hat die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung des Zugangs zu Informationen im Übergang zu einer stärker wissenszentrierten Ökonomie erheblich zugenommen. Die digitale Spaltung von heute kann die soziale Spaltung von morgen bedeuten. Je mehr wirtschaftliche und öffentliche Angebote elektro    nisch sowie digital angeboten werden, desto weniger ist die Trennung in Nutzer und Nutzerinnen sowie Nichtnutzer und Nichtnutzerinnen politisch hinnehmbar. Je stärker gesellschaftlich relevante Informationen und Kommunikationen in elektronischen Netzwerken stattfinden, desto stärker wirken sich soziale Unterschiede im Zugang und Umgang mit den neuen IuK-Möglichkeiten aus. Teilhabe und Erfolg in den schulischen, akademischen und beruflichen Karrieren sowie die Organisation der Freizeitgestaltung setzen zunehmend einen selbstverständlichen und kompetenten Umgang mit den neuen Medien voraus. Aber auch die verstärkten Bemühungen, etwa Verwaltungsvorgänge oder die politische Teilhabe mittels IKT einfacher, bürgernäher und effizienter zu gestalten, sowie neue Dienstleistungsformen anzubieten, müssen an Grenzen stoßen, wenn immer noch ein Großteil der Bevölkerung die neuen IuK-Chancen nicht nutzen will oder kann. Aus politischer Sicht muss die Zielsetzung aller Initiativen sein, die hinreichende Teilnahme aller Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen, neue digitale Klüfte zu ver­ hindern und sich auf internationaler Ebene für eine bessere Chancengleichheit in den Entwicklungsländern einzusetzen.

Die Unterscheidung der digitalen Spaltung zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern ist unscharf, weil es innerhalb der Gruppe der Entwicklungsländer wie auch innerhalb der Gruppe der Industrieländer große Unterschiede gibt. Treffender ist z. B. die von der Weltbank benutzte Unterscheidung in Leader, Adopter und Latecomer. Leader sind die auf dem IT-Weltmarkt führenden Länder, z. B. USA, Kanada und Skandinavien. Die Adopter werden die digitale Lücke zu den Leadern in den nächsten zehn Jahren verringern können, z. B. Brasilien, Russland, Malaysia. Als Latecomer bezeichnet man die Länder, bei denen sich die digitale Lücke zu den Leadern in den nächsten zehn Jahren erheblich vergrößern wird, z. B. Bolivien, China, Indien und – mit Ausnahme Südafrikas – der ganze afrikanische Kontinent (BMZ 2001a: 29f.).

Eine andere Unterscheidung (nach Ursula Huws) teilt die Länder nach ihrer digitalen Netzentwicklung (E-Indikators) in sechs Gruppen ein:

–    eLeaders: diese Länder sind auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung führend.

–    eCapables: zwar sind diese Länder kleiner, operieren jedoch auf derselben Stufe wie die eLeaders.

–    eHares: diese Länder sind relativ klein und verfügen nur über begrenzte infrastrukturelle Telekommunikationsmöglichkeiten, weisen allerdings ein schnelles Wachstum auf.

–    eTigers: diese Länder sind groß und besitzen eine recht gut entwickelte Infrastruktur sowie verfügbares Humankapital. Oft spielen sie eine signifikante Rolle in der weltweiten elektronischen Datenverarbeitung.

–    eMaybes: diese Länder haben eine kleine Bevölkerung, eine gut entwickelte Infrastruktur und Humankapital.

–    eLosers: diese Länder haben weder die nötigen infrastrukturellen Gegebenheiten noch das Humankapital, um von der weltweiten Datenverarbeitung zu profitieren.

Die Hauptfrage der internationalen und nationalen digitalen Spaltung ist, ob es sich um ein vorübergehendes Phänomen oder um eine permanente Eigenschaft der Wissensgesellschaft handelt. Da der Zugang zu den modernen Kommunikationsnetzen mehr und mehr zu einem sine-qua-non für berufliches Weiterkommen und persönliche Teilnahme am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben wird, wäre ein permanenter Ausschluss bestimmter Ländergruppen oder einiger Bevölkerungskreise eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft (Eckert 2001: 3).




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