*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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5.2.2.4    Handlungsempfehlungen

Es müssen – ggf. neue – Rechtsstrukturen bzw. Rechtssetzungsmechanismen gefunden werden, die fähig sind, ein „globales Recht“ zu entwickeln, das in der Lage ist, die Unterschiede der verschiedenen Rechtstraditionen und -kulturen zu überwinden und bei bestimmten Kernbereichen einen Minimalkonsens herzustellen. Insoweit gilt es, in einen Wettbewerb der Rechtskreise einzutreten. Nicht die Regulierungsziele, sondern die Instrumente zu ihrer Erreichung müssen an die neuen tatsächlichen Gegebenheiten angepasst werden. Der Aspekt der Ko-Re    gulierung sollte stärker berücksichtigt werden. In Zukunft sollte eine engere Zusammenarbeit mit den beteiligten Kreisen ins Auge gefasst werden. Zu denken ist an „Pub­ lic-Private Partnerships“ zur Erarbeitung von Rahmenregelungen. Es ist zu überlegen, ob nicht eine nationale Institution („Think Tank“) eingerichtet werden sollte, die Erkenntnisse über globale Regulierungsbestrebungen im Bereich Informationsgesellschaft bündeln, auswerten sowie geeignete Regulierungsstrategien entwickeln kann und dafür sorgt, dass nationale Repräsentanten verstärkt in internationale Initiativen eingebracht werden. 

Standardisierung und Normierung der IKT sollten als Schlüsselelemente einer staatlichen Regulierungsstrategie in Bezug auf IuK-Netzwerke erkannt werden.

Regelungen, die sich auf die schnell wandelnde Techniklandschaft der IuK-Netze beziehen, sollten regelmäßigen Evaluierungen unterzogen und in geeigneten Fällen mit „Verfallsdaten“ versehen werden.

Der Bereich „Recht durch Technik“ muss stärker als interdisziplinäres Forschungsfeld entwickelt werden. Die Auswirkungen von manchen wünschenswert erscheinenden Technologien für die Informationsgesellschaft – Stichwort Digital Rights Management (DRM), Platform for Privacy Preferences Project (P3P) – sollten genau untersucht und ggf. rechtlich gesteuert werden. Neben dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung ergeben sich wesentliche Spannungsfelder aus dem Verhältnis von staatlichen Sicherheitsinteressen zum „Fernmelde“(Kommunikations)geheimnis sowie der Beziehung zwischen Urheberrechten/gewerblichen Schutzrechten gegenüber der Informationsfreiheit.

Empfehlung 5-13       Schaffung eines völker­ rechtlichen Rahmens für die Internet-Organisation ICANN

Es ist zu überlegen, ob nicht eine für das Internet so eminent wichtige Organisation wie die ICANN aus einer singulären nationalstaatlichen Bindung herausgelöst und mit einer völkerrechtlichen Grundlage versehen werden sollte.

Empfehlung 5-14       Schaffung eines rechtlichen Rahmens für Selbstregulierungs­ maßnahmen der Internet-Wirtschaft

Der Gesetzgeber ist dazu aufgerufen, einen äußeren rechtlichen Rahmen für die Selbstregulierungsanstrengungen der Internet-Wirtschaft zu schaffen – Selbstregulierung und staatliche Regulierung also effektiv miteinander zu verzahnen. Die Empfehlungen von privatwirtschaftlichen Vereinigungen wie GBD, ICC und GIP sollten von staatlicher Seite aufgenommen und geprüft werden. In Zusammenarbeit mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft sowie den Verbraucherschutzverbänden (etwa in Form eines Public-Private-Partnership zwischen dem BMWi und den einschlägigen Verbänden) könnten hie­ raus Richtlinien für die Selbstregulierung in bestimmten Teilbereichen abgeleitet werden.

Empfehlung 5-15       Der Schwerpunkt der deutschen Gesetzgebung sollte im Bereich des Informationszugangs und der Novellierung des Daten­ schutz­ ­ rechts liegen

Der Schwerpunkt der weiteren legislativen Arbeit sollte in Deutschland in dem Bereich des Informationszugangs (Informationsfreiheitsgesetze) und der zügigen Novellierung des Datenschutzrechts liegen. Darüber hinaus sind grundlegende Untersuchungen im Bereich „Recht und Informationstechnik“ erforderlich, da die Technik zunehmend die Rechtsverwirklichung sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht bestimmt (Beispiel: Datenschutz oder auch Digital Rights Management).

Empfehlung 5-16       Schaffung einer zentralen Stelle in Deutschland zur Beobachtung europäischer und internationaler Regulierungsbestrebungen und -initiativen sowie zur Wahr­ nehmung nationaler Interessen

In Bezug auf die vielfältige regulatorische Tätigkeit auf der europäischen und internationalen Ebene sollte die Einrichtung einer zentralen Stelle auf nationaler Ebene geprüft werden, die die jeweiligen Initiativen beobachtet und hierzu ein Informationsangebot bereit hält. Eine derartige Stelle könnte zum einen als erste Anlaufstelle für interessierte Kreise dienen. Zum anderen könnte sie eine Gesamtstrategie entwerfen und als Plattform für den Austausch zwischen Politik, Wirtschaft und Forschung dienen. Letztlich könnte diese Einrichtung auch dafür Sorge tragen, dass in den entsprechenden internationalen Ini­ tiativen verstärkt nationale Vertreter mitwirken, um ein „Mehr“ an deutschen Wertvorstellungen und Rechtskultur in internationale Regulierungsansätze einzubringen.

Empfehlung 5-17       Verwundbarkeitspotenzial als Forschungsthema, Prüfung geltender Straftatbestände für Cybercrimedelikte und Prüfung der Cybercrime-Konvention

Es sollten Studien initiiert und gefördert werden, die empirische Daten über das tatsächliche Verwundbarkeits­ potenzial der Informationsgesellschaft liefern. Die Verwundbarkeit der Informationsgesellschaft sollte als grundlegendes Forschungsthema begriffen werden. Darüber hinaus sollte eingehend geprüft werden, ob die geltenden, bereits 1986 mit dem 2. Wirtschaftskriminalitätsbekämpfungsgesetz eingeführten, materiell-rechtlichen Strafvorschriften ausreichend sind, die potenziell möglichen Delikte des Cybercrime aufzunehmen, oder ob sie um neue Straftatbestände ergänzt werden müssen.

Vor der Ratifikation der Cybercrime-Konvention sollte genau geprüft werden, inwieweit von der Möglichkeit der vertraglich vorgesehenen Abweichungen Gebrauch zu machen ist. Zudem sollten die Ergebnisse der Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht über die Effektivität der Telekommunikationsüberwachung, die voraussichtlich im Frühjahr 2002 vorgestellt werden, abgewartet und berücksichtigt werden.

   Empfehlung 5-18       Internationale Konventionen – Schutz der Menschenrechte

Es sollte eine völkerrechtlich verbindliche, internationale Konvention zur Wahrung der Menschenrechte in der elektronischen Kommunikation entwickelt werden.

Empfehlung 5-19       Anonyme und pseudonyme Nutzung des Internet

Es sollte ein grundsätzliches Recht auf anonymen oder pseudonymen Zugang und Nutzung von Netzangeboten anerkannt werden23 .

Es sollte geprüft werden, ob und in welchem Umfang Anonymisierungsdienste bei Cybercrime genutzt werden und falls ja, welche Delikte wegen der „anonymen“ Verhältnisse im Internet nicht aufgeklärt werden können.

Auf internationaler Ebene sollten die Arbeiten der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) forciert und ggf. ein Abkommen erarbeitet werden, dass die Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie, der Brüsseler Konvention und der Rom bzw. Rom II Konvention – jedenfalls für den Bereich des E-Commerce– auf globalem Level anderen Staaten zugänglich macht.

Empfehlung 5-20       Förderung interdisziplinärer Studien und Projekte zur Ent­ wicklung technischer Lösungen für die Umsetzung rechtlicher Regelungen im Internet; Erweiterung der Zuständigkeit des BSI

Im Rahmen von interdisziplinären Studien wird empfohlen, genauer zu untersuchen, in welchen praktischen Bereichen technische Lösungen möglich sind und welche (rechtlichen) Ziele implementiert werden könnten und sollten. Interdisziplinäre Projekte, bei denen Techniker und Juristen (sowie ggf. andere Disziplinen) gezielt Lösungen für geeignete Bereiche entwickeln (nach dem Vorbild von VERNET des BMWi), sollten gefördert werden.

In diesem Zusammenhang sollte auch geprüft werden, ob der Handlungsauftrag und die Kompetenzen des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) neu auszurichten und ggf. zu erweitern sind. Der bislang vorrangig auf die technische Sicherheit gerichtete Fokus des BSI sollte dahingehend erweitert werden, stärker die gesellschaftlichen Abhängigkeiten und sozialen Wechselwirkungen von und mit IuK-Systemen in den Blick nehmen.



23 Siehe Mitteilung der EU-Kommission KOM(2000)890 endgültig, Ziff. 5.3.

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