*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

 zurück weiter  Kapiteldownload  Übersicht 


7.5.3       Chancen und Grenzen marktwirt-schaftlicher Instrumente zur Umsetzung des Rechts auf Wasser

7.5.3.1    Grundlagen

Bereits im Zwischenbericht ist die Enquete-Kommission der Frage nachgegangen, wie Wasser zum Wohle der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer und gleichzeitig im Interesse des Gemeinwohls zu bewirtschaften ist. Dabei wurde auch erörtert, welche ökonomischen Instrumente zur Sicherstellung des Rechts auf Wasser geeignet erscheinen und welche Rahmenbedingungen dabei beachtet werden sollten. Angesichts der vorangeschrittenen Liberalisierung der Energieversorgung, der Telekommunikation und zum Teil auch der Verkehrsnetze sowie der geplanten Entwicklungen beispielsweise im Dienstleistungssektor im Rahmen der GATS-Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) wird von vielen Verantwortlichen mit ähnlichen Argumenten auch ein stärkeres privatwirtschaftliches Engagement in der Wasserwirtschaft gefordert. Dem wird entgegengehalten, dass Wasser kein Gut wie jedes andere sei. Von der sorgfältigen Prüfung jedes privaten Engagements bis zur strikten Ablehnung der Privatisierung in diesem Sektor reichen die Positionen. Zur Erreichung der hochgesteckten Ziele bis 2015 (s. 7.5.1) ist eine umfassende Reform des Wassersektors in Entwicklungsländern dringende Voraussetzung. Eine stärkere Beteiligung des Privatsektors findet schon aus Finanzierungsgründen statt, auch wenn sie kein Allheilmittel sein kann.

   Öffentliche Wasserversorgung ist der Normalfall

Bis heute wird die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung weltweit in der Regel von öffentlichen Unternehmen durchgeführt. Privatisierung und Public-Private-Partnership (PPP) stellen eher die Ausnahme dar. Selbst in den Städten werden gegenwärtig weniger als 10 Prozent der Bevölkerung von privaten Unternehmen versorgt. Abbildung 7-16 zeigt die Situation in Europa. Lediglich in Großbritannien und Frankreich beziehen mehr Menschen ihr Trinkwasser von privaten Unternehmen. Auch in den USA ist die große Mehrheit der über 4000 Wasserbetriebe in kommunaler Hand (Schiffler 2001: 7). Ähnlich stellt sich die Situation in Kanada, Japan, Australien und Neuseeland dar (Hall 2001: 7).

In Lateinamerika, Osteuropa, Afrika und Asien betrug der Privatisierungsgrad 1997 weniger als 5 Prozent (Hall 1999a: 11). 42 Prozent der weltweiten privaten Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungs-Projekte sind jedoch in Lateinamerika realisiert und 31 Prozent entfallen auf Ostasien und den Pazifik.

Der Privatisierungsanteil steigt

Es ist davon auszugehen, dass der Privatisierungsanteil weltweit steigen wird. Vivendi, das größte Wasserunternehmen weltweit, rechnet für 2010 mit einem privaten Marktanteil von 60 Prozent in Lateinamerika, von bis zu 35Prozent in Westeuropa und Afrika und lediglich ca. 20Prozent in Nordamerika und Asien (Hall 1999a: 11). Auch wenn diese Zahlen mit einiger Vorsicht zu betrachten sind, da sie Interessen der Wasserkonzerne berücksichtigen, so gibt z. B. allein die Umsatzsteigerung von Vivendi Water, dem weltgrößten Wasserversorgungsunternehmen, in den letzten Jahren einen Hinweis darauf, wie dynamisch sich dieser Markt entwickelt. Vivendi Water erreichte mit einem Umsatz von 14 Milliarden Euro im Jahr 2001 eine Steigerung von 50Prozent gegenüber 1998.

Verschiedene Formen der Beteiligung des Privatsektors

Da häufig Missverständnisse im Zusammenhang mit dem Begriff der „Privatisierung“ auftreten, soll im Folgenden ein kurzer Überblick über die verschiedenen Formen der Beteiligung der Privatwirtschaft bei der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung gegeben werden.82 Die vollständige Privatisierung von staatlichen Unternehmen ist im Wassersektor eher die Ausnahme. Meistens kommen weniger umfassende Formen der privaten Beteiligung wie beispielsweise Management-Verträge, Leasing-Verträge und Konzessionen zum Einsatz.

„Im Rahmen von Management-Verträgen verbleiben das Eigentum an den Anlagen und die Einnahmen aus Wassergebühren bei der öffentlichen Hand. Dem privaten Betreiber werden lediglich bestimmte Aspekte des Betriebs und der Wartung des Systems für einen begrenzten Zeitraum (meist 4–5 Jahre) übertragen. Die Bezahlung des Betreibers wird von der Erreichung der gesetzten Ziele abhängig gemacht. Etwas weiter gehen Leasing-Verträge, bei denen der Betreiber über einen längeren Zeitraum (meist 8–10 Jahre) einen bestimmten Anteil der Betriebskosten trägt und einen Teil der Einnahmen erhält, so dass er stärker am betrieblichen Erfolg und Risiko betei- ligt wird. Konzessionen gehen noch einen Schritt weiter. In ihrem Rahmen muss der Betreiber umfangreiche In­ vestitionen finanzieren, wofür ihm die gesamten Gebühreneinnahmen für einen längeren Zeitraum (meist 25–30Jahre) zugestanden werden. Eine besondere Form der Konzession für einzelne Anlagen sind Build-Operate-Transfer (BOT)-Projekte. In einem BOT-Projekt steht der Betreiber in keinem direkten Kontakt mit den Endverbrauchern, sondern er schließt einen Vertrag mit einem städtischen Wasserunternehmen ab, dem gegen Bezahlung von Gebühren Wasser in großen Mengen geliefert oder Abwasser abgenommen wird“ (Schiffler 2001: 7). Tabelle 7-3 gibt einen Übersicht über die verschiedenen Vertragstypen im Wasser- und Abwassersektor und 7-17 illustriert das jeweilige Ausmaß der Privatisierung.

Die Abbildung 7-18 zeigt die Art der abgeschlossenen Verträge mit privaten Unternehmen im Rahmen von Public-Private-Partnership (PPP)-Projekten in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen Ende der 90er Jahre.

Preisgestaltung

Wasser ist ein unersetzbares Lebensmittel und deshalb ein öffentliches Gut, das jedem Menschen im notwendigen Maße zur Verfügung stehen muss. Die Bereitstellung bleibt im originären Aufgabenbereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, selbst wenn einzelne Elemente der Bereitstellung privatisiert werden. Im Gegensatz zu einem Unternehmen, das sich aus Verlustbereichen zurückziehen kann, kann oder sollte dies ein funktionierender Staat bei der existenziellen Versorgung seiner Bevölkerung nicht. Auch wenn Wasser ein öffentliches Gut ist, hat die Produktion von sauberem Trinkwasser einen hohen Preis. Zu klären ist, wer ihn zu bezahlen hat.

Bei der Forderung nach Umsetzung des Prinzips der Kos­ tendeckung gehen viele Umweltschützer und Wasserindus­ trie, gestützt durch IWF und Weltbank Hand in Hand. Erstere sehen darin ein Lenkungsmittel zur Senkung des Wasserverbrauches, letzere darüber hinaus eine Absicherung ihrer Rentabilität. Dabei bestehen jedoch insbesondere zwei Probleme: Eine tatsächliche Kostendeckung müsste nicht nur die Betriebskosten, sondern auch die Bereitstellung des Wassers, die Sicherung der Wassereinzugsgebiete und weitere Umweltkosten abdecken. Aber dann kann das Wasser für die Normalbevölkerung in Entwicklungsländern unbezahlbar werden. Das heißt, die Wasserversorgung müsste dann über einen Sozialetat o.ä. subventioniert werden. Zum anderen wäre die Zusicherung von Kostendeckung in einem monopolisierten Bereich – ob es nun ein staatliches oder ein privates Monopol ist – ohne eine funktionierende Aufsicht der Freibrief für Ineffizienz, Korruption und Fehlinvestitionen. Hier spräche die Kos­ tendeckung eher gegen eine Privatisierung des Monopols,    denn während es dem privaten Unternehmen egal ist, ob die kostendeckenden Preise auf anderem Wege wieder vom Staat subventioniert werden, gibt es für den staatlichen Betreiber zumindest theoretisch einen größeren Anreiz zur Kostenminimierung, weil an anderer Stelle die Preissubventionen eingespart werden können.

Partizipation

In der Vergangenheit wurde im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit häufiger die Erfahrung gemacht, dass der Aufbau einer nachhaltigen Wasserversorgung nur dann richtig funktionieren kann, wenn die Nutzerinnen und Nutzer in die Planungs- und Entscheidungsprozesse involviert werden. So können z. B. solche Ansätze scheitern, die auf die Versorgung von Trinkwasser für Menschen abzielen, wenn sie innerhalb von nomadischen Gesellschaften angewendet werden, in denen unter Umständen das Wasser für das Vieh als wichtiger empfunden wird als das für den Menschen. Folgerichtig verlangt inzwischen auch die Weltbank Partizipation. Die von der Weltbank zur Umsetzung des PRSP-Prozesses erstellten JSA-Richtlinien83 legen entsprechende Grundkriterien für die Partizipation der Zivilgesellschaft dar. Dazu gehören Standards für die Transparenz der Abläufe in den Regierungen und Parlamenten, Kriterien für die Zivilgesellschaft einschließlich Frauengruppen, ethnischen Minderheiten, des privaten Sektors sowie die Einbeziehung bilateraler und multilateraler Entwicklungspartner. Im PRSP-Sourcebook der Weltbank (Weltbank 2002c) werden praktische Ratschläge für die Umsetzung dieser Partizipation erörtert.

Eine Förderung der Einbindung der Öffentlichkeit beginnt bei der Information. Aus diesem Grunde enthält das Protokoll über Wasser und Gesundheit der Konvention zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen als ein wichtiges Element sehr weitgehende Informationspflichten.84 In der neuen deutschen Trinkwasserverordnung85 von 2001 finden sich z. B. Vorschriften über die Information der Öffentlichkeit durch die Unternehmen und sonstige Betreiber. Erstmals    verpflichten sich die Wasserversorger verbindlich, über die Qualität des Wassers und geeignete Materialien für Leitungen zu informieren. Defizite gibt es in Deutschland und anderenorts hinsichtlich der Informationen über „das Zustandekommen von Wasserpreisen, Zielvorstellungen der Unternehmen, anstehende Entscheidungen und in deren Rahmen bestehende Mitwirkungsmöglichkeiten“ (UBA 2001b: 183).

Der private Wassermarkt

Mit derzeit über 100 Millionen versorgten Menschen stehen weltweit die beiden französischen Konzerne Vivendi und Suez-Lyonnaise des Eaux an der Spitze der privaten Anbieter. RWE/Thames Water folgt mit 35 Millionen Verbraucherinnen und Verbrauchern (Peck: 7). Einen Über­ blick über die weltgrößten Wasser-Unternehmen gibt Tabelle 7-4. Abbildung 7-19 zeigt die Regionen, in denen sie hauptsächlich aktiv sind. Der Umsatz privater Anbieter wird nach Schätzungen von RWE von 90 Milliarden Euro 1999 auf 430Milliarden Euro im Jahr 2010 steigen (Peck 2001: 7f.). Im Vordergrund dieser Interessen stehen dabei die zu erwartenden über 650 Millionenstädte weltweit, die für die Bevölkerungsmehrheiten über völlig unzureichende infrastrukturelle Angebote verfügen (Petrella 2000: 113). Bei den deutschen Großunternehmen im Wassermarkt handelt es sich um die großen Energieversorger, die ihre Kapitalbildung über Jahrzehnte in einem monopolisierten Markt vorgenommen haben.86

Der deutsche Markt ist europaweit mit 17 Milliarden Euro Gesamtumsatz (Wasser und Abwasser) der größte. Mit 16000 durch Gebietsmonopole geschützte Unternehmen ist dieser „Markt“ sehr fragmentiert und damit eher unattraktiv für große Anbieter (Peck 2001: 7). Allerdings fördern die größten 140 Anbieter über 50 Prozent der Wassermenge, während die kleinsten 3500 lediglich einen    Anteil von 2,5 Prozent aufweisen (BMZ 1999: 116). Nach Schätzung der Deutschen Bank Research werden davon allenfalls 100 Unternehmen übrig bleiben (Peck 2001: 7). In Ostdeutschland wurden ehemals 16 großräumige Einheiten nach westdeutschem Muster mit „erheblichen Kosten und häufig zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger“ (BMZ 1999: 117) auf 1000 kleine und kleinste Wasserversorgungsunternehmen aufgeteilt.



82 Weiterführende Literatur siehe z. B. Breithaupt u. a. (1998).

zurück zum Text



83 Guidelines for Joint Staff Assessment (JSA) of a Poverty Reduction Strategy Paper (PRSP) (Weltbank 2002b).

zurück zum Text



84 UN-ECE (1992). Das Protokoll über Wasser und Gesundheit wurde 1999 im Rahmen der UNECE in London auf der Dritten Ministerkonferenz Umwelt und Gesundheit angenommen.

zurück zum Text



85 Verordnung zur Novellierung der Trinkwasserverordnung vom 21.05.01, Bundesgesetzblatt I, Nr. 24, 959-980 vom 28.05.01 (TrinkwV).

zurück zum Text



86 Hinzu kommt, dass die großen deutschen Energieversorger über das Instrument der steuerfreien Rückstellungen für die spätere Entsorgung radioaktiver Abfälle eine Kapitalliquidität in zweistelliger Milliardenhöhe anhäufen konnten, die es in keiner anderen Branche gibt und die zu einer enormen und vielfach beklagten Wettbewerbsverzerrung führt.

zurück zum Text



 zurück weiter  Top  Übersicht 


Volltextsuche









































































































Abbildung 7-16























Abbildung 7-17






















Tabelle 7-3

Abbildung 7-18