*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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7.5.3.3    Privatisierung und Liberalisierung in Deutschland

Durch Privatisierung und Unternehmenskonzentrationen wandelt sich gegenwärtig in Deutschland die Wasserversorgung auch ohne die Verwirklichung der in den letzten Jahren intensiv diskutierten Marktöffnung. Gründe für diese Entwicklung sind die zunehmende Infragestellung der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge durch öffentliche Unternehmen, die knappen Kassen der Kommunen und die Bildung großer Multi-Utility-Unternehmen102. Es wird erwartet, dass der Kostendruck in der Wasserversorgung in den kommenden Jahren weiter zunimmt (UBA 2001b: 211).

In Deutschland ist die jederzeit und allerorts gesicherte Versorgung der Bevölkerung mit hygienisch einwandfreiem Wasser traditionell eine Kernaufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge und damit der Kommunen. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben, d. h. den Betrieb der Trinkwasserversorgung haben dabei schon derzeit etliche Kommunen privaten oder teilprivatisierten Unternehmen anvertraut. Die deutsche Wasserwirtschaft ist aber immer noch gekennzeichnet durch eine deutliche Dominanz von Unternehmen in öffentlicher Hand und eine stark dezentralisierte Struktur. In diesen Strukturen garantiert die deutsche Wasserwirtschaft seit Jahrzehnten eine flächendeckend hohe Versorgungssicherheit und eine hohe Trinkwasserqualität, die jedem internationalen Vergleich – auch im Hinblick auf das Preisniveau – standhält.

Die Marktsituation der deutschen Wasserwirtschaft ist geprägt durch ein besonderes Verhältnis von wettbewerblichen und versorgungssichernden Elementen. Wettbewerb im Markt bleibt für den Betrieb der natürlichen Monopole eingeschränkt. In allen übrigen Sektoren der Wasserindus­ trie herrscht dagegen offener Wettbewerb.

Von einer weiteren Öffnung des Marktes in Richtung auf eine Konkurrenz um Versorgungsgebiete sind erhebliche Folgen für die Trinkwasserqualität und damit für den Gesundheitsschutz, den Schutz der Ressource Wasser, die Versorgungssicherheit und das verfassungsrechtlich verankerte kommunale Selbstverwaltungsrecht zu erwarten (vgl. Deutscher Bundestag 2001: i). Es gibt genügend Hinweise, dass eine weitere Öffnung des Wassermarktes ein Experiment mit ungewissen Folgen im Hinblick sowohl auf Umwelt- und Gesundheitsschutz als auch die Preisentwicklung wäre und zu einem Mehraufwand an Bürokratie führen kann. Internationale Vergleiche werfen begründete Zweifel auf, ob über eine Marktliberalisierung eine Senkung des Preisniveaus erreicht und die Herausbildung einer neuen Monopolstruktur, bei der wenige private Anbieter die vielen kommunalen Unternehmen ablösen, verhindert werden kann.

Ziel einer nachhaltigen Wasserwirtschaft muss es sein, die Wasserressourcen qualitativ so zu erhalten, dass der Aufbereitungsaufwand dauerhaft so gering wie möglich gehalten wird. Möglichkeiten, die Ressourcenqualität zu erhalten bzw. zu verbessern, können die Ausweisung von Wasserschutzgebieten, Kooperationen mit der Landwirtschaft oder gezielte Altlastensanierungen sein, wobei sich diese Maßnahmen bzw. „Investitionen“ im Allgemeinen erst langfristig lohnen, und so dem Ziel einer kurzfristigen Ertragssteigerung entgegenstehen können.

Vor diesem Hintergrund spricht sich die Enquete-Kommission gegen eine grundlegende Neuordnung der Strukturen der deutschen Wasserwirtschaft durch die Streichung des kartellrechtlichen Ausnahmetatbestandes nach §103 GWB (alte Fassung) und eine Liberalisierung des deutschen Wassermarktes aus.103 Gleichwohl ist sie der Auf    fassung, dass es Modernisierungsbedarf in der Wasserwirtschaft gibt. Es gibt bedeutende Potenziale, mehr Effizienz im Sinne einer optimalen betriebswirtschaftlichen Bereitstellung bester Wasserqualität zu erlangen. Diese Potenziale gilt es in einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Ländern, Gemeinden und Wasserwirtschaft auszuschöpfen, ohne bewährte Strukturen grundsätzlich in Frage zu stellen (s. BT-Drucksache 14/7177: 1ff.).



102 Der Begriff „Multi-Utility“-Unternehmen bezeichnet die Anbietung einer Vielzahl von Dienstleistungen (z. B. Wasser, Abwasser, Fernwärme, Gas, Telekommunikation, Datenübermittlung, Gebäudemanagement) durch ein Unternehmen.

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103 Die Enquete-Kommission schließt sich in dieser Frage den Beschlüssen der Umwelt- und Innenministerkonferenzen der Bundesländer, der kommunalen Spitzenverbände und der Verbandsvertreter der deutschen Wasserwirtschaft an. Diese reagierten auf das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in Auftrag gegebene Gutachten „Optionen, Chancen und Rahmenbedingungen einer Marktöffnung“ (BMWi 2001c). Auch das Umweltbundesamt äußert in seinem Gutachten „Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung“ vom November 2000 erhebliche Bedenken (UBA 2000).

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