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Martin Ebbing
Parole: "Augen zu und durch"
Vor den Parlamentswahlen im Irak
Der Wahlkampf für die Parlamentswahlen im
Irak am 30. Januar gleicht nur sehr entfernt dem, was man darunter
in westlichen Demokratien gewohnt ist. Aus Sicherheitsgründen
finden nur wenig Versammlungen statt, auf denen sich die Kandidaten
vorstellen und ihr Programm erläutern. Viele Kandidaten ziehen
es sogar vor, ihre Kandidatur selbst im engen Freundeskreis zu
verheimlichen, weil sie fürchten müssen, zur Zielscheibe
von Attentaten zu werden.
Vor allem Frauen gehen ein hohes Risiko ein.
Ihnen ist ein Viertel der 275 Sitze im neuen Parlament zugesichert,
und sie werden deshalb von den politischen Parteien umworben, aber
gleichzeitig sind sie den konservativen Eiferern ein Dorn im Auge.
Eine weibliche Kandidatin wurde im Dezember 2004 in ihrer Wohnung
in Bagdad ermordet aufgefunden. Eine zweite wurde gekidnappt und
ein Lösegeld für sie gefordert. Viele der 84 Parteien und
Bündnisse haben Wahllisten veröffentlicht, auf denen nur
ihre prominentesten Kandidaten genannt werden.
So ist es nicht verwunderlich, dass viele der
14 Millionen Wahlberechtigten durch das Angebot von mehr als 7.200
Anwärtern eher verwirrt sind. Parteien mit Programmen, die
weniger ethnische oder religiöse Interessen in den Vordergrund
stellen, sind deshalb benachteiligt. Da sie kaum andere
Anhaltspunkte besitzen, werden sich viele Iraker an dem
orientieren, was sie kennen: Religions-, ethnische oder
Stammeszugehörigkeit.
Als klarer Favorit gilt deshalb die
"Vereinigte irakische Allianz", ein Bündnis der beiden
großen schiitischen Parteien mit einer Reihe kleinerer
Gruppen. Die Allianz hat die Rückendeckung von
Großayatollah Ali al-Sistani, dem einflussreichsten
schiitischen Kleriker des Landes, der die Teilnahme an den Wahlen
in einer Fatwa zur religiösen Pflicht erklärt hat. Mit
einer Bevölkerungsmehrheit von geschätzten 60 Prozent
scheint ein schiitischer Wahlsieg so gut wie sicher.
An zweiter Stelle rangiert eine Liste, die
von dem von den USA eingesetzten Premierminister Iyad Allawi
angeführt wird. Auf ihr finden sich sowohl bekannte Sunniten
wie auch Schiiten, die aber weltlicher ausgerichtet sind als die
Konkurrenz von der Allianz.
Die beiden kurdischen Parteien, die sich
für die Wahlen zur "Kurdistan Allianz" zusammengeschlossen
haben, dürfen ebenfalls aufgrund des kurdischen
Bevölkerungsanteils von etwa 20 Prozent mit einer relevanten
Zahl von Sitzen rechnen. Chancen, mit einer kleinen Fraktion im
neuen Parlament vertreten zu sein, haben allenfalls noch das
Linksbündnis "Volksunion", das von der eher westlich
ausgerichteten Kommunistischen Partei angeführt
wird.
Aus Protest gegen die unzureichende
Sicherheitslage hat die mehrheitlich sunnitische "Islamisch
Irakische Partei" ihre Kandidatur zurückgezogen. Die Sunniten
werden deshalb mit keiner eigenen starken Gruppe von
Parlamentariern vertreten sein. Auch ohne den Rückzug standen
für sie die Chancen auf eine angemessene Vertretung schlecht.
Mit dem Heranrücken des Wahltermins haben die radikalen
Aufständischen die Zahl ihrer Gewaltaktionen noch weiter
gesteigert. Betroffen sind vor allem die sunnitischen Gebiete. Die
Sicherheitslage ist so bedrohlich geworden, dass die US
Militärs öffentlich eingestehen mussten, in der Region um
Mossul, Tikrit, Falludschah, Ramadi und selbst in Bagdad sei die
Situation so schlecht, dass kein ordnungsgemäßer
Wahlverlauf garantiert werden könne.
Die Amerikaner haben den Wettlauf mit den
bewaffneten Aufständischen verloren. Als im Sommer vergangenen
Jahres der Wahltermin festgelegt wurde, hatten sie noch darauf
gebaut, dass es ihnen gelingen würde, die Sicherheitslage
unter Kontrolle zu bringen. Die Aufständischen haben sich aber
als stärker erwiesen, als sie vom Pentagon eingeschätzt
wurden. Selbst die Rückeroberung von Falludschah, bei der
praktisch eine ganze Stadt zerstört wurde, hat den Widerstand
nicht gebrochen und auch die terroristischen Gruppen nicht
zerschlagen. Die Gewalttäter sind nach Tikrit und vor allem
nach Mossul, mit fast zwei Millionen Einwohnern die
drittgrößte Stadt des Landes, ausgewichen.
Auch die Hoffnung, dass die irakischen
Sicherheitskräfte bis zur Wahl soweit ausgebildet sind, dass
sie selbst die Ordnung garantieren können, hat sich nicht
erfüllt. Die irakische Polizei wie die Nationalgarde sind
nicht nur schlecht ausgerüstet, sondern auch von der nicht
enden wollenden Kette von Anschlägen demoralisiert. Nicht
wenige Polizisten sympathisieren zudem mehr oder weniger offen mit
der Gegenseite.
Obwohl bei nüchterner Betrachtung die
Voraussetzungen für die Wahl eines Parlamentes, das eine neue
Regierung wählen und die neue Verfassung des Iraks erarbeiten
soll, nicht gegeben sind, haben die USA eisern am Wahltermin
festgehalten. Unterstützt wurden sie dabei in einer
befremdlichen Koalition von den Schiiten, die ungeduldig darauf
warten, endlich die Sunniten, die als Saddams Günstlinge das
Land beherrscht haben, von der Macht zu vertreiben.
Aus der Sicht Washingtons gab es auch keine
ernsthafte Alternative dazu, die Wahlen wie vorgesehen stattfinden
zu lassen. Eine Verschiebung hätte ihnen den Zorn und den
möglicherweise offenen Widerstand der Schiiten eingebracht,
die sich bislang kooperativ verhalten haben. Gleichzeitig
hätten die USA damit ihre Niederlage gegenüber den
gewalttätigen Aufständischen eingestanden. Es bestehen
keine Aussichten, dass sich die Lage auf absehbare Zeit verbessern
wird.
Ob die Politik des "Augen zu und durch"
allerdings das von Präsident George Bush deklarierte Ziel,
Demokratie und Stabilität im Irak zu schaffen, ein Stück
näher bringen wird, ist zweifelhaft. Wenn die Stimmen sowie
die Menschenleben, die diese Veranstaltungen kosten,
ausgezählt sein werden, dann dürfte die Bilanz sehr
gemischt ausfallen.
Auf der Habenseite wird das Weiße Haus
allenfalls verbuchen können, dass eine neue Regierung im Amt
sein wird, die nun - weil demokratischer legitimiert - selbst die
Verantwortung für die Entwicklung im Irak trägt.
Zumindest der Anschein wird geschaffen, dass die USA nicht mehr die
Besatzer sind. Dem Widerstand soll so der politische Wind aus den
Segeln genommen werden. Diese Rechnung geht aber nur auf, wenn die
Iraker selbst die Wahlen als legitim und repräsentativ
ansehen. Bei den Sunniten, die das Rück-grat der
Aufständischen bilden, wird man dafür aber keine
Zustimmung finden.
Offen ist zudem, ob die neue irakische
Regierung unter Demokratie dasselbe versteht, wie das Weiße
Haus. Die "Vereinigte irakische Allianz" ist eine schiitische
Sammelbewegung, die mehr westliche orientierte Liberale als
hartleibige religiöse Orientierungen in sich vereinigt. Die
beiden großen Parteien, Dawa und der Oberste Rat für die
islamische Revolution im Irak (SCIRI), die sich in der Allianz
zusammengeschlossen haben, besitzen enge Beziehungen zum Iran.
Beide Parteien geben sich bislang als irakische Nationalisten, die
von Teheran unabhängig sein wollen. Ob dies tatsächlich
zutrifft, wird sich erst zeigen, wenn sie mit dem Machtantritt auch
die Gelegenheit haben, dies unter Beweis zu stellen.
Klar ist aber schon jetzt, dass die neue
irakische Regierung von den Amerikanern einen eindeutigen Zeitplan
für ihren Abzug verlangen wird. Auch in den USA werden die
Stimmen lauter, die glauben, dass der Krieg-nach-dem-Krieg im Irak
nicht zu gewinnen ist und die Wahlen ein guter Zeitpunkt sind, den
Rück-zug einzuleiten. Präsident Bush hält sich
bislang aber noch alle Optionen offen. Öffentlich hat er sich
noch nicht auf einen Rückzugsplan festlegen lassen,
amerikanische Medien berichten jedoch, dass er bereits mit seinen
Sicherheitsberatern über mögliche Optionen
nachdenkt.
Der ehemalige Sicherheitsberater von
Präsident Bush sen., Brent Scowcroft, der die Irakpolitik des
Sohnes in der Vergangenheit unterstützt hatte, hat in einem
vielbeachteten Artikel davor gewarnt, die Sunniten könnten
gewaltsam gegen eine schiitische Regierung rebellieren. Das Land
würde in einen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten
hineinrutschen, was die Kurden wiederum veranlassen könnte,
sich loszusagen.
Auch Ex-Außenminister Colin Powell
hält eine Verschlechterung der Lage für möglich.
"Der Widerstand wird nach den Wahlen nicht verschwinden", sagte er
in einem Interview. "Die Aufständischen können sich sogar
noch ermutigt fühlen".
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