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Kristin Kupfer
China im Fluss - Bilder vom Yangtse
Von Staudammproblemen und
Touristenschwemmen
Der Yangtse hat der chinesischen
Bevölkerung immer wieder Anfänge und Untergänge
gebracht. Als Schauplatz für die Geburt der Republik 1911 hat
er ebenso gedient wie für Mao Zedongs Machtschwimmen,
zweimaliger Auftakt zu Kampagnen der Zerstörung.
Heldenstätten und Orangenfelder finden sich an den Ufern des
"Langen Flusses", so nennen ihn die Chinesen. Seine Bewohner leben
mit dem unberechenbaren Fluss der Veränderungen, der ihr Land
überschwemmt und Touristen mitbringt. Ein Mosaik der
Umbrüche und Widersprüche zeichnet Chinas "Langer
Fluss".
Die magische Grenze ziehen weiße
Steintafeln mit der roten Aufschrift "175m" an den Ufern des
Yangtse. Oberhalb dieses Höchstwasserstandes, der nach
Fertigstellung des Drei-Schluchten-Staudamms 2009 erreicht wird,
steht heute schon die Zukunft: Weiße Betonhochhäuser mit
Klimaanlagen, das Vier-Sterne-Hotel "Pfirsichgarten" und eine
Werbetafel von China Mobile. Unterhalb der Markierung ist
Niemandsland. Durchdringt Nebel das hügelige Grün,
versinken das Museum für Lokalkultur und die Äpfel
erntenden Bauern schon jetzt im Wasser des Stausees. "Wenn das Alte
nicht geht, kann das Neue nicht kommen", so lautet ein chinesisches
Sprichwort. Es ist immer eine Frage der Zeit.
Das Tempo der chinesischen Modernisierung ist
Schwindel erregend: von sieben auf über 30 Millionen Einwohner
in nur einem Tag. Durch die Eingliederung von ländlichen
Regionen wurde Chongqing 1997 über Nacht vom Millionenmoloch
zur Megametropole. Vor Chinas größter
regierungsunmittelbaren Stadt trifft sich der Yangste, nachdem er
mehr als die Hälfte seines Weges zurückgelegt hat, mit
einem seiner rund 700 Nebenflüsse. Chongqing ist die
Projektionsbühne für Kosten und Nutzen des
Staudammprojekts - Markt der Möglichleiten für
umgesiedelte Bauern, Musterbeispiel für Umweltschutz und
Transportwesen sowie Motor für unterentwickelte Gebiete. Als
größte urbane Region der Welt ist die "Nebelstadt",
bekannt für ihre alltägliche Dunstglocke, mit über
82.000 Quadratkilometern nur wenig kleiner als Österreich. In
puncto Einwohnerzahl muss man sich allerdings Tokyo knapp
geschlagen geben. Auf der Flucht vor den Japanern wählten die
Nationalisten Chongqing als Regierungszentrale. Doch statt Chiang
Kai-sheks Villa zeigt der Stadtführer He ausländischen
Gästen lieber die imposante Volkskongresshalle im Herzen der
Stadt und den quirligen Gemüsemarkt, "wo das Herz des Volkes
ist", wie der Mittvierziger im braun-karierten Sakko schelmisch
hinzufügt.
Um eine Antwort sind Chongqings Bewohner nur
selten verlegen. Zwischen den Bauten im Shanghaier oder Beijinger
Modernisierungsstil wächst auch ein neues, sympathisches
Selbstbewusstsein. Die Chefin des kleinen Lokals im Schatten des
Holiday Inn-Hotels tritt der einfallenden europäischen
Reisegruppe souverän gegenüber. Frau Duan bittet in die
Küche, deutet auf Metallkörbe und Glasablagefächer
mit Gemüse und Fleisch: "Sagen Sie, was Sie möchten, den
Rest übernehmen wir." Das Erfolgsrezept der staatlichen
Zahnklinik lautet "chinesische Essenz, westliche Form". Technik aus
Deutschland und chinesisches Knowhow, so hat man die
Modernisierungsformel chinesischer Intellektueller im ausgehenden
19. Jahrhundert in die heutige Zeit übersetzt. Seine
Verwunderung über das Zahnprovisorium aus Europa kann der
junge Chefarzt kam verbergen: "Wir können das hier viel besser
und billiger", stellt er nüchtern fest. Ein Trinkgeld lehnt er
ab und streicht sich über den weiß gebügelten
Kittel, das sei hier nicht üblich, er würde doch
bezahlt.
So kompetent und regeltreu sind die lokalen
Parteibosse dagegen nicht. In Wanzhou, einer Kreisstadt rund 280
Kilometer stromabwärts von Chongqing, bekamen die lokalen
Kader den Zorn des Volkes zu spüren. Obstträger Yu hatte
die Frau des Beamten Hu versehentlich mit seinem Bambusgestell
gestreift, Hu schlug Yu daraufhin zusammen und antwortete auf
Drohungen, dass er alle Probleme mit Geld und Einfluss schon
lösen könne. Über 10.000 Demonstranten wüteten
am nächsten Tag vor dem Gebäude der Stadtregierung und
setzen ein Polizeiauto im Flammen. Zehn Tage später gerieten
im Südwesten der Provinz Sichuan mehrere Zehntausend Bauern
mit der Polizei aneinander. Die Landarbeiter setzten sich gegen
Umsiedlungs- und Entschädigungspläne der Behörde im
Zuge des Pubugou-Dammprojekts am Yangtse-Nebenfluss Dadu zur Wehr.
Auch nach Intervention aus Beijing und Entlassung zahlreicher
lokaler Parteikader bleibt die Lage im Kreis Hanyuan
gespannt.
Über 50.000 solcher Proteste sollen
China laut dem Magazin "Liaowang Zhoukan" im vergangenen Jahr
erschüttert haben. Die Yangtse-Region in und um Chongqing gilt
traditionell als besonders aufsässig. Im Gebiet des Reichs
Shu, im dritten Jahrhundert eines von drei Königtümern in
China, brodelt es zuerst und beruhigt es sich zuletzt, so soll Zhu
Geliang, Chefstratege des Shu-Königs gesagt haben. Die Macht
der Überlieferung in Verbindung mit Wasser kennt die Beijinger
Regierung sehr gut. Die Bewohner am Yangtse verehren den
legendären Kaiser Yu, der sich als Flussbändiger zum
Herrscher qualifiziert hat. Flutkatastrophen werden so schnell als
Missfallen des Himmels, moralische Instanz und Richter über
Befähigung der Staatslenker gedeutet. Auch Bauer Wu, der einen
Krimskrams-Stand am Fuße des Tempels Shibaozhai, rund 160
Flusskilometer von den berühmten Drei-Schluchten entfernt,
besitzt, redet lieber über Legenden als über die heutige
Politik. "Das waren noch Helden mit Moral und Kampfgeist", sagt er
und deutet auf zwei gelb eingezeichnete Tempel in der
Yangtse-Panoramakarte. Gemeint sind Zhang Fei und Liu Bei,
beherzter Fleischer und weiser Kaisersprössling im 3.
Jahrhundert n. Chr., von deren Kämpfen für Recht und
Gerechtigkeit in ganz China gerne erzählt und gelesen wird.
Der 50-jährige Wu Yuquan verkauft Touristen Bambusflöten,
Seidenschals und Mao-Uhren mit zwei englischen Phrasen und viel
Elan. In spätestens fünf Jahren wird dort, wo er und
andere fliegende Händler den steinigen Weg zum Tempelaufstieg
säumen, nur noch Wasser sein. Allein das neunstöckige,
von innen begehbare Pagodendach des Tempels, in dem auch Zhang Fei
verehrt wird, ragt dann noch in den Himmel. Wu, der seine
Souveniers übereinander kombiniert am eigenen Körper
anpreist, bekommt vielleicht einen neuen Platz weiter oben auf den
Stufen oder versucht es anderswo. Ersatz und Entschädigung
für sein untergehendes Land hat er schon bekommen, "ich werde
kämpfen", sagte er, "wie Zhang Fei".
Mindestens 1,13 Millionen Menschen
müssen nach offiziellen Angaben durch den höheren
Wasserstand des Stausees ihre Heimat verlassen. Die
Umsiedlungspläne sind, neben der Zerstörung von Umwelt
und Kulturgütern, die Zielscheibe der Staudamm-Kritiker.
Für rund 28.000 Hektar untergehendes Ackerland kann kaum
vergleichbarer Ersatz in Menge und Qualität bereitgestellt
werden, schreiben mittlerweile chinesische wie ausländische
Wissenschaftler. Pläne für eine forcierte
Industrialisierung und Urbanisierung seien utopisch. Wahnwitzig ist
auch die Summe von veruntreuten Kompensationszahlungen.
Durchschnittlich 3.000 Euro soll jeder Haushalt als
Entschädigung erhalten. Nach einem Bereicht der Volkszeitung,
Propagandablatt der kommunistischen Partei, sollen von 1993 bis
2000 mehr als 47 Millionen Euro in die Taschen von lokalen Beamten
geflossen sein. Die Zentralregierung in Beijing erließ
daraufhin im März 2001 neue Bestimmungen, welche
verschärfte Strafen und nachhaltigeren Wiederaufbau verordnen.
Missmanagement und Bereicherung lokaler Kader wird dies allerdings
kaum stoppen.
Nicht nach Plan Beijings verläuft auch
der Verkehr auf dem Yangtse. Effektivere Schiffbarkeit von Shanghai
bis Chongqing für Frachter bis zu 10.000 Tonnen ist neben
Hochwasserregulierung das Hauptargument für den Bau des
Staudamms. Seit Juni 2003 ist die Schiffsschleuse in Betrieb, bis
dato schaffen es 222 Boote pro Tag durch ihre Tore - nur 57 Prozent
der geplanten Kapazität, so das Wochenmagazin Liaowang
Dongfang. Denn mit rund zwei Stunden dauert die Überwindung
von aktuell vier Kammern à 25 Höhenmetern doppelt so
lange wie geplant.
In einem China der Ungleichheit ist dies
kostbare Zeit. Denn in der Schleuse sind alle gleich - ob
Luxusdampfer Katharina, Transportschiff Dong Han Nr. 7 oder der
namenlose, hoffungslos überladene Kohlefrachter. Die Prozedur
beginnt für alle erst, wenn jeder Platz gefunden hat, dicht
nebeneinander schwimmend und festgetaut an der grauen
Schleusenwand. Schiffspassagiere drängen sich auf die Decks
und verfolgen, wie sich rot nummerierten Tore schließen und
öffnen. Flussabwärts des Drei-Schluchten-Damms soll der
Yangtse nun keine Flut mehr bringen, sondern Strom erzeugen. Ob
sich der Fluss, auch "Urvater" Chinas genannt, dem Willen der
Beijinger Führung unterordnet, wird sich zeigen.
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