|
|
Thilo Castner
Familiensaga mit Höhen und Tiefen
Die Weizsäckers in der jüngsten
Geschichte
Wenige Familien in Deutschland dürften die
Geschichte der Nation im 20. Jahrhundert so stark beeinflusst haben
wie die Weizsäckers, die über Generationen hinweg
bemüht waren, dem Land an hervorgehobener Stelle zu dienen.
Ulrich Völklein belegt dies beeindruckend an Hand der
Lebensläufe von Ernst von Weizsäcker, Staatssekretär
und ranghöchster Diplomat unter Hitler, sowie seiner
Söhne Carl Friedrich und Richard, der eine Kernphysiker, der
andere Politiker und zehn Jahre lang an der Spitze der
Bundesrepublik.
Der Aufstieg zu hohen Staatsmännern
gelang der Familie bereits im 19. Jahrhundert. Carl Heinrich
Weizsäcker schaffte es zum Rektor der Universität
Tübingen, verbunden mit dem ständigen Sitz in der
Abgeordnetenkammer. Einer seiner Söhne, Karl Hugo, 1906 zum
Ministerpräsidenten Württembergs ernannt, hatte den
persönlichen Adelstitel erworben und lebte,
obrigkeitsorientiert und nationalbewusst, mit sich und seiner Zeit
im Einvernehmen, was dem Enkel Ernst sowie den Urenkeln Carl
Friedrich und Richard nicht vergönnt war.
Diese hatten sich mit dem verbrecherischen
NS-System auseinanderzusetzen, dem Widerstand zu leisten ihnen nur
bedingt gelang. Vor allem Ernst von Weizsäcker verfing sich in
den Netzen der Naziherrschaft. Dem bereits während der
Weimarer Republik äußerst erfolgreichen Diplomaten bot
Ribbentrop 1938 den Posten des Staatssekretärs im
Auswärtigen Amt an. Trotz einiger Bedenken nahm von
Weizsäcker an, trat der NSDAP und der SS bei und blieb im
Dienst, auch als er über die Eroberungspläne und
Massenmorde Hitlers in vollem Umfang unterrichtet war.
Er wollte, wie er in Zusammenhang mit der
Verurteilung in Nürnberg später zu seinen Rechtfertigung
ausführte, in seiner Position das Schlimmste verhindern.
Völklein attestiert ihm, dass er kein Nazi war, aber eben auch
kein Widerstandskämpfer. Die von Hitler angestrebte
Einverleibung Österreichs, des tschechischen Sudetenlandes und
vielleicht auch dessen Politik gegenüber Dänemark und
Belgien entsprachen durchaus Weizsäckers
Vorstellungen.
"Den Garaus machen"
1941 fand er in einer Denkschrift den
Gedanken verlockend, der Sowjetunion "den Garaus zu machen" und
"dem kommunistischen System den Todesstoß zu geben".
Ribbentrops Stellvertreter verabscheute die rassistische
NS-Ideologie, ihre Brutalität und Gewalttätigkeit, sah
aber keine Veranlassung, sich abseits zu halten oder die Seiten zu
wechseln. Völkleins überzeugendes Fazit: "Er machte mit,
widerwillig oder nicht, er fügte sich trotz Widerspruchs und
Widerstands und wurde damit Bestandteil des Herrschafts-und
Unterdrückungsapparats, den er verachtete."
Auch sein Sohn Carl Friedrich erlag anfangs
den Versprechungen der NS-Propaganda. Mit der "Machtergreifung"
glaubte er, den Anbruch einer neuen Zeit ohne Klassenhass und
Zukunftsangst zu erkennen. Er war mit Hahn und Heisenberg an der
Entwicklung einer "Uranmaschine" maßgeblich beteiligt. Er
fühlte sich später nicht frei von Schuld. Die "eigene
Verstrickung wahrhaftig anzunehmen, um die Geister der
Vergangenheit" vertreiben zu können, wurde für ihn zur
moralischen Verpflichtung. Sein Engagement gegen die atomare
Aufrüstung der Bundeswehr unter Adenauer, sein vehementes
Eintreten für die Ostpolitik Willy Brandts sowie seine
friedenspolitischen Bemühungen am Starnberger Institut machten
ihn zu einer der weithin respektierten Persönlichkeiten der
Nachkriegszeit.
Hinsichtlich ethischer Grundsätze stand
ihm sein Bruder Richard in nichts nach. Als mehrfach wegen
Tapferkeit dekorierter Offizier im Russlandfeldzug hatte der
"Nachkömmling" die unvorstellbaren Verbrechen der Nazis aus
nächster Nähe miterlebt. Er war in die
Attentatspläne gegen Hitler voll eingeweiht und entging dem
Fallbeil nur mit Glück. Im "Wilhelmstraßen"-Prozess stand
er seinem Vater als Verteidiger zur Seite, die Verurteilung des
Vaters zunächst zu sieben, dann zu fünf Jahren
Freiheitsentzug empfand er als groteskes Fehlurteil.
Zur Politik stieß Richard von
Weizsäcker erst nach mehrjähriger Tätigkeit in einer
Reihe renommierter Unternehmen. Seine spätere
CDU-Mitgliedschaft hinderte ihn nicht daran, den Parteien und ihren
Repräsentanten wiederholt Machtversessenheit und -
vergessenheit vorzuwerfen. Mit Helmut Kohl verband ihn wenig. Als
Präsident des Evangelischen Kirchentags sowie als Regierender
Bürgermeister von Berlin und insbesondere als Präsident
der Bundesrepublik lagen ihm, wie Völklein zu Recht betont,
"Gerechtigkeit, Versöhnung, Aufrichtigkeit, Solidarität,
Wahrhaftigkeit gegenüber der Geschichte und den Menschen"
besonders am Herzen. Die Verstrickungen der eigenen Familie hatten
ihn sensibilisiert, ideologischen Heilslehren gegenüber
misstrauisch zu sein, begangene Fehler ehrlich zu bekennen und
Macht ohne moralische Prinzipien strikt abzulehnen.
Ulrich Völklein
Die Weizsäckers. Macht und
Moral.
Porträts einer deutschen
Familie
Droemer Verlag, München 2004; 448 S.,
22,90 Euro
Zurück zur Übersicht
|