Karl Klebe
Parteinahme und Verweigerung
Acht Komponisten von Schönberg bis Strauss
und Orff im Dritten Reich
Die deutsche Nachkriegsgeschichte ist in vielen Bereichen noch
immer durch mangelnde Aufarbeitung der politischen Vergangenheit im
Dritten Reich gekennzeichnet. Das gilt auch für das
Musikleben, über das erst 1963, also 18 Jahre nach dem Zweiten
Weltkrieg, mit "Musik im Dritten Reich" von Joseph Wulf die erste
umfänglichere Darstellung publiziert wurde. Dieses Werk war
ebenso verdienstvoll, aber ebenso unvollständig wie die im
Jahre 1982 erschienene Veröffentlichung "Musik im NS-Staat"
von Fred K. Prieberg, die in ihren Urteilen und Verurteilungen
nicht immer wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.
Michael H. Kater, emeritierter Historiker in Toronto, scheint
die Lücke nun mit der Vorlage seines dritten Buches über
dieses Thema geschlossen zu haben. Als Amateurjazzer hat er 1992
zunächst den Jazz in dieser Zeit thematisiert ("Gewagtes
Spiel"); 1997 folgte "Die missbrauchte Muse" für den Sektor
Klassik in der Nazi-Ära. Das jetzt erschiene Buch mit
Porträts der Komponisten Egk, Hindemith, Orff, Weill,
Hartmann, Pfitzner, Schönberg und Richard Strauss rundet seine
Darstellung über klassische Musik jener Zeit auf gelungene
Weise ab.
Katers Veröffentlichungen fußen in bisher nicht da-
gewesener Weise auf umfangreichen Archivstudien und wertvollen
Aussagen von Zeitzeugen und Betroffenen. Die Ergebnisse
prädestinieren die Trilogie in ihrer sachlichen, alles
Emotionale ausschließenden Fundiertheit zum Standardwerk auf
ihrem Gebiet. Während Kater in "Die missbrauchte Muse" die
Gesamtverhältnisse und Strukturen im Gefolge der
Machtübernahme durch die Nazis im Auge hatte, hat er nun
anhand der acht porträtierten Komponisten, die teilweise in
Deutschland blieben, teilweise emigrieren mussten, die Auswirkungen
des NS-Räderwerkes auf das Einzelschicksal dargestellt .
Vorauseilender Gehorsam
Da die Lebensläufe - ungeachtet des künstlerischen
Ranges der Porträtierten - die typischen systemimmanenten
Wirkungen schlechthin spiegeln, richtet sich Kater an jeden, der
diese Zusammenhänge in grundsätzlichen Zügen
erfassen will. Was das Buch besonders lesenswert macht, ist die
Darstellung der Zeitströmungen vor 1933. In sicherer Ahnung
des Kommenden ließen etwa schon seit 1931 immer mehr Theater
die Finger von Kurt Weills Bühnenwerken.
Dank der reichhaltigen Belege vermag Kater nicht nur ein
abgesichertes Bild der Verhältnisse in der Nazizeit zu
entwickeln, sondern Beweise zu erbringen, nach denen einige der von
ihm porträtierten Tonsetzer in neuem Licht erscheinen. So
weist er das Mitläufertum des innerlich durchaus
gegenüber dem Regime distanzierten Werner Egk nach. Zudem
deckt er auf, wie sich Carl Orff mit dem System zu arrangieren
wusste und dennoch nach dem Zweiten Weltkrieg überraschend im
Ruf eines Widerstandskämpfers stand.
Dies spricht für sich. Insoweit ist nicht nachvollziehbar,
weshalb Kater bei Orff und auch bei Hindemith in wenig
sachdienlicher Weise mit einigen nicht auf Fakten beruhenden
Zitaten und Behauptungen agitiert und damit zulässt, dass
Orffs "Carmina Burana" als Nazi-Musik denunziert wird. Gleichwohl
bleibt festzuhalten, dass der Verfasser mit Legenden- und
Mythenbildung aller Art aufräumt.
Revision des Strauss-Bildes
Er lässt auch als besondere Ironie der Geschichte nicht den
Skandal aus, dem in der Nachkriegszeit in einem nunmehr
demokratischen System ausgerechnet Egks "Abraxas"-Ballett nach der
Art früherer Zensur zum Opfer fiel (Hundhammer-Affäre).
Er enthüllt auch die absurde Lage Pfitzners, des strammen
Nationalisten und Antisemiten, den Hitler ungeachtet dessen devoter
Avancen verabscheute, weil er ihn für einen Halbjuden
hielt.
Als wirkliche Emigranten sieht Kater nur Weill und
Schönberg, während er bei Hindemith nachweist, dass er
nicht so freiwillig, wie bisher angenommen, emigrierte. Korrigiert
wird auch das hartnäckig kolportierte Bild von Richard Strauss
als opportunistischem Mitläufer des Systems.
Als Historiker gilt Katers Blick nicht der
musikwissenschaftlichen Stellung der Komponisten, sondern deren
politischem und persönlichen Verhalten. Sein Buch
durchleuchtet Situationen, die oft das Menschlich-Allzumenschliche
berühren, und er verurteilt nur da, wo Grenzen der
Menschlichkeit überschritten wurden. Dass ausgerechnet
amerikanischen Offiziere nach 1945 durch zu oberflächliche
Befragung es manchem Mitläufer ermöglichten, ohne
Karriereknick weiter zu machen, erscheint im Kontext der Geschichte
als Zynismus. Insgesamt dürfte der Verfasser mit seinem Buch
erreichen, dass so manche Biografie neu zu ordnen ist.
Michael H. Kater
Komponisten im Nationalsozialismus.
Acht Porträts.
Parthas Verlag, Berlin 2004; 494 S., 38,- Euro
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