Emmeran Weis
Das rätselhafte Land zwischen China und
Japan
Kim Jong-il: Nordkoreas geheimnisvoller
Führer
Über Nordkorea, über die politische Führung, die
wirtschaftliche Potenz, die Gesellschaftsstrukturen und über
die Rolle des mächtigen Militärs wissen wir nur wenig.
Auf welche Personen und Organisationen stützt Kim Jong-il
seine Macht? Was für ein Mensch ist er? Ist er
tatsächlich so verrückt, wie er in westlichen Medien
gerne dargestellt wird? Oder handelt es sich vielleicht um ein
Genie, das der technologisch haushoch überlegenen Supermacht
USA zu trotzen und insgeheim eigene Atomwaffen zu entwickeln
vermochte?
Warum rechnete US-Präsident Bush das Land plötzlich
zur "Achse des Bösen"? Warum beobachten wir trotz wiederholter
Naturkatastrophen, Hungersnot und Leid nicht Machtkämpfe und
einen Regimewechsel oder zumindest eine entschiedene
wirtschaftliche Öffnung? Zwar hat das Regime in den letzten
Jahren diplomatische Beziehungen mit zahlreichen westlichen
Ländern aufgenommen und internationalen Hilfsorganisationen
einen beschränkten Zugang genehmigt, ja sogar ein Ableger des
Goethe-Instituts wurde im Sommer 2004 in Pjöngjang
eröffnet; doch der winzige Spalt der vorsichtig
geöffneten Tür gewährt uns nur einen kleinen
Einblick.
Der in Seoul lebende frühere Journalist und heutige
Managementberater Michael Breen erzählt die Geschichte einer
Nation mit ihrer leidvollen Vergangenheit, die von
ausländischer Einflussnahme, Annexion, einem blutigen
Bruderkrieg und Teilung geprägt ist. In diesen Hintergrund
wird der von Legendenbildung umrankte Aufstieg der Kim-Dynastie
eingebettet.
Das in ständiger Angst vor inneren und äußeren
Feinden lebende Regime sucht sich mit einer Streitmacht von
über einer Million Soldaten zu schützen. Das Militär
hat eine weitgehende Monopolstellung in zentralen
Wirtschaftsbereichen und verschlingt einen Großteil des
jährlichen Budgets. Mit der Fortführung seines
ambitionierten Atomprogramms und der Lieferung selbst entwickelter
Raketen in mehrere arabische Länder erregte Nordkorea den
Unwillen des Westens.
Den bizarren Personenkult um Staatsgründer Kim Il-song und
seinen "Thronfolger" Kim Jong-il stellt Breen ganz in die
konfuzianische Tradition. Er berichtet von den komplizierten
familiären Verhältnissen und der schwierigen Jugend des
jungen Kim, der stets seine respektvolle Ergebenheit gegenüber
dem miss-trauischen Vater zum Ausdruck brachte. Kims "Heldentaten"
und seine Leidenschaft für westliche Filme nehmen einen
großen Teil des Buches ein. Kim Jong-il ließ sogar eine
bekannte südkoreanische Schauspielerin entführen, um im
Norden die Filmindustrie auf westliches Niveau zu heben.
Der Mangel an Informationen verleitet zu Spekulationen und
psychologischen Erklärungsversuchen über Kims
Persönlichkeit. Breen charakterisiert ihn einerseits als einen
höchst sensiblen Menschen, andererseits als grausamen
Diktator, der Tausende von Menschen einsperren, verhungern oder in
Gulags umkommen lässt, während er in Luxus schwelgt und
italienische und japanische Köche anheuert.
Äußerst vorsichtige Reformen nach möglicherweise
chinesischem Vorbild mögen in jüngster Zeit ein schwaches
wirtschaftliches Wachstum angeregt haben; doch trotz der Zunahme
des innerkoreanischen Handels und der geplanten Einrichtung einer
wirtschaftlichen Sonderzone in Kaesong besteht kein Grund zur
Euphorie. Die immensen Einkünfte, über die immer wieder
spekuliert wird, die Kim Jong-il angeblich persönlich
über seine Beschaffungsabteilung und Geheimfirmen mit
Waffenhandel, Drogenschmuggel und Fälschung von US-Dollarnoten
bezieht, dürften kaum zur wirtschaftlichen Erholung
beitragen.
Viele Südkoreaner, insbesondere Intellektuelle, betrachten
Nordkorea nur noch bedingt als Bedrohung. Das schwierige
Verhältnis zu den USA und ein wachsender gesamtkoreanischer
Nationalismus begünstigen eine gewisse Annäherung.
Dennoch ist sich Südkorea sehr wohl der immensen
wirtschaftlichen und sozialen Kosten einer möglichen
Wiedervereinigung mit dem Norden bewusst.
Die so genannten "Sechsparteiengespräche", die seit 2003 in
Peking stattfinden, könnten sich zu einem regionalen
sicherheitspolitischen Forum in Nordostasien entwickeln. Dennoch
erweckt Nordkorea den Eindruck, sich außenpolitisch auf
Kollisionskurs zu begeben. Oder verfolgt das Land, weil es sich
wegen des Drucks der USA in seiner Existenz bedroht sieht, eine auf
Abschreckung gerichtete legitime Sicherheits- und
Überlebensstrategie? Breen vermeidet eine klare Aussage
über das zukünftige Verhalten Nordkoreas.
Das Buch stößt insofern in eine Marktlücke, als
zu Nordkorea kaum Literatur vorliegt. Es gelingt dem Autor, mit
seinem Erzählstil den Leser für Nordkorea zu
interessieren und ihn in die Probleme dieses Landes
einzuführen. Allerdings weist das Werk auch deutliche
Schwächen auf. Sein Aufbau ist bisweilen unsystematisch, und
Argumentationslinien werden zugunsten eingeschobener Geschichten,
die lediglich vorhandene Klischees wiederholen, nicht vertieft. Die
sprachlichen Ungenauigkeiten werden in der deutschen
Übersetzung nicht immer geschickt umschifft. Das Buch, das im
wesentlichen auf eigene Reiseerfahrungen des Autors sowie auf
bereits veröffentlichte Anekdoten von Diplomaten,
Nordkorea-Reisenden und Flüchtlingen basiert, bietet somit
leider nur wenig neue Erkenntnisse, zumal dem Autor der Zugang zu
koreanischsprachiger Literatur verwehrt zu sein scheint.
Michael Breen
Kim Jong-il. Nordkoreas "geliebter Führer".
Aus dem Amerikanischen von Gabriele Gockel und Bernhard
Jendricke.
Europäische Verlagsanstalt/Sabine Groenewold Verlage,
Hamburg 2004; 239 S.,24,90 Euro
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