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Eckhard Stengel
Misstrauensantrag nach tödlichem
Brechmitteleinsatz
Bremen als "Hauptstadt des organisierten
Erbrechens"?
Bremen ist für manchen Superlativ gut: einerseits Hochburg
der Arbeitslosen, andererseits "Stadt der Wissenschaft 2005".
Neuerdings droht Bremen auch noch "zur Hauptstadt des organisierten
Erbrechens zu werden", fürchtet die Arbeitsgemeinschaft der
Juristen (ASJ) in der Bremer SPD. Mit diesem Spruch reagierte die
ASJ auf die Häufung von Brechmitteleinsätzen gegen
mutmaßliche Dealer und auf den Tod eines 35-jährigen
Schwarzen nach einer solchen Prozedur. Die Grünen nahmen den
Todesfall zum Anlass, einen Misstrauensantrag gegen Innensenator
Thomas Röwekamp (CDU) zu stellen. Am 26. Januar stimmt die
Bremische Bürgerschaft darüber ab.
Anders als sonst in Koalitionen üblich, steht die SPD
diesmal nicht von vornherein eindeutig zu ihrem
Bündnispartner. Letztlich dürften zwar auch die
Sozialdemokraten gegen den Antrag der Opposition stimmen - aber
noch halten sie die CDU ein bisschen hin: Erst müsse
Röwekamp endgültig auf gewaltsame Brechmittelvergabe
verzichten, forderte SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen.
Unerwähnt ließ er dabei, dass der Innensenator nicht der
Hauptverantwortliche ist. Die Grundsatzfrage, auf welche Weise
verschluckte Drogenkügelchen als Beweismittel zu Tage
gefördert werden sollen, entscheiden nicht Polizei und
Innenressort, sondern Staatsanwaltschaft und Justizsenator - und
dieses Amt bekleidet nebenbei Bürgermeister Henning Scherf
(SPD).
Scherf und alle bisherigen CDU-Innensenatoren waren sich stets
darin einig, Brechmittel notfalls auch mit Zwang zu verabreichen,
wenn mutmaßliche Straßendealer bei Kontrollen
auffällig schlucken, als wollten sie ihre Ware den
Strafverfolgern entziehen. "Mit Zwang" bedeutet, dass ein
Polizeiauftragsarzt dem Tatverdächtigen einen Schlauch durch
die Nase in den Magen schiebt und Brechsirup samt Wasser
einflößt.
Schon einmal, Ende 2001 in Hamburg, starb ein 19-Jähriger
nach einem solchen Einsatz. Das rot-schwarze Bremen ließ sich
jedoch nicht abschrecken, sondern verabreichte weiterhin etwa
hundertmal pro Jahr Brechsirup - bis jetzt der 35-jährige
Afrikaner daran starb. Seit Einführung des Brechzwangs 1992
sind rund tausend Menschen in Bremen dieser Prozedur unterzogen
worden. Bei jedem Vierten war die Qual vergeblich: Bei ihnen kamen
keine Drogen zum Vorschein.
Die Menschenrechtsorganisation "amnesty international" hält
das Zwangserbrechen für "grausam, unmenschlich und
erniedrigend". Sogar das CSU-regierte Bayern sieht die
Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gegeben und
wartet lieber auf den Stuhlgang, notfalls beschleunigt durch
Abführmittel. Zwar greifen auch Hamburg und Berlin
regelmäßig zu Brechsirup, aber Bremen tat es bisher am
routinemäßigsten - bis der jüngste Todesfall jetzt
einen vorläufigen Anwendungsstopp auslöste. Aber auch als
der Straßendealer bereits im Koma lag, erklärte
Innensenator Röwekamp die Prozedur noch für
grundsätzlich "unverzichtbar" und fügte hinzu,
"Schwerstkriminelle" müssten nun mal "mit körperlichen
Nachteilen" rechnen.
Die Grünen und andere Kritiker wie etwa Juraprofessoren und
Jungsozialisten reagierten darauf empört. Sie erinnerten an
die Strafprozessordnung, wonach körperliche Eingriffe bei
einem Beschuldigten nur zulässig sind, "wenn kein Nachteil
für seine Gesundheit zu befürchten ist". Und selbst
Strafermittler räumten ein, dass Drogenhandel auf der
Straße meist nur als Vergehen und nicht als Verbrechen
verfolgt werde. Jurist Röwekamp verteidigte sich daraufhin mit
den Worten, seine Einstufung von Dealern als Schwerstverbrecher sei
keine "juristische Definition, sondern eine politische
Bewertung".
Die Opposition warf dem Senator auch vor, er habe zunächst
Falschbehauptungen über den angeblich nicht mehr
lebensbedrohlichen Zustand des Kollabierten verbreitet und ihm
fälschlich vorgeworfen, sich durch das Zerbeißen von
Drogenkugeln quasi selber vergiftet zu haben. Röwekamp
bedauerte mittlerweile, dass er zunächst einen "fehlerhaften
Eindruck" von dem Fall vermittelt habe - aber das seien nun mal die
Informationen gewesen, die die Polizei ihm übermittelt habe.
Die Grünen konterten, dass er offenbar seine Behörde
nicht recht im Griff habe. Die grüne Integrationsbeauftragte
des Bundes, Marieluise Beck, nannte ihn gar "Senator Gnadenlos" und
einen "Schmalspurdemokraten".
Jetzt warten alle gespannt darauf, ob bei der geheimen
Abstimmung über den Misstrauensantrag auch einzelne
Sozialdemokraten mit der Opposition stimmen und ob sich die CDU
doch noch der Meinung von SPD und Grünen anschließt, dass
eine gewaltsame Brechmittelvergabe endgültig nicht länger
zu verantworten sei.
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