|
|
Karl-Otto Sattler
Goll wird Spitzenkandidat der Freien Demokraten
im "Ländle"
Baden-Württemberg: Neuer Solitär soll
Krise bannen
Der Machtkampf war kurz, aber nicht schmerzlos:
Im Schnelldurchgang boxte sich Justizminister Ulrich Goll mit
hartem Ellbogeneinsatz zum Spitzenkandidaten der
baden-württembergischen FDP für die Landtagswahl durch.
Das erst im Sommer nach dem jähen Sturz des als Solitär
die Liberalen dominierenden Walter Döring unter viel
Getöse installierte Viererteam mit Birgit Homburger, Ernst
Pfister, Ulrich Goll und Ulrich Noll hielt nur ein halbes Jahr.
Triumphiert hat der Chef des Justizressorts über den nun
demontiert dastehenden Wirtschaftsminister Pfister, als
Vize-Regierungschef landespolitisch eigentlich die Nummer eins der
FDP.
Alles hatte seine wohlgefügte Ordnung.
Im Rampenlicht agierte Walter Döring: Der Wirtschaftsminister
im CDU/FDP-Kabinett, Parteivorsitzende und Medienprofi beherrschte
als Alleinunterhalter die Schlagzeilen und punktete bei
Urnengängen für die schwäbischen und badischen
Freidemokraten. Zwar sind die glorreichen Zeiten im einstigen
liberalen Stammland längst Vergangenheit, doch holte
Döring 2001 solide 8,1 Prozent, bei der Wahl im Frühjahr
2006 wird die FDP zehn Jahre mitregiert haben. Indes stürzte
Döring, hinter dessen Rücken die Partei bis zur
Konturlosigkeit verschwand, im Sommer unerwartet über eine
Affäre wegen der dubiosen Bezahlung einer Umfrage im
Dunstkreis des milliardenschweren Flowtex-Betrugsskandals und des
PR-Beraters Moritz Hunzinger. Justizministerin Corinna
Werwigk-Hertneck musste ebenfalls gehen. Gegen beide Politiker
ermittelt der Staatsanwalt.
FDP stand vor dem Nichts
Die FDP stand vor dem Nichts. Nie mehr
wollten die Freidemokraten derart von einem einzelnen Politiker
abhängig sein und bei dessen Abgang in ein schwarzes Loch zu
fallen drohen. Aus der Not wurde eine Tugend, das Team geboren. Die
Bundestagsabgeordnete Homburger übernahm den Parteivorsitz.
Noll rückte an die Spitze der Fraktion. Deren vorheriger Chef
Pfister wurde Dörings Nachfolger im Kabinett und Vize von
Ministerpräsident Erwin Teufel. Zudem recycelte die FDP zur
allgemeinen Verblüffung als neuen Justizminister Goll, der
dieses Amt bereits 1996 übernommen hatte und 2002 der Politik
Adieu sagte. In den aufgeregten Julitagen erteilte Goll neuen
"Spitzenkandidatendebatten" eine entschiedene Absage. Eine Person
herauszuheben, nein, "ich halte nichts davon", so Goll damals. Nach
seiner clever durchgesetzen Installierung als Nummer eins durch
eben diese Viererriege, der Vorstand am 11. Februar und ein
Parteitag im Juni werden diese Entscheidung noch formal zustimmen,
will der 54-Jährige von den seinerzeitigen Erkenntnissen
nichts mehr wissen. Es sei eben schwer, so Goll heute, "in einem
Viererteam zusammenzuarbeiten". Zudem habe bei der Union die
Mitgliederbefragung über die Teufel-Erbfolge und die Wahl
Günther Oettingers zu einer solchen Personalisierung
geführt, "dass ein Team verloren in der Landschaft
stand".
In der Tat herrscht bei den Liberalen Unruhe:
Umfragen sehen die Partei bei nur noch sechs Prozent. Das Quartett
mühte sich im Schatten der CDU vergeblich, öffentlich
überhaupt bekannt zu werden. Die FDP, nicht die Union scheint
der Verlierer der Krise im Stuttgarter Kabinett zu sein. Die CDU
hat ihre Personalprobleme mit der Kür Oettingers als Kronprinz
Teufels geregelt, und das Duell des Fraktionsvorsitzenden mit
Kultusministerin Annette Schavan bescherte der Union viel mediale
Resonanz. Die Freidemokraten hingegen sind untergegangen. In dieser
Situation bewies Goll kaltschnäuzig Machtinstinkt und
überrumpelte mit seinem Marsch in die Fußstapfen
Dörings seine drei Mitregenten. In der Weihnachtsruhe vor
Dreikönig lancierte er über die Medien forsch seinen
Anspruch auf die Spitzenkandidatur. Birgit Homburger, die auch nach
2006 ihre Zukunft in Berlin sieht, mahnte matt, diese Frage doch
bitte erst im Februar zu klären. Pfister weilte in Costa Rica
und bekam von Golls Parforceritt am Neckar nichts mit, ein
raffinierter Schachzug des Justizministers. Aus der Defensive
heraus hielt Pfister, der als Vize Teufels in der Rangordnung
über Goll steht und die für die FDP wichtige
Wirtschaftspolitik beackert, beim Dreikönigstreffen eine
betont kämpferische Rede und warb in den Reihen der
Parteitagsdelegierten für eine "Doppelspitze" mit ihm und dem
Konkurrenten.
Mehr Eigenständigkeit
Vergeblich. Mittlerweile strich Pfister die
Segel: "Ich wäre für die FDP gerne im Rahmen einer
Doppelspitze zur Landtagswahl 2006 angetreten", teilte er kleinlaut
mit, "leider" habe dieser Vorschlag "keine ausreichende
Unterstützung gefunden". Wie Pfister nach dieser Demontage
durch die eigenen Leute unter einem Regierungschef Oettinger, der
als Newcomer in der Villa Reitzenstein eigene Duftmarken setzen
muss, im Kabinett die Liberalen gegen die Union profilieren will,
mutet rätselhaft an. Goll räumt ein, nun stehe Pfister
"als derjenige da, der momentan den Kürzeren gezogen hat".
Für den Verlierer dürfte es wenig tröstlich sein,
dass der Sieger ihm generös in Aussicht stellt, im Wahlkampf
ein "Eckpfeiler" zu sein.
Der neue Spitzenkandidat will der FDP in der
Koalition mehr Eigenständigkeit verschaffen. Das dürfte
ein hartes Stück Arbeit werden. Bislang wurden kaum politische
Unterschiede zwischen den beiden Parteien deutlich - nicht einmal
in der Wirtschaftspolitik, auch wenn die Freidemokraten
gelegentlich mehr Privatisierungen fordern. Im zentralen Bereich
Inneres trugen die Liberalen den restriktiven CDU-Kurs ebenfalls
mit, etwa bei Videoüberwachung oder Sicherungsverwahrung. Zwar
setzte Goll bei der Homoehe eine Enthaltung Baden-Württembergs
im Bundesrat durch, doch treibt dieses Thema die Bürger nicht
gerade sonderlich um. Als Goll von der Union eine Neuverhandlung
des Koalitionsvertrags für die Zeit mit Oettinger verlangte,
wurde er von der eigenen FDP-Fraktion zurückgepfiffen, jetzt
soll wenigstens ein neues "Kapitel" als Anhang
herausspringen.
Die Südwest-FDP ist aus ihrer Krise noch
nicht herausgekommen. Goll soll es nun richten. Immerhin hat er
eine gewisse Erfahrung beim Bemühen, Darniederliegenden aus
der Patsche zu helfen: Während seines vorübergehenden
Ausstiegs aus der Politik war er in einer Anwaltskanzlei tätig
- als Insolvenzverwalter.
Zurück zur Übersicht
|