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Ralf Hanselle
Die Kunst begegnet dem Terror
In den Berliner Kunst-Werken eröffnet die
viel diskutierte RAF-Ausstellung
Was will Ulrike Meinhof? Mit dieser Frage
bewegte der Schriftsteller Heinrich Böll Anfang der 70er-Jahre
die Bundesrepublik. Nach dem Ende des Terrors und mit dem Tod
vieler seiner Protagonisten haben sich die Fragen noch immer nicht
erübrigt. Die Geschichte der RAF reicht bis in die Gegenwart.
Das wird spätestens deutlich, wenn man die hitzige,
kontroverse Debatte rund um die in Berlin geplante Ausstellung zum
"Mythos RAF" verfolgt hat. Am 29. Januar ist es soweit. Eine der
meistdiskutierten Kunstausstellungen der vergangenen zwei Jahre
wird in den Berliner Kunst-Werken eröffnet. Allerdings unter
einem neuen Titel: "Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF."
Vordergründig betrachtet drehte sich die
Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit zunächst um die
Finanzierung. Der Hauptstadtkulturfonds hatte für das Projekt
100.000 Euro zur Verfügung gestellt. Eine Summe, die schon in
Anbetracht der maroden Berliner Finanzsituation bei manchem
Beobachter Kopfschütteln hervorrief. Letztlich ging es dabei
aber auch immer um die Interpretationshoheit des Terrorismus der
70er- und 80er-Jahre. Die RAF hatte die damals noch recht junge
Demokratie in der Bundesrepublik in Aufruhr und Aufregung versetzt.
Menschen wurden entführt, erschossen und hingerichtet.
Zugleich entstand aber auch eine Mythenbildung um die Terroristen.
Und zwar nicht nur zu der Zeit, als sie aktiv war, sondern gerade
in jüngster Vergangenheit. Theatermacher wie John von
Düffel oder Autoren wie Leander Scholz und Moritz von Uslar,
der das Drehbuch für Christopher Roths umstrittenen Film
"Baader" geschrieben hat, formten aus Terroristen das Personal
für einen Pop-Mythos.
Vor diesem Hintergrund musste eine
Ausstellung über die RAF polarisieren. Sensibilisiert waren
zunächst die Angehörigen der Opfer. Sie stolperten
über einen Satz, der sich in einem ersten Konzept zu der
Ausstellung befand. Als handele es sich bei der Roten Armee
Fraktion lediglich um eine weltverlorene Meditationsgruppe, fragte
man in dem Papier: "Welche Ideale haben ihren Wert durch die Zeit
behalten und können nicht als naiv abgetan werden." Für
Hergard Rohwedder, Witwe des von der RAF ermordeten Treuhandchefs
Detlev Rohwedder, muss ein solches Statement wie eine
verspätete Entwürdigung gewirkt haben.
Sie machte ihrer Wut in einem Brief an den
Bundeskanzler Luft. Von da an war das politische Berlin alarmiert.
Noch bevor weitere Konzepte von den Kunst-Werken kommuniziert
werden konnten, begann die öffentliche Erregung. Friedrich
Merz, damals stellvertretender CDU-Fraktionschef, witterte einen
"ungeheuerlichen Skandal", Bundesinnenminister Otto Schily (SPD)
verspürte "erhebliche Bedenken", und die "Bild"-Zeitung
fragte: "Warum zahlt Berlin 100.000 Euro für
Skandal-Ausstellung über RAF?"
Nun war es in der Welt. Das kleine
Wörtchen, das jedes Thema am Kochen hält, eine
nüchterne Debatte aber unmöglich macht: "Skandal!" Von da
an ging es kaum noch um die notwendige historische Bewertung des
Linksterrorismus gut eine Dekade nach Selbstauflösung der RAF,
nicht mehr um die Frage nach dem Zusammenspiel von Kunst und Terror
oder der Medialisierung des Schreckens. Von da an ging es nur noch
darum, trockenen Fußes aus der Sache wieder
herauszukommen.
Die Kunst-Werke legten ein neues Konzept vor,
das von jedem politischen Anspruch bereinigt war. Und
Kulturstaatsministerin Christina Weiss wollte nur noch eins: Die
100.000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds zurück. Nach
monatelangem Gezanke gaben die Kunst-Werke schließlich auf.
Sie zogen ihren Antrag auf öffentliche Förderung
zurück und versuchten, die Ausstellung aus Publikations- und
Versteigerungserlösen bei Ebay zu finanzieren.
Außer der Feststellung, dass über
25 Jahre nach dem Deutschen Herbst die RAF noch immer
emotionalisiert, hat die kulturpolitische Hakelei kaum Ergebnisse
gezeitigt. Längst mag das RAF-Logo durch die Popindustrie
gejamt worden sein und die Konterfeis von Andreas Baader und Gudrun
Ensslin auf T-Shirts erhältlich sein. Im Unterbewusstsein der
breiten Öffentlichkeit werden Hans und Gretel, so die
Decknamen der beiden, dennoch nie zu einem verklärten
Liebespaar aus dem deutschen Märchenwald. Sie bleiben jene
Politkiller, die einst mit der Welt Himmel und Hölle
spielten.
Ob die nun eröffnende Ausstellung dieses
Bild verändern wird, muss sich zeigen. Fest steht bis dato
nur, dass keine neuen künstlerischen Positionen zu sehen sein
werden. Vielmehr haben die Kuratoren Klaus Biesenbach, Ellen
Blumenstein und Felix Ensslin Arbeiten zusammengetragen, die seit
Jahren in öffentlichen Museen und Ausstellungen zu sehen sind.
Bekannte Werke wie Gerhard Richters Tafeln 470 bis 479 aus dem
Zyklus "Atlas" oder eine dokumentierte Aktion von Joseph Beuys
während der documenta 5. Dazu Arbeiten von jüngeren
Künstlern wie Peter Friedl oder Johannes
Wohnseifer.
Dass Kunst immer einen ganz eigenen Zugang
zur "Bleiernen Zeit" hatte, ist nicht neu. Dabei geht es nicht nur,
wie etwa bei den Arbeiten von Gerhard Richter oder Katharina
Sieverding, um den Zweifel an der medialen Vermittlung. Vielmehr
ist es eine immer wieder unterstellte Verwandtschaft, die
Avantgarde und Terrorismus aneinander bindet. Eine Affinität,
die in Karl Heinz Stockhausens legendärer Pressekonferenz kurz
nach dem 11. September 2001 ihren vielleicht pervertiertesten
Ausdruck fand. Damals machte der Komponist von sich reden, da er in
den Anschlägen auf die Twin-Towers ein
"größtmögliches Kunstwerk" erblickte. Der Gedanke
ist bekannt. Schon Andreas Baader hat mit der künstlerischen
Avantgarde Händchen gehalten. Der Vorstadt-Strizzi aus
München, der einst für kurze Zeit an einer privaten
Kunstschule studiert hatte, liebte es, unter den Kreativen seiner
Epoche zu verkehren. Besonders die Kommune 1 um Dieter Kunzelmann
und Fritz Teufel hatte es ihm angetan. Nicht umsonst ist
später oft darüber spekuliert worden, ob der
Gründungsakt der RAF, der Brandanschlag auf zwei Frankfurter
Kaufhäuser, letztlich der Realitätsdurchbruch einer
Performance der Berliner Künstlerkommune war.
Diese hatte nach einem Brand in einem
Brüsseler Kaufhaus Ende der 60er-Jahre eine Broschüre
unter dem Titel "burn ware-house, burn" verteilt. In einem etwas
schnodderig-satirischen Tonfall wurde darin dazu aufgefordert,
Berliner Kaufhäuser in Flammen aufgehen zu lassen. Für
die Kommune 1 stand diese Geschmacklosigkeit in einer
Neodadaistischen Tradition. Eine Performance, die die Grenzen
zwischen Kunst und Wirklichkeit aufheben wollte. "Brüssel wird
Hanoi", so der legendärste Satz des kleinen
Traktates.
Für Avantgarde und Neo-Avantgarde
blieben derartige Gedanken jedoch stets in einem abgesteckten
Kunstkosmos. Ein Verbot des Ernstfalls hinderte daran, die
entscheidende Grenze zu überschreiten. Derlei wusste schon
André Breton, als er im berühmten "Manifest des
Surrealismus" feststellte: "Die einfachste surrealistische Handlung
besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die
Straße zu gehen und blindlings so viel wie möglich in die
Menge zu schießen."
So gesehen hat Andreas Baader die letzte
Grenze zwischen Fiktion und Non-Fiktion aufgehoben. In einer Zeit,
in der immer wieder das Verschmelzen von Kunst und Politik
gefordert wurde, in der neue politische Spielarten wie Sit-In,
Go-In und Happening praktiziert wurden, machte die RAF aus Kunst
Ernst. Spaßguerilla goes Stadtguerilla. Während der
"Wiener Aktionismus" um Hermann Nitsch noch darüber
nachgrübelte, ob ein Mord Teil eines Kunstwerks sein
könnte, drehte der Kunsthistoriker Boris Groys den Spieß
um und ging so einen entscheidenden Schritt weiter: "Der
Terrorist", so Groys, "ist ein moderner Künstler unter der
Bedingung, dass das moderne Kunstsystem fehlt."
Vielleicht ist es in einem solchen
Koordinatensystem etwas treuherzig davon auszugehen, dass eine
Ausstellung, die sich der Auseinandersetzung mit der RAF in der
Kunst verschrieben hat, das Prinzip Stadtguerilla
entmythologisieren könnte. So zumindest war es in der ersten
Planung offenbar gedacht gewesen. In ihrem Bezugsrahmen hat Kunst
zunächst ein ganz eigenes Interesse am criminal chic. Kunst
ist eben nicht immer der Bild gewordene Humanismus, sondern auch
Kampfansage an die Wirklichkeit.
Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF.
Ausstellung. Kunst-Werke. Institute for Contemporary Art. Berlin.
30. Januar bis 16 Mai. Zur Ausstellung sind zwei Kataloge
erschienen.
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