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Johannes Wendland
Das Dunkle hinter den Bildern
Felix Ensslin, der Sohn der RAF-Terroristin
Gudrun Ensslin, bewahrt sich vor der Vergangenheit
Die Taten der Eltern und Großeltern liegen oft wie eine
bleierne Last auf den Nachgeborenen. Es würde nicht
verwundern, wenn einer wie Felix Ensslin darüber ein Klagelied
anstimmen würde. Auf den ersten Blick wäre der Sohn der
RAF-Terroristin Gudrun Ensslin und des Schriftstellers Bernward
Vesper sowie Enkel des NS-Dichters Will Vesper der geborene
Zeitzeuge. Doch, entsprechend gefragt, pariert er mit einer Volte:
"Viele Menschen meinen, dass ich ein Experte dafür sein
müsste, was in den 70er-Jahren passiert ist. Doch ich bin nur
ein Experte dafür, was mit mir in den 70er-Jahren passiert
ist."
Reden wir also über Felix Ensslin, 37, studierter
Philosoph, Dozent und langjähriger Mitarbeiter von
Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Daneben
Theaterautor, Dramaturg und Regisseur, seit Jahren verbunden mit
dem Deutschen Nationaltheater in Weimar, wo er Mitte Dezember auch
sein Erstlingswerk "Durch einen Spiegel ein dunkles Bild" selbst in
Szene gesetzt hat. Und jetzt einer der Kuratoren der Ausstellung
"Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung" in den Berliner
Kunst-Werken. Seit zwei Jahren arbeitet Ensslin an der Konzeption
der Berliner Ausstellung. Es hat länger gedauert, als geplant
- die massive öffentliche Debatte im Sommer 2003, die sich
entzündete an einer Ausstellung, die noch gar keine war,
verzögerte die Umsetzung des Projekts.
Zuvor, so räumt er ein, hatte Ensslin in der
Öffentlichkeit einen Bogen um das Thema RAF gemacht.
Wohlwissend um die Belastungen, die für ihn unausweichlich
wären, um die Schwierigkeit, private Erfahrungen und
historische Ereignisse zu trennen. Was hat ihn dazu bewogen, jetzt
aber diese Ausstellung zu organisieren? "Die Kunst", sagt er. "Die
bildende Kunst ist mir nahe, und deshalb mache ich das jetzt. Es
ist und bleibt eine ambivalente Situation, weil es kein Thema wie
jedes andere für mich ist, ganz klar."
Wenn Ensslin von den Ursprüngen dieser Ausstellung
erzählt, dann klingt das zunächst so nüchtern und
distanziert, als handelte es sich um ein x-beliebiges Thema. Sein
Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass sehr viele Künstler in
ihren Arbeiten häufig auf den Linksterrorismus der
Bundesrepublik Bezug genommen haben. Dies habe er eher nebenbei in
einem privaten Gespräch mit Klaus Biesenbach erwähnt, dem
früheren Leiter der Kunst-Werke. Der habe den Faden sofort
aufgenommen und die - später heftig umstrittenen -
Fördermittel beim Berliner Hauptstadtkulturfonds beantragt.
Als diese bewilligt waren, begann Ensslin zusammen mit der
Ko-Kuratorin Ellen Blumenstein mit der Vorbereitung.
In der Debatte über die "Skandalausstellung" ("Bild") ist
die Tatsache, dass es dabei in erster Linie um eine
Kunstausstellung gehen sollte, völlig untergegangen. Die
Kunst-Werke versäumten es allerdings auch, darauf zu
insistieren, und agierten auffallend defensiv. "Wir konnten nicht
eine Debatte über eine Ausstellung führen, die wir gerade
erst entwickelten", erklärt Ensslin. Das gelte auch für
die Frage, ob und wie die Erfahrungen der Hinterbliebenen der
Terroropfer in die Vorbereitung einfließen sollten: "Die
Frage, wie man sich dazu verhält, dass die Ausstellung mit
traumatischen realen Erfahrungen zu tun hat, hatten wir zu diesem
Zeitpunkt einfach noch nicht gelöst." Die Ausstellung, die
jetzt eröffnet wird, stellt die Kunst deutlich ins Zentrum und
intendiert ausdrücklich keine zeitgeschichtliche Aufarbeitung
des RAF-Terrors. Doch inwieweit berührt diese Ausstellung bei
Felix Ensslin das eigene Verhältnis zur Geschichte der RAF?
Gibt es doch irgendwo autobiografische Momente? "Ich glaube, meine
Erfahrung unterscheidet sich gar nicht so wesentlich von der
anderer Angehöriger meiner Generation", antwortet er, "etwa
von Biesenbach oder einem Künstler wie Johannes Wohnseifer,
der mit einer medienkritischen Arbeit in der Ausstellung vertreten
ist. Dabei spielt die Frage nach den medial vermittelten Bildern
der Ereignisse und der Personen eine ganz große Rolle. Wir
haben eine eigenartige Omnipräsenz und zugleich Ferne dieser
Bilder wahrgenommen." Die Fahndungsfotos der Terroristen oder die
Bilder von Tatorten oder Geiselnahmen sind ins kollektive
Gedächtnis eingegangen und zum Signum für einen
geschichtlichen und - bei jedem Einzelnen - auch biografischen
Moment geworden. Und doch haben diese Bilder Fragen offen gelassen.
Der Kunst spricht Ensslin das Vermögen zu, ein erneutes
Nachdenken über diese Bilder und das, was sich hinter ihnen
verbirgt, anzustoßen.
Es scheint so, dass Ensslin sich mit diesen Erfahrungen als
ziemlich normalen Vertreter seiner Generation sieht. Einerseits.
Doch da ist auch die andere Seite, seine Lebensgeschichte. Vier
Jahre alt war Felix Ensslin, als sein Vater, der Autor des
Kultromans der 68er-Generation "Die Reise", in der Psychiatrie der
Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf Selbstmord beging, zehn
Jahre alt, als seine Mutter im Hochsicherheits-trakt
Stuttgart-Stammheim ihrem Leben ein Ende setzte. Wenige Monate nach
der Geburt hatte seine Mutter das Kind verlassen, um in den
Untergrund zu gehen. Felix Ensslin wuchs in einer Pflegefamilie
auf.
Dass der Schmerz über den Verlust seiner Eltern und die
Suche vor allem nach der Mutter ein Thema ist, das ihn immer wieder
einholt, lässt das Theaterstück spüren, das Ensslin
jetzt in Weimar aufgeführt hat. In Dialogform beschreibt es
das Verhältnis zwischen einer Tochter und ihrer verstorbenen
Mutter, "ein Selbstbehauptungs- und Erfahrungsdialog"
("Deutschlandfunk"), der deutlich autobiografische Bezüge hat.
"Der erste Spiegel im Leben eines Menschen ist seine Mutter.
Meistens", heißt es im Text. "Es kann passieren, dass ein
Kind, vom schimmernden Glanz dieses Spiegels gebannt, bei ihm
verharrt und selbst dann darin gefangen bleibt, wenn die Zeit ihr
Werk verrichtet hat."
Als 19-Jähriger zog er zum Studium in die USA, in ein Land,
wo der Name "Ensslin" keine unmittelbaren Reaktionen auslöste.
In New York studierte er Philosophie, legte eine Magisterarbeit
über ein Luther-Thema ab und hielt als Assistent Seminare
ab.
Zehn Jahre später kehrte er auf Betreiben von Antje Vollmer
nach Deutschland zurück. Eine Legislaturperiode war er
wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen-Fraktion, eine
weitere Büroleiter bei Rezzo Schlauch. Viel Leben, viel
Biografie für einen 37-Jährigen. In näherer Zukunft
warten weitere Theaterprojekte auf ihn, und er will seine
Doktorarbeit wieder aufnehmen.
Von den Kunstwerken, die Ensslin für die RAF-Ausstellung
ausgewählt hat, sprechen ihn nach eigener Aussage besonders
diejenigen von Künstlern einer Generation in mittleren Jahren
an. In ihnen entdeckt er häufig den mitunter sehr emotionalen
Versuch, gegen den Druck der Ereignisse und die Spuren der Gewalt
die eigenen Möglichkeiten zu bewahren. Das klingt fast wie
eine Überschrift über sein eigenes Leben.
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