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Alva Gehrmann
Politiker mit menschlichen Zügen und
Schwächen - so wie die echten
Fiktive ZDF-Serie "Kanzleramt" will hinter die
Kulissen der Macht blicken
Es scheint so, als würden wir alles von Politikern
mitbekommen. Ihren Alltag, ihr Leben. Die Medienrepublik macht es
möglich. Doch tatsächlich sehen wir die immer gleichen
Bilder: Blitzlichtgewitter, ein kurzes Statement für die
Journalisten, dann huschen sie, umringt von Bodyguards, schnell in
die nächste Sitzung. Vielleicht sieht man Politiker noch mal
in einer Talkrunde und in den Nachrichten. Das war's. Doch was
passiert, wenn die Fernsehkameras aus sind und sich die Türen
des Kanzleramts schließen? Wenn also die eigentliche Arbeit
gemacht wird.
Dezember 2004: Auf dem Schreibtisch des Bundeskanzlers steht
eine Champagner-Flasche, daneben halb leere Sektgläser.
Ansonsten ist sein Schreibtisch ordentlich, ein Telefon, das Foto
seiner Tochter - im Büroregal steht der Brockhaus. Es ist
nicht das echte Kanzlerbüro, sondern die Kulisse der neuen
ZDF-Serie "Kanzleramt". Ab 23. März werden zunächst
zwölf Folgen ausgestrahlt.
Die fiktive Serie erzählt aus dem Leben des Kanzlers und
seinem engen Umfeld: dem Kanzleramt. Die Macher wollen einen
realistischen und unterhaltsamen Einblick in die Regierungspraxis
geben. Wie wird überhaupt Politik gemacht? Wie funktioniert
Macht? Wie verändert es den Menschen? Im Mittelpunkt stehen
neben dem Kanzler auch der Regierungssprecher, der Redenschreiber,
die Büroleiterin und der Kanzleramtschef. Sie werden mit all
ihren Ängsten und Zwängen gezeigt - es geht dabei um die
ihre Verantwortung für die Gesellschaft, dem eigenen
Karrieredenken und den privaten Wünschen.
So wie das auch im echten Leben ist. Und dennoch ist es nicht
die Realität. "Es sind rein fiktive Fragen und Geschichten",
sagt Ulrich Lenze, der Produzent. "Aber sie müssen
natürlich heutig sein, glaubhaft und aktuell wirken, damit der
Zuschauer sie als spannend empfindet." So sind die politischen
Probleme durchaus realistisch: Ärger wegen der anstehenden
Tabaksteuererhöhung, ein Geiseldrama in Südamerika,
Streit mit der Opposition. Der TV-Kanzler heißt nicht Gerhard
Schröder, sondern Andreas Weyer. Er ist verwitwet und hat eine
halbwüchsige Tochter, die ihre Ansprüche stellt.
Da im echten Kanzleramt nicht gedreht werden kann, wurde
kurzerhand eine nachgebaut. In einer alten Fabrikhalle in
Berlin-Siemensstadt befindet sich das TV-Kanzleramt auf 2.000
Quadratmetern. Der Eingangsbereich ist nahezu originalgetreu - die
Säulen, die Decken, selbst die hellen Farbtöne und das
Porsche-Grün sind wieder zu erkennen. Ebenso die
Kanzler-Ahnengalerie, die Gänge zu den Büros, bis hin zur
Einrichtung. Es soll gut aussehen, nicht billig. Denn hier werden
über die Hälfte der Szenen gedreht. Axel Schultes,
Architekt des echten Kanzleramts, hat sich die Kulisse auch
angesehen, stand beratend zur Seite. 700.000 Euro kostete das
Studio.
Man hat viel investiert. Nicht nur in die Kulisse. Ein Wagnis
sei das Projekt. Tollkühn, sagt das ZDF. In letzter Zeit sei
so viel von Politikverdrossenheit die Rede. Dabei ist sie doch so
bedeutend, sagt Martin E. Süskind. "Politik prägt unser
Leben, ob wir es wollen oder nicht. Politik ist wichtig, spannend,
notwendig, unterhaltsam." Süskind muss es ja wissen: Er hat
viele Jahre als politischer Journalist gearbeitet, war
Redenschreiber von Willy Brandt, später Chefredakteur der
"Berliner Zeitung". Für die Serie "Kanzleramt" hat er
gemeinsam mit Hans-Christoph Blumenberg die Bücher
geschrieben. Dabei war eins von Anfang an klar: "Es sollte keine
Satire werden, sondern wir wollten die Politiker ernst nehmen",
sagt Blumenberg.
Was also will die Serie erreichen? Die Bevölkerung
aufklären? Ihnen Politik schmackhaft machen? "In erster Linie
wollen wir mit unserer Serie unterhalten. Es ist eine politische
Serie mit unterhaltenden Elementen", sagt Blumenberg, der bei den
ersten beiden Folgen auch Regie geführt hat.
Zurück zum Set. Es wird der 88. Tag gedreht. Sie proben die
nächste Szene: die morgendliche Lagebesprechung im Kanzleramt.
Auch das wird gezeigt. "Haben wir uns verstanden?", sagt Kanzler
Weyer mit energischer Stimme in die Runde. Gespielt wird er von
Klaus J. Behrendt, den kennt der Zuschauer bisher vor allem als
Kölner "Tatort"-Kommissar, dort ist er stets leger gekleidet,
ein lockerer Typ. Als Kanzler trägt Behrendt einen schicken
Anzug, hat zurückgekämmte Haare und eine randlose Brille.
Das ZDF setzt auf bekannte Schauspieler. Robert Atzorn, Rita
Russek, Herbert Knaup. Auch das soll Interesse für ihre Serie
wecken.
Entweder die Leute schauen es sich an, weil sie die Schauspieler
mögen, oder weil sie endlich verstehen wollen, wie es hinter
den Kulissen der Macht aussieht. Das ist die Hoffnung der Macher.
Neben dem Kanzler spielt der Chef des Kanzleramtes eine zentrale
Rolle. Denn: Was macht der eigentlich? Kaum einer kennt Walter
Steinmeier - den echten Chef des Kanzleramts. Kaum einer weiß,
welche Arbeit er macht. Die erste Folge von "Kanzleramt" zeigt es
bereits ansatzweise.
Darin gerät die Bundesregierung unter Druck, weil der
Forschungsminister auf einmal in Pressekonferenzen Aussagen macht,
die der Linie des Kabinetts widersprechen. Außerdem
prügelt er sich auf offener Straße mit einem Bürger,
der Minister wird zum Risiko. Was ist da los? Wie soll das
Kanzleramt dazu Stellung beziehen? Zumal der Kanzler auf
Dienstreise in Neuseeland ist. Die Mitarbeiter werden hektisch, nur
der Kanzleramtschef bleibt ruhig. In einer Szene sagt er: "Ich
werde dafür bezahlt, Druck auszuhalten."
Druck aushalten. Schnelle Entscheidungen treffen, alle
Ministerien koordinieren, dem Kanzler direkt zuarbeiten. All das
wird im Kanzleramt, der Schaltzentrale der Macht, geregelt.
"Politiker auf diesem Niveau arbeiten unter einem wahnsinnigen
Druck und Stress. Spitzenpolitiker müssen Nerven wie
Drahtseile haben", sagt Produzent Ulrich Lenze. "Der Bürger
auf der Straße weiß gar nicht, was für ein
mörderischer Job das ist." Der ebenso verführerisch sein
kann, gibt es doch die Droge Macht und Wichtigkeit. "Unsere
erfundenen Politiker sind keine perfekten Menschen - sie haben
erkennbare Macken, Schwächen und sind zur niedrigen Intrige
fähig", so Hans-Christoph Blumenberg. Wie die echten
Politiker.
Regisseur und Autor Blumenberg ist noch von der Bonner Republik
geprägt. "Seitdem ist die Politik hinter den Kulissen aber
nicht anders geworden", sagt der 57-Jährige. Anders sei
lediglich die Rolle der Medien. Auch in der Berliner Medienrepublik
gelte: "Es geht viel um den Machterhaltungstrieb - und das wird
sich auch nie ändern." Parteien werden in der Serie
übrigens nicht genannt. "Regierung der Mitte", bezeichnet
Ulrich Lenze sie. Mal legt sich die Regierung von Kanzler Weyer mit
dem Gewerkschaften an, ein anderes Mal mit den
Unternehmerverbänden.
Das Staatsoberhaupt als Filmheld. Das gibt es in den USA seit
sieben Jahren mit der Serie "West Wing", sie ist auch ein Vorbild
der ZDF-Serie "Kanzleramt". 2004 gab es im deutschen Fernsehen
schon die ARD-Liebes-komödie "Küss mich Kanzler!", ebenso
die fünfteilige Doku-Reihe von ARTE, die das Innenleben des
Kanzleramts zeigte - aus dem Alltag des Ministerialrats,
Redenschreibers und der Putzfrau erzählt. Anfang Januar lief
der ARD-Film "Spiele der Macht - 11011 Berlin".
Ab März also kommt nun noch eine Serie aus dem Kanzleramt.
Wenn die Quote stimmt, wird es auch weitere Staffeln geben. Sollte
es weiter gehen, kann Produzent Lenze sich durchaus auch einen
Wahlkampf vorstellen - ob es beim echten Regierungswechsel auch zu
einem Wechsel der Regierung Weyer kommt? Mal sehen.
Man habe keinen Kontakt zur aktuellen Regierung gesucht, es gebe
keinen Austausch, "worüber auch?", sagt Ulrich Lenze. Denn die
Serie ist kein Abbild der derzeitigen Bundesregierung.
Schließlich ist es eine erfundene Regierung. Sind sie dennoch
auf die Kommentare von Politikern gespannt? "Mich interessiert mehr
die Reaktion des Publikums", sagt Hans-Christoph Blumenberg. Auch
wenn immer wieder betont wird, dass sie keine didaktische Absicht
haben, so glaubt Produzent Lenze dennoch, dass sie mit der neuen
Serie auch mit Vorurteilen aufräumen können - etwa, dass
alle Politiker nichts tun und korrupt sind. Und Autor Blumenberg
sagt: "Unser Ziel und unsere Hoffnung ist, dass die Zuschauer
sagen: Das ist die Regierung, die wir haben wollen. Denn unsere
Politiker strengen sich schon an, arbeiten leidenschaftlich - man
soll sie mögen."
"Wenn sich durch unsere Serie die Wahlbeteiligung 2006
erhöhen sollte, wäre das natürlich ein Traum", sagt
Blumenberg. Er mag Kanzler Weyer mit all seinen Macken.
Augenzwinkernd sagt er: "Vielleicht ist Weyer dann der
übernächste Kanzler."
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