bes/suk
Medikamente auf Europakurs
Expertenanhörungen zu Änderungen im
Apotheken- und Arzneimittelgesetz
Gesundheit und Soziale Sicherung.
Gesundheitspolitische Vorgaben aus Brüssel haben am 19. Januar
wieder einmal den Gesundheitsausschus beschäftigt: In zwei
Anhörungen ließen sich die Abgeordneten von
Sachverständigen über die potenziellen Umsetzungsprobleme
der EU-Richtlinien ins deutsche Apotheken- und Arzneimittelgesetz
beraten. Ausgangspunkt für die Gesprächsrunden waren
entsprechende Gesetzentwürfe der Bundesregierung (15/4293,
15/4294). Dabei zeichnete sich ein Widerstand der
Apothekenverbände gegen die geplante Abschaffung des
Regionalprinzips bei der Arzneimittelversorgung von
Krankenhäusern ab. Für die vorgeschlagenen
Änderungen im Arzneimittelgesetz forderten die
Sachverständigen Übergangsfristen.
Grundsätzlich begrüßten die
Experten die geplante Novelle der arzneimittelrechtlichen
Vorschriften. Zum Teil fiel die Beurteilung jedoch kritisch aus.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine Änderung der
Prüfungs- und Zulassungsverfahren für Medikamente und
Registrierungsvorschriften für homöopathische
Arzneimittel vor.
In schriftlichen Stellungnahmen zum
Arzneimittel-Hearing kritisiert die Mehrheit der Experten eine zu
breite Auslegung der europäischen Vorgaben. So lehnt der
Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) die
vorgeschlagene Änderung ab, wonach
pharmakologisch-toxikologische Unterlagen im
Registrierungsverfahren nunmehr generell vorzulegen sind. Es
bestehe kein Bedarf, über die Arzneimittelprüfrichtlinien
hinaus im Gesetz Anforderungen an die Vorlage von Unterlagen zu
regeln. Eine entsprechende Regelung zur Umsetzung der
europäischen Vorschriften existiere bereits. Besonders
ungünstig würde sich diese Regelung auf die
homöopathischen Arzneimittel auswirken, so die
Befürchtung. Der Zentralverband der Ärzte für
Naturheilverfahren und Regulationsmedizin befürchtet
Kostensteigerungen, die "diese Medizinrichtungen gegenüber der
konventionellen Medizin weiter benachteiligen"
würden.
Neuregelung für
Braille-Beschriftung
Ähnlich wie BPI fordern der
Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) und der Dachverband
Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMID) eine
Übergangsregelung bei der Anwendung der neuen
Registrierungsunterlagen für bereits laufende
Registrierungsverfahren. Bei homöopathischen Präparaten,
die seit Jahrzehnten auf dem Markt sind, soll aus der Sicht des BPI
generell auf eine Begründung zum Unbedenklichkeitsgrad
verzichtet werden.
Positiv bewerten die Experten die nun
vorgesehene Abverkaufsregelung für Arzneimittel ohne
Braille-Schrift-Kennzeichnung. Die jüngste Novelle des
Arzneimittelgesetzes sieht ab dem 1. September 2006 eine generelle
Kennzeichnungspflicht auf der äußeren Umhüllung der
Medikamente in Blindenschrift. In den vorliegenden Gesetzentwurf
wurde nun eine unbegrenzte Abverkaufsfrist für solche
Präparate aufgenommen, die bereits zum Stichtag im Verkehr
waren. Die Mehrheit der Sachverständigen bewertet die Regelung
allerdings als noch unzureichend und
unverhältnismäßig. Die generelle
Kennzeichnungspflicht in Blindenschrift gehe über die
EU-Anforderungen hinaus. Danach seien lediglich neue Medikamente
der Verpflichtung zur Kennzeichnung in Braille zu unterstellen. Die
Experten weisen in diesem Zusammenhang vor allem auf hohe
Umsetzungskosten und technische Schwierigkeiten bei der
Schriftgröße auf kleinen Packungen und fordern
Ausnahmeregelungen für Präparate, die ausschließlich
durch medizinisches Personal verabreicht werden, desgleichen
für Homöopathika, Kleinstchargen und
Kleinstpackungen.
Als Kronzeugen für ihre Einwände
führen die Sachverständigen den Bundesrat an, der eine
Präzisierung der Bestimmungen für die
Kennzeichnungspflicht verlangt. In einer Stellungnahme zum
Regierungsentwurf, die zusammen mit einer Gegenäußerung
der Bundesregierung nun als Unterrichtung (15/4644) vorliegt,
schlägt die Länderkammer vor, aus Praktikabilitäts-
und Kostengründen den Kennzeichnungsumfang
einzuschränken. Die Bundesregierung prüft nach eigenen
Angaben den Änderungsbedarf.
Kritik an der Abverkaufsregelung übt
hingegen der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband. Diese
bringe grundsätzlich die Gefahr mit sich, dass noch über
viele Jahre hinweg Medikamente ohne Braille-Beschriftung an blinde
und sehbehinderte Menschen verkauft werden. Sie schließe
außerdem nicht aus, dass noch kurz vor dem 31. August 2006
Medikamente in erheblichem Umfang mit Umverpackungen bisherigen
Zuschnitts versehen und in den Handel gebracht
würden.
Auch der zweite Themenkomplex - die geplante
Novelle des Apothekengesetzes - wird von Experten unterschiedlich
bewertet. Der Regierungsentwurf sieht vor, dass Apotheker, die
ihren Sitz in der EU oder einem anderen Vertragsstaat des
Europäischen Wirtschaftsraumes haben, künftig
Krankenhäuser EU-weit mit Medikamenten versorgen und auch
andere Apotheker-Leistungen für Krankenhäuser anbieten
können. Damit soll das Regionalprinzip in der
Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern - also die Bindung
an Lieferanten aus demselben oder benachbarten Landkreis -
aufgehoben werden.
Dieses Prizip verstößt nach Ansicht
des Direktors des Instituts für Europäisches
Wirtschaftsrecht, Professor Wulf-Henning Roth, ohnehin "eindeutig
gegen europäisches Recht". Er wies in der Anhörung darauf
hin, dass Entschädigungsansprüche auf die Bundesrepublik
zukommen könnten, wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung
abgelehnt werden sollte und man den Ausgang des
Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik abwarten
würde. Genau dies forderte der Bundesrat in seiner
Stellungnahme zu den Plänen der Regierung, die ihrerseits in
einer Unterrichtung (15/4293) darüber informiert. Roth
führte weiter aus, das Regionalprinzip sei zwar eine
geeignete, aber auch "übermäßige" Regelung für
den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Die
Beratungsleistung ortsansässiger Apotheker könnten nach
seiner Ansicht auch nicht ortsansässige und ausländische
Apotheken erbringen.
Trennung von Beratung und Logistik
Dem widersprach der Sachverständige
Professor Berthold Göber. Er halte eine "Trennung von Beratung
und Logistik" für problematisch, da eine solche mit einem
"beträchtlichen Qualitätsverlust" verbunden sei. Diese
Position teilte ein Vertreter des Marburger Bundes. In den
Krankenhäusern stünden nicht Überlegungen zur
Wirtschaftlichkeit an erster Stelle, sondern die
Patientenversorgung. Ärzte bräuchten einen Partner, der
sie beraten könne. Dies leisteten Krankenhausapotheker. In
Krankenhäusern ohne Krankenhausapotheke gewährleiste dies
das Regionalprinzip.
Ein Vertreter des Bundesverbands Deutscher
Krankenhausapotheker betonte, die dauernde Mit- und Zusammenarbeit
von Ärzten und Krankenhausapothekern führe zu einer
Reduzierung von Medikationsfehlern, da die Krankenhausapotheker
hilfreich bei der Behandlungsplanung, der Anamnese sowie bei der
Patientenschulung seien. Eine Aufgabe des Regionalprinzips
erhöhe hingegen das Sicherheitsrisiko. Ein Vertreter des
Bundesverbands klinik- und heimversorgender Apotheker fügte
hinzu, die Aufgabe des Regionalprinzips führe zu einer
Trennung von Routine- und Akutbehandlung. Dies sei weder
wirtschaftlich sinnvoll, noch der Sicherheit der Patienten
zuträglich. Normale Apotheken könnten im Falle von
Infarkten und Schlaganfällen die Patienten nicht versorgen,
weil sie die dafür notwendigen Medikamente nicht vorrätig
hätten.
Dem widersprach der Vertreter der Deutschen
Krankenhausgesellschaft. Der Gesetzgeber habe in seinem
Änderungsvorschlag eine dreifache Sicherheitskontrolle
vorgesehen. So werde festgelegt, dass Verträge zwischen
Krankenhäusern und Apotheken geschlossen werden müssen,
in denen bestimmte Inhalte vorgeschrieben seien. Zudem sei eine
behördliche Genehmigung vorgesehen. Damit sei sichergestellt,
dass mit der Abschaffung des Regionalprinzips keine
Qualitätsprobleme eintreten werden.
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