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Matthias G. Fischer
Praxistauglichkeit der Neuerungen wird von
Experten bezweifelt
Abschussbefugnis nur von symbolischem
Wert?
Das von Bundespräsident Horst Köhler unterzeichnete
Luftsicherheitsgesetz wird in Kürze in Kraft treten. Das
Staatsoberhaupt hat schwerwiegende rechtliche Bedenken geltend
gemacht. Die Verfassungsmäßigkeit zentraler Bestimmungen,
darunter die Befugnis zum Abschuss eines von Terroristen
entführten Flugzeuges, war schon im Gesetzgebungsverfahren
höchst umstritten. Neben den primär diskutierten
rechtlichen Fragen sind aber auch praktische Probleme zu
gegenwärtigen. Angesichts seiner Entstehungsgeschichte wirft
bereits der Anwendungsbereich des Gesetzes Fragen auf. Den
konkreten Anlass der Gesetzgebung stellten nicht die
Terroranschläge vom 11. September 2001 dar. Das die
Gesetzesinitiative auslösende Ereignis war vielmehr die
Entführung eines Kleinflugzeuges in Frankfurt am Main im
Januar 2003. Ein offenbar geistig verwirrter Student war zwei
Stunden über der Stadt gekreist, hatte damit gedroht, sich in
eines der Hochhäuser zu stürzen, konnte aber
schließlich zum Landen bewogen werden.
Außerordentlich großer Schaden
Das Gesetz wurde insbesondere geschaffen, um in derartigen und
selbstverständlich auch weit gefahrträchtigeren
Fällen die Luftwaffe einsetzen zu können - sei es, um
Terrorflugzeuge abzudrängen, zum Landen zu zwingen, den
Einsatz von Waffengewalt anzudrohen, Warnschüsse abzugeben
oder eben äußerstenfalls auch abzuschießen. Jeder
Streitkräfteeinsatz setzt allerdings voraus, dass "ein
besonders schwerer Unglücksfall" bevorsteht (§13 Absatz 1
des Luftsicherheitsgesetzes). Ein zu erwartendes
Flugzeugunglück als solches reicht daher nicht aus. Vielmehr
muss der bevorstehende Schaden von außerordentlich großem
Ausmaß sein, so etwa, wenn mit dem Tod zahlreicher Menschen zu
rechnen ist. Experten bezweifeln, dass der Absturz eines
Kleinflugzeuges in ein Hochhaus das vom Gesetz geforderte
Schadensmaß überhaupt erreichen kann. Trifft dies zu,
dürfen Abfangjäger auch nach dem In-Kraft-Treten des
Gesetzes in Situationen, die mit dem Frankfurter Zwischenfall
vergleichbar sind, nicht eingesetzt werden - auch nicht zur Abgabe
von Warnschüssen. Das Gesetz wäre damit auf den Fall, den
es gerade regeln wollte, gar nicht anwendbar.
Die Diskussionen über eine Berechtigung zum Abschuss eines
Flugzeuges gehen immer von der Annahme aus, Terroristen hätten
tatsächlich vor, eine entführte Maschine als Waffe zu
missbrauchen. Doch wie kann praktisch festgestellt werden, dass ein
Anschlag wirklich bevorsteht? Wie können Irrtümer
ausgeschlossen werden? Bekannt ist ein Zwischenfall, der sich im
Jahr 1972 während der Olympischen Spiele in München am
Tag der Abschlussfeier ereignete: Deutsche Behörden waren
zunächst davon ausgegangen, dass ein Passagierflugzeug, zu dem
keinerlei Funkkontakt bestand, gekidnappt worden war und in das
vollbesetzte Olympiastadion gesteuert werden sollte. Minuten bevor
der damalige Bundesverteidigungsminister Georg Leber den
aufgestiegenen Abfangjägern (auf jedenfalls damals fraglicher
Rechtsgrundlage) den Abschussbefehl erteilen wollte, stellte sich
heraus, dass es sich "nur" um eine wegen technischer Probleme
orientierungslos gewordene finnische Zivilmaschine handelte.
Rechtzeitig handeln
Zudem stellt sich die Frage, inwieweit Abfangjäger der
Luftwaffe ein tatsächlich entführtes Flugzeug
überhaupt rechtzeitig erreichen können. Angesichts dieser
Unsicherheiten waren nach dem "11. September" in Frankreich und in
der Tschechischen Republik Flugabwehrraketen zur Sicherung von
Atomanlagen stationiert worden. Nachdem ein entsprechendes Vorgehen
zunächst auch in Deutschland diskutiert und beispielsweise von
dem Vorsitzenden der Reaktorsicherheits-Kommission gefordert worden
war, spielte diese Sicherungsmöglichkeit in den Beratungen
über das Luftsicherheitsgesetz keinerlei Rolle mehr. Nach wie
vor ist es daher allein schon aus Rechtsgründen
unmöglich, Flugabwehrraketen bei der Abwehr terroristischer
Gefahren einzusetzen.
Und selbst wenn wirklich ein besonders schweres Unglück
bevorsteht und die Kampfflugzeuge das entführte Flugzeug zudem
tatsächlich erreichen können: Auf diesen Ernstfall sollen
die Flugzeuge der Luftwaffe zum gegenwärtigen Zeitpunkt
technisch nur unzureichend vorbereitet sein. Kampfflugzeugpiloten
haben darauf hingewiesen, es fehle an Bord an Leuchtspurmunition,
mit denen Warnschüsse abzugeben wären. Auch seien die
Maschinen nicht mit Stimmrekordern ausgerüstet, so dass ein
etwaiger Schießbefehl nicht aufgezeichnet werden könne.
Schließlich wird wohl auch die im Gesetz ausdrücklich
eröffnete Möglichkeit, den Einsatz von Waffengewalt
zunächst nur anzudrohen, ins Leere laufen. Dabei kann sogar
dahingestellt bleiben, wie wirksam eine solche Drohung
gegenüber Selbstmordattentätern ist, denn schon aus
technischen Gründen ist eine Kommunikation per Funk zwischen
militärischen und zivilen Piloten bisher nicht möglich.
Es bleibt die Zeichensprache.
Dennoch: Von vorn herein kann nicht völlig ausgeschlossen
werden, dass im Falle einer bevorstehenden Katastrophe nicht doch
einmal die Möglichkeit besteht, rechtzeitig zu handeln.
Für diesen Fall schafft das Luftsicherheitsgesetz den
notwendigen gesetzlichen Rahmen. Ob dieser Rahmen freilich
verfassungskonform ist, darüber wird wohl das
Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen.
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