|
|
Anne Much
"Ich mag die Amerikaner zwar, weil sie so frei
sind, aber sie sind immer irgendwie zu laut"
Die Iraner streben nach Reformen - aber ohne
Druck durch die USA
Der Iran ist ein von islamischen Mullahs
beherrschtes Land. Was heißt, dass die Menschen keinen Alkohol
trinken dürfen und eine strikte Geschlechtertrennung in der
Gesellschaft herrscht. Iranische Frauen und Männer beten
getrennt, fahren getrennt Bus und sollen jeden Kontakt
untereinander meiden. Wenn sich Frauen außerhalb ihrer Familie
bewegen, müssen sie ein Kopftuch tragen und ihre Weiblichkeit
verhüllen. Jeder Verstoß gegen diese Sittengesetze wird
streng bestraft.
Die Wächter über den wahren Glauben
greifen sogar noch weiter in die persönlichen Freiheiten der
Bürger ein. Ein Iraner darf nicht jedes Buch lesen, das ihm
gefällt. Auch Fernsehen und Internet werden zensiert.
Satellitenfernsehen ist verboten. Soweit das Gesetz. Das normale
Leben im Iran hat damit allerdings immer weniger zu tun. Experten
glauben inzwischen, dass der Iran reif für einen inneren
Wandel ist. Einen Wandel auf amerikanische Weise wollen die meisten
Iraner jedoch nicht.
Durch Irans Hauptstadt Teheran zu gehen ist
vermutlich so ähnlich, wie als Biene in einem Bienenstock zu
landen. Alles drängt, alle drängeln. Und doch scheint das
Ganze einer inneren Ordnung zu folgen. Die Menschen, die sich zu
Hunderten über den Bürgersteig bewegen, gehen offenbar
alle einer sinnvollen Aufgabe nach: Mädchen in Schuluniformen,
mit Tüten bepackte Frauen, Männer, die, selbst wenn sie
an ihrem Verkaufsstand, in dem kleinen Laden oder am Tresen ihres
Handwerksbetriebes niemanden bedienen, niemals gelangweilt
herumstehen. Teilnahmslosen oder verwahrlosten Bettlern, wie man
sie beispielsweise in der ägyptischen Hauptstadt Kairo an
nahezu jeder Straßenecke findet, begegnet man im Iran
überhaupt nicht.
Mit den wirtschaftlichen Verhältnissen
allein lässt sich dieser Unterschied zu anderen arabischen
Ländern nicht begründen. Im Iran beträgt das
Bruttosozialprodukt 1.680 Dollar pro Kopf, in Ägypten 1.530
Dollar. Beide Völker sind also nicht sonderlich reich, aber es
kommt anscheinend auf die Haltung im Leben an. Die Iraner sind
grundsätzlich lebenslustig und temperamentvoll, und genau das
macht ihre positive Kraft aus. "Wir sind eben keine Araber",
erklärt mir ein Iraner diesen Mentalitätsunterschied mit
lapidaren Worten.
Kopftücher betonen das
Gesicht
Nicht aus einem hypertrophierten
Nationalismus und der damit verbundenen Kulturarroganz, sondern aus
ihrer inneren Kraft heraus streben die Bewohner des Irans nach
Freiheit. Nicht alle Frauen würden ihre Kopftücher und
die knielangen, die Figur verhüllenden Gewänder gegen
westliche Kleidung eintauschen, falls die strenge islamische
Kleiderordnung eines Tages abgeschafft würde. Viele Frauen,
darunter auch manche jüngere, finden die schwarzen oder
dunkelbraunen Tücher sogar schön. Eine ansonsten in ihrem
Habitus eher rebellisch wirkende Teheraner Studentin sagt: "Wenn
man ein Kopftuch hat, dann betont es das Gesicht. Außerdem
sieht schwarz gut aus und macht schlank." Aber die jungen Frauen
wollen anziehen, wonach ihnen gerade der Sinn steht, und nicht
unbedingt das, was das islamische Gesetz ihnen vorschreibt. Seit
einiger Zeit testen die jungen Leute täglich aufs Neue ihre
Grenzen aus. Die Kopftücher rutschen aus der Stirn, Hosen
werden kürzer und bunter. Der so genannte Manteau, ein knie-
oder knöchellanger Umhang, wird enger und damit
körperbetonter. Und bei privaten Feiern in der Hauptstadt sind
schon längst ultrakurze Miniröcke und Pumps
angesagt.
Doch obwohl die Iraner es vor allem in den
vergangenen zwei Jahren geschafft haben, den Alltag zu ihren
Gunsten zu verändern und sogar die strikte
Geschlechtertrennung aufzulockern, ist all das Beschriebene immer
noch offiziell verboten. Mit regelmäßigen Schauprozessen,
öffentlichen Auspeitschungen oder sogar Hinrichtungen
demonstrieren die herrschenden Mullahs: Wer sich zu viele
individuelle Freiheiten herausnimmt, kann dafür hart bestraft
werden. Das Sagen haben immer noch wir!
Die Bevölkerung versucht indessen, dem
Treiben ihrer Machthabenden möglichst gelassen gegenüber
zu stehen. Sie sehnt sich zwar in ihrer großen Mehrheit nach
einem Ende des Überwachungs- und Unterdrückungsstaates,
aber einen radikalen gesellschaftlichen Wandel wollen dennoch nur
sehr wenige. "Wir wissen genau, was die Revolution für uns
bedeutet", erzählt ein 40-jähriger Iraner. "Es ist noch
nicht so lange her, dass wir die islamische Revolution erlebt
haben. Tausende von unseren Freunden mussten ihr Heimatland
verlassen. Zu viele von ihnen sind damals gestorben."
Das Verhältnis zu den Vereinigten
Staaten ist von ähnlicher Ambivalenz. Die Hauswand der
ehemaligen US-Botschaft ziert ein zynisches Graffito:
Totenköpfe anstelle von Sternen. Fallende Bomben dort, wo die
amerikanische Flagge normalerweise Streifen kennt. Auf offziellen
Propagandaplakaten heißt es zwar "Nieder mit den USA!" Doch
ein iranischer Sozialwissenschaftler hat im vergangenen Jahr eine
Umfrage durchgeführt, wonach sich rund 70 Prozent der
Bevölkerung des Landes die Wiederaufnahme der diplomatischen
Beziehungen mit den Vereinigten Staaten wünschen. Nachdem die
Studie öffentlich bekannt geworden war, verhafteten die
Mullahs den Wissenschaftler. Doch gerade die Studentenschaft
lässt sich durch derartige Verbreitung von Angst nicht
entmutigen. "Es wird sich hier alles ändern", sagt ein junger
Student. "Es gibt keinen Weg an richtigen Reformen vorbei. Aber
alles muss langsam gehen und von allein, nicht mit Gewalt."
Dementsprechend ist auch die Stimmung in Bezug auf einen
möglichen Einmarsch von US-Truppen in den Iran. Eine Studentin
fasst die vorherrschende Stimmung zusammen: "Natürlich wollen
wir hier einen Wandel. Aber keinen amerikanischen
Wandel!"
Eine besondere Mentalität
Ähnlich wie in Bezug zu den
Nachbarländern, nährt sich die ablehnende Haltung auch in
diesem Fall aus Nationalstolz, Kulturarroganz und dem Gefühl
eigener Stärke. Die Iraner sind nämlich nicht nur anders
als die Araber. Sie sind auch völlig anders als die
Amerikaner. "Ich mag die Amerikaner zwar, weil sie so frei sind und
frei leben können", sagt ein 20-jähriges Mädchen.
"Aber sie sind immer irgendwie zu laut. Und außerdem trinken
sie zuviel." Und die entschlossene und mutige, aber dennoch
zurückhaltende und leise Art, wie die 20-jährige ihre
Meinung sagt, ist womöglich das beste Beispiel für die
besondere Mentalität und das Lebensgefühl, das im Iran
vorherrscht: ein wenig wie im schon erwähnten Bienenstock -
hektisch, lebensfroh, bisweilen auch chaotisch und dennoch stets
einer eigenen, inneren Ruhe und Logik folgend.
Einer Ruhe, wie man sie erstaunlicherweise
auch angesichts der harten Töne aus Washington im Land
vorfindet. So dass die Drohungen eines möglichen Krieges gegen
den "Vorposten der Tyrannei", wie es die neue amerikanische
Außenministerin Condoleezza Rice ausdrückte, die
iranische Bevölkerung eher zusammenbringen: Reformer wie
Hardliner. Eine kaum beabsichtigte Wirkung.
Zurück zur Übersicht
|