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Ursula Homann
Sondierungen in einem schwierigen Terrain
Ist Kritik an Israel gleich
Antisemitismus?
Deutsche Antisemitismus-Debatten werden
häufig vor dem Hintergrund der Aufarbeitung von
Nationalsozialismus und Holocaust geführt. Einerlei, ob
über Martin Walsers Buch "Tod eines Kritikers", über
Äußerungen der FDP-Politiker Karsli und Möllemann,
über das Buch "Nach dem Terror" von Ted Honderich oder eine
Rede des CDU-Politikers Martin Hohmann diskutiert wird, stets fragt
man sich: Wird der Antisemitismus wieder gesellschaftsfähig?
Kann man mit antisemitischen Äußerungen erneut
Wählerstimmen gewinnen?
Bei vielen der jüngsten antisemitischen
Debatten, die es sowohl in den USA, in Israel als auch in England,
Frankreich und in Deutschland gibt, steht freilich nicht der
Holocaust im Zentrum, sondern der Nahostkonflikt, vor allem seit
mit dem Beginn der zweiten Intifada im Jahr 2000 die
Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern
radikaler und gewalttätiger geworden sind.
In dem Sammelband von Suhrkamp werden diese
Debatten mit ihren vielfältigen Argumenten und Bezügen
von amerikanischen, britischen, israelischen und deutschen
Wissenschaftlern und Publizisten sachkundig erörtert.
Allgemein werde, schreibt Antony Lerman, die Auffassung vertreten,
dass wir es heute nicht mit einer Wiederkehr der 30er-Jahre zu tun
haben, wohl aber mit einem "neuen Antisemitismus", der sich in
neuer verbaler Radikalität gegen Israel und gegen Juden
insgesamt ausdrückt und auch in gewalttätigen
Übergriffen gegenüber einzelnen Juden und jüdischen
Einrichtungen.
Nahostkonflikt als Katalysator
Für zahlreiche Autoren, die hier zu Wort
kommen, wie zum Beispiel für Daniel Goldhagen, Ulrich Beck,
Moshe Zimmermann und Dan Diner, ist der Nahostkonflikt zum
"Katalysator" eines neuen Antisemitismus geworden, bei dem alte
antijüdische Klischees aus der christlichen Tradition im
arabisch-muslimischen Kulturkreis (etwa die Vorstellung von einer
jüdischen Weltherrschaft) ihre Urständ feiern. Das
Zentrum des neuen, von seinen christlichen Ursprüngen
gelösten Antisemitismus liege zwar in der islamischen Welt -
darin sind sich in diesem Band fast alle Autoren einig -, doch
werde der Judenhass mittlerweile von Immigranten nach Europa
getragen und stelle erneut eine Gefahr für Juden in Europa
dar.
Welche Rolle spielt dabei Israel? Zieht
Israel als Staat der Juden den klassischen Antisemitismus auf sich,
oder ist es die Politik des jüdischen Staates, die weltweit
Kritik provoziert? Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet.
Die einen erheben den Vorwurf, dass durch einseitige
Fernsehberichte und aufwühlende Bilder von
palästinensischem Leid eine maßlos verzerrte Kritik an
Israel hervorgerufen werde, deren wahres Motiv antisemitisch sei.
Andere wiederum argwöhnen, dass derartige Vorwürfe nur
dem Interesse Israels dienten, um legitime Missbilligung an Israels
Vorgehen gegenüber den Palästinensern zum Schweigen zu
bringen.
Kein Zweifel, meint Tony Judt, einige der
härtesten Gegner Israels lassen antisemitische Neigungen
erkennen. Andererseits sei nicht jeder Antizionismus antisemitisch
gefärbt. Judith Butler fordert daher die klare Unterscheidung
zwischen einer produktiven und kritischen Distanz zum Staat Israel
und zum Antisemitismus. Nicht alles, was Israel im Namen seiner
Selbstverteidigung unternehme, sei völlig legitim. Ulrich Beck
gibt dagegen zu bedenken, dass Deutsche und andere Europäer
nicht selten in "verräterischer Einäugigkeit" gegen den
israelischen Staatsterror, den Ministerpräsident Sharon
praktiziere, protestierten, dabei jedoch den Selbstmordterror
übersähen, mit dem Palästinenser Israel
tyrannisierten.
Wie ist es indes mit dem Antisemitismus in
Europa bestellt? Alain Finkielkraut zeigt sich beunruhigt. Zum
ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hätten Juden in
Frankreich wieder Angst. Aus amerikanischer Perspektive ist Europa
von einem Rückfall in alte Muster erfasst, der oft mit einer
antiamerikanischen Haltung verknüpft sei. Für Jeffrey
Herf sind Antisemitismus und Antiamerikanismus, wie für Andrei
S. Markovits und andere Autoren in diesem Band auch, zentrale
Bestandteile der Geschichte der Neuen Linken, die vor allem in den
Reihen der Globalisierungskritiker zu finden seien. Allerdings sei
die Vorstellung von Israel als "Außenposten" des
amerikanischen Imperialismus "ein schlechter Witz", befindet
Michael Walzer.
Was ist zu tun? Mit den Antisemiten, meint
Omer Bartov, müsse man sich auseinander setzen und sie mit
allen Mitteln bekämpfen. Michael Walzer wiederum fordert
"Toleranz für den Islam als religiöse Gemeinschaft unter
anderen - so lange er diese Einordnung akzeptiert - ", aber keine
Toleranz für muslimischen Judenhass. Gewalt sei zu ächten
auf palästinensischer und israelischer Seite, verlangt Judith
Butler und meint, dass es weder angehe, wenn Juden immer wieder
durch Selbstmordanschläge umkommen, noch dass
Palästinenserkinder durch israelisches Gewehrfeuer grausam
getötet werden.
Der Band führt die Komplexität des
"neuen Antisemitismus" in all seinen Facetten anschaulich vor
Augen, auch wenn die Deutungen der mannigfaltigen Probleme mitunter
widersprüchlich ausfallen und endgültige oder gar
einfache Antworten auf all die hier angeschnittenen schwierigen
Fragen nicht zu haben sind. Dem eigenen Nachdenken dürfte dies
indes keineswegs hinderlich sein
Doron Rabinovici, Ulrich Speck, Natan
Sznaider (Hrsg.)
Neuer Antisemitismus? Eine globale
Debatte.
Suhrkamp Verlag, Frankfur/M. 2004; 331 S.,
12,50 Euro
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