|
|
Karin Tomala
An der Grenze des Fassbaren
Auschwitz - eine genaue Darstellung
Die kleine Stadt Auschwitz, in der Nähe von
Krakau gelegen, seit Jahrhunderten kultureller Grenzort von Polen,
Deutschen und Juden und geprägt von einer alten jüdischen
Tradition, wurde während des Zweiten Weltkrieges zum
größten Schauplatz des Massenmords an den
europäischen Juden. Auschwitz wurde zum Symbol für
deutsche Verbrechen in den Vernichtungslagern, aber auch zum
Synonym von Gesellschaften, die in Zeiten des Totalitarismus keine
Verantwortung übernehmen können oder wollen und
später schamhaft meinen, nichts gewusst zu haben.
Obgleich es an Veröffentlichungen
über das Grauen nicht fehlt, schließt der Beck-Verlag mit
diesem Buch eine Lücke. Sybille Steinbacher ist es gelungen,
einen komprimierten Überblick über die wechselvolle
Geschichte von Auschwitz, über die brutalen Täter und die
gepeinigten Opfer vorzulegen. Entstanden ist ein Nachschlagewerk,
das man in einem Zug liest und bei dem einem dabei auf fast jeder
Seite der Atem genommen wird. Für Interessierte ist die
weiterführende Literatur gewiss besonders
hilfreich.
In zehn Kapiteln beschreibt und
erläutert die Autorin alle bedeutenden Aspekte des zentralen
Schauplatzes der Vernichtung von Menschen durch Menschen und durch
Industrieunternehmen wie der IG Farben, die vor Ort skrupellos am
Tod verdienten. Wichtig sind auch die Schilderungen über die
Wahrnehmung des Geschehens in der deutschen Öffentlichkeit.
Deutsche Siedler strömten in die Region, große
Geschäftstüchtigkeit und das Bestreben, "deutsche Kultur"
in den Osten zu bringen, zeichneten sie aus.
Aufgezeigt wird, wie das größte
Konzentrations- und Vernichtungslager des Dritten Reichs zur
Musterstadt der deutschen Ostsiedlung avancierte und wie
Rassenpolitik zur Vernichtungspolitik und Begründung einer
"Lebensraumeroberung" wurde. Wüsste man nicht, dass alles
wirklich geschehen ist und vielfach dokumentiert wurde, könnte
man bei der Lektüre denken, eine grauenvolle Science Fiction
irrationaler Fantasien von kranken Hirnen vor sich zu
haben.
Die Weichen für den Genozid waren mit
dem Angriff Hitlers auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 gestellt
worden. Die völkische Utopie vom "Lebensraum im Osten" sollte
nun endgültig realisiert werden. Die Gleichsetzung von
Bolschewismus und Judentum bildete die Legitimation der
Vernichtungspolitik. Unter der zivilen deutschen Bevölkerung
in Auschwitz gab es für den "süßlichen Gestank
verbrannten Fleisches, der zu penetrant war, um nicht wahrgenommen
zu werden, beruhigende Erklärungen, nämlich dass es im
Lager eine höhere Sterblichkeit gab, und dass die Leichen
eingeäschert werden mussten".
So sagten Bahnbedienstete nach Kriegsende
aus, sie hätten seit 1943 von der Massenvernichtung gewusst.
Steinbacher bemerkt traurig und sarkastisch zugleich, dass die
latente Angst unter den Deutschen eben dazu beitrug, Nachfragen zu
unterlassen. "Aus Gehorsam und auch geprägt von der
pedantischen Präzision ihres Berufes ließen sie Zweifel
am eigenen Tun nicht zu. Mit dem Massenmord konnte man sich
arrangieren."
Behandelt werden auch die juristische
Bestrafung der Verbrechen nach Kriegsende, die zwiespältige
Haltung der Alliierten und die "Auschwitz-Lüge". Zu
erwähnen sei auch, dass aus keinem anderen Konzentrationslager
so viele Häftlinge wie aus Auschwitz zu fliehen versuchten ,
wenn auch von den 802 Flüchtigen nur 144 Häftlingen der
Ausbruch gelang. Trotz der rigiden Strafandrohungen leistete die
polnische Bevölkerung in dieser Region Hilfe; organisiert war
sie durch das Netzwerk des polnischen Widerstandes, darunter
katholischer Pfarrgemeinden.
Das Buch ist allen historisch und an der
Moral Interessierten zu empfehlen. Der Verlag sollte
überlegen, ob es sich nicht lohnt, das Buch in andere Sprachen
zu übersetzen. Für die jüngere Generation
könnte es ein Schlüssel zum besseren Verstehen von
Geschichte und Zukunft sein. Es lehrt uns, frühzeitig
Verantwortung zu übernehmen für eine menschenwürdige
Zeit, von der leider nur zu oft nur viel geredet wird.
Sybille Steinbacher
Auschwitz. Geschichte und
Nachgeschichte.
Verlag C.H. Beck, München 2004; 128
S., 7,90 Euro
Zurück zur Übersicht
|