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Hartmut Hausmann
Fünfjahresplan zur EU-Mitgliedschaft
Präsident Juschtschenko in
Straßburg
Während seiner zweiten Auslandsreise am
zweiten Tag seiner Amtszeit hat Viktor Juschtschenko als neuer
Präsident der Ukraine am 25. Januar vor der Parlamentarischen
Versammlung des Europarates in Straßburg die europapolitischen
Intentionen seiner Regierung konkretisiert. In einem
überzeugenden Auftritt, für den er wie kaum ein anderer
Gast zuvor mit stehenden Ovationen verabschiedet wurde, sagte der
Präsident, 1995 sei sein Land in die Straßburger
Demokratie- und Menschenrechtsorganisation aufgenommen und seitdem
viel wegen mangelnder Reformen kritisiert, aber auch oft ermutigt
worden.
Jetzt sei es an der Zeit, die damals
eingegangenen Verpflichtungen als Mitglied endlich zu
erfüllen. Formal könne dies mit der Verabschiedung der
entsprechenden Reform-Gesetze in etwa sechs Monaten geschehen, um
aus dem fast zehn Jahre andauernden Monitoringverfahren entlassen
werden zu können. Viel wichtiger aber sei die inhaltliche
Umsetzung aller Demokratie- und Rechtsnormen in die Praxis, damit
der Demokratieprozess in der Ukraine irreversibel werde. Auf diesem
Wege bitte er weiterhin um die Unterstützung des
Europarates.
Bevor Präsident Juschtschenko nach
Brüssel zur EU weiterreiste, hat er, der symbolische Gesten
geschickt zu inszenieren weiß, einen Abstecher nach Polen zu
einem erneuten Besuch in Auschwitz genutzt, wo auch sein Vater
inhaftiert war. Schon vor Jahren habe er von dort einen Klumpen
Erde mitgenommen, der ihn immer dazu bewegen soll, nie wieder
Trennlinien zwischen unterschiedlichen Kulturen, Religionen oder
Menschen anderer ethnischer Herkunft zuzulassen. Trennlinien in
einer Gesellschaft seien immer mit Verletzungen der Menschenrechte
verbunden.
Kriterien von Kopenhagen
Die von Juschtschenko skizierte Zukunft der
Ukraine in der Europäischen Union soll nach einem
Fünfjahresplan erreicht werden. Dabei stehen die
Europaratsnormen an erster Stelle, da sie zugleich die
Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen als
Voraussetzung für den EU-Beitritt bedeuten. Hinzu kommt ein
Maßnahmenkatalog "Marktwirtschaft", der die Ukraine in diesem
Zeitraum fit für die Welthandelsorganisation WTO machen
soll.
Das von der Europäischen Union in
Aussicht gestellte Aktionsprogramm mit Visa-Erleichterungen im
Rahmen des Nachbarschaftsabkommens wird dabei als willkommene Hilfe
betrachtet, um die Zusammenarbeit durch persönliche Kontakte
zu intensivieren. Eine erweiterte Freizügigkeit, welche die
Zugehörigkeit zu Europa dokumentiere, sei für seine
Landsleute auch psychologisch von enormer Wichtigkeit.
Ein Parlamentarier erhielt auf die Frage,
wann unter diesen Voraussetzungen mit dem EU-Beitrittsantrag zu
rechnen sei, die Antwort, mit dauerndem Anklopfen und mit Rhetorik
könne man nicht in dieses Haus eintreten, sondern nur mit
Leistung. Die Ukraine werde so lange hart arbeiten, bis die Union
von sich aus sage: "Wir warten auf Sie." Besonders dieser Dialog
ließ die Fähigkeiten Juschtschenkos erahnen, seine
politischen Überzeugungen zu vermitteln und politische
Mitstreiter um sich zu sammeln. Wegen der Schließung eines
polnischen Friedhofs in Grenznähe, über die sich ein
polnischer Abgeordneter beschwerte, will er persönlich bei der
Gemeinde vorstellig werden. Er nutzte diese Frage zu der Aussage,
dass künftig Minderheiten in der Ukraine weder in der
Benutzung ihrer Sprache noch in der Ausübung ihrer Kultur
gehindert werden.
Auf die Ermordung des Journalisten Gongadse
angesprochen, die fast zum Ausschluss der Ukraine aus dem Europarat
geführt hätte, erklärte der Präsident in
Anwesenheit der auf der Tribüne zuhörenden Witwe, dass
dieser Fall in aller nur möglichen Transparenz untersucht
werde. Und gegenüber russischen Parlamentariern versicherte
er, dass der große Nachbar ewig der strategische Partner der
Ukraine bleiben werde, und dass die Beziehungen sehr schnell
zwischen Moskau und Kiew formalisiert und normalisiert würden.
Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum mit den GUS-Staaten werde von
seiner Regierung unterstützt. Er dürfe nur kein Hindernis
zur Teilnahme am gemeinsamen Markt der EU bedeuten.
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