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Susanne Kailitz
Weltpolitik und Gänsehaut
Studenten im UNO-Simulator
Wirklich vertraut scheinen die Studenten mit der diplomatischen
Dienstkleidung noch nicht zu sein, als sie sich vor der georgischen
Botschaft in Berlin treffen: Der Auftritt in Hemd und Jackett oder
Hosenanzug ist noch recht ungewohnt. Deutlich sicherer fühlen
sich die Vertreter der Chemnitzer Universität in den
inhaltlichen Belangen ihrer Mission. Sie werden bei der
weltgrößten Simulation der Vereinten Nationen im
März in New York die Delegation aus Georgien geben und holen
sich wenige Wochen vor dem Abflug in den Big Apple letzte Tipps
für ihre Rolle im Planspiel.
In New York werden sich vom 22. bis 26. März 3.000
Studenten aus aller Welt treffen, um die Mechanismen der
Weltpolitik in der Praxis kennen zu lernen. Sie werden versuchen,
die Mitgliedstaaten und Nichtregierungsorganisationen der UNO
möglichst wirklichkeitsgetreu zu vertreten - indem sie
Resolutionen verfassen oder Verhandlungsstrategien entwerfen. Drei
Tage sind für die Arbeit in den verschiedenen Kommissionen
geplant, danach nehmen alle Delegierten an der Debatte in der
Generalversammlung teil, die wirklichkeitsgetreu im
UN-Hauptquartier stattfinden wird. Die Chemnitzer Universität
entsendet bereits zum zweiten Mal eine Delegation nach New York.
Privatdozent Wolfram Hilz ist der "Faculty Advisor" der Gruppe und
vom Projekt überzeugt: "Die Studenten haben bei der Simulation
die Möglichkeit, die Probleme der Weltgemeinschaft anzugehen
und einen vertieften Einblick in die Arbeit der UNO zu gewinnen.
Dabei können sie ihren Horizont erweitern, denn die
Diskussionen finden nicht statt wie im Seminar, sondern nach den
Regeln der Organisation."
Doch vor der Reise steht die Informationsbeschaffzung in Berlin
an. Der erste Termin des Tages führt die Chemnitzer nach
Pankow, wo Botschafterin Maja Pandshikidse die
zwölfköpfige Gruppe empfängt. Im Gespräch wird
schnell klar, dass die Studenten, von denen ein großer Teil
Politikwissenschaft studiert, sich gründlich über das
Land, das sie vertreten werden, informiert haben. Dass das Los auf
Georgien gefallen ist, hat für Freude gesorgt. "Georgien stand
auf der Liste von zehn Wunschländern, die wir eingereicht
haben, auf Platz drei", erklärt Daniel Kämpfe. "Es ist
ein Land im Umbruch - das ist für uns spannend." Die Studenten
finden es reizvoll, eine Nation zu vertreten, in der nach
jahrelanger Unterdrückung durch die Russen die neue Regierung
unter Präsident Michail Saakaschwili konsequent einen
demokratischen Weg geht und sich neben dem Kampf gegen die
allgegenwärtige Korruption auch den NATO- und EU-Beitritt auf
die Fahnen geschrieben hat. Zudem, so Kämpfe, sei Georgien
"kulturell nicht so weit von Deutschland entfernt, als dass wir uns
mental nicht in die Rolle der georgischen Delegation
hineinversetzen könnten".
Georgien engagiert sich im Irak
Dennoch wird im Gespräch mit der Botschafterin schnell
klar, dass die deutschen Studenten in New York Perspektivenwechsel
vornehmen müssen, wie etwa in der Irakfrage: "Georgien
engagiert sich im Irak, und das wird von der Bevölkerung im
allgemeinen sehr positiv bewertet", so Maja Pandshikidse.
Während das Verhältnis zu den Amerikanern durchweg gut
sei, übe man deutliche Kritik an der UNO. "Man wirft der UNO
vor, im Problem um Abchasien versagt zu haben. Sie ist nicht in der
Lage, diesen Konflikt, der seit 15 Jahren andauert, zu lösen."
Abchasische Separatisten fordern seit Ende der 80er-Jahre die
Unabhängigkeit von Georgien und werden, so der Vorwurf der
georgischen Regierung, dabei von Russland unterstützt. Im
Gespräch mit den Studenten macht Maja Pandshikidse den
georgischen Standpunkt klar: Man erwarte nicht, dass Deutschland
seine Beziehungen zu Russland verschlechtere, um Georgien
beizustehen. Dennoch solle es Russland "immer wieder daran
erinnern, dass der georgische Konflikt gelöst werden"
müsse. Doch nicht nur in den politischen Standpunkten wird das
Rollenspiel den Studenten einen Standortwechsel abverlangen. Auch
in dem, was Eingang in den öffentlichen Diskurs findet, gibt
es Unterschiede zwischen ihrem Herkunftsland und dem Staat, den sie
in New York vertreten werden. Über die Frage einer Studentin,
welche Rolle die Diskussion um das Klonen in Georgien spielt, muss
die Botschafterin lachen: "Die Bevölkerung hat momentan andere
Probleme - die Leute sind einfach noch nicht bereit, eine Meinung
über derartige Themen zu haben. Solche Diskussionen werden als
Luxus empfunden. " Ähnliches gelte für das Thema Aids.
"Die Grippe ist ein größeres Thema."
Von Pankow geht es für die Gruppe zum Werderschen Markt. Im
Auswärtigen Amt gibt es ein umfassendes Briefing über die
Innen- und Außenpolitik Georgiens aus deutscher Sicht. Daniel
Kämpfe: "Ein Mitarbeiter des Referats Südkaukasus hat uns
darüber informiert, wie man die Enwicklungen in Georgien nach
der Rosenrevolution einschätzt. Ein wichtiger Aspekt für
uns ist, dass Georgien zwar nun eine demokratisch legitimierte
Regierung hat, diese aber auch nationalistische Tendenzen
entwickelt. Bei allen Reformen bleiben die Menschenrechte
gelegentlich auf der Strecke." Die Chemnitzer Studenten wissen die
umfassende Betreuung zu schätzen. Für sie ist der Trip
nach New York die Chance, Dinge praktisch zu erfahren, die im
Seminar bislang nur theoretisch erörtert worden sind. Sie
hoffen nun, dass sie für ihr Projekt so viele Sponsoren wie
möglich finden.
Daniel Michulke, einer der beiden Hauptverantwortlichen der
Delegation, nimmt schon zum zweiten Mal an der Simulation teil.
"Bei der Veranstaltung im vergangenen Jahr hatte ich eigentlich
dauernd eine Gänsehaut. Dass man dort, wo normalerweise
Weltpolitik gemacht wird, mit interessanten Menschen aus aller Welt
an einem solchen Projekt arbeitet, ist einfach beeindruckend. Diese
Erfahrungen und Kontakte haben für mich eine ganz besondere
ideelle Bedeutung." Ein Foto zeige ihn am Rednerpult des
Plenar-saals. "Das ist einfach cool."
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