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Susanne Kailtiz
Nur fünf Minuten für jeden
Damals ...vor 40 Jahren: die erste Aktuelle
Stunde im Bundestag
Bevor der Bundestag am 10. Februar 1965 das, so
Bundestagsvizepräsident Carlo Schmid, "neue Instrument
parlamentarischer Demokratie" erstmals ausprobierte, wurden die
Formalia geklärt: Fünf Minuten Zeit sollte jeder Redner
haben, es musste frei gesprochen werden, Zwischenfragen waren nicht
gestattet. So die Regeln der versuchsweise eingeführten
Aktuellen Stunde, die die parlamentarische Debatte lebendiger
gestalten sollte, und die bis heute meist im Anschluss an die
Fragestunde auf Antrag oder Verlangen der Fraktionen oder Beschluss
des Ältestenrates stattfindet.
Reden ohne "Krücken"
Schmid bat eindringlich um die Einhaltung der Regeln - und
kündigte ein entschlossenes Vorgehen an, sollte einer der
Redner sie verletzen. Müsse er feststellen, dass "einer der
Sprecher auf die Hilfe eines fertigen Textes nicht verzichten zu
können glaubt", werde er ihn einmal "abmahnen, und, wenn er
seine Krücken nicht wegstellt, ihm das Wort entziehen". Zudem
habe er angeordnet, Rednern in der vierten Minute ihrer Redezeit
ein Brettchen mit der Aufschrift "Sie haben noch eine Minute Zeit!"
neben das Pult zu legen. Sobald die fünf Minuten abgelaufen
seien, werde er "den Redefluss erbarmungslos stoppen". Nur ein
Problem schien noch ungeklärt: Die Aktuelle Stunde sollte auf
eine Stunde beschränkt sein, dabei würde die die Redezeit
der Regierung unberücksichtigt bleiben. Sollte die Regierung
aber in der letzten Minute das Wort ergreifen, habe jeder
Abgeordnete das Recht, das Wort zu verlangen, um auf die
Ausführungen zu reagieren. Um eine ausufernde Debatte zu
verhindern und das Problem zu umgehen, "uns den Kopf darüber
zu zerbrechen, wie wir bei Zeitüberschreitungen verfahren
sollten", bat Schmid die "Herren von der Regierungsbank" in diesem
Punkt um Zurückhaltung.
Die Einführung einer Aktuellen Stunde ging auf einen Antrag
auf Ergänzung der Geschäftsordnung der Fraktionen von
CDU/CSU, SPD und FDP zurück, den der Ausschuss für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung im
Januar 1965 befürwortet hatte. Der Ausschuss hatte empfohlen,
die Aktuelle Stunde zunächst probeweise einzuführen und
erst dann über die endgültige Einführung zu
befinden, wenn genügend Erfahrungen mit dem neuen Modell
gesammelt worden seien. Auch Bundeskanzler Ludwig Erhard zeigte
sich innovationsfreudig. In einem Schreiben an den
Bundestagspräsidenten teilte er mit, er begrüße die
Einrichtung einer Aktuellen Stunde und sei damit einverstanden,
"dass die Mitglieder der Bundesregierung sich an die für die
Mitglieder des Bundestags vorgesehene Redezeit halten und
grundsätzlich - wobei ich unter 'grundsätzlich' verstehe:
ein für allemal und ohne Ausnahme - nicht länger als
jeweils fünf Minuten sprechen".
Nachdem Schmid diesen Brief verlesen hatte und so alle
Bedingungen geklärt waren, stand dem Verlauf der Kurzdebatte
nichts mehr im Wege. Ihr Thema: Die Ausführungen des
französischen Staatspräsidenten de Gaulle zur
Wiedervereinigung Deutschlands. Elf Abgeordnete, Bundeskanzler
Erhard und Außenminister Gerhard Schröder ergriffen das
Wort - nicht ohne Probleme mit den Tücken der
Geschäftsordnung. Bereits der erste Redner, der
SPD-Abgeordnete Fritz Erler, musste sich entschuldigen, weil er von
Unterlagen ablas: "Einige Notizen darf man benutzen; man darf nur
keine Reden verlesen. Ich glaube nicht, dass ich den Eindruck
erwecke, nicht der deutschen Sprache mächtig zu sein, ohne zu
lesen." Am Ende blieb noch Zeit übrig, und Schmid konnte die
aktuelle Stunde überpünktlich schließen. Sein Fazit:
"Ich glaube, das Haus hat die Bewährungsprobe dieser ersten
Stunde bestanden. Vivant Sequentes, darf ich auf Lateinisch
sagen."
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