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Helmut Herles
Jetzt kommt unwiderruflich die Abrissbirne
Parlamentarische Gesellschaft - Bonner Stadtrat
beschließt: Villa Dahm muss weg
Durch das Bonner Bundesviertel führt seit einiger Zeit ein
"Weg der Demokratie". Er soll mit seinen Texttafeln das ehemalige
(und zum Teil auch heutige) Regierungsviertel erschließen.
Solch eine Tafel steht auch vor dem ehemaligen Sitz der
Parlamentarischen Gesellschaft, der klassizistischen Villa Dahm.
Hier ist dieses Bonner Kontrastbild vom Verlust der Vergangenheit
und der Hoffnung auf die Zukunftsmusik einer wachsenden Kongress-
und UNO-Stadt ebenfalls zu besichtigen. Dort ist zu lesen: "Die
Dahlmannstraße stand für die Nähe von Medien und
Politik in Bonn. Das Gelände wird Teil des Internationalen
Kongress-Zentrums Bundeshaus Bonn (IKBB). Redaktionen namhafter
Zeitungen, Magazine, Hörfunk- und Fernsehanstalten waren hier
mit ihren Bonner Korrespondenten vertreten. Zum Teil in ehemaligen
Wohnhäusern saßen mehrere Redaktionen Seite an Seite.
Viele dieser Gebäude wurden mittlerweile abgerissen, so auch
das Haus in der Nummer 18, in dem die Landesvertretung
Niedersachsen bis 1992 und Sachsen-Anhalt bis 2000 ihren Sitz
hatten."
Ebenfalls verschwunden ist das Nachbarhaus des WDR, in dem unter
anderem Friedrich Nowottny und Ernst-Dieter Lueg ihren "Bericht aus
Bonn" sendeten. Das war ein Hauptstadtstudio, ohne sich, anders als
in Berlin, jemals vollmundig so zu nennen. An der anderen Ecke
steht das Haus der Redaktion des "Spiegel" zum guten Teil leer.
Aber im Parterre ist wenigstens der Bundeshaus-Friseur Münch
eingezogen, bei dem man noch immer Annemarie Renger oder Horst
Ehmke und Otto Graf Lambsdorff zufällig treffen kann.
Zurück zum Schild vor der Villa Dahm. Ein Satz darauf muss
demnächst korrigiert werden: "Sie war bis 1999 Sitz der
Parlamentarischen Gesellschaft und ist Teil des Weges der
Demokratie." Das war sie tatsächlich, denn in der Rheinaue
stehen drei Villen für die Bonner Erfolgsgeschichte der
Demokratie: die Villa Hammerschmidt des Bundespräsidenten, das
Palais Schaumburg des Bundeskanzlers und die Villa Dahm als Sitz
des interfraktionellen Clubs der Deutschen Parlamentarischen
Gesellschaft. Sie wird demnächst nicht mehr Teil des Weges der
Demokratie sein können, weil der Rat der Stadt trotz des
vorausgegangenen Protestes von Bürgern und des "Arbeitskreises
zur Erhaltung des historischen Stadtgefüges", aber auch vieler
ehemaliger und heutiger Bundestagsabgeordneter, deren Abriss
beschlossen hat. Denn der Stadt als Auftraggeber und den jungen
Münchner Architektinnen des Büros YES, Ruth Berkolt und
Marion Wicher, fehlte die Phantasie, Altes und Neues in dem von
allen erwünschten künftigen Kongress-Zentrum am
Bundeshaus miteinander zu verbinden.
Einstimmig, sang- und klanglos wurde am 24. Mai der Abriss
beschlossen. Die Bürger können sich zwar zu der nun
öffentlichen Auslegung des Bebauungsplanes nochmals
äußern, aber dies ändert nichts an der geschichtlich
unsensiblen Entschlossenheit der Stadt. Zur Begründung
heißt es: "Unter Berücksichtigung der hier verfolgten
städtebaulichen Zielsetzung und dem hierfür
benötigten Raum, unter dem Gesichtspunkt der
Wirtschaftlichkeit, aber auch dem des Einfügens eines solchen
Gebäudes in eine moderne, anderen Zielsetzungen unterworfene
Architektur ist ein Einfügen oder Erhalten nicht darstellbar."
Merkwürdig ist die Begründung der Stadt, die Villa Dahm
stelle ein "Relikt vorangegangener Epochen in diesem Bereich" dar:
"Die Architektur der jungen Demokratie spiegelt sich im
wesentlichen in den Gebäuden des Langen Eugen, den
Bundestagsgebäuden mit der ehemaligen Pädagogischen
Akademie sowie dem Neubau des Plenarsaales, den
Abgeordnetenhäusern und nicht zuletzt durch den/das
Kanzlerbungalow/-amt wider." Würde man dieser Logik folgen,
wären auch die Villa Hammerschmidt und das Palais Schaumburg
"Relikte vorangegangener Epochen". Hinweg auch mit ihnen?
Das Rheinische Amt für Denkmalpflege hat sich ebenfalls
nicht mit Ruhm bedeckt. Während es in den 80er-Jahren noch den
Plan des damaligen Oberbürgermeisters Hanns Daniels
verhinderte, die Villa zugunsten einer "grünen Mitte" der
Bundesrepublik zu opfern, schützen die Denkmalschützer
die Villa nun nicht länger. Damals hatte es geheißen:
"Das Bauwerk ist wegen der baukünstlerischen Qualität
erhaltenswert. Die Erhaltung ist zudem wegen des
stadtgeschichtlichen Zeugnischarakters sowie wegen der
städtebaulichen Wirkung des von der Straße
zurückgesetzten freistehenden Gebäudes geboten." Was
für Hans Daniels galt, gilt für Oberbürgermeisterin
Bärbel Dieckmann nicht mehr. Begeistert sind die
Denkmalschützer dennoch nicht: "Der Abbruch der Denkmäler
Dahlmannstraße 5 - 7 (Parlamentarische Gesellschaft) und
Görresstraße 28 (Pressebaracke) wird aus
denkmalpflegerischer Sicht in Anbetracht der tatsächlichen
Unvereinbarkeit des errechneten Flächenbedarfs für das
IKBB mit den Erhaltungszielen des Denkmalschutzgesetzes in
Würdigung des bisherigen Verfahrens hingenommen. Im Rahmen des
Abbruchverfahrens für die Denkmäler ist der Umfang der zu
leistenden Dokumentation zu konkretisieren."
Die schöne alte Villa teilt leider nicht das Schicksal der
drei Appartement-Häuser der Abgeordneten zwischen Heussallee
und Saemischstraße, wo man an manchem Klingelschild noch Namen
von Abgeordneten findet, die längst nicht mehr hier wohnen,
und des Zeitungskiosks gegenüber dem Bundesrat. Sie
dürfen bleiben. Das Zeitungshäuschen wird jedoch
womöglich verlegt. Gegenüber der historischen Bedeutung
und der ästhetischen Wirkung der Villa Dahm ist deren
Bedeutung für das historische Bewusstsein einer Stadt wie Bonn
und eines Staates wie der Bundesrepublik keineswegs so groß.
Heute wuchert eine Wiese vor der Villa Dahm, wo einst gepflegter
Rasen war. Die Türschilder verweisen auf die
"Willi-Daume-Stiftung unter Schirmherrschaft des Bundeskanzlers",
den Deutschen Tennis-Rollstuhlverein, den Verband Deutscher
Naturparke, das Deutsche Forum Kriminalprävention. Noch ist
ungeklärt, was aus den erst beim Umbau in den 80er-Jahren
gefundenen farbigen Deck-enmalereien mit Vögeln und Palmen
wird oder der unter dem Putz des ehemaligen Hauptraumes Berlin
verborgenen Deckenmalerei und anderen Schätzen des Hauses.
Eine ironische Pointe dieser Geschichte: Dem auf die Abrissbirne
wartenden Denkmal soll künftig ein Denkmal gesetzt werden.
Demnächst wird also ein einmaliges Zeugnis der Bonner
Geschichte verschwinden. Hier wurden Geschichten zur Geschichte
erlebt und erzählt, manches Gesetz ent- und verworfen, fanden
viele Abgeordnete Lebenskultur in der Einsamkeit und Unwirtlichkeit
des politischen Betriebes. Dafür stehen die Namen der
Gründer: Karl Georg Pfleiderer, Gerhard Lütkens, Josef
Ernst Fürst Fugger von Glött, Carlo Schmid, Kurt Georg
Kiesinger, Otto Fürst Bismarck, Ernst Majonica, aber auch
spätere Präsidenten wie Hedwig Meermann, Richard
Stücklen, Burkhard Ritz, Otto Wulff, Reinhard Freiherr von
Schorlemer und Elke Leonhard. Nicht zu vergessen die Bonner
Geschäftsführerinnen dieses Clubs als Damen des Hauses:
Elisabeth Gräfin Werthern und Ingrid von Hagen.
Verstehe Oberbürgermeisterin, Stadtrat und
Landeskonservator, wer will. Bonn hätte das Kongress-Zentrum
am Bundeshaus auch mit der Villa haben können, wenn der
politische Wille und die Vorgabe für die Architekten vorhanden
gewesen wären. So aber haben manche der Abgeordneten in Berlin
den Eindruck, als wolle Bonn sich doch noch am Umzugsbeschluss
"rächen" und Zeugnisse seiner Vergangenheit als
Bundeshauptstadt vergessen und verdrängen. Dabei ist das
Ansehen der Bundes- und deutschen UNO-Stadt unlösbar mit
dieser Vergangenheit verbunden und Kapital für ihre Gegenwart
und Zukunft. Einen Ausweg zur Rettung der Parlamentarischen
Gesellschaft kann man der Stadt allerdings nicht wünschen.
Nachdem der erste Investor des IKBB gescheitert war, will der neue,
die US-Firma United Marketing Services GmbH aus Aachen, zwar mit
dem Bau schon "unbedingt Anfang kommenden Jahres beginnen". Der
Haken, wie Bernd Leyendecker (GA) über Stadtdirektor Arno
Hübner berichtet: "Der Investor muss allerdings bis Ende Juni
noch ein seriöses Finanzierungskonzept vorlegen." Demnach
fehlt dieses noch.
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