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Constanze Hacke
Reizwort Mindestlohn
Die SPD und die Tarifautonomie
Bloß nicht dran rühren: Die
Tarifautonomie ist für die SPD ein Tabu-Thema. Denn Grundlage
ihrer bisherigen Wirtschaft- und Arbeitsmarktpolitik war, die
gesetzlich abgesicherte Tarifautonomie in jedem Fall unangetastet
zu lassen. Für die Sozialdemokraten ist die Tarifautonomie von
Gewerkschaften und Arbeitgebern ein fester Bestandteil ihrer
Identifikation - und auch eine Möglichkeit der Abgrenzung
gegen andere Parteien.
Eine Partei, die ihr traditionelles
Wahlklientel in den Arbeitnehmern sieht, muss die Tarifautonomie
hochhalten, so die Überzeugung bei den Sozialdemokraten. Die
SPD, die sich hier in der Nachfolge der deutschen Arbeiterbewegung
sieht, rückt das Modell Tarifautonomie nicht nur in den
Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik, für sie ist es auch
ein Teil demokratischer Überzeugung.
Ein fester Bestandteil der
sozialdemokratischen politischen Rhetorik ist daher der Vorwurf an
das gegnerische Lager, die Tarifautonomie zerschlagen zu wollen.
Derartig wahrgenommene Angriffe auf die Tarifautonomie werden von
der SPD nicht selten als Angriffe auf die Demokratie verstanden -
wie der Parteivorsitzende Franz Müntefering nicht müde
wird zu betonen. Zum Beispiel in einer Erklärung im November
vergangenen Jahres, damals noch in der Funktion als
Fraktionsvorsitzender: "Die Union will eine Republik, in der
Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich nicht mehr in gleicher
Augenhöhe begegnen, in der das Prinzip Herr und Knecht gilt.
Zu den Stärken Deutschlands gehört der soziale
Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Tarifautonomie und Kündigungsschutz steht bei uns nicht zur
Disposition."
Nach Auffassung des stellvertretenden
Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Ludwig Stiegler, sind
Einschnitte in die Tarifautonomie nicht nur verfassungsrechtlich
höchst problematisch, sondern auch ordnungspolitisch nicht
geboten: "Einschränkungen oder gar Beseitigung der
Tarifautonomie sind ein denkbar ungeeigneter Weg, zu mehr
Beschäftigung zu kommen. Die Tarifvertragsparteien sind am
besten in der Lage, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen
Regelungen auf tarifvertraglicher Ebene und auf Betriebsebene
herzustellen."
Gleich welcher Natur Änderungen sind,
die den Bereich der Tarifverträge betreffen: Die SPD ist stets
bemüht zu betonen, dass Eingriffe in die Tarifautonomie tabu
sind. Beispiel Nummer eins: Im März dieses Jahres forderte der
SPD-Kreisverband Heidelberg die Programmkommission der
Sozialdemokraten per Beschluss auf, die Wochen-Arbeitszeit generell
zu begrenzen. Die Stärkung der internationalen
Wettbewerbsfähigkeit und die Förderung der
Beschäftigungsfähigkeit hätten nicht ausgereicht, um
die Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu lösen. Die Arbeit
müsse gerecht verteilt werden - und das gehe eben nur
über eine allgemeine Reduzierung der Wochenarbeitszeit. Der
Kreisverband beeilte sich aber zugleich klarzustellen, dass mit
dieser Resolution kein Eingriff in die Tarifautonomie gefordert
werde.
Die Lager sind gespalten
Beispiel Nummer zwei: die aktuelle Debatte um
einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn. Nicht erst seit der
Diskussion um Billigarbeiter-Konkurrenz aus den
osteuropäischen neuen EU-Mitgliedstaaten versucht die SPD den
Spagat: Lohndumping müsse verhindert werden, heißt es. Ob
ein gesetzlich festgeschriebener Mindestlohn ein Mittel dafür
sein könnte, ist unter Sozialdemokraten heftig umstritten. Der
wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Klaus
Brandner, warnte bereits eindringlich: Der Staat könne nicht
als Ersatz für die Tarifvertragsparteien herhalten.
Das den Sozialdemokraten bislang eng
verbundene Gewerkschaftslager ist ähnlich gespalten: Einige
Gewerkschaften, allen voran ver.di und die Gewerkschaft
Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), fordern seit Jahren den
gesetzlichen Mindestlohn - dies vor allem, da es im Einzelhandel
und in der Gastronomie in vielen Betrieben keine allgemein
verbindlichen Tarifverträge mehr gibt. Die IG Metall dagegen,
die für ihre Mitglieder bislang innerhalb der
Tarifverträge einiges erstreiten konnte, wendet sich ebenso
gegen gesetzliche Mindestlöhne wie die IG BAU, die dies als
gefährlichen Eingriff in die Tarifautonomie wertet.
Herausgekommen ist nun ein Kompromiss: Die Bundesregierung
beschloss Ende April, das so genannte Arbeitnehmer-Entsendgesetz
auf alle Branchen auszuweiten. Damit kann der
Bundeswirtschaftsminister auf Antrag einer Tarifvertragspartei die
tariflichen Standards für alle Arbeitgeber einer Branche
für verbindlich erklären.
SPD-Politiker wie Klaus Brandner atmen auf;
die Tarifautonomie könne so aufrechterhalten werden,
erklärte der Wirtschaftsexperte in einem Zeitungsinterview.
"Das entspricht unserer Kultur, wie Löhne gefunden werden."
Ein Wink mit dem Zaunpfahl für die Tarifparteien bleibt: Die
Bundesregierung erklärte, dass sie davon ausgehe, dass die
Tarifvertragsparteien im eigenen Interesse bundesweit
flächendeckende Tarifstrukturen schaffen werden. Wer die
Einführung gesetzlicher Mindestlöhne ablehne, dürfe
sich den erforderlichen Maßnahmen auf tarifvertraglicher Basis
nicht entziehen. Die Autorin arbeitet als freie
Wirtschaftsjournalistin in Köln mit den Schwerpunkten Steuern,
Recht, Mittelstand und Wirtschaftspolitik.
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