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Nico Fickinger
Kampf der Verbändemacht
Die FDP und dieTarifautonomie
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie ernst es die
FDP mit ihrer Kritik am Tarifvertragsrecht und der Mitbestimmung
meint, dann hat ihn der Parteivorsitzende Guido Westerwelle just am
1. Mai geliefert. "Wir werden nach dem Wahlsieg 2006 die
Gewerkschaftsfunktionäre entmachten", gab der FDP-Chef
freimütig im Magazin "Focus" zu Protokoll. Selbst
Massenproteste müsse man "im Interesse der Gesundung
Deutschlands in Kauf nehmen". Die Gewerkschaftsfunktionäre
seien "die wahre Plage in Deutschland" und "längst die
Verräter der Arbeitnehmerinteressen, nicht deren Vertreter",
befand der Parteichef. Ihre Politik koste "mehr Jobs, als die
Deutsche Bank je abbauen könnte".
Ebenso klar wie das Feindbild sind auch die Vorstellungen des
FDP-Vorsitzenden: "Wir werden das starre Tarifvertragssystem
aufbrechen. Betriebliche Bündnisse sind dann nicht mehr die
Ausnahme von Gewerkschaftsgnaden, sondern die Regel, wenn es drei
Viertel der Belegschaft möchten. Außerdem wollen wir die
paritätische Mitbestimmung durch eine Drittelbeteiligung
ersetzen, und die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite
müssen aus dem Betrieb kommen, nicht aus fernen
Gewerkschaftszentralen." Wer die Anträge der Freien Demokraten
kennt, den überrascht dieses Programm nicht, allenfalls die
pointierte Härte, mit der es vorgebracht wird. Doch
Wes-terwelle kann sich klare Worte leisten: Zum einen nehmen die
Urheber der FDP-Position - Parteivize Rainer Brüderle zu
Tarifpolitik und Mitbestimmung, der neue Generalsekretär Dirk
Niebel zur Arbeitsmarktpolitik - beide selbst kein Blatt vor den
Mund. Zum anderen ist sich die Fraktion bei diesen Themen seit
langem einig. An größere inhaltliche Differenzen kann
sich Niebel jedenfalls nicht erinnern. "Seit ich im Bundestag bin,
hat sich diese Thematik nicht verändert - weil ja auch das
Problem das gleiche ist: die Verbändemacht." Von diesem
antikorporatistischen Geist durchdrungen sind die bisherigen
Anträge der Liberalen im Bundestag. Zur Sicherung
betrieblicher Bündnisse für Arbeit verlangen sie
drastische Änderungen des Tarifvertragsgesetzes, des
Betriebsverfassungsgesetzes und des Streikrechts. Dazu zählt
nicht nur die schon genannte gesetzliche Öffnung der
Tarifverträge für betriebliche Vereinbarungen über
Lohnverzicht oder unbezahlte Mehrarbeit, die freiwillig mit
Zustimmung des Betriebsrats oder von 75 Prozent der abstimmenden
Unternehmensmitarbeiter geschlossen werden. Zudem will die FDP die
Allgemeinverbindlicherklärung abschaffen, die Bindewirkung
eines Entgelttarifvertrags auf höchstens ein halbes und eines
Manteltarifvertrags auf maximal ein Jahr nach Austritt eines
Unternehmens aus dem Arbeitgeberverband befristen sowie Warnstreiks
erst dann erlauben, wenn ihnen ein obligatorisches
Schlichtungsverfahren vorausgegangen ist.
Die Unternehmensmitbestimmung soll nach dem Willen der Freien
Demokraten durch die genannte Rückkehr zur Drittelparität
auch in Konzernen mit mehr als 2.000 Beschäftigten reformiert
werden. Die Aufsichtsräte sollen höchstens zwölf
Mitglieder umfassen, die Zahl der Mandate pro Person auf fünf
begrenzt werden. Ehemalige Vorstandsvorsitzende sollen erst nach
einer Wartezeit von drei Jahren den Vorsitz im Aufsichtsrat
übernehmen dürfen. Werden Aufsichtsratsmitglieder von der
Hauptversammlung nicht entlastet, soll dies zu Sanktionen
führen. Um die Kontroll- und Überwachungsfunktion des
Gremiums zu stärken, kann bei Bedarf ein Sekretariat
eingerichtet und ein hauptberuflicher Aufsichtsratsassistent
beschäftigt werden. In ihrer Radikalität gehen die
Vorschläge der FDP zum Teil noch über die Forderungen
hinaus, die der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in
ihrer gemeinsamen Mitbestimmungskommission erhoben haben. Von
Obergrenzen für die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder und der
Mandate oder von einer "Schamfrist" für den Wechsel in den
Aufsichtsrat etwa ist dort nicht die Rede. Im Tarifrecht weisen die
Liberalen eine sehr viel größere Übereinstimmung mit
dem BDI auf, der für eine gesetzliche Tariföffnung
plädiert und die Verbände ihrer Vetomöglichkeiten
berauben will, als mit der für Tarifpolitik zuständigen
BDA, die eine "kontrollierte Dezentralisierung"
befürwortet.
Mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg von CDU/CSU und FDP
und die Nähe der Arbeitgeberverbände zur Union machen
sich die Freien Demokraten über die Realisierbarkeit ihrer
Forderungen keine Illusionen. Radikale Vorschläge wie die
Abschaffung des Tarifvorbehalts in Paragraf 77 Absatz 3 des
Betriebsverfassungsgesetzes würden sich in einer
schwarz-gelben Koalition wohl kaum durchsetzen lassen.
Nico Fickinger ist Redakteur bei der "Frankfurter Allgemeinen
Zeitung".
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