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"Die potentiellen Beschäftigten in
Deutschland sitzen als Arbeitslose den ganzen Tag vor der
Glotze"
Berthold Huber und Hans-Olaf Henkel diskutieren
die deutschen Verhältnisse
Mit dem 2. Vorsitzenden der IG Metall, Berthold
Huber, und dem ehemaligen BDI-Chef und Präsidenten der
Leibniz-Gemeinschaft, Hans-Olaf Henkel, treffen Welten aufeinander.
Während Berthold Huber gegen das Verhinderer-Image seiner
Gewerkschaft und für gesetzlich vereinbarte Mindestlöhne
kämpft, provoziert Henkel mit streitbaren Verlautbarungen
gegen das vermeintliche Tarifkartell und Gleichmacherei. Für
"Das Parlament" sind beide zu einem Streitgespräch
zusammengetroffen.
Das Parlament: Gibt es noch
Verantwortung für Vollbeschäftigung bei
Unternehmern?
Hans-Olaf Henkel:
Selbstverständlich. Ich kenne nicht einen Unternehmer in
Deutschland, der nicht lieber in Deutschland Fabriken eröffnen
würde, Spatenstiche feiern würde, Einweihungen, als
Menschen zu entlassen.
Das Parlament: Ist es nicht so, dass
Arbeitslosigkeit auch ein Verhandlungsvorteil in der
Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften ist?
Hans-Olaf Henkel: Das mag so sein,
weil die Arbeitslosigkeit ja ein Symptom für eine
Fehlentwicklung ist, und wenn diese sichtbar für alle auf dem
Tisch liegt, hat man wahrscheinlich mehr Verbündete, um etwas
dagegen zu tun. Aber in Ihrer Frage steckt die in Deutschland
übliche Unterstellung, dass die Wirtschaft gern Arbeitslose
produzieren würde, um eine bessere Stellung gegenüber den
Gewerkschaften zu haben. Das ist ein ziemlicher Unsinn, denn zur
wachsenden Arbeitslosigkeit zählt eben auch das Phänomen
der wachsenden Anzahl von Pleiten. Wir hatten im letzten Jahr
40.000 mittlere und kleine Unternehmen, die den Bach
heruntergegangen sind; daran hat niemand Freude.
Das Parlament: Die IG Metall sieht
sich als Anwalt der Arbeitnehmer. Das bedeutet jedoch nicht per se,
dass sie gleichzeitig auch Anwalt der Arbeitslosen ist. Kann es
heute noch ein Anspruch der Gewerkschaften sein, sich auch um
Arbeitslose zu kümmern? Wie kann das gemacht werden, wie wird
das gemacht?
Berthold Huber:
Selbstverständlich ist das ein Anspruch der Gewerkschaften.
Die IG Metall ist mit rund 250.000 arbeitslosen Mitgliedern
womöglich der größte Arbeitslosenverband. Wir haben
mehr arbeitslose Mitglieder als jeder andere Verband in
Deutschland. Wir versuchen, die Leute zu unterstützen, fordern
Bildung, Ausbildung, Qualifizierung... Natürlich ist unsere
Möglichkeit, selbst Arbeitsplätze für die Leute zu
schaffen, sehr beschränkt. Wir versuchen darum auch, die
Interessen von Arbeitslosen gegenüber der Politik zu
vertreten. Wenn ich noch anfügen darf: Ein Vorwurf von Herrn
Henkel ist, dass wir in Deutschland Gleichmacherei hätten. Das
sei das Elend. Diese These stimmt selbstverständlich nicht.
Auch für den Bereich, den ich vertrete, haben wir selbst bei
den Tariflöhnen 10 bis 20 Prozent Unterschied in einer
Branche, zwischen der Küste und Baden-Württemberg zum
Beispiel. Zudem möchte ich Herrn Henkel fragen: Was ist denn
Ihr Modell? Sie wollen, dass jeder Betrieb, jede Belegschaft
für sich selber entscheidet. Das hätte fatale
Auswirkungen: Wenn die Konkurrenzbedingungen zwischen den Betrieben
einer Branche extrem unterschiedlich sind, findet
Unterbietungskonkurrenz statt. Sie setzen eine Abwärtsspirale
in Gang. Wenn ein Unternehmen Löhne senkt oder Arbeitszeiten
verlängert, ziehen die anderen logischerweise nach. Damit ist
niemandem geholfen, es geht nur allen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern schlechter.
Das Parlament: Dem Arbeitgeberverband
wird häufig der Vorwurf gemacht, Jobkiller zu sein, und er
wird dafür gescholten, dass er zu große Nachgiebigkeit
gegenüber den Gewerkschaften an den Tag legt.
Hans-Olaf Henkel: Das eine können
Sie von dem anderen nicht trennen. Schuld hat das Tarifkartell, das
es in dieser Form nur noch in Deutschland und Österreich gibt.
Überall sonst in der Welt ist es inzwischen zugunsten neuer
Arbeitsplätze abgeschafft worden. Überall in der Welt ist
man der Meinung, dass die Entscheidung über Arbeitszeiten,
über Löhne und Lohnzuwächse so nah vor Ort wie
möglich angesiedelt werden sollte - mit dem Erfolg, dass
überall dort, wo das geschah, auch die Arbeitslosigkeit
bekämpft wurde. Nur bei uns ist man noch der Meinung, dass
überall das Gleiche gezahlt werden muss. Egal, ob Sie in einer
Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit leben wie Gelsenkirchen oder in
München, wo die Lebenshaltungskosten viel höher sind.
Diese Gleichmacherei führt dazu, dass in Deutschland ohne Not
viele Existenzen und Arbeitsplätze vernichtet werden. Und
daran beteiligen sich auch die Arbeitgeber.
Das Parlament: Wir haben den griffigen
Satz von Herrn Henkel, der auch von der Öffentlichkeit
rezitiert wird, es gebe ein Tarifkartell, das Verträge zu
Lasten Dritter schließt. Ist an der Formel etwas
dran?
Berthold Huber: Nein. Wir
schließen Tarifverträge für die Leute, die bei uns
Mitglied sind, und im weitesten Sinne für alle
Beschäftigten der Bereiche Metall, Elektro, Stahl, Textil
sowie Holz- und Kunststoff. Das ist doch kein Job zu Lasten
Dritter. Aber an der Stelle habe ich es aufgegeben, Herrn Henkel
überzeugen zu wollen Die Formulierung von der angeblichen
Belastung Dritter stammt von der "Monopol-Kommission". Sie hat
unterstellt, dass die Arbeitslosen wegen angeblich zu hoher
Löhne keinen Job fänden. Und die Steuerzahler
müssten die sozialen Folgen der hohen Arbeitslosigkeit mit
tragen. Diese unsinnige Polemik wird selbst in weiten Teilen des
Arbeitgeber-Lagers zurückgewiesen. Wer sie trotzdem
verbreitet, hat von Tarifpolitik entweder keine Ahnung oder
führt die Menschen bewusst hinters Licht.
Beschäftigungssicherung steht bei uns seit Anfang der 90er
Jahre in der Tarifpolitik ganz oben. Dabei sind ganz
unterschiedliche Formen möglich. Etwa Arbeitszeitabsenkung
ohne Lohnausgleich oder befristete Absenkung von Entgelten in
Krisenfällen. Wir haben in den letzten zehn Jahren
hunderttausende Arbeitsplätze gesichert, nicht vernichtet.
Allein unsere aktuellen Tarif-Vereinbarungen bei Daimler Chrysler
und VW sichern zusammen über 250.000 Arbeitsplätze bis
2012 bzw. 2011. Das ist eines der größten
Arbeitsplatz-Sicherungspakete in der deutschen
Nachkriegsgeschichte!
Das Parlament: Sind denn nicht, wenn
einzelne Belegschaften mit Konzernführungen Tarifverträge
aushandeln, Belegschaften und Konzerne noch viel eher versucht, ein
Kartell zu Ungunsten der Arbeitslosen zu bilden, als Gewerkschaften
und Arbeitgeberverbände?
Hans-Olaf Henkel: Im Gegenteil, sie
wissen besser, was sich der eigene Betrieb leisten kann. Ich habe
nichts gegen Flächenverträge und ich habe auch nichts
dagegen, dass es Arbeitgeberverbände gibt. Aber dass man
praktisch gezwungen wird, diesem Kartell beizutreten, ist der
springende Punkt. Ich finde es schädlich, dass das deutsche
Gesetz einem Unternehmer verbietet, sich auch dann mit seinem
eigenen Betriebsrat über Löhne und Arbeitszeiten zu
einigen, wenn sich zum Beispiel 75 Prozent der Beschäftigten
in einer geheimen Abstimmung dafür entscheiden. Wenn Sie heute
einen kollektiven und unternehmensspezifischen Abschluss in Ihrem
Unternehmen haben wollen, müssen Sie eine Gewerkschaft ins
Unternehmen holen, um dann einen Haustarif zu machen - und das
möglicherweise auch, obwohl Sie nicht ein einziges
Gewerkschaftsmitglied haben. Ich bin damals als Chef bei IBM mit
29.000 Mitgliedern aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten und habe,
was gesetzlich sagen wir mal am Rande der Legalität war, mit
dem Betriebsrat verhandelt und mir dann in der DAG einen
offiziellen Gesprächspartner zur Unterschrift suchen
müssen. Der Anlass waren damals für mich gar nicht so
sehr die Löhne, sondern die Einführung der
35-Stunden-Woche. Ich hatte die Verantwortung für 29.000 Leute
- davon arbeiteten etwa 6.000 im klassischen Metallbereich, der
Rest aber im Software- und Servicebereich. Ich hätte bei der
Einführung der 35-Stunden-Woche ein unlösbares
Wettbewerbsproblem bekommen, denn meine deutschen Konkurrenten
konnten alle weiterhin 39 Stunden arbeiten, nur weil sie keine
Fabriken hatten. Diese schädlichen Folgen dieser unsinnigen
Gleichmacherei müssen doch jedem einleuchten!
Berthold Huber: Die 35-Stunden-Woche
ist zu Ihrem offensichtlichen Trauma geworden. Sie hat auf jeden
Fall in den letzten 20 Jahren Arbeitsplätze gesichert.
Natürlich ist das auch zu Lasten von Unternehmensgewinnen
gegangen. Aber das ist kein Grund, weshalb wir uns dafür
entschuldigen müssen.
Hans-Olaf Henkel: Und was passiert
jetzt? Ihre Gewerkschaft wird aufgrund der Globalisierung
gezwungen, auch die öffentliche Arbeitszeit wieder zu
erhöhen. Dieses Jahrzehnt ist ein wirklich verlorenes
Jahrzehnt gewesen, was die Arbeitszeit betrifft. Die Arbeitskosten
werden überall in der Welt als Kosten pro Stunde berechnet,
und man hat drei Möglichkeiten, die Arbeitskosten zu
beeinflussen: Man kann die Anzahl der Stunden reduzieren, Sie
können die Lohnnebenkosten erhöhen, dann erhöhen Sie
die Arbeitskosten; und Sie können die Löhne erhöhen.
Die IG Metall hat mit dem Arbeitgeberverband alle drei Dinge
gleichzeitig gemacht. Unter den Langzeitfolgen dieser über 30
Jahre stattgefundenen Entwick-lung leiden wir heute. Da nützt
auch die relative Lohnzurückhaltung der letzten zwei, drei
Jahre, die ja stattgefunden hat, noch herzlich wenig. Wir sind
immer noch meilenweit davon entfernt, wieder Arbeitsplätze
schaffen zu können.
Berthold Huber: Die Entwicklung der
Produktivität führt bei gleich bleibender Arbeitszeit -
wenn ich jetzt einmal genauso puristisch argumentiere, wie Sie es
tun - zur Reduzierung von Arbeitsplätzen. Also haben wir als
Reaktion darauf immer ein flexibles System gehabt, mit dem wir
Arbeitszeit schrittweise verkürzen. Die 35-Stunden-Woche ist
doch nicht in den 80er Jahren schlagartig gekommen, sondern wurde
stufenweise eingeführt. Außerdem schlagen wir seit 1995
vor, Tarif-Regelungen über Arbeitszeitkonten zu vereinbaren,
um weitere Flexibilität zu schaffen. Erst jetzt, zehn Jahre
später, haben wir in Baden-Württemberg erstmalig
Tarifverträge vereinbaren können, in denen die Eckpunkte
für betriebliche Arbeitszeitkonten-Regelungen festgelegt sind.
Das Ganze ist vorher an Ihrer, sprich an der Arbeitgeberseite,
gescheitert! In vielen anderen Tarifgebieten ist das nach wie vor
der Fall. Ich kann diese Haltung mancher Arbeitgeber-Verbände
nicht nachvollziehen.
Das Parlament: Die Einführung der
35-Stunden-Woche im Osten ist misslungen - und viele Beobachter
hatten den Eindruck, die IG Metall habe die Arbeiter in einen
Streik gedrängt, den sie selbst nicht wollten.
Berthold Huber: Die Einführung
der 35-Stunden-Woche ist in der Metall- und Elektroindustrie im
Osten 2003 gescheitert. Bei Stahl haben wir den Einstieg in die 35
ja geregelt. Die Gründe für unsere damalige
Streik-Niederlage sind vielschichtig. Die entsprechenden Mehrheiten
in der Urabstimmung unter den Mitgliedern hatten wir allerdings,
sonst hätten wir gar nicht streiken dürfen. Insofern
stimmt ihr Vorwurf nicht, wir hätten irgend jemanden
gedrängt. Aber mich bewegt etwas ganz anderes als eine
fruchtlose Rückschau auf 2003. Ich glaube, die Gewerkschaften
sind offenbar die Letzten, die das Versprechen auf gleichwertige
Lebensverhältnisse für die Menschen im Osten wirklich
Ernst meinen. Wir werden dieses Ziel auf keinen Fall aufgeben.
Über die Frage, wie und in welchen Zeiträumen man das
verwirklichen kann, muss offensichtlich noch einmal nachgedacht
werden.
Hans-Olaf Henkel: Wir haben Fehler
gemacht. Ein besonders großer hängt mit dem zusammen, was
Herr Huber sagte. Es war ein Fehler von Gesamtmetall, sich mit der
IG Metall auf diesen Stufentarif zu einigen, denn die Gleichheit
der Lebensverhältnisse ist ein schönes
Ziel…
Berthold Huber: Die Gleichheit? Die
Gleichwertigkeit!
Hans-Olaf Henkel: Also die
Gleichwertigkeit. Sie ist ein schönes Ziel, aber wenn in der
Verfolgung des Ziels immer mehr Arbeitslose produziert werden, geht
das zu Lasten des Wohlstands - und zwar für alle. Ich war im
Verwaltungsrat der Treuhand, und wir haben uns damals wegen des
Stufentarifs an den Kopf gefasst. Übrigens, die Erfahrung im
Osten hat auch für mich die Folge gehabt, meine eigene
Position regelmäßig in Zweifel zu ziehen. Wir sind zum
Beispiel nie auf die Idee gekommen sind, dass der Ostblock als
Kunde für die DDR-Waren so schnell ausfallen könnte. Das
haben wir im Überschwang übersehen. Heute ist jedem klar,
dass es so kommen musste. Genauso klar sollte inzwischen sein, dass
die deutsche Arbeitskraft in der Welt zu ihren derzeitigen Kosten
nicht mehr nachgefragt wird.
Berthold Huber: So stimmt das ja
nicht, sonst stünde unsere Exportwirtschaft nicht so stark da.
Ich glaube, dass wir vor allem in zwei Punkten Anstrengungen
unternehmen müssen. Wir müssen erstens in
Qualitätsfragen noch besser werden. Es gibt in letzter Zeit
einige Beispiele, die mich beunruhigen. Das Zweite ist: Wir stehen
in der Frage der Beschäftigungsquote der Industrien an der
Spitze von allen OECD-Staaten. Wir haben aber in der Infrastruktur
und bei Dienstleistungen deutliche Defizite - von Bildung bis
Gesundheit. Aber damit Sie nicht nur Skepsis verbreiten, Herr
Henkel, wo sehen Sie denn die Möglichkeit, qualifizierte
Arbeitsplätze in Deutschland zu generieren?
Hans-Olaf Henkel: Darauf kann man eine
volkswirtschaftliche Antwort geben oder eine Antwort aus der Sicht
eines Unternehmers. Volkswirtschaftlich ist das relativ einfach.
Die Ware Arbeit ist in Deutschland zu teuer, nicht nur durch Lohn-
und Lohnnebenkosten, sondern auch durch die Arbeitszeiten. Wenn
eine Ware zu teuer ist, wird sie nicht nachgefragt.
Betriebswirtschaftlich darf man sich aber auch nicht darüber
wundern, dass selbst ein so hoch gelobtes Unternehmen wie Porsche -
das ist ja zurzeit der Liebling aller Parteiführer, weil auch
weil der Vorsitzende sich so positiv zu den deutschen
Standortbedingungen äußert - sein neuestes Produkt, den
Cayenne, zu über 80 Prozent im Ausland herstellen lassen muss.
Das gilt auch für die Binnenkonjunktur. Nehmen Sie einmal den
tariflichen Entsende-Mindestlohn im Baugewerbe, der bei zwölf
Euro plus liegt. Das sind schon drei Viertel des Tariflohns. Bei
dieser Höhe kommt es natürlich dazu, dass wir in
Deutschland inzwischen, was die Schwarzarbeit betrifft, Italien
sogar übertroffen haben. Vor zehn Jahren haben wir uns noch
über die italienische Wirtschaft mit deutscher Arroganz lustig
gemacht. Inzwischen haben wir mehr als italienische
Verhältnisse. Die Schwarzarbeit hat inzwischen das gleiche
Volumen wie das, welches der fiktiven Arbeit aller Arbeitslosen
entspricht. Glauben Sie, dass das nur ein Zufall ist? Die Arbeit
wird geleistet - aber schwarz, weil sie nicht mehr bezahlbar ist.
Das Einstellen einer Putzfrau wurde für mich zu einem
kafkaesken Erlebnis! Zwar kamen recht viele Bewerberinnen. Doch als
sie hörten, dass das bei mir nur offiziell und auf
angemeldeter Basis ginge, winkten sie ab und wollten die Stelle
nicht mehr. Als ich schließlich doch eine Putzfrau fand, die
bereit war, auf angemeldeter Basis zu arbeiten, ging es erst
richtig los. Ich musste sie anmelden. Man verlangte eine
Betriebsnummer von mir. Ich antwortete, ich hätte keinen
Betrieb und daher auch keine Nummer, ich wäre allein und
bräuchte dringend eine Putzfrau. Ich habe letzten Endes eine
Putzfrau gefunden - allerdings keine Deutsche, sondern eine Polin.
Auch sie musste erst einige Behördengänge hinter sich
bringen, bevor sie den Besen schwingen durfte. Was ich sagen will:
Wir müssen auch die Arbeit, die von nicht so qualifizierten
Leuten gemacht werden kann, nicht nur wieder erschwinglich machen.
Wir müssen auch dafür sorgen, dass es sich für die
Beschäftigten selbst wieder lohnt, diese auch offiziell und
unbürokratisch zu verrichten. Deshalb ist alles das, was die
Arbeitskosten senkt und den Beschäftigten netto mehr in den
Taschen lässt, nützlich, um neue Arbeitsplätze zu
schaffen.
Berthold Huber: Das ist doch Schnee
von gestern. Ich selber habe auch eine Haushaltshilfe, die bei mir
putzt. Die melde ich an und zahle 20 Prozent drauf. Ich kann Sie
beruhigen: Der Bürokratieaufwand hält sich inzwischen in
Grenzen. Was Sie beschreiben, ist auch nicht das zentrale Problem.
Wir leiden im Moment unter einem Binnenmarkt, der stagniert. Das
Problem liegt nicht in der Exportwirtschaft, die steht gut da.
Nein, die Menschen in Deutschland geben zu wenig aus. Wir
können den Binnenmarkt erstens über angemessene Lohn- und
Gehaltserhöhungen ankurbeln. Die Leute brauchen ja
schließlich Geld, wir leben in einem Massenmarkt! Autos kaufen
keine Autos. Und wenn die Leute kein Geld haben, wenn sie Angst um
ihren Arbeitsplatz und ihre Zukunft haben, wie soll da
wirtschaftliches Wachstum entstehen? Der zweite wichtige Punkt ist
folgender: Der "Faktor Arbeit" muss endlich entlastet werden.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind die "Lastesel" des gesamten
Sozialsystems. Oder anders formuliert: das Portemonnaie, aus dem
Helmut Kohl die deutsch-deutsche Einigung bezahlt hat. Die
Beschäftigten zahlen mit den Sozialabgaben
vereinigungsbedingte Transferleistungen, nicht alle
Bürgerinnen und Bürger. Das muss dringend korrigiert
werden.
Hans-Olaf Henkel: Den Punkt der hohen
Lohnnebenkosten sprechen Sie zu Recht an. Auch hierfür mache
ich nicht allein die Politik oder die Gewerkschaften
verantwortlich. Wir alle wissen, dass über die Hälfte der
Lohnnebenkosten eben auch tariflich festgelegt sind. Die
Arbeitgeber haben nicht nur eine Verantwortung für die
Arbeitszeitreduzierung, die sehr viele Arbeitsplätze gekostet
hat, und die Lohnhöhe - sondern sie tragen auch Verantwortung
für die Höhe der Lohnnebenkosten. Auch in diesem
Zusammenhang muss man an das Tarifkartell erinnern.
Schließlich zur Binnennachfrage. Herr Huber hat völlig
Recht. Nur können wir das nicht so ohne weiteres von den
Strukturen im Land trennen. Die Binnennachfrage ist eben nicht nur
ein konjunkturelles Problem, sie ist auch ein strukturelles
Problem. Die Idee, die so zwei, drei von den Dutzenden der
bekannten Wirtschaftswissenschaftler haben, dass wir sozusagen
durch weitere starke Lohnerhöhungen oder gar weitere
Verschuldungen aus dieser Misere herauskommen können, hat sich
überall in der Welt als falsch herausgestellt. Es gibt eine
eindeutige Korrelation zwischen Ländern, die ausgeglichene
Haushalte haben und vernünftige Lohnentwicklungen hatten - und
denen, die heute eine niedrige Arbeitslosenrate haben. Das
Entsprechende gilt für die Höhe der Unternehmenssteuern.
In Schweden beträgt der maximale Steuersatz für ein
Unternehmen 28 Prozent. Den schwedischen Sozialdemokraten und
Gewerkschaften ist völlig klar, dass ein niedriger Steuersatz
von Unternehmen auch gut für die Beschäftigung ist. Die
Besteuerung reicher Leute ist in Schweden viel höher als bei
uns. Bei uns werden grundsätzlich von Gewerkschaften und
Sozialpolitikern die Unternehmen in einen Topf geschmissen. Es ist
immerhin jetzt durchgesickert, dass nicht nur die prozentuale,
sondern auch die tatsächliche Steuerbelastung auf Unternehmen
bei uns viel höher ist als in den meisten Nachbarländern.
Wir müssen endlich einmal begreifen, dass Steuern auf
Unternehmen auch Steuern auf Arbeitsplätze sind. Ich habe mich
als BDI-Präsident nie für eine Steuersenkung für
reiche Leute stark gemacht - aber immer schon für eine
Steuersenkung für Unternehmen.
Berthold Huber: Auf den absurden
Vorwurf, der Großteil der Lohnnebenkosten entstünde durch
Tarifverträge, gehe ich nicht ein. Das ist wieder so eine
polemische Milchmädchen-Rechnung von Ihnen, die auch auf der
Arbeitgeberseite überwiegend nicht geteilt wird. Ulrich
Brocker, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes
der Metall und Elektroindustrie, hat Ihnen jüngst in einem
Artikel erneut vorgerechnet, dass Sie hier irren. Aber Sie sind
offensichtlich unbelehrbar. Ich stimme Ihnen insoweit zu, dass wir
die Frage des Spitzensteuersatzes für reiche Leute neu
diskutieren müssen, der im übrigen woanders - Beispiel
Schweden - viel höher ist. Dann könnte die
Unternehmensteuer entlastet werden, ohne dass der Staatshaushalt
weiter unter Druck kommt.
Hans-Olaf Henkel: Da ist etwas dran.
Man muss natürlich auch bedenken, dass auch ein
Spitzensteuersatz für reiche Leute volkswirtschaftliche
Probleme insbesondere für den Finanzminister bringt. Die
Anzahl der Schweden, die inzwischen in der Schweiz oder in anderen
steuergünstigen Ländern leben, steigt ja
beständig.
Das Parlament: Müsste man nicht
in Ihrer Logik, Unternehmern und Unternehmen unterschiedliche
Steuern aufzuerlegen, auch die Besserverdienenden in die sozialen
Sicherungssysteme einzubeziehen? Dabei wird ja die Idee der
Bürgerversicherung diskutiert.
Hans-Olaf Henkel: Ja,
Unternehmenserträge und private Einkommen unterschiedlich zu
besteuern, halte ich für richtig. Eine Bürgerversicherung
dagegen überhaupt nicht. Das ist für mich wieder so ein
typisch deutsches Wundermittel, das zwar gut aussieht, auf das es
aber nicht ankommt - so wie der Mindestlohn, der als tolle
Wunderwaffe gegen die Arbeitslosigkeit herhalten soll.
Zusätzliche Einzahler in eine staatliche Versicherung bringen
ja auch zusätzliche Ansprüche. Aber eine Reform des
Systems ist damit nicht verbunden. Die Bürgerversicherung geht
völlig vorbei an dem, was wir in Deutschland brauchen. Das
Gesundheitssystem in Deutschland ist auch deshalb total verlottert,
weil wir zu wenig Wettbewerb haben. Wir brauchen Wettbewerb
zwischen Krankenkassen, Ärzten, Kliniken. Aber auch zwischen
Apotheken. Ich kenne kein Land, wo in vielen Städten alle paar
hundert Meter eine Apotheke steht. Wir haben fast mehr Apotheken
als Milch-, Brot- und Fleischerläden zusammen. Wie unser
Gesundheitssystem wieder wettbewerbsfähig wird? Durch
Wettbewerb!
Berthold Huber: Mit Herrn Henkels
Apotheken-Beispiel bin ich sehr einverstanden, aber das ist auch
der einzige Punkt an dieser Stelle. Wir haben sicherlich im
Gesundheitswesen große Effizienzspielräume. Die ganze
Frage, auch der Prävention, wird aus meiner Sicht zu wenig
angepackt. Die Bürgerversicherung würde daneben sehr wohl
notwendige Vorteile bieten. Wir können doch nicht alle
großen Risiken - wie die Langzeitkranken und Arbeitslosen -
den gesetzlichen Kassen aufbürden und uns dann beklagen, dass
sie nicht mit den privaten Krankenversicherungen konkurrieren
können. Dort hat die Klientel ein höheres Einkommen und
Risiken, die deutlich geringer sind. Diese falsche Verteilung
frisst den Gedanken an so etwas wie Solidargemeinschaft in unserem
Lande allmählich auf. Die Kernfrage ist: Wollen wir ein Land,
wo wir auch in der Gesundheitsfrage eine Zwei-Klassen-Gesellschaft
haben oder eine Drei-Klassen-Gesellschaft, oder wollen wir das
nicht? Ich will das nicht. Diese Ungleichheit will die
Bürgerversicherung zumindest teilweise korrigieren. Erstens
zahlen alle ein, auch Selbstständige, Beamte und Freiberufler.
Zweitens werden nicht nur die Arbeitseinkommen herangezogen. Ich
erinnere an den Begriff "Lastesel", den ich vorhin erwähnt
habe. Es werden endlich auch die Kapitaleinkünfte
herangezogen. Für die Finanzierung der Sozialsysteme werden
sie bislang nicht berücksichtigt. Und um sein Häuschen
braucht sich niemand Sorgen machen. Es gibt so hohe
Freibeträge, dass nur die wirklich großen Einkommen
herangezogen werden.
Das Parlament: Trotz ihrer negativen
Beschreibung des geltenden Krankenversicherungssystems wehren Sie
sich insgesamt gegen zu viel Pessimismus...
Berthold Huber: Absolut. Es gibt auch
positive Entwicklungen. Wir können nicht erwarten, und es
wäre auch falsch, dass jeder neue Arbeitsplatz hier in
Deutschland entsteht. Audi beispielsweise ist ein Unternehmen, das
seine Wertschöpfung auch aus dem außerdeutschen Raum
generiert. Aufgrund der guten Modelle und der qualitativ
hochwertigen Arbeit hat Audi aber nicht nur den
Beschäftigungsstand gehalten, sondern in den vergangenen zehn
Jahren massiv zugelegt - innerhalb und außerhalb Deutschlands.
Das ist nur ein Beispiel für die Entwicklung der deutschen
Autoindustrie. Wir hatten den höchsten Stand der
Beschäftigung 1992 mit 802.000 Beschäftigten. Dann ging
es rapide abwärts auf 640.000 Beschäftigte im Jahre 1995,
und seit 1997 ist es langsam wieder nach oben gegangen. Nach den
aktuellsten Zahlen lagen wir 2003 bei 776.000 Beschäftigten in
dieser Industrie. Deutschland ist also in dem Bereich nicht der
Verlierer gewesen, sondern Gewinner! Das sollten wir nicht kaputt
reden. Was ist noch gleichzeitig passiert? Wir haben einen
Strukturwandel der Beschäftigten. Wir haben immer mehr besser
ausgebildete und hoch qualifizierte Jobs. An der Stelle sind wir
bis dato Gewinner. Ich will dennoch nicht bestreiten, dass wir ein
Problem haben mit sogenannter "einfacher Arbeit".
Hans-Olaf Henkel: Auch das hängt
mit der Lohnentwicklung zusammen. Wenn Sie die deutsche Industrie
einmal mit der britischen vergleichen, auch noch mit der
amerikanischen und der französischen, schneidet unsere immer
noch besser ab. Unsere Fabriken sind automatisierter, ab und zu
werden wir noch von den Japanern übertroffen. Aber in Japan
werden eben auch noch die Schuhe im Hotel von Hand geputzt, und die
Schuhputzer können sich im Hotelfach nach oben arbeiten. Bei
uns stehen Automaten in den Hotels, die potentiellen
Beschäftigten sitzen als Arbeitslose den ganzen Tag vor der
Glotze oder streichen um die Häuserblocks. Um den Kunden zu
dienen, stehen in Japan oft junge Leute vor den
Hotelfahrstühlen und drücken für den Gast den Knopf.
Absurd? Ich meine nicht, denn es ist möglicherweise der Beginn
einer erfüllenden Karriere. Bei uns dagegen haben immer mehr
junge Arbeitslose keine oder nur eine schlechte Berufsperspektive.
Nehmen Sie das Beispiel unserer Tankstellen: Kaum ein Tankwart,
wenn es den Beruf überhaupt noch gibt, putzt ihnen die
Scheiben.
Berthold Huber: Ich bitte Sie,
Scheibenwischen wird Ihnen in deutschen Großstädten an
fast jeder Kreuzung angeboten. Das löst unser Problem ebenso
wenig wie Ihr wirklich absurder Verweis auf den Job am Aufzug. Was
ist denn daran bitte positiv? Die Frage ist: Wo können
Arbeitsplätze entstehen, die diesen Namen auch verdienen? Ich
glaube, dass sie zum Beispiel in der Betreuung von Kindern
entstehen können. Dort haben andere Länder, auch das von
Ihnen genannte Schweden, signifikant mehr Menschen
beschäftigt. Gerade im Bereich der Pflege können
Arbeitsplätze entstehen und werden es in Zukunft auch. Die
Frage ist nur, wie wir das finanzieren. Ich möchte noch auf
den Mindestlohn eingehen, den Sie vorher als ein Hemmnis bezeichnet
haben: Wir haben doch längst in Deutschland für viele
Millionen einen Niedriglohn-Sektor, der um fünf Euro liegt.
Wir haben Tarifverträge - Sie haben sich den höchsten
herausgesucht, im Baugewerbe. Da gibt es einen
Leiharbeitstarifvertrag, der liegt bei genau sieben Euro. Ich sage
Ihnen jetzt meine Meinung: Da sind wir schon an der untersten
Grenze, weil die Leute doch einigermaßen über die Runden
kommen müssen. Das ist doch auch unsere Vorstellung von
Menschenwürde.
Hans-Olaf Henkel: Bei uns gibt es zu
viele Missverständnisse über wirtschaftspolitische
Zusammenhänge, die ausgeräumt werden müssen. Es muss
ein Unterschied gemacht werden zwischen der Besteuerung von
Unternehmen und Privateinkünften. Das wissen die meisten
Politiker, aber sie ignorieren es oft, weil man mit dem Hinweis auf
Unternehmen so herrlich Klassenkampf nach altem Muster machen kann.
Ich nenne nur das Beispiel Heuschrecken. Ein weiteres
Missverständnis herrscht über die Ertragskraft der
deutschen Wirtschaft. Ich habe mich öfter mit Vertretern aller
Fraktionen im Bundestag zum Dialog getroffen. Dabei stelle ich oft
die Frage nach der Netto-Durchschnittsrendite - also nach dem, was
von 100 Euro Umsatz nach Abzug aller Kosten, Steuern und Abgaben
übrig bleibt. Die Antworten habe ich nicht gewichtet, aber
wenn ich das einmal so zusammentragen darf, dann schätzen die
Damen und Herren die Zahl in der Gegend um zwölf bis
fünfzehn Prozent. Tatsache ist: Es sind in den letzten zehn
Jahren um die zwei Prozent gewesen. Diese Zahl ist wichtig für
die derzeitige Diskussion in Deutschland, denn sie lag vor 20
Jahren bei 3,5 Prozent - und, was noch wichtiger ist, sie liegt in
fast allen anderen OECD Ländern weit darüber. Wenn wir
uns fragen, warum die Deutschen Unternehmen nicht genug hier, aber
immer mehr im Ausland investieren, warum die Ausländer nicht
mehr so gern in deutsche Arbeitsplätze investieren, warum die
Eigenkapitalausstattung des Mittelstandes ein historisches Tief
erreicht hat, warum wir einen Pleiterekord nach dem anderen feiern
müssen, warum es relativ wenig Unternehmensgründer bei
uns gibt, warum wir auf fünf Millionen Arbeitslosen sitzen,
dann ist die Antwort ganz einfach: Die Unternehmen, die in
Deutschland tätig sind, verdienen am Standort nicht etwa zu
viel, sondern viel zu wenig. Je eher die Mitglieder des Parlaments
begreifen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der
Fähigkeit zu verdienen und der Bereitschaft,
Arbeitsplätze zu schaffen, desto schneller werden sich die
gesetzlichen Rahmenbedingungen für neue Arbeitsplätze
verbessern.
Das Parlament: Das sehen Sie sicher
anders, Herr Huber?
Berthold Huber: Wir erleben im Moment
eine andere Realität. Bundesweit gibt es allein im
Organisationsbereich der IG Metall mindestens zehn Standorte, wo
zweistellige Renditen erzielt werden, es den Konzernzentralen aber
immer noch nicht reicht. Die Betriebe sind kerngesund, sollen aber
trotzdem geschlossen werden! Dieses Diktat der Anteilseigner, der
sogenannte Shareholder-Kapitalismus, zerstört das System der
sozialen Marktwirtschaft. Der Shareholder-Kapitalismus ist keine
Naturkatastrophe, die über uns hereinbricht und der wir uns
ergeben müssen. Ich denke, wir müssen daran arbeiten, wie
wir diese bedrohlichen Fehlentwicklungen korrigieren können.
Ich gebe zu, dass wir Gewerkschaften dafür noch viel
konzeptionell arbeiten müssen. Aber von Ihnen höre ich
gar nichts, Herr Henkel, außer "Friss oder stirb",
beziehungsweise arbeitet alle länger und für weniger
Geld, dann kommt der Aufschwung von allein. Beides sind keine
geeigneten Antworten auf die heutigen Fragen.
Das Gespräch führten Susanne Kailitz und Norbert
Mappes-Niedik.
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