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Constanze Hacke
Tausend und ein Sanierungsmodell
Betriebliche Bündnisse für
Arbeit
Arbeitszeitverkürzung,
Arbeitszeitverlängerung, Arbeitszeitkorridore; mit und ohne
Lohnausgleich, weniger (oder manchmal auch mehr)
Erfolgsbeteiligung, mehr Qualifizierung, unbezahlter Urlaub,
Warengutscheine statt Weihnachtsgeld: Die Variationen betrieblicher
Bündnisse sind schier unerschöpflich. Ein Patentrezept,
um in schlechten Zeiten auf Unternehmensebene Arbeitsplätze zu
sichern, scheint es nicht zu geben.
Gemeinsam ist sämtlichen Modellen
lediglich, dass die Beschäftigten auf Rechte, die ihnen aus
Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zustehen,
verzichten - um größeres Übel, wie die Verlagerung
des Betriebs oder den Abbau von Stellen abzuwenden. Der stotternde
Konjunkturmotor und der harte internationale Wettbewerb mit
Billigkonkurrenz aus Osteuropa und Fernost führen ebenso wie
Managementfehler und falsche Produktpolitik zu einer Situation, in
der viele Unternehmen in individuellen Betriebslösungen und
nicht im Tarifverbund ihr Heil suchen.
Bei derartigen Firmentarifverträgen oder
Betriebsvereinbarungen geht es meist - entgegen der
öffentlichen Wahrnehmung - nicht um akute
Krisenbewältigung für das betroffene Unternehmen, sondern
darum, Arbeitsplätze zu sichern und den Betrieb für den
Wettbewerb fit zu machen: Nach Erkenntnissen des Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans Böckler-Stiftung
(WSI) befindet sich nur selten ein Unternehmen, das mit
Gewerkschaft oder Betriebsrat solche Vereinbarungen schließt,
in derart immensen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, dass diese die
Existenz des Unternehmens bedrohen. Dies schlage sich im Gegenzug
aber auch in den getroffenen Vereinbarungen nieder: Oft seien diese
langfristig angelegt und sähen auf Arbeitgeberseite nicht nur
den kurzfristigen Erhalt bestehender Arbeitsplätze vor,
sondern auch Standortinvestitionen oder
Neueinstellungen.
Arbeitsplatzerhalt vor
Lohnhöhe
In den meisten Fällen, so ergab die
Studie des WSI, sind die getroffenen Regelungen äußerst
komplex: 42 Prozent der untersuchten Vereinbarungen beinhalteten
Fragen der Arbeitszeit sowie der Arbeitsorganisation, knapp 18
Prozent betrafen zusätzlich das Einkommen. Im Wesentlichen
sollen durch die Neustrukturierung von Arbeitszeit und
Arbeitsorganisation die Arbeitsplätze langfristig
wirtschaftlicher gestaltet werden. Was sich in der Theorie gut
anhört, ist in der Praxis vor allem ein Tribut der betroffenen
Arbeitnehmer, der ihrer eigenen Zwangslage geschuldet ist. Sie
haben oft nur die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und
Cholera - und entscheiden sich dann, wie die zahlreichen
Betriebsvereinbarungen hierzu dokumentieren, meist für eine
andere Gestaltung der Arbeitszeit. "Es gibt bei Arbeitnehmern eine
Präferenzskala, in der der Erhalt des Arbeitsplatzes vor der
Lohnhöhe und diese vor der Arbeitszeit rangiert, wenn die
Arbeitszeit noch in einem erträglichen Rahmen bleibt. Das hat
mit dem Bedürfnis nach Kontinuität des erworbenen
Lebensstandards zu tun und damit, dass viele mit geringem oder nur
durchschnittlichem Einkommen über keine
Vermögensrück-lagen verfügen", erläutert
Professor Rudi Schmidt vom Institut für Soziologie an der
Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Hinter dem Etikett "Betriebliches
Bündnis für Arbeit" verbergen sich daher die
unterschiedlichsten Modelle der Arbeitszeit-Reorganisation:
"Vorläufer war hier die Einführung der 4-Tage-Woche bei
VW im Jahr 1993", erinnert Heiko Massa-Wirth vom WSI. Mit
Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, wie die
Gewerkschaften dies noch Ende der 80er Jahre forderten, haben
dieses Modell und seine Nachfolger nur wenig zu tun: "Da die
Arbeitszeiten nunmehr in wesentlich größerem Umfang
gesenkt wurden - bei VW zum Beispiel um 20 Prozent -, wurden auch
die Monatseinkommen nicht mehr konstant gehalten, sondern gesenkt.
In vielen Fällen wurden so genannte Teillohnausgleiche
vereinbart, die Stundenlohnsätze also moderat erhöht, und
Komponenten wie Weih-nachts- oder Urlaubsgeld auf die
Monatseinkommen umgelegt. Allerdings wird dies nicht als echter
Lohnausgleich angesehen, da ja das Jahreseinkommen insgesamt
reduziert wird."
Tarifliche Öffnungsklauseln ebneten
bereits zu Beginn der 90er-Jahre den Weg für betriebliche
Bündnisse. Neben den in den Medien bekannt gewordenen - nicht
immer von langfristigem wirtschaftlichem Erfolg gekrönten -
Modellen bei Opel, Siemens oder Karstadt-Quelle gibt es inzwischen
viele andere Konzerne, die sich mit Gewerkschaft oder Betriebsrat
auf hausinterne Regelungen verständigen. Zum Beispiel im
März dieses Jahres der Windkraftanlagen-Hersteller Nordex, der
eine nicht alltägliche, gestaffelte Einkommenssenkung in einer
Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat verankerte: Die Mitarbeiter
verzichten auf zehn Prozent ihres Gehalts, leitende Angestellte auf
15 Prozent und Vorstände auf 20 Prozent. Im Gegenzug bekamen
die knapp 700 Beschäftigten an den Standorten in Rostock und
Norderstedt die Zusage, dass betriebsbedingte Kündigungen bis
mindestens Ende kommenden Jahres ausgeschlossen sind. Die Krones
AG, weltweit größter Hersteller von
Getränkeabfüllmaschinen, ging für eine
Beschäftigungsgarantie bis zum Jahr 2010 einen anderen Weg:
Künftig wird es für die rund 7.300 Mitarbeiter keine
festgelegte Arbeitszeit mehr geben. Sie arbeiten, wenn
Aufträge da sind. Alles, was über 35 Stunden pro Woche
hinausgeht, sammeln die Beschäftigten auf einem separaten
Arbeitszeitkonto - und bekommen dies auch gesondert bezahlt. Als
Gegenleistung sichert das Unternehmen nicht nur die
Beschäftigungsgarantie zu, sondern sagte auch zu, mehr
Auszubildende einzustellen - und in den nächsten zwei Jahren
rund 110 Millionen Euro in die deutschen Werke Neutraubling,
Nittenau, Rosenheim, Freising und Flensburg zu
investieren.
Auch in mittelständischen Unternehmen
finden die Verhandlungspartner kreative Lösungen, die einen
Stellenabbau allerdings nicht immer vermeiden: So einigte sich die
Firma Wickeder Westfalenstahl Ende 2003 mit der Gewerkschaft auf
einen Sozialplan, weil 70 Mitarbeiter letztlich doch entlassen
werden muss-ten; zunächst sollte mehr als 100
Beschäftigten gekündigt werden. Die Belegschaft machte im
Gegenzug Zugeständnisse bei der Arbeitszeit: 33 Stunden pro
Woche wurden zur Regel, das Modell sieht zudem eine um vier Stunden
verlängerte Arbeitszeit vor, die auf einem Sonderkonto
gutgeschrieben und - so es die wirtschaftliche Situation des
Unternehmens zulässt -, jährlich ausgezahlt wird.
Mehrarbeit ohne Lohnausgleich, eine Möglichkeit von vielen,
findet auch Bernhard Schwarzkopf, Tarifexperte der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: "Eine
starre Arbeitszeitverlängerung stand für die Arbeitgeber
nie zur Diskussion. Vielmehr geht es um betriebliche
Möglichkeiten, das Arbeitszeitvolumen flexibel auszugestalten.
Das kann im Einzelfall eine Verlängerung, aber auch eine
Verkürzung der Arbeitszeit bedeuten." Eine Senkung der
Wochenarbeitszeit wird auch in einer Studie des Instituts Arbeit
und Wirtschaft der Universität Bremen als gute
Möglichkeit gewertet, Arbeitsplätze zu sichern.
Problemlos, so macht die Bremer Studie aber zugleich deutlich, geht
es auch hier nicht zu. Ein Allheilmittel sind solche Modelle nicht.
Solange sie jedoch Entlassungen verhindern, erscheinen sie den
meisten Betroffenen möglicherweise als die bessere
Alternative.
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