Interview
Tarifbruch ist kein Kavaliersdelikt
Interview mit ver.di-Justiziar Platow
Am 20. April 1999 urteilte das Bundesarbeitsgericht, dass die
Gewerkschaften künftig gegen tarifwidrige
Betriebsvereinbarungen klagen können. Helmut Platow,
Chefjurist der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, erstritt damals
die Entscheidung.
Das Parlament: Herr Platow, immer mehr Unternehmen
schließen betriebliche Bündnisse für Arbeit.
Warum?
Helmut Platow: Aus Sicht der Gewerkschaften versucht sich
die Arbeitgeberseite mit solchen Modellen Wettbewerbsvorteile zu
verschaffen. Da wird Druck auf die Betriebsräte ausgeübt,
damit sie tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen zustimmen. Die
Arbeitnehmer sollen ohne Lohnerhöhung mehr arbeiten oder auf
Zuschläge verzichten. So werden Personalkosten eingespart, es
kann billiger kalkuliert und produziert werden, und das obwohl
häufig gar kein gravierendes Kostenproblem besteht. Der Bruch
des Tarifvertrages wird als Kavaliersdelikt dargestellt: Die
Unternehmen behaupten, es würden Arbeitsplätze und
Produktionsstandorte erhalten. Die Gewerkschaften, also die
eigentlichen Tarifvertragspartner, bleiben außen vor.
Das Parlament: Aber gibt es nicht auch Unternehmen, die
sich einer echten wirtschaftlichen Notlage befinden?
Helmut Platow: Natürlich gibt es die. Und in diesem
Falle sind die Gewerkschaften auch bereit, zeitweise das
Tarifniveau abzusenken. Dafür gibt es viele Beispiele: ver.di
schließt gegenwärtig rund 25
"Härtefall-Tarifverträge" im Monat mit Arbeitgebern
ab.
Das Parlament: Im Ernstfall unterstützen sie diese
betrieblichen Bündnisse also?
Helmut Platow: Wenn dadurch ein Unternehmen zu retten ist
und die Betriebsvereinbarung im Rahmen der geltenden
Tarifverträge und unter Einbeziehung aller Tarifpartner
geschlossen wird, tun wir das. Doch an diese Regeln hat sich die
Arbeitgeberseite, wie im Fall Burda, oft nicht gehalten. Auch als
Mitte der neunziger Jahre in der Druck- und Metallindu- strie
tariflich die 35-Stunden-Woche durchgesetzt wurde, waren es in
erster Linie finanziell und wirtschaftlich gut ausgestattete
Unternehmen, die diese durch Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene
umgehen wollten.
Das Parlament: Was wollen Sie an dieser Praxis
ändern?
Helmut Platow: Wir müssen unbedingt erreichen, dass
die Unternehmen einen Tarifvertrag nur mit dem Partner ändern
können, mit dem sie ihn auch abgeschlossen haben -
nämlich mit uns, den Gewerkschaften. So wie das zum Beispiel
bei Mietverträgen auch gehandhabt wird. Alles andere ist
absurd!
Das Parlament: Nachdem die Burda Druck GmbH in Offenburg
ihre Betriebsvereinbarung durchgesetzt hatte, sind sie für die
IG Medien vor Gericht gezogen.
Helmut Platow: Richtig. Die damalige IG Medien hat drei
Jahre lang durch alle Instanzen geklagt. 1999 hat das
Bundesarbeitsgericht entschieden: Unternehmen, die als Mitglied des
Arbeitgeberverbandes an Tarifverträge gebunden sind,
dürfen mit dem Betriebsrat keine Vereinbarungen treffen, die
Tarifbestimmungen umgehen. Mehr noch: Das Arbeitsgericht hat den
Gewerkschaften eine Klagebefugnis gegen derartige Tarifbrüche
eingeräumt. Die war bisher nur dem einzelnen Arbeitnehmer
vorbehalten.
Das Parlament: Und was hat dieses Klagerecht bisher
bewirkt?
Helmut Platow: Es wirkt vor allem abschreckend. Viele
Unternehmen haben, wenn wir mit Klage gedroht haben, ihr Vorhaben
erst gar nicht durchgeführt oder haben uns in ihre Pläne
einbezogen.
Das Parlament: Was ist mit Unternehmen, die nicht unter
den Tarifvertrag fallen?
Helmut Platow: Gegen diese Unternehmen können wir
natürlich nicht klagen. Und die wissen das. Da setzt dann oft
eine regelrechte Verbandsflucht ein, nur um die Tarifbindung zu
umgehen. Auch Burda hat auf diese Weise getrickst. Es hat, bevor es
das Burda-Modell einführte, Umstrukturierungen vorgenommen.
Seither gehört die neu gegründete hundertprozentige
Tochter, die Burda Druck GmbH, nicht mehr dem Arbeitgeberverband
an. Das bedeutete: Burda musste das Sparmodell nicht revidieren,
obwohl das Arbeitsgericht der Rechtsauffassung der IG Medien
zugestimmt hatte.
Das Parlament: Und davon wussten Sie im Vorfeld
nicht?
Helmut Platow: Nein. Wir waren ganz schön vor den
Kopf gestoßen, als Burda das kurz vor Prozessbeginn
plötzlich öffentlich machte. Aber ein Arbeitgeberverband
unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von einem
Taubenzüchterverein: Eine Mitgliedschaft wird durch Beitritt
begründet. Wenn sich der Arbeitgeber auflöst, muss der
neue Arbeitgeber dem Verein erst wieder beitreten. Und das ist die
Burda Druck GmbH bis heute nicht.
Das Gespräch führte Johanna Metz
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