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Martin Teschke
Hire-and-Fire als Zukunftsmodell?
Reform des Kündigungsschutzes
Die vorerst letzte Änderung des Gesetzes zum
Kündigungsschutz liegt noch gar nicht so weit zurück:
Ende 2003 hat Rot-Grün - damals übrigens gemeinsam mit
der Union - gegen den heftigen Widerstand der Gewerkschaften im
Wesentlichen drei Lockerungen des Gesetzes zum
Kündigungsschutz beschlossen.
So gilt seit dem 1. Januar 2004 das Gesetz in Betrieben mit mehr
als zehn Arbeitnehmern, dort allerdings auch nur für neu
eingestellte Mitarbeiter. Zuvor hatte der Schwellenwert bei
fünf Beschäftigten gelegen. Gleichzeitig sind die
Kriterien für die Sozialauswahl konkretisiert worden. Bei
betriebsbedingten Kündigungen sind nun das Alter, die Dauer
der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten oder eine
Schwerbehinderung entscheidend. So genannte Leistungsträger
können aus der Sozialauswahl herausgenommen werden.
Arbeitgeber und Betriebsrat haben die Möglichkeit, gemeinsam
Namenslisten zu erstellen, die über das Schicksal der
Mitarbeiter entscheiden. Wenn der Arbeitgeber bei betriebsbedingten
Kündigungen eine Abfindung anbietet, kann der
Beschäftigte wählen, ob er gegen die Kündigung klagt
oder die Abfindung annimmt.
Der Arbeitgeberseite und der Union gehen diese
Veränderungen nicht weit genug. Unterstützt werden sie
dabei von einer ganzen Reihe renommierter
Wirtschaftsforschungsinstitute. Das Hauptargument: Das deutsche
Kündigungsschutzrecht sei zu rigide, die Regelungsdichte mache
den Arbeitsmarkt undurchlässig und führe zu einer
höheren Zahl von Langzeitarbeitslosen. Christoph Schmidt, der
Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für
Wirtschaftsforschung (RWI), meint, dass das Gesetz vor allem
älteren Arbeitsuchenden schade, da die Arbeitgeber wegen der
Kündigungsschutzrichtlinien dazu neigten, sie gar nicht erst
einzustellen. Und Henning Klodt vom Institut für
Weltwirtschaft (IfW) richtet den Blick nach Dänemark, wo gar
kein Kündigungsschutz existiert: Dort lag der Anteil an
Langzeitarbeitslosen, also jenen Menschen, die länger als ein
Jahr arbeitslos sind, 2003 nur bei 1,1 Prozent, wie der Professor
herausfand. In Deutschland waren es 4,6 Prozent.
Vier weitere Wirtschaftsinstitute, unter ihnen das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, kommen in
einer Analyse zu dem Schluss: "Mittelfristig wäre zu
prüfen, ob der Kündigungsschutz optional durch eine
Abfindungsregelung ersetzt werden kann." Ähnlich denken auch
die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
und die Union. "Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten im
Kündigungsschutzprozess ohne weitere Voraussetzungen einen
Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen
Zahlung einer Abfindung stellen können, wenn eine
Kündigung keinen Bestand hat", fordert etwa die BDA. Und nach
dem Willen der CDU sollen Arbeitnehmer schon bei Neueinstellungen
zwischen Abfindung und Kündigungsschutz wählen
können. Zudem solle bei einer unbefristeten Anstellung der
Schutz erst nach zwei Jahren greifen - und nicht, wie derzeit, nach
einem halben Jahr.
Außerdem, so die CDU, müsse der Schwellenwert
heraufgesetzt werden: Das Kündigungsschutzgesetz dürfe
erst für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten gelten,
da kleinere Unternehmen stärker als große von der
aktuellen Auftragslage abhängig sind und flexibler reagieren
müssen. Die FDP fordert hier eine Schwelle von 50
Beschäftigten.
Klagequote hat sich verdoppelt
Die Furcht vor einer zunehmenden Belastung der Arbeitgeber durch
Arbeitsgerichtsprozesse, die hinter diesen Forderungen steht,
scheint nicht unbegründet: Nach einer zur Zeit an der
Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg laufenden Untersuchung zu "Kündigungspraxis
und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis" erhalten
jährlich rund zwei Millionen Arbeitnehmer eine Kündigung.
Im Jahr 2003 landeten davon 328.000 vor Gericht, dreimal so viele
wie 1979. Lag die Klagequote 1978 noch bei acht Prozent, hat sie
sich bis 2003 auf 16 Prozent verdoppelt.
Demnach müsste der Kündigungsschutz die
Personalverantwortlichen gerade in den kleinen Betrieben mehr und
mehr davon abhalten, neue Mitarbeiter einzustellen. Die gerade
erschienene Untersuchung "Der Kündigungsschutz zwischen
Wahrnehmung und Wirklichkeit" des Wirtschafts- und
Sozialpolitischen Instituts (WSI) der gewerkschaftlichen
Hanns-Böckler-Stiftung, hat nach der Befragung von rund 2.000
Personalern zudem Verblüffendes festgestellt: In zwei Dritteln
der Kleinbetriebe mit bis zu fünf Beschäftigten ist nicht
einmal bekannt, dass das Kündigungsschutzgesetz für sie
keine Gültigkeit hat. Die Wissenschaftler ziehen daraus den
Schluss, dass eine weitere Anhebung des Schwellenwertes ohne
Wirkung bliebe. Nach den Ergebnissen der Befragung beeinflussen
andere Faktoren das Einstellungsverhalten der Unternehmen: die
aktuelle wirtschaftliche Situation und die wirtschaftliche
Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren.
Ohnehin haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Chef
Franz Müntefering klar gemacht, dass es mit ihnen keine
weitere Lockerung des Kündigungsschutzes in Richtung
"Hire-and-Fire"-Politik geben wird. Selbst kritische
Wissenschaftler wie Ulrich Walwei vom Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) räumen ein, dass auch
die Arbeitgeber vom Kündigungsschutz profitierten, da es die
Loyalität der Mitarbeiter erhöhe.
Vor weiteren Modifizierungen dürfte dies das
Kündigungsschutzgesetz in Zukunft allerdings nicht bewahren -
zu groß scheint der Widerstand aus Opposition, Arbeitgebern
und Wissenschaft.
Martin Teschke arbeitet als freier Journalist in Berlin.
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